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Achtsam in den Untergang
Zwei Biennalen, ein Thema: Wie geht es weiter mit der Welt? In Venedig und im Wiener MAK bleibt es beim Problemaufriss und disparaten Antworten. Mehr Utopie ist in Zeiten der Pandemie wohl nicht zu erwarten.
14. Juni 2021 - Christian Kühn
Es hätte ein Wettbewerb der Utopien werden können: „How will we live together?“, lautete die Frage, die Hashim Sarkis der für 2020 geplanten Architekturbiennale als Leitthema voranstellte. Sarkis ist libanesisch-amerikanischer Architekt und Dekan der Architekturschule am MIT. Man durfte gespannt sein, ob es ihm gelingen würde, an das Niveau der jüngsten Biennalen anzuschließen: Rem Koolhaas' „Elements“ von 2014, Alejandro Avarrenas „Reporting from the Front“ von 2016 und „Freespace“ von 2018, geleitet von den irischen Architektinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara.
Jede seriöse Antwort auf die Frage, wie wir in Zukunft zusammenleben werden, muss mit der Frage nach dem „Wir“ beginnen. Wer ist gemeint: unsere Familie? Unsere Nachbarn? Unsere Landsleute? Alle mit ähnlichen Anschauungen? Zählen auch Tiere dazu? Alle Lebewesen im Kosmos? Die Reibung zwischen identitätspolitischen Aspekten der Fragestellung und der konkreten architektonischen und stadtplanerischen Antwort ließ eine spannende Biennale erwarten, mit Platz für Utopien und Dystopien. Dass bereits bei den Biennalen 2016 und 2018 ähnliche Themen angesprochen waren, hätte kein Hindernis sein müssen, hier nochmals in die Tiefe zu gehen.
Doch dann kam die Pandemie. Neben praktischen Problemen transportierte sie eine Botschaft, die für eine Veranstaltung, in der es im Kern um das Soziale in der Architektur gehen sollte, nicht kontraproduktiver sein könnte: Am sozialsten verhält sich, wer Social Distancing praktiziert. In diesem Umfeld Co-Housing-Projekte und partizipative Planungsprozesse zu debattieren bekommt leicht einen zynischen Unterton.
Man darf die aktuelle Biennale angesichts der Produktionsbedingungen nicht mit bisherigen vergleichen. Die Verschiebungen, zuerst auf Herbst 2020, dann auf Mai 2021, haben viel Energie gekostet und manches unmöglich gemacht. Nur ein sehr erfahrener Kurator hätte aus den außergewöhnlichen Umständen etwas Außergewöhnliches machen können. So bleibt es in den von Sarkis kuratierten Bereichen in den Giardini und im Arsenale bei einer losen Ansammlung von Installationen, von denen nur die wenigsten für sich überzeugen können. Und dann sind es oft wenig überraschende Beispiele wie die Präsentation des Raumlabor.Berlin oder eine Studie zum sozialen Wohnbau in Zürich von Anna Kockelkorn und Susanne Schindler und ihren Studierenden von der ETH Zürich.
In den Länderpavillons macht sich die Pandemie deutlich bemerkbar. Manche bleiben überhaupt geschlossen; an der Tür des australischen Pavillons klebt ein Zettel mit einem Hinweis auf die Website, die die Ausstellung ersetzt. Der Deutsche Pavillon bleibt leer, abgesehen von QR-Codes, die auf Filme verlinken, in denen aus der Perspektive des Jahres 2018 auf die Gegenwart geblickt wird. Der von Olaf Grawert und Arno Brandlhuber kuratierte Pavillon ist nicht der einzige, der auf aktive Teilnahme durch Besucher im Internet hofft, aber in dieser Hinsicht sicher der konsequenteste.
Im Österreichischen Pavillon geht es um neue Formen des Zusammenlebens im virtuellen Raum, die von den Kuratoren Helge Mooshammer und Peter Mörtenböck unter dem Begriff „Platform Urbanism“ zusammengefasst werden. Die digitalen Plattformen, um die es geht, sind jung, in der Regel nicht viel älter als 15 Jahre, bestimmen unser Leben aber in einem beachtlichen, durch die Pandemie weiter gesteigerten Ausmaß. Mooshammer und Mörtenböck interessieren sich nicht nur für die freundliche Vorderseite von Amazon, Google, Facebook oder Tinder, die mit ihren Headquarters eine neue Welt repräsentieren und ganze Stadtteile entwickeln wollen, in denen sie Zugriff auf die von den Bewohnern erzeugten Bewegungsdaten bekommen. Zusätzlich geht es den Kuratoren um die stadträumlichen Seiteneffekte: Leerstand von Verkaufsflächen, Arbeitsbedingungen von Zustellern, Serverfarmen im Nirgendwo. Aus Tausenden Bildern, die in Summe eine Ahnung geben, wohin sich die Stadt als Idee entwickeln könnte, haben die Kuratoren ein Diptychon gestaltet, das die Vorder- und Rückseite der Plattformen illustriert.
