Artikel
Inszenierte Unschärfen
Die Architektur des 20. Jahrhunderts - eine Ausstellung in Köln
6. Juli 1999 - Oliver G. Hamm
Schöpfer der Skulptur «Architecture» im Hof der Josef-Haubrich-Kunsthalle in Köln ist Frank O. Gehry. Der Beitrag des als Ausstellungsarchitekt fungierenden Kaliforniers zur Epochenschau «Am Ende des Jahrhunderts» beschränkt sich darauf, einer überraschend konventionell aufbereiteten Schau eine für seine Verhältnisse erstaunlich rationale Ordnungsstruktur zu geben und sowohl ihren Anfang wie auch ihr Ende skulptural zu inszenieren: Die Ausstellung, die den (ersten) Untertitel «Hundert Jahre gebaute Vision» trägt, endet mit Gehrys Arbeitsmodell für das Guggenheim-Museum in Bilbao, mit dem er dem Dekonstruktivismus ein medial perfekt inszeniertes Denkmal setzte.
Mut zur Lücke
Die vom Museum of Contemporary Art Los Angeles zusammengestellte Schau über «Positionen in der Architektur des 20. Jahrhunderts» (so der zweite Untertitel) legt in Köln ihre einzige europäische Zwischenstation auf dem Weg von Tokio nach Mexico City ein. Es mag überraschen, dass die Wahl ausgerechnet auf die Domstadt fiel und nicht etwa auf eine europäische Stadt, die in der Architekturgeschichte dieses Jahrhunderts eine bedeutendere Rolle spielte. Allerdings verfügt Köln über eine ganze Reihe hervorragender Architekten (man denke nur an Oswald Mathias Ungers und an Gottfried Böhm), die in der Ausstellung allerdings ebensowenig eine Rolle spielen wie Kölns wesentlicher Beitrag zur Erneuerung des Sakralbaus in diesem Jahrhundert.
Eine Epochenschau muss zwangsläufig Mut zur Lücke beweisen. Die Geschichte der Architektur dieses Jahrhunderts, eine Geschichte realisierter und gescheiterter Visionen, zu erzählen heisst, bewusst Vereinfachungen und Unschärfen in Kauf zu nehmen. Dass inszenierte Unschärfen nicht unbedingt den Blick auf das Wesentliche zu fokussieren vermögen, belegt jedoch die Photoserie von Hiroshi Sugimoto am Anfang der Ausstellung: Seine ästhetisch reizvollen Ablichtungen bekannter Architekturikonen dieses Jahrhunderts - vom Chrysler Building bis zu Tadao Andos Kapelle des Lichts - eignen sich allenfalls als Ratespiel für Eingeweihte. Überhaupt wird der künstlerischen Transformation von Architektur in dieser Ausstellung ein hoher Wert beigemessen - schliesslich wurde sie von einer Institution konzipiert, die der zeitgenössischen Kunst näher steht als der «Mutter aller Künste».
Die Ausstellung beginnt nicht etwa mit den grossen europäischen Stadterweiterungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern mit Daniel H. Burnhams und Edward Bennetts «Chicago Plan» für die Weltausstellung von 1893. Die Modernität der streng orthogonal aufgebauten Stadt musste zu jener Zeit noch durch eine konventionelle Architektur im Beaux-Arts-Stil kaschiert werden. Wenig später frönten die beiden Futuristen Antonio Sant'Elia aus Como und der Tessiner Mario Chiattone bereits einer den technischen Fortschritt vorwegnehmenden Maschinenästhetik, während die deutschen Expressionisten von Stadtkronen und bewegten Formen träumten. Viele dieser Entwürfe blieben ebenso unrealisiert wie die meisten Arbeiten der russischen Avantgarde in den zwanziger Jahren, die dem «neuen Menschen» adäquate konstruktivistische Gehäuse schneiderte.
