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Bauen um jeden Preis?
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Resorts, Chalets, Lodges: Große Bauprojekte als lukrative Investments sollen der Südsteirischen Weinstraße einen touristischen Höhenflug bereiten. Doch der Bauboom in der geschützten Kulturlandschaft ist umstritten.

28. April 2021 - Karin Tschavgova
Mitte April im Südsteirischen Weinland. Es ist ein grauer, ungewöhnlich kalter Tag, von den frisch verschneiten Nordhängen des Pachern bläst eisiger Wind. Ich fahre von Ehrenhausen, dem „Tor“ zur Weinstraße, einem historischen Kleinod, auf die Hügel und Höhen, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stetig zur touristischen Destination entwickelten. Ich will mir ein Bild machen von dem, was ich kürzlich mit ungläubigem Staunen der Zeitung entnommen hatte.

Berichtet wurde, dass Dutzende millionenschwerer Projekte in Planung und schon in Bau seien, da im vorigen Jahr die Region bis in den Spätherbst regelrecht gestürmt worden sei von Gästen. Vom Wirtschaftstreuhänder aus Bayern war die Rede, der schon seit Jahren aufkauft, was im „letzten Schlaraffenland Europas“ an Gaststätten, Beherbergungsbetrieben und Rebflächen zu haben ist. Von einer Rebenhof Living GmbH, die ein „Zuhause in der wunderschönen Südsteiermark am höchsten Punkt der Südsteirischen Weinstraße“ in 74 Chalets und Appartements bewirbt – offensichtlich ein Angebot für Zweitwohnsitze. Und vom Grazer Industriellen mit einem Faible für zeitgenössische Architektur, der den bekannten ehemaligen Buschenschank auf dem Jägerberg kaufte, um dort ein feines Seminarhotel mit Feinschmecker-Restaurant zu „entwickeln“.

Seit 1992 trägt das Südsteirische Weinland das Prädikat Naturpark. Es gibt ein überörtliches Entwicklungsprogramm für die Region, in dem als oberste Prämisse die Erhaltung der typischen Kulturlandschaft als Lebensraum für Bewohner und Gäste festgeschrieben ist. Ulrike Elsneg zeigt in ihrer Masterarbeit „Kulturlandschaftsdynamik in der Südsteiermark“ eindrücklich auf, dass schon seit Jahrzehnten strukturelle Kleinteiligkeit und Vielfalt – das Neben- und Miteinander von kleinen Streusiedlungen und einzelnen Hofstellen zwischen Weingärten mit Rainbegrenzungen, Streuobstwiesen, Ackerflächen und Laubwaldstücken – zurückgehen. Die geplanten Investments, eine massive Zunahme an Bauland und Bausubstanz, werden diese Entwicklung rasant beschleunigen. Noch ist die Wirkmächtigkeit des Landschaftsbildes mit seiner charakteristischen Prägung gegeben und vermag jene Anziehungskraft auszuüben, für die man sich mit Großinvestitionen rüsten will.

Fragt man bei kritischen Geistern nach, so fällt immer wieder ein Begriff: Baulandausweisung als „Erholungsgebiet“ – in genauer Definition die Umwidmung von Freiland in Bauland für touristische Zwecke. Eine solche kann im Zuge einer Revision des Flächenwidmungsplans mit Zweidrittelmehrheit durch den Gemeinderat erfolgen. Und sie erfolgt anlassbezogen, so die Kritiker, auf Zuruf und in unterwürfiger Ehrerbietung. Sie müsste viel strenger ausgelegt werden. In der gesetzlichen Verordnung, die 2009 in das Steirische Raumordnungsgesetz eingebracht wurde, finden sich für das Erholungsgebiet höchst unverbindliche Festlegungen wie: „Im Interesse der Erhaltung ihres Charakters können Flächen bezeichnet werden, die nicht bebaut werden dürfen.“ Halt! Können und nicht: müssen? Voraussetzung für von der Gemeinde vorgenommene Baulandausweisungen ist, dass ein Örtliches Entwicklungskonzept vorliegt. Üblicherweise wird damit der Raumplaner der Gemeinde beauftragt. Doch kann dieser seine Aufgabe unabhängig wahrnehmen, will er der örtliche Raumplaner bleiben?