In der Ausstellung kombinieren Mooshammer und Mörtenböck die Ergebnisse ihrer langjährigen Forschungsarbeit zum Thema mit Beiträgen von rund 50 geladenen Respondenten, deren Beiträge aus jeweils einem einprägsamen Foto und einer kurzen Videosequenz bestehen. Diese konventionelle Vermittlung steht in einem gewissen Widerspruch zum Thema; sie ist aber im Interesse der Besucher, die mit 3-D-Brillen oder interaktiven Projektionen auch nicht mehr Erkenntnisgewinn verbuchen könnten. Der Österreichische Pavillon hat eine Außenstelle bei der „Vienna Biennale for Change“ des MAK, deren Hauptausstellung unter dem Titel „Planet Love. Klimafürsorge im digitalen Zeitalter“ noch bis Anfang Oktober zu sehen ist. Sie besteht aus drei Teilen, von denen zwei jedenfalls empfehlenswert sind: ein Problemaufriss, der anschaulich zeigt, dass wir seit 50 Jahren alles Nötige über die ökologische Katastrophe wissen, ohne ausreichend zu reagieren, sowie eine gut recherchierte, dichte Sammlung aktueller Lösungsansätze. Der dritte Teil ist purer Kitsch: ein Wald verkohlter Bäume mit einer Oase im Zentrum, das Werk einer Künstlergruppe mit Namen Superflux.
Solche Pseudokunst durchsetzt auch die Biennale in Venedig, etwa in Form von dröhnenden Riesenkanistern, die auf den Rückgang des Polareises hinweisen sollen, oder eines aus Japan importierten Schneehaufens, der im Hauptpavillon unter einer Schutzdecke vor sich hinschmilzt. Wer in Venedig wirklich bewegende Kunst sehen will, sollte die Videoinstallation „Contrapposto Studies“ von Bruce Nauman im Pinault-Museum in der Punta della Dogana besuchen: Das Problem ist nicht irgendwo draußen, sondern in uns, immer zerrisseneren Gestalten, die auf der Stelle treten.
Zum Trost kann man aus dem Österreichischen Pavillon einen Slogan mitnehmen, der Mark Zuckerbergs berüchtigtes Motto „Move fast and break things“ ins Gegenteil verkehrt: „Move slowly and fix things“ – eine Aufforderung zu Achtsamkeit und einer gewissen Skepsis gegenüber der rasenden, technologiegetriebenen Ökologisierung, die uns bevorstehen könnte.
Jede seriöse Antwort auf die Frage, wie wir in Zukunft zusammenleben werden, muss mit der Frage nach dem „Wir“ beginnen. Wer ist gemeint: unsere Familie? Unsere Nachbarn? Unsere Landsleute? Alle mit ähnlichen Anschauungen? Zählen auch Tiere dazu? Alle Lebewesen im Kosmos? Die Reibung zwischen identitätspolitischen Aspekten der Fragestellung und der konkreten architektonischen und stadtplanerischen Antwort ließ eine spannende Biennale erwarten, mit Platz für Utopien und Dystopien. Dass bereits bei den Biennalen 2016 und 2018 ähnliche Themen angesprochen waren, hätte kein Hindernis sein müssen, hier nochmals in die Tiefe zu gehen.
Doch dann kam die Pandemie. Neben praktischen Problemen transportierte sie eine Botschaft, die für eine Veranstaltung, in der es im Kern um das Soziale in der Architektur gehen sollte, nicht kontraproduktiver sein könnte: Am sozialsten verhält sich, wer Social Distancing praktiziert. In diesem Umfeld Co-Housing-Projekte und partizipative Planungsprozesse zu debattieren bekommt leicht einen zynischen Unterton.
Man darf die aktuelle Biennale angesichts der Produktionsbedingungen nicht mit bisherigen vergleichen. Die Verschiebungen, zuerst auf Herbst 2020, dann auf Mai 2021, haben viel Energie gekostet und manches unmöglich gemacht. Nur ein sehr erfahrener Kurator hätte aus den außergewöhnlichen Umständen etwas Außergewöhnliches machen können. So bleibt es in den von Sarkis kuratierten Bereichen in den Giardini und im Arsenale bei einer losen Ansammlung von Installationen, von denen nur die wenigsten für sich überzeugen können. Und dann sind es oft wenig überraschende Beispiele wie die Präsentation des Raumlabor.Berlin oder eine Studie zum sozialen Wohnbau in Zürich von Anna Kockelkorn und Susanne Schindler und ihren Studierenden von der ETH Zürich.
