Artikel

Wo geht’s zur Zukunft des Bauens?
Spectrum

So wie das Recht und die Gesundheit darf auch der Raum nicht der völligen Kommerzialisierung überlassen werden. Eine Novelle des Ziviltechnikergesetzes und ihre Folgen.

17. April 2021 - Christian Kühn
Eine der schönsten Beschreibungen städtischen Lebens stammt von Robert Musil: Alle großen Städte bestünden aus Unregelmäßigkeit, Wechsel, Vorgleiten, Nichtschritthalten, Zusammenstößen von Dingen und Angelegenheiten, bodenlosen Punkten der Stille dazwischen, aus Bahnen und Ungebahntem, aus einem großen rhythmischen Schlag und der ewigen Verstimmung und Verschiebung aller Rhythmen gegeneinander und glichen im Ganzen einer kochenden Blase, die in einem Gefäß ruht, das aus dem dauerhaften Stoff von Häusern, Gesetzen, Verordnungen und geschichtlichen Überlieferungen besteht. Häuser und Gesetze sind tatsächlich träge, aber auch sie ändern sich, und wenn man ihre Entwicklung im Zeitraffer betrachtet, sind diese Änderungen nicht weniger sprunghaft und von Verschiebungen und Verstimmungen geprägt als das Leben selbst. Ihre Wirkung ist nicht sofort spürbar. Gesetze werden beschlossen, Häuser gebaut, und oft dauert es Jahrzehnte, bis Fehlkonstruktionen Wirkung zeigen und als Bauschäden oder gesellschaftliche Verwerfungen zum Vorschein kommen.Vergangene Woche beschloss der Nationalrat eine Novellierung des österreichischen Ziviltechnikergesetzes, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs nötig geworden war. Im Kern geht es um die Frage, wie sich Ziviltechniker, zu denen als Untergruppen Architekten und Ingenieurkonsulenten zählen, mit anderen wirtschaftlichen Akteuren zusammenschließen dürfen. Die EU fährt in dieser Frage eine liberale Linie: Was spricht dagegen, dass Architekten mit ausführenden Unternehmen eine GmbH gründen, um ihre Dienste aus einer Hand anbieten zu können?

Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker sind allerdings keine gewerblichen Unternehmer, sondern zählen zu den in Österreich sogenannten „Freien Berufen“, zu denen auch Ärzte, Notare und Rechtsanwälte gehören. Sie erbringen ihre Leistungen persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig im Interesse ihrer Auftraggeber und der Allgemeinheit. „Frei“ sind sie insofern, als sie nicht der Gewerbeordnung unterstehen; abgesehen davon sind sie gerade nicht frei, sondern gebunden an hohe Ausbildungsstandards und an die Mitgliedschaft in einer berufsständischen Vertretung, die diese Standards durch zusätzliche Prüfungen absichert. Ziviltechniker sind berechtigt, öffentliche Urkunden auszustellen, womit sie gewissermaßen als „technische Notare“ agieren, die ausgelagerte Behördentätigkeiten übernehmen. Schon bisher konnten sich Ziviltechniker zu GmbHs zusammenschließen. Das neue Gesetz erlaubt nun eine neue Kategorie von sogenannten „Interdisziplinären Gesellschaften“, an denen Ziviltechniker nur noch mindestens 50 Prozent der Anteile halten müssen. Die anderen 50 Prozent können von einem ausführenden Unternehmen,beispielsweise einem Baukonzern, gehalten werden. Die Ziviltechniker in solchen Gesellschaften werden sich kaum verweigern können, Beurkundungen für Projekte durchzuführen, die von ihren Gesellschaftern errichtet wurden, ein klassischer Fall eines Interessenkonflikts. Zum Selbstbild von Ziviltechnikern gehört außerdem, die Interessen von Bauherren, Nutzern und Öffentlichkeit an erste Stelle zu setzen, während Unternehmen grundsätzlich profitorientiert agieren. Als Bollwerk gegen die Kommerzialisierung des Bauens sind Interdisziplinäre Gesellschaften wohl kaum geeignet. Im Vorfeld der Beschlussfassung der Gesetzesnovelle versuchte die Berufsvertretung, „Gold-Plating“, also die Übererfüllung der EU-Vorgaben, zu korrigieren. Eine Beteiligungsmöglichkeit von Interdisziplinären Gesellschaften an „normalen“ ZT-Gesellschaften, die durch Verschachtelung eine völlige Verwässerung des „ZT-Anteils“ ermöglicht hätte, konnte abgewendet werden; die Beurkundungsfähigkeit blieb den Interdisziplinären allerdings erhalten. Bedeutet diese Entwicklung den Anfang vom Ende der Architektur? Natürlich nicht. Der Witz, dass das Architekturbüro der Zukunft eine Rechtsanwaltskanzlei mit angeschlossenem Zeichenraum sei, kursiert schon seit einem Vierteljahrhundert. Aber es geht hier um für sich genommen kleine Verschiebungen, die in Summe und auf lange Sicht betrachtet die Machtverhältnisse zugunsten eines rein wirtschaftlichen Denkens verändern.