Auf der oberen Etage der Kunsthalle kann sich die Ausstellung nicht so recht entscheiden, ob sie nun die Städtebau- oder die Architekturgeschichte dieses Jahrhunderts erzählen soll. Dieses Hin und Her erweist sich schliesslich als Stärke: Die Planungsgeschichte - zumal der ersten Jahrhunderthälfte - lässt sich nun einmal nicht so leicht in ihren politischen, kulturellen, ökonomischen, technischen und auch ästhetischen Dimensionen auseinanderdividieren. Am Anfang stand immer die Idee einer besseren Gesellschaft - das entsprechende urbane Leitbild hatten Architekten und Stadtplaner oft allzu schnell fixiert. Da der Irrtum ebenso zur Geschichte der Stadt gehört wie der soziale, ökonomische und technologische Fortschritt, liess der Wechsel der Planungsdoktrin meist nicht lange auf sich warten.
Während die städtebaulichen Leitbilder und architektonischen Moden von Europa aus in alle Welt exportiert wurden, entwickelte sich das Bauhaus ab 1919 zum Sammelbecken einer internationalen Künstleravantgarde, die heute - je nach Standpunkt - für ihren gesellschaftlichen und ästhetischen Aufbruch gelobt oder als Wegbereiter der seelenlosen Massensiedlungen unserer Tage verteufelt wird. Dass auch am Bauhaus heftig zwischen pragmatischen Ästheten wie Gropius und sozialen Utopisten wie Hannes Meyer gestritten wurde, verschweigt die Ausstellung. So aber verkürzt sich das Bild auf eine Generation von Architekten, für die es selbstverständlich war, heute eine Villa für einen fortschrittlichen Fabrikanten und morgen eine «Wohnung für das Existenzminimum» zu entwerfen - Hauptsache, man bekannte sich bedingungslos zum Formenrepertoire der klassischen Moderne.
Der Aufstieg totalitärer Regime in Europa trieb viele der fortschrittlichen Architekten ins Exil. In den Vereinigten Staaten machten die «Bauhäusler» Karriere - allen voran Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer. Amerika entwickelte sich zum «gelobten Land» der Architekten - und zum Durchlauferhitzer architektonischer Stile, die von hier ihren Siegeszug um die Welt antraten: Funktionalismus, Postmoderne und Dekonstruktivismus.
Visionen und Moden
An die Gleichzeitigkeit von (Architektur-)Strömungen haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Die Kölner Schau belegt in den letzten ihrer 21 Stationen ebenso unfreiwillig wie eindrucksvoll, wie sich der Ideenstreit um das bessere urbanistische Modell in den dreissiger Jahren (Gartenstadt contra verkehrsgerechte Stadt) und um die ausgefallenste Utopie in den sechziger Jahren (Arata Isozakis «Clusters in the air» contra Archigrams «Plug-in-City») mittlerweile in einen Wettkampf um den letzten Schrei der von ihrem sozialen und räumlichen Kontext emanzipierten Architektur gewandelt hat. Was waren das für Zeiten, als die Baukünstler noch um gesellschaftliche und bauliche Strukturen statt um den schönen Schein der Fassade eines Wohn- oder Bürogebäudes stritten!
Um Planungen im grossen Stil ging es zuletzt beim Wiederaufbau kriegszerstörter Städte und bei der Konzipierung neuer Hauptstädte: So konnte Le Corbusier zwischen 1951 und 1962 im indischen Chandigarh endlich seine Vision einer Stadt der Moderne verwirklichen, was ihm in Europa versagt bleiben sollte. Und Lucio Costa sowie Oscar Niemeyer schufen ab 1957 mit Brasilia ein urbanistisches Modell, dessen lockere Folge plastisch durchgeformter Bauten heute vor allem eines belegt: Das Verschwinden des Stadtraumes der Nachkriegsmoderne.
