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Wie viel Grün darf bleiben?
In Graz und Umgebung gewinnt man derzeit den Eindruck, dass schier alles, was an Grund und Boden noch zu haben ist, mit Wohnungen verbaut wird, ohne dass die Stadt regulierend eingreift.
20. Juli 2021 - Karin Tschavgova
Baukräne, Schwerverkehr und Baustellenlärm – wo immer man derzeit Graz durchquert, ist zu sehen, dass selbst die Pandemie dem Bauboom in der zweitgrößten Stadt Österreichs nichts anhaben konnte. Das ist einfach zu erklären, befanden sich die derzeit überall in die Höhe wachsenden neuen Quartiere, Siedlungen und Wohnblöcke doch schon vor 2020 im Status von Planung und Genehmigungsverfahren. Nicht einleuchtend hingegen ist die Tatsache, dass sich von Jänner 2016 bis Jänner 2021 bei einem Bevölkerungszuwachs von 16.098 Personen eine Steigerung der Wohnungsanzahl um 26.322 feststellen lässt. Rund 331.000 in Graz Gemeldeten stehen derzeit mehr als 202.000 Wohnungen gegenüber. Schon 2017 wurde im Wohnbericht der Stadt Graz der Leerstand von Wohnungen, den man anhand des nicht vorhandenen Stromverbrauchs auch exakt feststellen könnte, mit 6000 bis 7000 geschätzt.
Nun liegt mir ferne, die Leser mit trockenen Zahlen und Statistiken zu langweilen, aber einige geben uns einen Ausblick auf die zu erwartende Entwicklung von Graz – etwa jene, die einer detaillierte Aufstellung eines Vereins zu entnehmen ist, der sich „Unverwechselbares Graz“ nennt. Die zivilgesellschaftliche Initiative, der ein ehemaliger Leiter des Stadtplanungsamts ebenso angehört wie Soziologen und Lehrende der FH, macht sich stark für eine sensible, restriktivere Steuerung der Stadtplanung, um identitätsstiftende Charakteristika von Straßenzügen und Stadtvierteln erhalten zu können. In ihrer Recherche fand die Gruppe heraus, dass der vorgenannten Zahl von mehr als 200.000 Wohnungen noch rund 15.000 hinzugefügt werden müssen, die derzeit „in der Pipeline sind“. Mit klingenden Bezeichnungen wie „Wohntraum“ werden diese von Bauträgern bereits beworben, scheinen aber in der Statistik, die im vorigen Jahr nur einen Bevölkerungszuwachs von 203 Personen ausweist, noch nicht auf.
Es gibt also keinerlei Korrelation zwischen dem Wohnungsbedarf in Graz und den seit 2016 geplanten Wohnungen. Was überwiegend gebaut wird, ist ein Angebot an Anleger, das aufseiten der Bauträger offen als solches beworben wird. Euphemistisch werden sie „Vorsorgewohnungen“ genannt. Diesen Umstand zeigt auch die Gesamtzahl der geförderten Mietwohnungen, die in den fünf Jahren für die gesamte Steiermark bei 5000 liegt. Man könnte anmerken, dass, wer keine Zinsen erhält für sein Erspartes, doch frei sein muss in der Entscheidung, welche Geldanlage er wählt. Dass der freie Markt regelt, ob das Investment in eine Wohnung gewinnbringend sein wird oder nicht, weil der Markt gesättigt ist.
Das gilt nicht, wenn es um Stadtentwicklung und Stadtraumordnung geht. Stadtplanung hat vorausschauend tätig zu sein und Rahmenbedingungen für eine geregelte Entwicklung vorzugeben, die dem Wohl und den Grundbedürfnissen aller Bürger Rechnung trägt und nicht nur den Partikularinteressen Einzelner, die „naturgemäß“ dort bauen wollen, wo sich mit Grundstückskauf und Baukosten noch satte Gewinne ausgehen. Als Geschäftsmodell ist dies nachvollziehbar, kann jedoch nicht die Basis für weitreichende Entscheidungen sein – für das Wo, Wie, in welchem Ausmaß und welchem Tempo sich eine Stadt entwickelt.
Verdichtung ist die Devise im aktuellen Stadtentwicklungsprogramm. Gebaut werden soll nur dort, wo Infrastruktur, Erschließung und die Anbindung an den öffentlichen Verkehr gegeben ist. Schaut man sich das jetzige Wohnangebot an, so findet man sowohl Bauträgerwettbewerbe nach dem „Grazer Modell“ für Quartiere am Stadtrand, die ohne öffentliche Anbindung an Bus oder Straßenbahn im Takt genehmigt wurden, wie auch Beispiele von massiver Verdichtung im Villenviertel, das unzureichend erschlossen ist. Die Problematik solch ungezügelten Baubooms liegt jedoch nicht in einzelnen „Ausreißern“, sondern in der Tatsache, dass er generell den großen Herausforderungen einer modernen Stadtplanung nicht genügt. Die müsste durch gezielte Maßnahmen Quartiersbildung fördern. Stichworte: Durchmischung von Arbeit, Wohnen und Dienstleistungen mit öffentlichen Einrichtungen und Stadtäumen sowie eine Vielfalt von Bewohnergruppen in jedem Stadtteil. Bei einem zu großen Anteil an derzeit gefragten Mikrowohnungen sind häufiger Mietwechsel und Leerstand vorprogrammiert. So können Wohnanlagen dieser Art auch zu sozialen Problemfeldern werden. Was dann?
