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Stadtflucht mit Tiny Houses: So putzig ist die Zukunft
Die diversen Lockdowns haben eine neue Sehnsucht nach dem Häuschen in der grünen Freiheit entfacht – eine teure Angelegenheit, nicht nur in der Anschaffung. Das Tiny House hingegen stellt die flexible Minimalvariante der vorübergehenden Stadtflucht dar.
5. April 2021 - Ute Woltron
Nach einem Jahr unter der lähmenden Glocke der Pandemie bestehen kaum Zweifel daran, dass die Welt nur verändert aus dieser Krise hervorgehen kann. Möglicherweise wird der Wandel langfristig sogar markanter ausfallen, als wir uns dieser Tage auszumalen imstande sind. Denn der Fermentationsprozess hat erst eingesetzt, und jetzt schon gärt es in den unterschiedlichsten Lebensbereichen quer über den Globus. Das Virus besetzt Verhalten und Denken, es entzweit Familien und spaltet Gesellschaften entlang vorhandener, doch nie verhandelter Haarrisse. Andererseits bündelt es die Kräfte, etwa die der Wissenschaften. Es spaltet und vereint, lähmt und beschleunigt zugleich, und es wird selbstverständlich auch die Gestaltung unserer Arbeits- und Lebenswelten beeinflussen, und damit unmittelbar die Architektur.
Was bedeutet es etwa, wenn wir künftig einen Teil der Büroarbeit zu Hause erledigen und das fraktale Arbeiten zum Alltag wird? Die endlich aufgeworfene Frage ist viel größer als die nach hastig daheim aufgestellten Schreibtischen und novellierten Gesetzestexten, denn sie umfasst ebenso veränderte Mobilität, optimierte vernetzte Technologie und führt letztlich zu adaptiertem Städtebau, vielleicht sogar zu einer veränderten Sicht der Raumordnung. Wer den Optimismus noch nicht verloren hat, könnte in der sogenannten Krise also auch die viel gepriesene Chance sehen, denn wann, wenn nicht jetzt kann, ja sollte manches hinterfragt und vielleicht sogar niedergerissen werden, was bisher als in Beton gegossen galt?
Apropos: Die Annahme, als Haus gelte prinzipiell nur, was auf Fundamenten ruhe, war schon vor der Pandemie falsch. Vor allem in den USA ist das Bewohnen mobiler Kleinhäuser seit Jahrzehnten Usus. Wer umziehen will, nimmt sein Häuschen Huckepack, stellt es auf Räder und sucht das Weite. Für eine erhebliche Beschleunigung und Neubewertung dieser zuvor typisch amerikanischen Wohn- oder besser Lebensform sorgte ab 2007 übrigens die Finanzkrise. Die Idee des sogenannten Tiny House erreichte schließlich auch Europa. Der Unterschied: In der in vielen Bereichen hoffnungslos überregulierten Alten Welt ist alles verboten, was nicht erlaubt ist, während es in den USA genau umgekehrt ist.
Vorübergehende Stadtflucht
Doch die diversen Lockdowns haben vor allem in den Städten begreiflicherweise eine neue Sehnsucht nach dem Häuschen da draußen in der grünen Freiheit entfacht. Diese Stimmungslage schlägt sich auch in der Entwicklung des Immobilienmarktes nieder. Stadtwohnungspreise stagnieren, während im städtischen Umland Grundstücks- und Hauspreise steigen. Doch so ein Haus ist eine teure Angelegenheit, nicht nur in der Anschaffung. Es muss gepflegt und betreut, beheizt und an die versorgenden Stränge der Gemeinden angeschlossen werden. Das Tiny House hingegen stellt die flexible Minimalvariante der vorübergehenden Stadtflucht dar. Im Idealfall ist es eine autarke Wohneinheit auf Rädern, ein millimetergenau konzipiertes, optimiertes Häuschen, das im Hintergrund noch dazu mit perfektionierter Haustechnik, diversen Nutz- und Frischwasserkreisen und einer ausgeklügelten Toilettenanlage ausgestattet ist und von Solarenergie gespeist wird. Kurzum, eine zwar sehr kleine, doch funktionstüchtige Wohneinheit ohne Baugenehmigung und ohne Fundamente.
Mittlerweile sind auch hierzulande die unterschiedlichsten Produzenten auf den mobilen Haus-Tross aufgesprungen und bieten fixfertig assemblierte Tiny Houses unterschiedlichen Formats und Charakters an. Ab etwa 40.000 Euro sind die billigsten schon zu haben. Das Minihaus liegt voll im Trend und beflügelt etwa zuvor eingefleischte Stadtmenschen dazu, abgelegene Grundstücke zu pachten, die Kinder einzupacken und Wald und Wiese den Sommer über zum Wohnzimmer zu erklären. Doch noch steht, wer mit einem dieser mobilen Wochenendhäuschen liebäugelt, vor einem Dickicht bürokratischer Hürden, die noch dazu je nach Bundesland ganz unterschiedlich gestaffelt sind. Und das ist nicht das einzige Problem, das nun – von allen Instanzen klug durchdacht – zu lösen wäre.