In den achtziger und neunziger Jahren haben wir die Krise, die Auflösung und die Wiederentdeckung der Stadt (zuletzt häufig in Form von Surrogaten wie der Glücksspielkapitale Las Vegas oder der Heile-Welt-Erfindung «Celebration» aus dem Hause Disney in Florida) erlebt. Die beiden letzten Kapitel der Ausstellung widmen sich der «Architektur als Ausdrucksträger» und dem «Wolkenkratzer als Gebäudetyp des 20. Jahrhunderts». Einer virtuellen Bauausstellung gleich, vermitteln die meist aufwendig konstruierten Modelle vor allem eines: Nicht der Kontext, sondern das medial vermittelte Bild prägt heute unser Verhältnis zur Architektur. (Bis 3. Oktober)
[ Katalog: Am Ende des Jahrhunderts. 100 Jahre gebaute Visionen. Hrsg. Russell Ferguson. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 1999. 336 S., Fr. 91.- (DM 54.- in der Ausstellung). ]
Mut zur Lücke
Die vom Museum of Contemporary Art Los Angeles zusammengestellte Schau über «Positionen in der Architektur des 20. Jahrhunderts» (so der zweite Untertitel) legt in Köln ihre einzige europäische Zwischenstation auf dem Weg von Tokio nach Mexico City ein. Es mag überraschen, dass die Wahl ausgerechnet auf die Domstadt fiel und nicht etwa auf eine europäische Stadt, die in der Architekturgeschichte dieses Jahrhunderts eine bedeutendere Rolle spielte. Allerdings verfügt Köln über eine ganze Reihe hervorragender Architekten (man denke nur an Oswald Mathias Ungers und an Gottfried Böhm), die in der Ausstellung allerdings ebensowenig eine Rolle spielen wie Kölns wesentlicher Beitrag zur Erneuerung des Sakralbaus in diesem Jahrhundert.
Eine Epochenschau muss zwangsläufig Mut zur Lücke beweisen. Die Geschichte der Architektur dieses Jahrhunderts, eine Geschichte realisierter und gescheiterter Visionen, zu erzählen heisst, bewusst Vereinfachungen und Unschärfen in Kauf zu nehmen. Dass inszenierte Unschärfen nicht unbedingt den Blick auf das Wesentliche zu fokussieren vermögen, belegt jedoch die Photoserie von Hiroshi Sugimoto am Anfang der Ausstellung: Seine ästhetisch reizvollen Ablichtungen bekannter Architekturikonen dieses Jahrhunderts - vom Chrysler Building bis zu Tadao Andos Kapelle des Lichts - eignen sich allenfalls als Ratespiel für Eingeweihte. Überhaupt wird der künstlerischen Transformation von Architektur in dieser Ausstellung ein hoher Wert beigemessen - schliesslich wurde sie von einer Institution konzipiert, die der zeitgenössischen Kunst näher steht als der «Mutter aller Künste».
Die Ausstellung beginnt nicht etwa mit den grossen europäischen Stadterweiterungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern mit Daniel H. Burnhams und Edward Bennetts «Chicago Plan» für die Weltausstellung von 1893. Die Modernität der streng orthogonal aufgebauten Stadt musste zu jener Zeit noch durch eine konventionelle Architektur im Beaux-Arts-Stil kaschiert werden. Wenig später frönten die beiden Futuristen Antonio Sant'Elia aus Como und der Tessiner Mario Chiattone bereits einer den technischen Fortschritt vorwegnehmenden Maschinenästhetik, während die deutschen Expressionisten von Stadtkronen und bewegten Formen träumten. Viele dieser Entwürfe blieben ebenso unrealisiert wie die meisten Arbeiten der russischen Avantgarde in den zwanziger Jahren, die dem «neuen Menschen» adäquate konstruktivistische Gehäuse schneiderte.
Auf der oberen Etage der Kunsthalle kann sich die Ausstellung nicht so recht entscheiden, ob sie nun die Städtebau- oder die Architekturgeschichte dieses Jahrhunderts erzählen soll. Dieses Hin und Her erweist sich schliesslich als Stärke: Die Planungsgeschichte - zumal der ersten Jahrhunderthälfte - lässt sich nun einmal nicht so leicht in ihren politischen, kulturellen, ökonomischen, technischen und auch ästhetischen Dimensionen auseinanderdividieren. Am Anfang stand immer die Idee einer besseren Gesellschaft - das entsprechende urbane Leitbild hatten Architekten und Stadtplaner oft allzu schnell fixiert. Da der Irrtum ebenso zur Geschichte der Stadt gehört wie der soziale, ökonomische und technologische Fortschritt, liess der Wechsel der Planungsdoktrin meist nicht lange auf sich warten.