In diese Richtung geht auch der Versuch, Bauprojekte durch sogenannte Totalunternehmer abwickeln zu lassen, die Planung und Ausführung zu einem Fixpreis übernehmen und für die Planung Architekten als Subunternehmer heranziehen. In dieser Konstellation ist die Idee eines „Freien Berufs“, der nicht nur die Interessen des unmittelbaren Auftraggebers, sondern auch jene der Öffentlichkeit beachtet, obsolet. Ein Experiment in diese Richtung läuft derzeit in Tirol beim Projekt eines neuen Universitätsgebäudes für das Management Center Innsbruck. Nachdem ein in einem Architekturwettbewerb ausgewähltes Projekt aus zweifelhaft argumentierten Kostengründen verworfen worden war, kam nun als Totalunternehmer ein Baukonzern zum Zug, der vorerst nicht mehr garantiert als ein Stück Universität mit 16.000 Quadratmeter Nutzfläche zum Preis von 103 Millionen Euro. Das Projekt wird im Rahmen eines „wettbewerblichen Dialogs“ gesucht, einem Typ von Verfahren, der im Vergaberecht eigentlich nur für technisch hoch komplexe Infrastrukturprojekte vorgesehen ist. Im konkreten Fall sollen nach einer offenen Ausschreibung 30 Teilnehmer geladen werden, aus denen eine Jury acht auswählt, die nach Aufhebung der Anonymität mit der Jury in einen Dialog treten, an dem der Totalunternehmer als Berater mitwirkt. In diesem Dialog werden die Projekte so lange weiterentwickelt, bis – idealerweise – ein Gleichgewicht von Qualität und Kosten hergestellt ist. Praktisch sieht das anders aus: Wer die Kosten garantiert, bestimmt die Qualität – und den eigenen Profit. Verstärkt werden diese Trends durch die Digitalisierung des Bauwesens, die mit immer anspruchsvolleren Datenmodellen versucht, die Planung, das Bauen und den Betrieb von Gebäuden in einen kontinuierlichen Prozess zu integrieren. In den falschen Händen führt das zu einem seriellen Bauen auf dem Niveau des alten Plattenbaus. Das Potenzial, Bauteile und bald ganze Häuser im 3-D-Druck herzustellen, ist aber nicht zu unterschätzen. In diesem Bereich mag es sinnvoll sein, Planung und Ausführung zu verschmelzen. „Interdisziplinäre Gesellschaften“ könnten hier einen Beitrag dazu leisten, das Bauen zu revolutionieren.
Selbst mittelfristig wird das aber nur für ein paar Prozent des Bauvolumens relevant sein. Der große Rest ist weiterhin besser in den Händen eines „Freien Berufs“ aufgehoben. So wie Recht und Gesundheit ist auch der Raum zu wichtig, um ihn der völligen Kommerzialisierung zu überlassen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: