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Glück ohne Gras, wie dumm ist das
Zu hohe Dichte und halbherzig durchgeführte Freiraumgestaltung: Mit großen Ambitionen begonnen, bleibt die Biotope City auf dem Wienerberg hinter den Erwartungen zurück.
10. September 2021 - Christian Kühn
Eine jede Zeit hat ihr Lieblingsmaterial. In der frühen Moderne schwärmten Architekten wie Bruno Taut vom Glas. In seinem Glashaus auf der Werkbundausstellung in Köln zitierte er 1914 den Schriftsteller Paul Scheerbart mit Sätzen wie: „Das bunte Glas zerstört den Hass“ oder „Glück ohne Glas, wie dumm ist das“, die er über dem Eingang anbringen ließ. Glas blieb eines der zentralen Materialien der Moderne, wenn auch meist in anderer Form: Während Tauts Glashaus vielfarbig in geometrischen Mustern leuchtete, mutierte Glas in der Spätmoderne zur alles neutralisierenden, verspiegelten Rasterfassade.
Was ist das Lieblingsmaterial unserer Zeit? Bis vor Kurzem hätte ich auf diese Frage geantwortet, sie sei überflüssig: Gute Architektur kann mit jedem Material entstehen. Das mag stimmen, aber trotzdem zeichnet sich ein Trend ab, der nicht zu übersehen ist: Unsere neue Liebe gilt dem Stadtgrün auf Dächern und Fassaden. Dieses Grün ist zwar kein Material im engeren Sinn, aber es kann die Erscheinung von Gebäuden prägen. Die Stadt Wien unterstützt den Trend, indem sie nun in Bebauungsplänen vorschreibt, bei Neubauten mindestens 20 Prozent der straßenseitigen Fassadenflächen zu begrünen. Dahinter stehen nicht nur emotionale Überlegungen, sondern auch Aspekte des Klimawandels und der zunehmenden Hitzeproblematik. Schon 2015 hat Wien einen Strategieplan zum Umgang mit „Urban Heat Islands“ herausgebracht, der empfiehlt, das Thema schon bei der städtebaulichen Planung und nicht erst bei der Gebäudeplanung einzubeziehen.
Die Biotope City Wienerberg verdankt ihre Entstehung einer besonderen Konstellation von Interessen. Erstens gab es einen prominenten Standort, das Areal der ehemaligen Coca-Cola-Fabrik, gewissermaßen das Pendant zum Hochhauscluster auf der anderen Seite der Triester Straße, wo das Philips-Haus von Karl Schwanzer und die Twin Towers von Massimiliano Fuksas städtebauliche Akzente setzen. Hier plante die Stadt Wien, das ehemalige Industriegebiet für Bürobauten, ein Hotel und Wohnungen umzuwidmen. Ganz wird die Industrie nicht vom Areal verschwinden: Das Autohaus Liewers mit seinen eleganten, von Rudolf Vorderegger geplanten Werkshallen aus den 1950er-Jahren bleibt bestehen.
Zweitens gab es die Ambition eines Star-Architekten, Harry Glück, an diesem Ort eine Neuauflage seiner Wohnbauten in Alt-Erlaa zu realisieren, und drittens gab es mit dem Begriff der Biotope City eine städtebauliche Vision, die nach einer Umsetzungsmöglichkeit suchte. Hinter der Biotope City steht eine Stiftung der deutsch-niederländischen Stadtplanerin Helga Fassbinder, die der üblichen Vorstellung von Stadt als technische „Hardware“ eine Stadtvision entgegensetzt, in der die Stadt als Biotop konzipiert ist, in dem Menschen zwar dicht gepackt, aber in Symbiose mit der Natur leben. Das heiße, so Fassbinder, das Haus vom Freiraum her zu denken. Im großen Maßstab bedeutet das die Berücksichtigung von Beschattung und Wind, im mittleren die Planung der grünen Zonen im öffentlichen Raum, inklusive Dach- und Fassadenbegrünung, und im kleinen Maßstab das den Wohnungen zugeordnete Grün auf Balkonen und Terrassen, das zum kollektiven Grün werden kann, wenn es die Fassaden hinauf- oder hinunterwuchert.
Ganz neu sind diese Ideen nicht. Die erste grüne Welle erlebte die Architektur in den 1970-Jahren; Alt-Erlaa markiert das utilitaristische Ende dieser Bewegung (Stichwort: das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl), das Hundertwasser-Krawina-Haus das irrationale (Stichwort: Hundertwassers Verschimmelungsmanifest). Zwischen diesen Extremen gibt es, auch international, eine Fülle an gelungenen Beispielen für begrünte Gebäude. Was die Biotope City von diesen Ansätzen abhebt, ist die Behandlung des Themas im städtebaulichen Maßstab. Auf dem Wienerberg war die kritische Größe dafür vorhanden. Der damals schon 90-jährige Harry Glück konnte Helga Fassbinder als Partnerin gewinnen und die Stadt überzeugen, ein Pilotprojekt umzusetzen. Mit ins Team für ein „kooperatives Verfahren“ kamen die Büros Rüdiger Lainer, BKK3 und Vlay/Streeruwitz sowie für die Freiräume Auböck/Kárász. Dazu kamen zahlreiche Konsulenten, etwa aus einer von der FFG geförderten Begleitforschung. Auch im Rahmen der Wiener Internationalen Bauausstellung/IBA 2022 nimmt das Projekt einen prominenten Platz ein.
Angesichts der großen Ambitionen hinterlässt das Ergebnis einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits gibt es geglückte Momente, vor allem dort, wo sich sich die neue City in Struktur und Dimension an die kleinteilige Siedlungsstruktur der nordöstlichen Umgebung anpasst. Wo sie sich aber in den „Fingern“ nach Süden zu 35 Meter hohen Scheiben aufschwingt, wirkt der Stadtraum bedrängend. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man auf die Terrassierung der Blöcke verzichtet hat, die für Alt-Erlaa charakteristisch ist. Nun wirkt es, als hätten die Planer die oberen, nicht terrassierten Geschoße von Alt-Erlaa samt Schwimmbad abgebaut, ein wenig auf schick geknickt und auf dem Wienerberg abgesetzt. (Was eine solche Terrassierung mit ihrem leichten Zurückweichen in Kombination mit einer raffinierten Gartenarchitektur leisten kann, lässt sich auch an Carl Auböcks Olof-Palme-Hof in der Hansson-Siedlung studieren.)
Das Konzept für die öffentlichen Freiräume hat mit dem Faktum zu kämpfen, dass die Erdgeschoßzonen weitgehend privatisiert und mit Mietergärten ausgestattet sind. Dem Raum zwischen den Scheiben fehlen dadurch Offenheit, Aneignungsqualität und Eleganz. Letzteres mag auch daran liegen, dass sich Auböck/Kárász aus der Umsetzungsplanung für die Freiräume zurückgezogen haben. Der großzügige Einsatz von betonierten Wegen und der Wegfall der drei geplanten offenen Wasserflächen schmerzen. Da ist es der Biotope City nicht besser gegangen als vielen anderen Projekten, bei denen am Ende dort gespart wird, wo es am leichtesten geht: bei den Freiräumen. Bemerkenswert ist auch, dass in den Publikationen zur Biotope City Wienerberg nicht ein einziger Haus- oder Wohnungsgrundriss enthalten ist. Das mag seine Gründe haben: Die dunklen Innengänge und einseitig ohne Querlüftung orientierten Grundrisse teilen sich die Neubauten mit ihrem Vorbild aus Alt-Erlaa.
