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Der Turmbau zu Arles
In der französischen Provinzmetropole Arles ist das 56 Meter hohe Kunstzentrum Luma entstanden. Erbauen ließ es die Schweizer Pharmakonzernerbin Maja Hoffmann. Belebend für eine abgehängte Region oder doch Größenwahn?
8. September 2021 - Stefan Brändle
Wer heute durch die Camargue fährt, staunt nicht mehr über die wilden Pferde, die Stiere und die Bewässerungskanäle der Reisfelder. Auf der Fahrt nach Arles wird der Blick neuerdings von einem glitzernden Ungetüm angezogen, das sich am flachen Horizont aus dem Dunst schält. Beim Näherkommen erweist sich, dass es die malerischen Dächer der regionalen Metropole überragt. Es ist ein Turm, 56 Meter hoch und fast ebenso breit; futuristisch, lichtspiegelnd, emporgewachsen aus topfebenem Land – ein absoluter Kontrapunkt zur antiken mediterranen Stadt. Eine Landmarke, gemacht, um unübersehbar zu sein.
Angekommen in Arles, wo das wuchtige Bauwerk immer imposanter, höher erscheint und sich als Teil eines riesigen Bau- und Parkgeländes erweist, drängt sich die erstaunlichste Erkenntnis auf: Dieses kühne und – sagen wir es – höchst unbescheidene Ensemble hier im Süden Frankreichs stammt von einer Auswärtigen.
Elf Hektar großes Gelände
Auch wenn Maja Hoffmann, gebürtige Schweizerin und Erbin des Basler Pharmakonzerns Roche, seit ihrer Kindheit in Arles lebt und arbeitet. Ihr Vater Hans Lukas Hoffmann war mit seiner Familie zu ornithologischen Feldstudien in die Camargue gezogen, weshalb Maja großenteils in Arles aufgewachsen ist.
Dort schafft sie in einem Außenviertel seit über zehn Jahren ein Kunst- und Kulturzentrum namens Luma. Im Juni wurde das Kernstück, der vom US-Architekten Frank Gehry gezeichnete, aus 11.000 Aluminiumboxen gebildete Turm, offiziell eingeweiht. Während des Sommers konnten Besucher aus nah und fern erstmals das elf Hektar große Gelände besichtigen, auf dem früher Lokomotiven der französischen Eisenbahn SNCF repariert wurden.
Hoffmann nennt das Ensemble einen „Creative Campus“. Publikumsmagnet ist die Hauptgalerie mit ihrer eigenen Sammlung, darunter Installationen von Urs Fischer, Etel Adnan, Fischli/Weiss oder Fotografien von Diane Arbus und Annie Leibovitz.
Als eines der größten privat finanzierten Kunstzentren geht Luma aber viel weiter. Einzelne Künstler erhalten Wohnungen im Gehry-Turm, um ihre Kreationen vor Ort zu schaffen. Der sich drehende Dachspiegel von Ólafur Elíasson ist zum Beispiel gleich in das Gebäude integriert.
Dazu kommen Galerien, Tagungsräume und „lebende Archive“, umgeben von einem immensen Park, der auch eine Einladung an die 54 000 Einwohner der Stadt darstellt. Hoffmann gibt sich undogmatisch, ja volksnah: Die Koreanerin Koo Jeong-A hat für sie einen Skatepark geschaffen, der Deutsche Carsten Höller eine als Kunstwerk getarnte Doppelrutschbahn im Inneren des Turms.
Bei einer ersten Besichtigung im August drängten sich die Anwohner allerdings noch nicht in den generösen Gartenanlagen. In der Avenue Victor Hugo meint ein junger Passant naserümpfend, die Turmskulptur gemahne ihn an eine zerknüllte Blechdose. „Für ein neues Wahrzeichen der Stadt ist es ziemlich hässlich, finden Sie nicht?“, fragt der im Ort geborene Maurer. Gewiss schaffe das Projekt auch Arbeitsplätze. Dass die altrömische Stadt mit ihrem intakten Amphitheater plötzlich von einem klotzigen Kunstwerk dominiert werde, störe aber viele, meint der Mann, der seinen Namen nicht nennen will.
Absage an Subventionen
Vielleicht, weil Maja Hoffmann in der Stadt heute viel Einfluss hat? Die Lebenspartnerin des amerikanischen Filmproduzenten Stanley Buchthal leitete vor Luma schon die lokale Van-Gogh-Stiftung. Auch sie sitzt im Verwaltungsrat der Rencontres d’Arles, des weltberühmten Fotofestivals. Die Besucher bewirtet und beherbergt sie ferner in zwei Hotels und zwei Restaurants, die sie im Verlauf der Jahre übernommen hat.
