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Wenn der Dom grün sieht
Spectrum

Die Stadt Wien scheint das Thema Überhitzung immer noch nicht ernst zu nehmen. Sie sollte auf die Kunst hören: Mario Terzic möchte den Stephansdom begrünen. Der Name seines Projekts: Franziskusgarten.

13. August 2021 - Judith Eiblmayr
Als Bewohner:in von Wien kann man prinzipiell nicht klagen, die Stadt bietet im Sommer viele Qualitäten, die andere Großstädte vermissen lassen. Ein breites Angebot an Wasserzugängen ermöglicht es jenen, die sich nicht ins Grüne, in die Berge oder an einen See zurückziehen können, an einem Ufer zu entspannen, schwimmend sich abzukühlen und durch eine frische Brise vom Wasser her die Hitze der Büroräume zu vergessen. Kilometerlange Uferböschungen und Strände an Alter, Neuer und strömender Donau sind frei zugänglich, und seit einem Jahr wird sogar im Donaukanal wieder geschwommen. Ein Stück Freiraum mitten in der Stadt, das der „Schwimmverein Donaukanal“ für sportliche Wasserhungrige wiederentdeckt hat.

Entlang des Donaukanals leben Zehntausende Wiener und Wienerinnen, denen sich mit dem kanalisierten Donauwasser oft die einzige innerstädtische Option zur abendlichen Abkühlung eröffnet. In einem dieser dicht bebauten Grätzel, wo einige wenige Bäume in einem Park über einer Tiefgarage versuchen, frische Luft zu spenden, steigen die Temperaturen bei einer Hitzewelle ins Unerträgliche. Aber man weiß, dass die Gemeinde Wien einen Strategieplan entwickelt hat, um die aufgeheizten Straßenzüge mit erfrischendem Wind zu entschärfen. Die Hitzeinseln – „Urban Heat Islands (UHI)“ – sollen mit städtebaulichen Maßnahmen abgekühlt werden: etwa mit grünen Fassaden, Sprühnebelanlagen und Trinkbrunnen.

Es ist ein Maßnahmenpaket der Wiener Umweltschutzabteilung (MA22), das Hoffnung macht, es könnte sich etwas zum Besseren ändern – ohne Bürgerinitiative. Selbst als eine südwestseitig über den Donaukanal hinweg zum Stephansdom orientierte Feuermauer in eben diesem Grätzel schwarz angestrichen wird, denkt man noch nichts Böses. Vielleicht ist dies die Hintergrundfarbe für eine Fotovoltaikanlage, die an die bislang weiße, 200 Quadratmeter große Wandfläche appliziert wird?

Ernüchterung setzt nach zwei Tagen ein, als man erkennt, dass auf schwarzem Hintergrund die aufgemalte Silhouette eines Autos Formen anzunehmen beginnt. Kann das sein? Ist das eine bezahlte Werbefläche? Soeben hat man im UHI-Strategieplan auf Seite 35 gelesen, dass eines der Ziele sei, Gebäudeoberflächen aufzuhellen, weil „dunkle Oberflächen eine tendenziell geringere Reflexionsrate“ aufweisen – eine nicht unbedingt neue Erkenntnis –, und plötzlich ist die unter den aufgeheizten Gemäuern leidende Bevölkerung mit einem überdimensionalen Werbesujet auf schwarzem Grund konfrontiert, das die Köpfe zum Glühen bringt – vor Hitze oder Wut, sei dahingestellt. Zusätzlich wird dieses Sujet nachts mit einer Projektion bespielt, aus kolportierten vier Wochen Betriebszeit sind mittlerweile acht geworden, und die Werbung ist immer noch da.