Die Biotope City wird noch beweisen müssen, dass sie mehr ist als ein elegantes Instrument zur Erhöhung der Grundstücksausnutzung, die in diesem Fall von den ersten Überlegungen der Stadt bis zum realisierten Projekt 50 Prozent betragen haben soll. Hätte die Stadt Wien statt eines „kooperativen Verfahrens“ einen gut vorbereiteten und anonymen städtebaulichen Wettbewerb durchgeführt, um zu untersuchen, was das Areal an Dichte verträgt, wäre eine solche Steigerung wohl kaum eingetreten. Und die Biotope City hätte Luft zum Atmen.
Was ist das Lieblingsmaterial unserer Zeit? Bis vor Kurzem hätte ich auf diese Frage geantwortet, sie sei überflüssig: Gute Architektur kann mit jedem Material entstehen. Das mag stimmen, aber trotzdem zeichnet sich ein Trend ab, der nicht zu übersehen ist: Unsere neue Liebe gilt dem Stadtgrün auf Dächern und Fassaden. Dieses Grün ist zwar kein Material im engeren Sinn, aber es kann die Erscheinung von Gebäuden prägen. Die Stadt Wien unterstützt den Trend, indem sie nun in Bebauungsplänen vorschreibt, bei Neubauten mindestens 20 Prozent der straßenseitigen Fassadenflächen zu begrünen. Dahinter stehen nicht nur emotionale Überlegungen, sondern auch Aspekte des Klimawandels und der zunehmenden Hitzeproblematik. Schon 2015 hat Wien einen Strategieplan zum Umgang mit „Urban Heat Islands“ herausgebracht, der empfiehlt, das Thema schon bei der städtebaulichen Planung und nicht erst bei der Gebäudeplanung einzubeziehen.
Die Biotope City Wienerberg verdankt ihre Entstehung einer besonderen Konstellation von Interessen. Erstens gab es einen prominenten Standort, das Areal der ehemaligen Coca-Cola-Fabrik, gewissermaßen das Pendant zum Hochhauscluster auf der anderen Seite der Triester Straße, wo das Philips-Haus von Karl Schwanzer und die Twin Towers von Massimiliano Fuksas städtebauliche Akzente setzen. Hier plante die Stadt Wien, das ehemalige Industriegebiet für Bürobauten, ein Hotel und Wohnungen umzuwidmen. Ganz wird die Industrie nicht vom Areal verschwinden: Das Autohaus Liewers mit seinen eleganten, von Rudolf Vorderegger geplanten Werkshallen aus den 1950er-Jahren bleibt bestehen.
Zweitens gab es die Ambition eines Star-Architekten, Harry Glück, an diesem Ort eine Neuauflage seiner Wohnbauten in Alt-Erlaa zu realisieren, und drittens gab es mit dem Begriff der Biotope City eine städtebauliche Vision, die nach einer Umsetzungsmöglichkeit suchte. Hinter der Biotope City steht eine Stiftung der deutsch-niederländischen Stadtplanerin Helga Fassbinder, die der üblichen Vorstellung von Stadt als technische „Hardware“ eine Stadtvision entgegensetzt, in der die Stadt als Biotop konzipiert ist, in dem Menschen zwar dicht gepackt, aber in Symbiose mit der Natur leben. Das heiße, so Fassbinder, das Haus vom Freiraum her zu denken. Im großen Maßstab bedeutet das die Berücksichtigung von Beschattung und Wind, im mittleren die Planung der grünen Zonen im öffentlichen Raum, inklusive Dach- und Fassadenbegrünung, und im kleinen Maßstab das den Wohnungen zugeordnete Grün auf Balkonen und Terrassen, das zum kollektiven Grün werden kann, wenn es die Fassaden hinauf- oder hinunterwuchert.
Ganz neu sind diese Ideen nicht. Die erste grüne Welle erlebte die Architektur in den 1970-Jahren; Alt-Erlaa markiert das utilitaristische Ende dieser Bewegung (Stichwort: das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl), das Hundertwasser-Krawina-Haus das irrationale (Stichwort: Hundertwassers Verschimmelungsmanifest). Zwischen diesen Extremen gibt es, auch international, eine Fülle an gelungenen Beispielen für begrünte Gebäude. Was die Biotope City von diesen Ansätzen abhebt, ist die Behandlung des Themas im städtebaulichen Maßstab. Auf dem Wienerberg war die kritische Größe dafür vorhanden. Der damals schon 90-jährige Harry Glück konnte Helga Fassbinder als Partnerin gewinnen und die Stadt überzeugen, ein Pilotprojekt umzusetzen. Mit ins Team für ein „kooperatives Verfahren“ kamen die Büros Rüdiger Lainer, BKK3 und Vlay/Streeruwitz sowie für die Freiräume Auböck/Kárász. Dazu kamen zahlreiche Konsulenten, etwa aus einer von der FFG geförderten Begleitforschung. Auch im Rahmen der Wiener Internationalen Bauausstellung/IBA 2022 nimmt das Projekt einen prominenten Platz ein.
Angesichts der großen Ambitionen hinterlässt das Ergebnis einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits gibt es geglückte Momente, vor allem dort, wo sich sich die neue City in Struktur und Dimension an die kleinteilige Siedlungsstruktur der nordöstlichen Umgebung anpasst. Wo sie sich aber in den „Fingern“ nach Süden zu 35 Meter hohen Scheiben aufschwingt, wirkt der Stadtraum bedrängend. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man auf die Terrassierung der Blöcke verzichtet hat, die für Alt-Erlaa charakteristisch ist. Nun wirkt es, als hätten die Planer die oberen, nicht terrassierten Geschoße von Alt-Erlaa samt Schwimmbad abgebaut, ein wenig auf schick geknickt und auf dem Wienerberg abgesetzt. (Was eine solche Terrassierung mit ihrem leichten Zurückweichen in Kombination mit einer raffinierten Gartenarchitektur leisten kann, lässt sich auch an Carl Auböcks Olof-Palme-Hof in der Hansson-Siedlung studieren.)
Das Konzept für die öffentlichen Freiräume hat mit dem Faktum zu kämpfen, dass die Erdgeschoßzonen weitgehend privatisiert und mit Mietergärten ausgestattet sind. Dem Raum zwischen den Scheiben fehlen dadurch Offenheit, Aneignungsqualität und Eleganz. Letzteres mag auch daran liegen, dass sich Auböck/Kárász aus der Umsetzungsplanung für die Freiräume zurückgezogen haben. Der großzügige Einsatz von betonierten Wegen und der Wegfall der drei geplanten offenen Wasserflächen schmerzen. Da ist es der Biotope City nicht besser gegangen als vielen anderen Projekten, bei denen am Ende dort gespart wird, wo es am leichtesten geht: bei den Freiräumen. Bemerkenswert ist auch, dass in den Publikationen zur Biotope City Wienerberg nicht ein einziger Haus- oder Wohnungsgrundriss enthalten ist. Das mag seine Gründe haben: Die dunklen Innengänge und einseitig ohne Querlüftung orientierten Grundrisse teilen sich die Neubauten mit ihrem Vorbild aus Alt-Erlaa.
Die Biotope City wird noch beweisen müssen, dass sie mehr ist als ein elegantes Instrument zur Erhöhung der Grundstücksausnutzung, die in diesem Fall von den ersten Überlegungen der Stadt bis zum realisierten Projekt 50 Prozent betragen haben soll. Hätte die Stadt Wien statt eines „kooperativen Verfahrens“ einen gut vorbereiteten und anonymen städtebaulichen Wettbewerb durchgeführt, um zu untersuchen, was das Areal an Dichte verträgt, wäre eine solche Steigerung wohl kaum eingetreten. Und die Biotope City hätte Luft zum Atmen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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