In Arles kommt niemand mehr an Maja Hoffmann vorbei. Bei ihrem Luma-Projekt erteilte sie auch dem früheren Staatspräsidenten François Hollande eine Abfuhr, als dieser eine staatliche Subvention vorschlug. Die stämmige, weltläufige Baslerin schultert die auf bis zu 200 Millionen Euro geschätzten Gesamtkosten lieber selbst.
„Maja Hoffmann hat etwas Imperiales“, meinte der langjährige Ex-Vorsteher der Region Provence, Michel Vauzelle, ohne jede Ironie zum TV-Sender France-3. „Sie weiß, was sie will. Und das setzt sie auch durch.“ Der lokale PR-Agent Christophe Cachera drückt sich milder aus: „Maja Hoffmann denkt oft 20 oder 30 Jahre voraus. Deshalb verstehen sie viele Leute nicht.“
Kritik und Lob
Im Café „Davidoff“ unweit vom Luma-Eingang entfernt findet der Barman auch lobende Worte: „Viele Leute stören sich an ihrer Dominanz. Aber ich muss sagen, bei den Versammlungen der lokalen Hoteliers wirkt sie einfach und sympathisch. Niemand kann bestreiten, dass sie neues Leben in die Stadt bringt.“
Betonung auf neu: Im schmucken Stadtkern mit seinen engen Gässchen und mediterranen Düften mehren sich die Kunstgalerien, Bioläden und Hipsterbars. Auf dem berühmten römischen Gräberfeld von Arles, den Alyscamps, organisierte Gucci letzthin eine Modeschau. Und jetzt drückt Gehrys Aluturm der Stadt seinen Stempel auf.
Hoffmann – die für Interviewanfragen nicht zur Verfügung steht – versucht auf vielfältige Weise, das neue in das alte Arles zu integrieren. Der runde Sockelbau des Luma-Haupttrakts erinnert ihr zufolge an das perfekt erhaltene Amphitheater der Stadt. Allerdings höchstens aus der Vogelperspektive.
Überzeugender ist – wie meist – Hoffmanns finanzielles Argument. Der Oppositionspolitiker Mohamed Rafaï gesteht freimütig ein, dass die Schweizer Mäzenin dem desindustrialisierten, mittellosen Arles Impulse verleihe, die sich die Stadt mit einer Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent selber gar nicht leisten könnte. Andere Lokalpolitiker erinnern an das Beispiel der baskischen Provinzstadt Bilbao, der das spektakuläre – ebenfalls von Gehry gezeichnete – Guggenheim-Museum zu einem generellen Aufschwung verholfen hat.
Angekommen in Arles, wo das wuchtige Bauwerk immer imposanter, höher erscheint und sich als Teil eines riesigen Bau- und Parkgeländes erweist, drängt sich die erstaunlichste Erkenntnis auf: Dieses kühne und – sagen wir es – höchst unbescheidene Ensemble hier im Süden Frankreichs stammt von einer Auswärtigen.
Elf Hektar großes Gelände
Auch wenn Maja Hoffmann, gebürtige Schweizerin und Erbin des Basler Pharmakonzerns Roche, seit ihrer Kindheit in Arles lebt und arbeitet. Ihr Vater Hans Lukas Hoffmann war mit seiner Familie zu ornithologischen Feldstudien in die Camargue gezogen, weshalb Maja großenteils in Arles aufgewachsen ist.
Dort schafft sie in einem Außenviertel seit über zehn Jahren ein Kunst- und Kulturzentrum namens Luma. Im Juni wurde das Kernstück, der vom US-Architekten Frank Gehry gezeichnete, aus 11.000 Aluminiumboxen gebildete Turm, offiziell eingeweiht. Während des Sommers konnten Besucher aus nah und fern erstmals das elf Hektar große Gelände besichtigen, auf dem früher Lokomotiven der französischen Eisenbahn SNCF repariert wurden.
Hoffmann nennt das Ensemble einen „Creative Campus“. Publikumsmagnet ist die Hauptgalerie mit ihrer eigenen Sammlung, darunter Installationen von Urs Fischer, Etel Adnan, Fischli/Weiss oder Fotografien von Diane Arbus und Annie Leibovitz.
