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Jeder Tag ist Friday
Der Standard

Die Vienna Biennale im Mak nimmt sich des Klimawandels an. Auch die Architektur spielt eine Schlüsselrolle. 100 Projekte aus aller Welt zeigen Lösungen für das kommende kritische Jahrzehnt, von Graz bis Medellín.

29. Mai 2021 - Maik Novotny
Elf Uhr an einem der wenigen sommerlichen Tage in diesem kühlen Frühling. Der sehr schöne und sehr steinerne Freiheitsplatz in der Grazer Altstadt glüht schon auf mittlerer Herdstufe. Der ganze Freiheitsplatz? Nein. Eine kleine Oase aus Holz, umhüllt von weißen Tüchern, steht mitten auf dem Platz, mehrere gefühlte Grad kühler. Die Klimaanlage ist ein Stück Mischwald aus rund 600 Pflanzen, bedampft von Sprühnebel. Zwitschernde Vögel schwirren zwischen den Blättern umher, Bienen summen.

Der Klima-Kultur-Pavillon wurde im April eröffnet, und nicht nur die Grazer Fauna, auch die Bürger haben ihn sofort in Beschlag genommen, freut sich Architekt Andreas Goritschnig.

„Wir wollen der großen Herausforderung Klimawandel einen öffentlichen Raum geben, der motiviert und informiert.“ Goritschnig bildet gemeinsam mit Karl-Heinz Boiger, Lisa-Maria Enzenhofer, Markus Jeschaunig und Bernhard König das Breathe Earth Collective, das den Pavillon konzipiert hat. Er ist das Nachfolgeprojekt das Pavillons breathe.austria, dessen Wald-Biosphäre auf der Expo 2015 in Mailand für Aufsehen sorgte.

Installation statt Lösung?

Klima-Kultur ist der nächste Schritt, hinein in die Stadt und den Alltag. „Die 2020er-Jahre gelten nach Klimaforschern als das Jahrzehnt, in dem wir das Steuer noch herumreißen können“, sagt Andreas Goritschnig. „Wir Architekten müssen daher vor allem Transformation gestalten, nicht nur Objekte, denn das dauert zu lang.“

Anfang dieses Monats war das Grazer Kollektiv im Wiener Mak zu Gast, eine Art kühles Warmlaufen für die dortige Vienna Biennale, die vorgestern unter dem Motto „Planet Love – Klimafürsorge im digitalen Zeitalter“ eröffnet wurde (siehe Bericht im Kulturteil) . Ihr Programm umfasst gleich mehrere Ausstellungen und ein Symposium, das Thema der Klimakatastrophe wird hier von Kunst, Design und Architektur gleichermaßen eingekreist.

Fridays for Future im geschützten musealen Rahmen, passt das zusammen? Wenn Architekten sich ums Klima kümmern, das hat man bei der soeben eröffneten Biennale in Venedig gesehen, kann es mühsam werden: Zu oft versuchen sie, selbst Künstler zu spielen und die globale Dringlichkeit in aufwendigen Installationen zu ästhetisieren, anstatt Lösungen anzubieten.

Hier soll es genau ums Gegenteil gehen, sagt Hubert Klumpner, Professor für Städtebau an der ETH Zürich und gemeinsam mit Anab Jain, Marlies Wirth und Mak-Direktor Christoph Thun-Hohenstein Co-Kurator der Hauptausstellung Climate Care . „Die Bilder, die uns Menschen im Krisenmodus zeigen, sind allen bekannt. Ich habe mich mit meinen Kollegen bewusst entschieden, Lösungsansätze und real existierende Projekte zu zeigen.“ Plakativ gesagt: Empowerment statt artsy-fartsy.

Ein Teil der Hauptausstellung beschäftigt sich unter dem Titel Imaginaries mit der Rolle von Architekten und Planern an der Front im Kampf gegen die Katastrophe. Allein dies sprengt schon fast die Grenzen des Mak: 100 Pilotprojekte aus aller Welt, dicht an dicht gehängt, von technologischen über soziale bis zu landschaftlichen Ansätzen ist alles dabei.

Die Revitalisierung der 3500 Jahre alten Stadt Lod bei Tel Aviv, ein Ökologieprojekt an der US-mexikanischen Grenze, Permakultur in Frankreich, essbare Flechten, essbare Pilze, ein Wasserpark in Shenzhen, die Great Green Wall, die versucht, das Wachstum der Sahara einzudämmen, und die wiederbegrünten Straßenräume der Corredores Verdes im kolumbianischen Medellín. Dazwischen Etabliertes wie die Lehmbauten des Vorarlbergers Martin Rauch und die verkehrsberuhigten Superblocks in Barcelona.

Damit nicht genug, wurden diese 100 Werksanleitungen zur Weltrettung von Studierenden der TU Wien, der Universität der angewandten Kunst und der ETH Zürich auf Orte in Wien übertragen. Eine Schau am Rande der kompletten Überforderung, deren Informationsflut aber auch ermutigt: Ideen gibt es genug – und sie kommen vor allem von der Südhalbkugel.

Lernen vom Süden

„Die Moderne ging davon aus, dass wir in Europa und Nordamerika dem Rest der Welt erklären, was zu tun ist“, sagt Hubert Klumpner. „Das funktioniert nicht mehr. Heute gilt es, von Ländern zu lernen, die den Umgang mit Krisen gewohnt sind und Resilienz entwickelt haben.“ Das heißt: keine perfekten Lösungen, sondern ein permanentes Verhandeln, Ausprobieren, Kooperieren. Das heißt auch: Aktivismus statt Resignation. „Der Begriff des Anthropozän, also des vom Menschen beeinflussten Erdzeitalters, wird heute vorwiegend als negativer Einfluss auf die Umwelt gedeutet. Das hat zu einer Lähmung der kreativen Szene geführt. Diese Schockstarre gilt es zu überwinden“, so Klumpner.

Denn wenn Architektur, Kunst und Design ihre Elfenbeintürme verlassen und sich mit der Wissenschaft zusammentun, kann es nur besser werden. „Die Klimafrage ist noch nicht ausreichend in den Köpfen und Herzen der Menschen angekommen, weil deren katastrophale Auswirkungen nicht sichtbar sind“, erklärt Christoph Thun-Hohenstein. „Wir wollen keine Verzichtsdiskussion führen, sondern zeigen, dass jeder die Zukunft mitgestalten kann.“ Denn wenn wir No Future vermeiden wollen, gilt spätestens jetzt: Jeder Tag ist Friday.

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