In den Länderpavillons macht sich die Pandemie deutlich bemerkbar. Manche bleiben überhaupt geschlossen; an der Tür des australischen Pavillons klebt ein Zettel mit einem Hinweis auf die Website, die die Ausstellung ersetzt. Der Deutsche Pavillon bleibt leer, abgesehen von QR-Codes, die auf Filme verlinken, in denen aus der Perspektive des Jahres 2018 auf die Gegenwart geblickt wird. Der von Olaf Grawert und Arno Brandlhuber kuratierte Pavillon ist nicht der einzige, der auf aktive Teilnahme durch Besucher im Internet hofft, aber in dieser Hinsicht sicher der konsequenteste.
Im Österreichischen Pavillon geht es um neue Formen des Zusammenlebens im virtuellen Raum, die von den Kuratoren Helge Mooshammer und Peter Mörtenböck unter dem Begriff „Platform Urbanism“ zusammengefasst werden. Die digitalen Plattformen, um die es geht, sind jung, in der Regel nicht viel älter als 15 Jahre, bestimmen unser Leben aber in einem beachtlichen, durch die Pandemie weiter gesteigerten Ausmaß. Mooshammer und Mörtenböck interessieren sich nicht nur für die freundliche Vorderseite von Amazon, Google, Facebook oder Tinder, die mit ihren Headquarters eine neue Welt repräsentieren und ganze Stadtteile entwickeln wollen, in denen sie Zugriff auf die von den Bewohnern erzeugten Bewegungsdaten bekommen. Zusätzlich geht es den Kuratoren um die stadträumlichen Seiteneffekte: Leerstand von Verkaufsflächen, Arbeitsbedingungen von Zustellern, Serverfarmen im Nirgendwo. Aus Tausenden Bildern, die in Summe eine Ahnung geben, wohin sich die Stadt als Idee entwickeln könnte, haben die Kuratoren ein Diptychon gestaltet, das die Vorder- und Rückseite der Plattformen illustriert.
In der Ausstellung kombinieren Mooshammer und Mörtenböck die Ergebnisse ihrer langjährigen Forschungsarbeit zum Thema mit Beiträgen von rund 50 geladenen Respondenten, deren Beiträge aus jeweils einem einprägsamen Foto und einer kurzen Videosequenz bestehen. Diese konventionelle Vermittlung steht in einem gewissen Widerspruch zum Thema; sie ist aber im Interesse der Besucher, die mit 3-D-Brillen oder interaktiven Projektionen auch nicht mehr Erkenntnisgewinn verbuchen könnten. Der Österreichische Pavillon hat eine Außenstelle bei der „Vienna Biennale for Change“ des MAK, deren Hauptausstellung unter dem Titel „Planet Love. Klimafürsorge im digitalen Zeitalter“ noch bis Anfang Oktober zu sehen ist. Sie besteht aus drei Teilen, von denen zwei jedenfalls empfehlenswert sind: ein Problemaufriss, der anschaulich zeigt, dass wir seit 50 Jahren alles Nötige über die ökologische Katastrophe wissen, ohne ausreichend zu reagieren, sowie eine gut recherchierte, dichte Sammlung aktueller Lösungsansätze. Der dritte Teil ist purer Kitsch: ein Wald verkohlter Bäume mit einer Oase im Zentrum, das Werk einer Künstlergruppe mit Namen Superflux.
Solche Pseudokunst durchsetzt auch die Biennale in Venedig, etwa in Form von dröhnenden Riesenkanistern, die auf den Rückgang des Polareises hinweisen sollen, oder eines aus Japan importierten Schneehaufens, der im Hauptpavillon unter einer Schutzdecke vor sich hinschmilzt. Wer in Venedig wirklich bewegende Kunst sehen will, sollte die Videoinstallation „Contrapposto Studies“ von Bruce Nauman im Pinault-Museum in der Punta della Dogana besuchen: Das Problem ist nicht irgendwo draußen, sondern in uns, immer zerrisseneren Gestalten, die auf der Stelle treten.
Zum Trost kann man aus dem Österreichischen Pavillon einen Slogan mitnehmen, der Mark Zuckerbergs berüchtigtes Motto „Move fast and break things“ ins Gegenteil verkehrt: „Move slowly and fix things“ – eine Aufforderung zu Achtsamkeit und einer gewissen Skepsis gegenüber der rasenden, technologiegetriebenen Ökologisierung, die uns bevorstehen könnte.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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