Sollte in einer Zeit von Klimaveränderung und drohenden Klimakatastrophen nicht die bauliche Entwicklung des urbanen Raums dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und so gering wie möglich gehalten werden? Seit Jahren appelliert selbst die Hagelversicherung, die enorme tägliche Versiegelung von Boden in Österreich zu stoppen. In Graz werden hochpreisige Angebote mit zweistelliger Wohnungszahl und entsprechender Menge an Autoabstellflächen an die Stelle von Einfamilienhäusern mit Gartengrund gesetzt. Immer noch ist Kahlschlag von altem Baum- und Strauchbestand zu beobachten, der nur unzureichend durch Neupflanzungen ersetzt wird. Bauträger haben nach wie vor das Recht, den als Maximum festgelegten Wert der im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Bebauungsdichte auszunützen, und tun das auch.
All das trägt dazu bei, dass der Anteil des motorisierten Individualverkehrs mit 34,1 Prozent in Graz erschreckend hoch ist und noch zunehmen wird. Konzepte für eine bessere Versorgung mit öffentlichem Verkehr sind also gefragt – auch um die riesige Menge der individuell anreisenden Pendler zu stoppen. Und es gibt sie: mehrere Verkehrskonzepte, präsentiert von den regierenden Stadtparteien, von der Opposition, der zuständigen Verkehrsstadträtin, von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen wie „Move it“, die sich fürs Radfahren einsetzen, und sogar von einzelnen, unbezahlt arbeitenden Architekten und Stadtplanern, denen die Stadt am Herzen liegt.
Problematisch sieht eine Gruppe Architekten um Stoiser Wallmüller, die gerade eine Verkehrsanalyse für Graz vorgestellt hat, die Tatsache, dass die aktuellen Mobilitätskonzepte unabhängig voneinander und nicht auf Basis einheitlicher Grundlagen erstellt wurden. Forcierte Modelle wie die Minimetro der Stadtregierung, S-Bahn oder die Straßenbahn können so kaum vergleichend untersucht und evaluiert werden. Dass ein Gutteil von Modellen und Studien zur Entwicklung der Stadt nicht von Abteilungen der Stadtverwaltung beauftragt wurde, die für die Stadtentwicklung arbeiten, kann man mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Die Bürger wollen ein Mitspracherecht für ihren Lebensmittelpunkt haben. Dieses Grundrecht einer aufgeklärten Gesellschaft entlässt die Stadtregierung und Stadtplanung allerdings nicht aus der Verpflichtung, die Stadt für alle gedeihlich zu entwickeln.
Nun liegt mir ferne, die Leser mit trockenen Zahlen und Statistiken zu langweilen, aber einige geben uns einen Ausblick auf die zu erwartende Entwicklung von Graz – etwa jene, die einer detaillierte Aufstellung eines Vereins zu entnehmen ist, der sich „Unverwechselbares Graz“ nennt. Die zivilgesellschaftliche Initiative, der ein ehemaliger Leiter des Stadtplanungsamts ebenso angehört wie Soziologen und Lehrende der FH, macht sich stark für eine sensible, restriktivere Steuerung der Stadtplanung, um identitätsstiftende Charakteristika von Straßenzügen und Stadtvierteln erhalten zu können. In ihrer Recherche fand die Gruppe heraus, dass der vorgenannten Zahl von mehr als 200.000 Wohnungen noch rund 15.000 hinzugefügt werden müssen, die derzeit „in der Pipeline sind“. Mit klingenden Bezeichnungen wie „Wohntraum“ werden diese von Bauträgern bereits beworben, scheinen aber in der Statistik, die im vorigen Jahr nur einen Bevölkerungszuwachs von 203 Personen ausweist, noch nicht auf.
Es gibt also keinerlei Korrelation zwischen dem Wohnungsbedarf in Graz und den seit 2016 geplanten Wohnungen. Was überwiegend gebaut wird, ist ein Angebot an Anleger, das aufseiten der Bauträger offen als solches beworben wird. Euphemistisch werden sie „Vorsorgewohnungen“ genannt. Diesen Umstand zeigt auch die Gesamtzahl der geförderten Mietwohnungen, die in den fünf Jahren für die gesamte Steiermark bei 5000 liegt. Man könnte anmerken, dass, wer keine Zinsen erhält für sein Erspartes, doch frei sein muss in der Entscheidung, welche Geldanlage er wählt. Dass der freie Markt regelt, ob das Investment in eine Wohnung gewinnbringend sein wird oder nicht, weil der Markt gesättigt ist.