Als eines der größten privat finanzierten Kunstzentren geht Luma aber viel weiter. Einzelne Künstler erhalten Wohnungen im Gehry-Turm, um ihre Kreationen vor Ort zu schaffen. Der sich drehende Dachspiegel von Ólafur Elíasson ist zum Beispiel gleich in das Gebäude integriert.
Dazu kommen Galerien, Tagungsräume und „lebende Archive“, umgeben von einem immensen Park, der auch eine Einladung an die 54 000 Einwohner der Stadt darstellt. Hoffmann gibt sich undogmatisch, ja volksnah: Die Koreanerin Koo Jeong-A hat für sie einen Skatepark geschaffen, der Deutsche Carsten Höller eine als Kunstwerk getarnte Doppelrutschbahn im Inneren des Turms.
Bei einer ersten Besichtigung im August drängten sich die Anwohner allerdings noch nicht in den generösen Gartenanlagen. In der Avenue Victor Hugo meint ein junger Passant naserümpfend, die Turmskulptur gemahne ihn an eine zerknüllte Blechdose. „Für ein neues Wahrzeichen der Stadt ist es ziemlich hässlich, finden Sie nicht?“, fragt der im Ort geborene Maurer. Gewiss schaffe das Projekt auch Arbeitsplätze. Dass die altrömische Stadt mit ihrem intakten Amphitheater plötzlich von einem klotzigen Kunstwerk dominiert werde, störe aber viele, meint der Mann, der seinen Namen nicht nennen will.
Absage an Subventionen
Vielleicht, weil Maja Hoffmann in der Stadt heute viel Einfluss hat? Die Lebenspartnerin des amerikanischen Filmproduzenten Stanley Buchthal leitete vor Luma schon die lokale Van-Gogh-Stiftung. Auch sie sitzt im Verwaltungsrat der Rencontres d’Arles, des weltberühmten Fotofestivals. Die Besucher bewirtet und beherbergt sie ferner in zwei Hotels und zwei Restaurants, die sie im Verlauf der Jahre übernommen hat.
In Arles kommt niemand mehr an Maja Hoffmann vorbei. Bei ihrem Luma-Projekt erteilte sie auch dem früheren Staatspräsidenten François Hollande eine Abfuhr, als dieser eine staatliche Subvention vorschlug. Die stämmige, weltläufige Baslerin schultert die auf bis zu 200 Millionen Euro geschätzten Gesamtkosten lieber selbst.
„Maja Hoffmann hat etwas Imperiales“, meinte der langjährige Ex-Vorsteher der Region Provence, Michel Vauzelle, ohne jede Ironie zum TV-Sender France-3. „Sie weiß, was sie will. Und das setzt sie auch durch.“ Der lokale PR-Agent Christophe Cachera drückt sich milder aus: „Maja Hoffmann denkt oft 20 oder 30 Jahre voraus. Deshalb verstehen sie viele Leute nicht.“
Kritik und Lob
Im Café „Davidoff“ unweit vom Luma-Eingang entfernt findet der Barman auch lobende Worte: „Viele Leute stören sich an ihrer Dominanz. Aber ich muss sagen, bei den Versammlungen der lokalen Hoteliers wirkt sie einfach und sympathisch. Niemand kann bestreiten, dass sie neues Leben in die Stadt bringt.“
Betonung auf neu: Im schmucken Stadtkern mit seinen engen Gässchen und mediterranen Düften mehren sich die Kunstgalerien, Bioläden und Hipsterbars. Auf dem berühmten römischen Gräberfeld von Arles, den Alyscamps, organisierte Gucci letzthin eine Modeschau. Und jetzt drückt Gehrys Aluturm der Stadt seinen Stempel auf.
Hoffmann – die für Interviewanfragen nicht zur Verfügung steht – versucht auf vielfältige Weise, das neue in das alte Arles zu integrieren. Der runde Sockelbau des Luma-Haupttrakts erinnert ihr zufolge an das perfekt erhaltene Amphitheater der Stadt. Allerdings höchstens aus der Vogelperspektive.
Überzeugender ist – wie meist – Hoffmanns finanzielles Argument. Der Oppositionspolitiker Mohamed Rafaï gesteht freimütig ein, dass die Schweizer Mäzenin dem desindustrialisierten, mittellosen Arles Impulse verleihe, die sich die Stadt mit einer Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent selber gar nicht leisten könnte. Andere Lokalpolitiker erinnern an das Beispiel der baskischen Provinzstadt Bilbao, der das spektakuläre – ebenfalls von Gehry gezeichnete – Guggenheim-Museum zu einem generellen Aufschwung verholfen hat.
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