Der zweite Schwachpunkt liegt in der Architektur selbst. Denn die gestalterischen Vorbilder der neuen Tiny Häuser scheinen Almhütten einerseits, reduzierte Fertigteilkisten andererseits gewesen zu sein, wobei gegen keines der beiden im Normalformat auch nur das Geringste einzuwenden ist. Doch die Idee des mobilen Hauses führt sich ad absurdum, wenn es letztlich nur eine vereinfachte Verkleinerung des Großen darstellt und zudem Sondergenehmigungen für den Transport eingeholt werden müssen. Architektur und Kreativität wären hier gefragt, auf dass eine Hochzeit von Technologie und Design, Funktion und Gestalt auf höchstem Niveau stattfinde.
Unerreichtes Vorbild
Tatsächlich gibt es ein bis dato unerreichtes Vorbild, sozusagen den Rolls Royce unter den Tiny-House-Ahnen, und das entsprang in einer völlig anderen Zeit und unter anderen Voraussetzungen dem Erfindergeist eines gewissen Wallace „Wally“ Merle Byam. Der Amerikaner Jahrgang 1886 baute in den 1920er-Jahren eigenhändig eine aerodynamisch geformte Wohnzelle und setzte sie auf das Fahrgestell eines alten Ford. Der Grund: Seine Frau hatte das Campen im Zelt satt. Sogleich entwickelten Wallys Nachbarn Begehrlichkeiten und fragten an, ob er ihnen nicht auch so ein mobiles Miniheim bauen könne. Da ihn die Nachfrage zu überrollen begann, verkaufte er eine Zeitlang kurzerhand die Baupläne.
Doch Wally war ein geschäftstüchtiger Charakter, der die Zeichen der Zeit deutete. Er tat sich mit einem Luftfahrtingenieur und damit mit einem Profi für Leichtbauweise und optimale Raumausnutzung zusammen. Gemeinsam konstruierten sie in Anlehnung an einen Flugzeugrumpf einen extrem leichten, stromlinienförmigen Wohnwagen aus Aluminiumrippen und -platten, den sie aufgrund der schnittigen aerodynamischen Erscheinung „Airstream“ nannten. Das metallisch glänzende Konstrukt wurde bis dato über acht Jahrzehnte laufend optimiert, besser gedämmt, mit noch feinerer Technologie ausgestattet und wintertauglich gemacht. Es wurde in verschiedene Modelle und Größen gegossen – und es ist immer noch der qualitativ unerreichte Industriedesignklassiker unter den mobilen Behausungen.
Vielleicht liegt es daran, dass der leichte, wendige Alu-Zeppelin letztlich eine eigene Spezies darstellt und gar nie versucht hat, ein Haus zu sein. Er ist, was er von Beginn an sein wollte, eine autarke, durchaus luxuriöse Unterkunft, die sich ohne großen Aufwand bewegt. Die Evolution der Tiny Häuser hat gerade erst begonnen, als Wochenenddomizil, als temporär ver- oder mietbare Unterkunft und dergleichen mehr, jedenfalls aber als ein kleines Element des Wandels, den wir gerade erleben.
Was bedeutet es etwa, wenn wir künftig einen Teil der Büroarbeit zu Hause erledigen und das fraktale Arbeiten zum Alltag wird? Die endlich aufgeworfene Frage ist viel größer als die nach hastig daheim aufgestellten Schreibtischen und novellierten Gesetzestexten, denn sie umfasst ebenso veränderte Mobilität, optimierte vernetzte Technologie und führt letztlich zu adaptiertem Städtebau, vielleicht sogar zu einer veränderten Sicht der Raumordnung. Wer den Optimismus noch nicht verloren hat, könnte in der sogenannten Krise also auch die viel gepriesene Chance sehen, denn wann, wenn nicht jetzt kann, ja sollte manches hinterfragt und vielleicht sogar niedergerissen werden, was bisher als in Beton gegossen galt?
Apropos: Die Annahme, als Haus gelte prinzipiell nur, was auf Fundamenten ruhe, war schon vor der Pandemie falsch. Vor allem in den USA ist das Bewohnen mobiler Kleinhäuser seit Jahrzehnten Usus. Wer umziehen will, nimmt sein Häuschen Huckepack, stellt es auf Räder und sucht das Weite. Für eine erhebliche Beschleunigung und Neubewertung dieser zuvor typisch amerikanischen Wohn- oder besser Lebensform sorgte ab 2007 übrigens die Finanzkrise. Die Idee des sogenannten Tiny House erreichte schließlich auch Europa. Der Unterschied: In der in vielen Bereichen hoffnungslos überregulierten Alten Welt ist alles verboten, was nicht erlaubt ist, während es in den USA genau umgekehrt ist.