Das gilt nicht, wenn es um Stadtentwicklung und Stadtraumordnung geht. Stadtplanung hat vorausschauend tätig zu sein und Rahmenbedingungen für eine geregelte Entwicklung vorzugeben, die dem Wohl und den Grundbedürfnissen aller Bürger Rechnung trägt und nicht nur den Partikularinteressen Einzelner, die „naturgemäß“ dort bauen wollen, wo sich mit Grundstückskauf und Baukosten noch satte Gewinne ausgehen. Als Geschäftsmodell ist dies nachvollziehbar, kann jedoch nicht die Basis für weitreichende Entscheidungen sein – für das Wo, Wie, in welchem Ausmaß und welchem Tempo sich eine Stadt entwickelt.
Verdichtung ist die Devise im aktuellen Stadtentwicklungsprogramm. Gebaut werden soll nur dort, wo Infrastruktur, Erschließung und die Anbindung an den öffentlichen Verkehr gegeben ist. Schaut man sich das jetzige Wohnangebot an, so findet man sowohl Bauträgerwettbewerbe nach dem „Grazer Modell“ für Quartiere am Stadtrand, die ohne öffentliche Anbindung an Bus oder Straßenbahn im Takt genehmigt wurden, wie auch Beispiele von massiver Verdichtung im Villenviertel, das unzureichend erschlossen ist. Die Problematik solch ungezügelten Baubooms liegt jedoch nicht in einzelnen „Ausreißern“, sondern in der Tatsache, dass er generell den großen Herausforderungen einer modernen Stadtplanung nicht genügt. Die müsste durch gezielte Maßnahmen Quartiersbildung fördern. Stichworte: Durchmischung von Arbeit, Wohnen und Dienstleistungen mit öffentlichen Einrichtungen und Stadtäumen sowie eine Vielfalt von Bewohnergruppen in jedem Stadtteil. Bei einem zu großen Anteil an derzeit gefragten Mikrowohnungen sind häufiger Mietwechsel und Leerstand vorprogrammiert. So können Wohnanlagen dieser Art auch zu sozialen Problemfeldern werden. Was dann?
Sollte in einer Zeit von Klimaveränderung und drohenden Klimakatastrophen nicht die bauliche Entwicklung des urbanen Raums dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und so gering wie möglich gehalten werden? Seit Jahren appelliert selbst die Hagelversicherung, die enorme tägliche Versiegelung von Boden in Österreich zu stoppen. In Graz werden hochpreisige Angebote mit zweistelliger Wohnungszahl und entsprechender Menge an Autoabstellflächen an die Stelle von Einfamilienhäusern mit Gartengrund gesetzt. Immer noch ist Kahlschlag von altem Baum- und Strauchbestand zu beobachten, der nur unzureichend durch Neupflanzungen ersetzt wird. Bauträger haben nach wie vor das Recht, den als Maximum festgelegten Wert der im Flächenwidmungsplan ausgewiesenen Bebauungsdichte auszunützen, und tun das auch.
All das trägt dazu bei, dass der Anteil des motorisierten Individualverkehrs mit 34,1 Prozent in Graz erschreckend hoch ist und noch zunehmen wird. Konzepte für eine bessere Versorgung mit öffentlichem Verkehr sind also gefragt – auch um die riesige Menge der individuell anreisenden Pendler zu stoppen. Und es gibt sie: mehrere Verkehrskonzepte, präsentiert von den regierenden Stadtparteien, von der Opposition, der zuständigen Verkehrsstadträtin, von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen wie „Move it“, die sich fürs Radfahren einsetzen, und sogar von einzelnen, unbezahlt arbeitenden Architekten und Stadtplanern, denen die Stadt am Herzen liegt.
Problematisch sieht eine Gruppe Architekten um Stoiser Wallmüller, die gerade eine Verkehrsanalyse für Graz vorgestellt hat, die Tatsache, dass die aktuellen Mobilitätskonzepte unabhängig voneinander und nicht auf Basis einheitlicher Grundlagen erstellt wurden. Forcierte Modelle wie die Minimetro der Stadtregierung, S-Bahn oder die Straßenbahn können so kaum vergleichend untersucht und evaluiert werden. Dass ein Gutteil von Modellen und Studien zur Entwicklung der Stadt nicht von Abteilungen der Stadtverwaltung beauftragt wurde, die für die Stadtentwicklung arbeiten, kann man mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Die Bürger wollen ein Mitspracherecht für ihren Lebensmittelpunkt haben. Dieses Grundrecht einer aufgeklärten Gesellschaft entlässt die Stadtregierung und Stadtplanung allerdings nicht aus der Verpflichtung, die Stadt für alle gedeihlich zu entwickeln.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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