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160 Topfbäume für Ikea: Werden sie überleben?
Spectrum

Mit der Begrünung der Fassade seines Baus beim Wiener Westbahnhof betritt Ikea technisches Neuland: Hinter der Bewässerung der 160 Bäume in Töpfen steckt ein hochkomplexes Konzept. Das ist auch notwendig, denn wenn Pflanzen eingehen, können sie nämlich kaum ersetzt werden.

24. Juli 2021 - Stephanie Drlik
Das schwedische Einrichtungshaus Ikea ist ein Vorreiter, wenn es um Markttrends geht. Eher hintennach war man bei der Einhaltung ökologischer Standards: Das Möbelimperium hat sich weitreichende Umweltsünden geleistet, ganz abgesehen von dem mehr als fraglichen „Benutze es und wirf es weg“-Konzept. Aktuell scheint man sich aber, dem Zeitgeist und den Wünschen der Konsumenten entsprechend, der Nachhaltigkeit verschrieben zu haben. In diesem Sinne entstand das „hus“ beim Wiener Westbahnhof (Eröffnung ist Ende August). Statt der immer gleichen, gelb-blau eingefärbten Verkaufshalle entstand ein gänzlich in Weiß gehaltenes Gebäude nach den Plänen von Querkraft Architekten. Und das neue hus wurde nicht in der Peripherie gebaut, sondern im Herzen Wiens. Das Grün wandert also von der sprichwörtlichen grünen Wiese auf das Gebäude selbst – und zwar in Form von rund 160 überdimensionalen Topfpflanzungen in verschiedenen Größen.

Das Projekt war zunächst umstritten, weil der Vorgängerbau, das blaue Gründerzeithaus auf der Mariahilfer Straße 132, abgetragen und die Fläche von den ÖBB an Ikea verkauft wurde. Für viele Expertinnen und Experten wäre das Freiwerden eines großen Baublocks eine seltene Chance gewesen, die durch Infrastruktur und Verkehr massiv belastete Liegenschaft neben Gürtel und Westbahnhof zu nützen, um dem Mangel an Grünraum in den angrenzenden Bezirken Neubau und Rudolfsheim-Fünfhaus entgegenzuwirken. Ein Park oder ein begrünter Platz hätte es werden können, doch die wirtschaftlichen Argumente eines City-Ikea waren offenbar überzeugender.

Zudem brachte Ikea ein beeindruckendes klimaschonendes Konzept ein, das auf Fußgänger, Öffi- und Radfahrer ausgerichtet ist. Sperrgut wird frei Haus geliefert, den Rest nimmt man in der bekannten blauen Tasche mit. Auf dem Dach soll eine öffentlich zugängliche und für alle konsumfrei nutzbare Terrasse entstehen. Weiters nahm sich Ikea eine umfassende Bauwerksbegrünung vor, die Kühlung bringen und eine Vielfalt an Arten in der Stadt fördern soll. Kurz und gut, das Billigmöbel produzierende Unternehmen möchte mit diesem Projekt in Sachen Nachhaltigkeit punkten.

Und das Ergebnis scheint zu halten, was der Entwurf versprochen hat. Herkömmliche Pflanzen und Rankgerüste finden sich nur vereinzelt. Die eigentliche Begrünung besteht aus Bäumen, die in überdimensionalen Blumentöpfen an der Fassade, auf dem Dach und in Innenhöfen wachsen. Diese rund 160 Bäume sollen den Eindruck eines skandinavischen Waldes vermitteln, inspiriert durch die vier schwedischen Nationalparks. Detailplanung und Umsetzungsbegleitung erfolgten durch das Büro Kräftner Landschaftsarchitektur im Team mit Green4Cities. Unterstützt wurden sie vom Garten- und Landschaftsbaubetrieb Grünbau Jakel und dem Bewässerungstechniker Rain Time. Geballte Grün-Kompetenz, die es definitiv gebraucht hat. „Das System der mit Bäumen bepflanzten Töpfe ist gänzlich neu und hat in der Planung und Realisierung viele Fragen aufgeworfen“, erzählt Landschaftsarchitekt und Büroinhaber Joachim Kräftner. Zum einen stellte die Statik eine Herausforderung dar, denn die Bäume vergrößern, wenn sie wachsen, Gewicht und Windangriffsfläche. „Als Landschaftsarchitekt kann ich natürlich gewisse Basisdaten über die Pflanze bereitstellen, aber Erfahrungswissen, wie sich 160 in Blumentöpfen gepflanzte und an der Gebäudehülle angebrachte Bäume entwickeln, hatten auch wir nicht“, so Kräftner. Ein eigenes Gutachten hat daher für jede Baumart und jeden Topfstandort anhand der jeweiligen Blattflächen Winddurchlässigkeitswerte berechnet. Damit Bäume und Töpfe nicht kippen, ist jeder Trog einzeln an einen Stahlträger montiert, der das Gebäude umspannt. Weiters wurde der Wurzelballen an Ösen im Topf verankert und die Kronen der mittelgroßen und großen Bäume zusätzlich mit Seilen an der Stahlträgerkonstruktion angebunden.

Von Projekten wie dem Mailänder „Bosco Verticale“, einem Hochhauskomplex mit waldartiger Fassadenbegrünung, weiß man, dass ein gewisser Teil der gepflanzten Bäume im Laufe der ersten Jahre eingeht. Im Gegensatz zum „Bosco Verticale“ werden aber beim Wiener City-Ikea abgestorbene Bäume nicht nachgesetzt. Denn die Großgehölze können ausschließlich mit einem Baukran gehoben und platziert werden, über das Gebäudeinnere gibt es keinen entsprechenden Zugang. Die Planerinnen und Planer versuchen daher, durch einen besonders sorgsamen Umgang mit den Gehölzen Ausfälle tunlichst zu verhindern. „Bäume sind lebendes Material, man kann sie nicht einfach einkaufen und abstellen, bis sie zum Einsatz kommen“, erklärt Kräftner. Die Großgehölze wurden daher bereits vor einem Jahr von der deutschen Baumschule Lappen erworben und zur Akklimatisierung zum heimischen Baumschulpartner Haselberger geliefert, bevor sie weiter nach Wien gereist und zu Topfpflanzen geworden sind.

Eines der Schlüsselelemente in diesem Projekt ist jedenfalls die Bewässerung. „Regelmäßiges Austrocknen des Substrates in den Töpfen setzt den Großgehölzen zu“, erklärt Ferdinand Prinz von Rain Time. Die von den Landschaftsarchitekten aufwendig konstruierten Pflanztröge sehen von außen schlicht aus, doch es sind hoch technisierte Behältnisse mit Messsensoren, die alle relevanten Informationen an die Steuerung funken. „Nicht nur die Exposition, auch die verschiedenen Baumarten und -größen haben einen teils sehr unterschiedlichen Wasserbedarf“, sagt Prinz und ergänzt, dass die Cloud-basierte Steuerung derzeit geprüft und kalibriert wird, um entsprechende Informationen im Steuergerät hinterlegen zu können. „Denn schließlich geht es nicht nur um das Messen, sondern auch darum, was die gemessenen Daten auslösen.“ Es soll eine für jeden Baum optimale Situation geschaffen werden.

Die Kritik, diese Form der Fassadenbegrünung sei techniklastig, material- und kostenaufwendig sowie wartungsintensiv, trifft freilich zu. Dennoch besticht das Projekt mit seiner neuartigen Idee und der hochwertigen Ausführung. Wie sich der Schwedenwald entwickeln wird, zeigt sich erst in ein paar Jahren. Die technische Grundlage für ein langes Leben ist jedenfalls gelegt.

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