Im Wissen, welch strenges Auge die für Stadtgestaltung zuständige MA19 auf andere Werbeträger wirft, wendet man sich an diese Stelle und fragt, wie eine positive Stellungnahme zu einer solchen schwarzen Wand denn möglich sei. Die Antwort, kurz gefasst: Es gebe keine Handhabe, dies zu untersagen. Auf Werbeflächen ist offensichtlich alles erlaubt, zumal sie von einem mächtigen Autokonzern angemietet wurde. Der Einwand einer sommerlichen Überhitzung in der Wohngegend bleibt unkommentiert, wobei versprochen wird, dass das Dezernat „Gestaltung öffentlicher Raum“ die Projektoren begutachten werde.

Empathischer fällt die Stellungnahme der MA22 aus, die die negativen mikroklimatischen Auswirkungen jener Fassade beim Namen nennt. Man sei bestrebt, „Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, um auf die positiven Auswirkungen von Oberflächenbeschaffenheiten hinzuweisen“, und es werde an „Tools gearbeitet, um stadt- und mikroklimatische Veränderungen zukünftig besser steuern zu können“. Das E-Mail werde an die MA19 weitergeleitet, die zuständige Dienststelle. Ein sozialwissenschaftlich durchaus probates „Tool“ wäre, miteinander zu reden, um konzertiert als Stadt Wien solchen Unsinn schwarzen Werbehumors zu unterbinden oder schleunigst weiß übermalen zu lassen, aber davon steht nichts im Schreiben.

Solches Vordenken bleibt der Künstlerschaft überlassen, wie so oft, wenn das Nachdenken der Politik zu spät kommt. Wie erwähnt, liegt im Blickfeld der beschriebenen Hitzeinsel der Stephansdom; knapp 500 Meter Luftlinie ist er entfernt und nicht nur eines der Wahrzeichen von Wien, sondern ein in Bezug auf das Hitzethema beispielhaftes Bauwerk. Mitten im Stadtzentrum, wo kein Grün zu finden ist, flüchtet sich so mancher Tourist im Hochsommer in die Kühle der hohen gotischen Gemäuer aus Auer- und Mannersdorfer Sandstein. Was wäre, wenn man die systemimmanente Nachhaltigkeit augenscheinlich machte und etwa in Blickweite einer rückwärtsgewandten Autowerbung der Dom um ein (Bau-)Kapitel ergänzt würde und mit einem grünen Turm visionär imponierte?

Das dachte sich der Wiener Objektkünstler und Landschaftsdesigner Mario Terzic, als er jüngst ein Projekt vorschlug, das in jeder Hinsicht ein Aufzeiger ist: Er will den Nordturm des Stephansdoms fertigstellen, der Zeit entsprechend mittels tatsächlich grüner Architektur. „Franziskusgarten“ nennt er sein Projekt eines vertikalen Gartens in Form gotischer Fialen als Fertigstellung des unvollendeten Kirchturms und bezieht sich damit auf die Enzyklika von Papst Franziskus (2015): „Der Franziskusgarten ist kein Kunstwerk. Er ist die konsequente gartenarchitektonische Umsetzung der radikalen Botschaft Laudato si' zu den weltweiten Umweltschäden“, schreibt Terzic. Dies könne eine Erfüllung der Forderungen „über die Sorge für das gemeinsame Haus“ (Laudato si'), das Mutter Natur erbaut hat, sein und weithin sichtbar Symbolkraft ausstrahlen – positive wohlgemerkt, um auch geschwärzten Werbeflächen etwas Mächtiges entgegenzuhalten.

Das wäre kein Werbegag, sondern würde eine Programmatik verdeutlichen: Wir müssen im Stadtbild ökologisch vordenken und nicht oberflächliche Schwarzmalerei fördern, die direkte negative Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in der Innenstadt hat. Wenn seitens der Stadt Wien Grünfassaden propagiert werden, könnte ein grüner Kirchturm der beste Werbeträger hierfür sein. So ein Projekt mitten in Wien könnte jedenfalls internationale Vorbildwirkung haben und dazu beitragen, die Großstadthitze mit kreativ-frischem Wind zu umwehen.

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