Vorübergehende Stadtflucht
Doch die diversen Lockdowns haben vor allem in den Städten begreiflicherweise eine neue Sehnsucht nach dem Häuschen da draußen in der grünen Freiheit entfacht. Diese Stimmungslage schlägt sich auch in der Entwicklung des Immobilienmarktes nieder. Stadtwohnungspreise stagnieren, während im städtischen Umland Grundstücks- und Hauspreise steigen. Doch so ein Haus ist eine teure Angelegenheit, nicht nur in der Anschaffung. Es muss gepflegt und betreut, beheizt und an die versorgenden Stränge der Gemeinden angeschlossen werden. Das Tiny House hingegen stellt die flexible Minimalvariante der vorübergehenden Stadtflucht dar. Im Idealfall ist es eine autarke Wohneinheit auf Rädern, ein millimetergenau konzipiertes, optimiertes Häuschen, das im Hintergrund noch dazu mit perfektionierter Haustechnik, diversen Nutz- und Frischwasserkreisen und einer ausgeklügelten Toilettenanlage ausgestattet ist und von Solarenergie gespeist wird. Kurzum, eine zwar sehr kleine, doch funktionstüchtige Wohneinheit ohne Baugenehmigung und ohne Fundamente.
Mittlerweile sind auch hierzulande die unterschiedlichsten Produzenten auf den mobilen Haus-Tross aufgesprungen und bieten fixfertig assemblierte Tiny Houses unterschiedlichen Formats und Charakters an. Ab etwa 40.000 Euro sind die billigsten schon zu haben. Das Minihaus liegt voll im Trend und beflügelt etwa zuvor eingefleischte Stadtmenschen dazu, abgelegene Grundstücke zu pachten, die Kinder einzupacken und Wald und Wiese den Sommer über zum Wohnzimmer zu erklären. Doch noch steht, wer mit einem dieser mobilen Wochenendhäuschen liebäugelt, vor einem Dickicht bürokratischer Hürden, die noch dazu je nach Bundesland ganz unterschiedlich gestaffelt sind. Und das ist nicht das einzige Problem, das nun – von allen Instanzen klug durchdacht – zu lösen wäre.
Der zweite Schwachpunkt liegt in der Architektur selbst. Denn die gestalterischen Vorbilder der neuen Tiny Häuser scheinen Almhütten einerseits, reduzierte Fertigteilkisten andererseits gewesen zu sein, wobei gegen keines der beiden im Normalformat auch nur das Geringste einzuwenden ist. Doch die Idee des mobilen Hauses führt sich ad absurdum, wenn es letztlich nur eine vereinfachte Verkleinerung des Großen darstellt und zudem Sondergenehmigungen für den Transport eingeholt werden müssen. Architektur und Kreativität wären hier gefragt, auf dass eine Hochzeit von Technologie und Design, Funktion und Gestalt auf höchstem Niveau stattfinde.
Unerreichtes Vorbild
Tatsächlich gibt es ein bis dato unerreichtes Vorbild, sozusagen den Rolls Royce unter den Tiny-House-Ahnen, und das entsprang in einer völlig anderen Zeit und unter anderen Voraussetzungen dem Erfindergeist eines gewissen Wallace „Wally“ Merle Byam. Der Amerikaner Jahrgang 1886 baute in den 1920er-Jahren eigenhändig eine aerodynamisch geformte Wohnzelle und setzte sie auf das Fahrgestell eines alten Ford. Der Grund: Seine Frau hatte das Campen im Zelt satt. Sogleich entwickelten Wallys Nachbarn Begehrlichkeiten und fragten an, ob er ihnen nicht auch so ein mobiles Miniheim bauen könne. Da ihn die Nachfrage zu überrollen begann, verkaufte er eine Zeitlang kurzerhand die Baupläne.
Doch Wally war ein geschäftstüchtiger Charakter, der die Zeichen der Zeit deutete. Er tat sich mit einem Luftfahrtingenieur und damit mit einem Profi für Leichtbauweise und optimale Raumausnutzung zusammen. Gemeinsam konstruierten sie in Anlehnung an einen Flugzeugrumpf einen extrem leichten, stromlinienförmigen Wohnwagen aus Aluminiumrippen und -platten, den sie aufgrund der schnittigen aerodynamischen Erscheinung „Airstream“ nannten. Das metallisch glänzende Konstrukt wurde bis dato über acht Jahrzehnte laufend optimiert, besser gedämmt, mit noch feinerer Technologie ausgestattet und wintertauglich gemacht. Es wurde in verschiedene Modelle und Größen gegossen – und es ist immer noch der qualitativ unerreichte Industriedesignklassiker unter den mobilen Behausungen.
Vielleicht liegt es daran, dass der leichte, wendige Alu-Zeppelin letztlich eine eigene Spezies darstellt und gar nie versucht hat, ein Haus zu sein. Er ist, was er von Beginn an sein wollte, eine autarke, durchaus luxuriöse Unterkunft, die sich ohne großen Aufwand bewegt. Die Evolution der Tiny Häuser hat gerade erst begonnen, als Wochenenddomizil, als temporär ver- oder mietbare Unterkunft und dergleichen mehr, jedenfalls aber als ein kleines Element des Wandels, den wir gerade erleben.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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