Natürlich wird jedes Konzept auf Basis der Gesetze erstellt und enthält Prämissen wie die „Erhaltung bzw. Verbesserung des regionalspezifischen Landschaftsbildes und der landschaftsraumtypischen Strukturelemente“ und Einschränkungen der Nutzung durch naturräumliche Gegebenheiten, etwa die Topografie. Im ÖEK Gamlitz sind die Beibehaltung der landschaftlichen Gliederung durch das Freihalten von unbebauten Höhenlagen und exponierten Lagen vor weiterer Verbauung sowie die Einbettung von Neubauten in Hanglage festgeschrieben. An Baugenehmigungen für Resorts und Anlagen für Chalets zeigt sich jedoch, dass die Baulandausweisung für touristische Nutzung großen Spielraum für Interpretationen zulässt. Zu großen, finden Kritiker.

Ich fahre weiter, die schmalen Straßen entlang, die an diesem unwirtlichen Tag menschenleer bleiben. Nicht nur einsetzender Eisregen hindert mich daran, ein kleines Gebilde aus Holz und viel Glas näher anzusehen. Es scheint das Musterhäuschen einer Reihe neuer „Lodges“ zu sein, wie ich später auf der Website des Betreibers lese – „Panoramatherapie“ eingeschlossen, Einbettung in die Blumenwiese nur behauptet. Nicht weit danach muss ich einbremsen. Ein Steilhang mit exakt gezogenen Rebzeilen tut sich auf, wie ich ihn im Weinland noch nie gesehen habe. Kein Rain, kein Baum, kein Wiesenstück als Gliederung mildern die Monotonie der hier neu entstandenen Landschaft. Als ich am Eingangstor der ortsfremden Umzäunung „Domaine“ lese, weiß ich, wo ich bin. Hier durfte der Investor, nachdem er aus der Konkursmasse das zu Beginn der Zweitausenderjahre neu entstandene Weingarten- und Weinkellerareal „Terra Gomeliz“ gekauft hatte, kolportierte 30 Hektar Wald zur Rebfläche machen. Weingärten schauen anders aus, auch Chalets, wie sie an dieser Stelle im nunmehrigen touristischen Erholungsgebiet als Erweiterung der bestehenden, „landschaftstypischen Bebauungsstruktur am Grat“ geplant sind.

Noch ist außer einer Großbaustelle nicht viel vom angekündigten Bauboom zu sehen, doch das Bild wird im nächsten Frühling schon ganz anders sein. Die Frage bleibt: Wie lange verträgt die Kulturlandschaft der Weinstraße, dass selbst gegen naturgegebene Beschränkungen gerodet und das Gelände moduliert, dass erweitert, aus- und aufgebaut wird und auf Tausenden Quadratmetern Resorts entstehen? Wann ist der Zeitpunkt gekommen, da das Bild von einzigartiger Schönheit zerstört sein wird?

Zu lange hat man in der Südsteiermark einseitig nur auf Bewusstseinsbildung für Baukultur gesetzt. 2006 wurde in drei Gemeinden ein Gestaltungsbeirat installiert, der heute in dieser Form nicht mehr existiert. Ein Bauherrenbegleiter wurde herausgegeben und 2016 der Region der LandLuft Baukulturpreis zugesprochen. Die Erkenntnis, dass die Kulturlandschaft weniger durch fehlendes Bewusstsein für Baukultur als durch anlassbezogene, zu wenig strenge Auslegung von Schutzbestimmungen und Raumordnung gefährdet wird, ist schmerzhaft. Längst schon müsste die Aufsichtsbehörde mit übergeordneter Verantwortung einschreiten. Erster Widerstand von Ortsansässigen wird laut, und das ist gut so. Für eine breite Einsicht in die Tatsache, dass mit all den geplanten touristischen Großprojekten gerade das „Kapital“ Landschaft mit Wein, das heute für den Wohlstand der Region steht, in seiner Substanz angegriffen wird und zu schwinden droht, braucht es noch viele laute Verbündete.

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