Während die städtebaulichen Leitbilder und architektonischen Moden von Europa aus in alle Welt exportiert wurden, entwickelte sich das Bauhaus ab 1919 zum Sammelbecken einer internationalen Künstleravantgarde, die heute - je nach Standpunkt - für ihren gesellschaftlichen und ästhetischen Aufbruch gelobt oder als Wegbereiter der seelenlosen Massensiedlungen unserer Tage verteufelt wird. Dass auch am Bauhaus heftig zwischen pragmatischen Ästheten wie Gropius und sozialen Utopisten wie Hannes Meyer gestritten wurde, verschweigt die Ausstellung. So aber verkürzt sich das Bild auf eine Generation von Architekten, für die es selbstverständlich war, heute eine Villa für einen fortschrittlichen Fabrikanten und morgen eine «Wohnung für das Existenzminimum» zu entwerfen - Hauptsache, man bekannte sich bedingungslos zum Formenrepertoire der klassischen Moderne.
Der Aufstieg totalitärer Regime in Europa trieb viele der fortschrittlichen Architekten ins Exil. In den Vereinigten Staaten machten die «Bauhäusler» Karriere - allen voran Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer. Amerika entwickelte sich zum «gelobten Land» der Architekten - und zum Durchlauferhitzer architektonischer Stile, die von hier ihren Siegeszug um die Welt antraten: Funktionalismus, Postmoderne und Dekonstruktivismus.
Visionen und Moden
An die Gleichzeitigkeit von (Architektur-)Strömungen haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Die Kölner Schau belegt in den letzten ihrer 21 Stationen ebenso unfreiwillig wie eindrucksvoll, wie sich der Ideenstreit um das bessere urbanistische Modell in den dreissiger Jahren (Gartenstadt contra verkehrsgerechte Stadt) und um die ausgefallenste Utopie in den sechziger Jahren (Arata Isozakis «Clusters in the air» contra Archigrams «Plug-in-City») mittlerweile in einen Wettkampf um den letzten Schrei der von ihrem sozialen und räumlichen Kontext emanzipierten Architektur gewandelt hat. Was waren das für Zeiten, als die Baukünstler noch um gesellschaftliche und bauliche Strukturen statt um den schönen Schein der Fassade eines Wohn- oder Bürogebäudes stritten!
Um Planungen im grossen Stil ging es zuletzt beim Wiederaufbau kriegszerstörter Städte und bei der Konzipierung neuer Hauptstädte: So konnte Le Corbusier zwischen 1951 und 1962 im indischen Chandigarh endlich seine Vision einer Stadt der Moderne verwirklichen, was ihm in Europa versagt bleiben sollte. Und Lucio Costa sowie Oscar Niemeyer schufen ab 1957 mit Brasilia ein urbanistisches Modell, dessen lockere Folge plastisch durchgeformter Bauten heute vor allem eines belegt: Das Verschwinden des Stadtraumes der Nachkriegsmoderne.
In den achtziger und neunziger Jahren haben wir die Krise, die Auflösung und die Wiederentdeckung der Stadt (zuletzt häufig in Form von Surrogaten wie der Glücksspielkapitale Las Vegas oder der Heile-Welt-Erfindung «Celebration» aus dem Hause Disney in Florida) erlebt. Die beiden letzten Kapitel der Ausstellung widmen sich der «Architektur als Ausdrucksträger» und dem «Wolkenkratzer als Gebäudetyp des 20. Jahrhunderts». Einer virtuellen Bauausstellung gleich, vermitteln die meist aufwendig konstruierten Modelle vor allem eines: Nicht der Kontext, sondern das medial vermittelte Bild prägt heute unser Verhältnis zur Architektur. (Bis 3. Oktober)
[ Katalog: Am Ende des Jahrhunderts. 100 Jahre gebaute Visionen. Hrsg. Russell Ferguson. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 1999. 336 S., Fr. 91.- (DM 54.- in der Ausstellung). ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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