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Wenn Loos das wüsste
Das Haus Scheu von Adolf Loos in Hietzing ist ein Schlüsselwerk der Moderne. Bedeutenderes gibt es kaum, es steht unter Denkmalschutz. Bis vor Kurzem war es ein mit höchster Wertschätzung bewohntes, gepflegtes Haus, dann wechselte der Besitzer. Nun ist es eine Baustelle.
16. September 2021 - Isabella Marboe
Zwischen gediegenen Villen steht in der Hietzinger Larochegasse 3 das Haus Scheu von Adolf Loos. „Dieses Haus ist der Ursprung des kubischen Bauens, hier ist die Moderne entstanden“, sagt Architekt Ralf Bock, ein Loos-Experte. „Mies van der Rohe, Le Corbusier: Alle haben sich darauf bezogen.“ Gegenüber das Gymnasium Wenzgasse, es ist Dienstag, der 14. September, um die Mittagszeit. Kurz davor hatte die Autorin eine Nachricht erreicht: Es gebe Bauarbeiten am Haus, das Bundesdenkmalamt wisse nichts davon, ein Landeskonservator sei schon unterwegs, hatte sie erfahren, also war sie nun da.
Kinder strömen in die Sonne. Das nüchterne weiße Haus auf der anderen Straßenseite sagt ihnen wohl nichts. Ein kleines Baugerüst und ein Baukran stehen davor. Der Gartenzaun ist weit offen. Baustelle eben. Keine Bautafel, kein „Betreten verboten“. Kein Mensch zu sehen. Sie geht hinein, eine staubige Wendeltreppe. Abgeklebter Boden, abgeschlagener Putz. Hier fallen Späne. Sie sucht Auskunft, findet zwei Bauarbeiter, gibt sich als Architekturjournalistin zu erkennen. Was sie hier täten? Wie sie hießen? Journalistenhandwerk: immer nach Namen fragen.
Lukas – offener Blick, blaues T-Shirt, sein Kollege – schwarze Haare, kunstvoll tätowierter Unterarm – nennt keinen Namen. Beide wollen nichts sagen. „Sie können mit unserem Chef reden.“ Sie sind Installateure der Firma Stopfer Haustechnik im achten Bezirk. „Wir greifen nichts an“, versichern sie. Demontierte Heizkörper, Installationsrohre, Schutt. Warum sich die Autorin für ihre Arbeit interessiere? Weil es eines der bedeutendsten Häuser sei, die es gebe, es stehe unter Denkmalschutz. Von Adolf Loos – eines der ersten mit Flachdach weltweit. Eine Revolution. Die zwei: „Ist ein schönes Haus. Ziemlich groß. Kostet sicher genug.“
„Das Haus Scheu ist eine der bedeutendsten Villen von internationalem Rang, die wir in Österreich haben“, sagt Wolfgang Salcher, stellvertretender Landeskonservator für Wien im Bundesdenkmalamt. „Bedeutender geht's nicht mehr.“ Es ist eine typologische Rarität. Ein Terrassenhaus, das einzige von Loos und das erste seiner Art in Mitteleuropa. 1912/13 wurde es errichtet, hochinnovativ, mit eingebautem Mobiliar aus dunkler Eiche. Loos setzte es radikal abstrakt um: für jede der drei Wohnebenen eine Terrasse mit Morgensonne. Rechtsanwalt Gustav Scheu hatte die Gartenstadtidee nach Wien gebracht und Loos für die Siedlerbewegung entflammt. Im Salon von Helene Scheu-Riesz verkehrten große Geister wie Loos selbst, Kokoschka, Alban Berg.
Seit 1971 steht dieses Kleinod der Architekturgeschichte unter Denkmalschutz. Zwischenzeitlich lebten Obdachlose im Haus, sie behandelten es gut; 1978/79 wurde es von Heinz Neumann und Sepp Frank generalsaniert. Die Familie Leodolter bewohnte es mit Sorgfalt und Freude, 2011 wurde es von Silvia Leodolter verkauft. Die Gemeinde Wien zeigte kein Interesse. Der neue Besitzer, Johannes Holländer, kaufte Loos-Möbel zu. „Es war in einem perfekten Zustand, das bestgepflegte Loos-Haus, das wir haben“, sagt Bock. Das Bundesdenkmalamt war zufrieden, der Bauherr glücklich mit dem Original-Loos, er zieht nach Rotterdam.
Am 28. August 2021 wechselt das Haus den Besitzer, keinen Monat später fällt einem Beobachter ein Bauaufzug an der Fassade auf, Bock setzt das Bundesdenkmalamt und einige Journalist:innen in Kenntnis. Montag, 13. September: „Weil wir eine wache Behörde sind, reagierten wir sofort“, so Salcher. Zu diesem Zeitpunkt waren ihm keinerlei konkret geplante Arbeiten bekannt. Am Dienstag kontaktierte er die Planerin und erfuhr, dass eine Instandsetzung der Elektro- und Gasleitung geplant war. Sofort fuhr er in die Larochegasse. „Ich stellte fest, dass Baumaßnahmen stattfanden, die vom Bundesdenkmalamt nicht genehmigt sind.“
Die Journalistin sucht den dritten Bauarbeiter. Laden und Kastentüren, mehr oder weniger nonchalant mit Plastikplanen abgedeckt, lehnen an den Wänden. Eigentlich dürfte man die Holzverkleidungen in diesem Haus nur mit weißen Museumshandschuhen berühren, denkt sie. Erleichtert nimmt sie die Holzträme der Decke wahr, den Luster, originale Tür- und Fensterbeschläge, die Kaminnische. Alles noch da. Zwei Fauteuils, in die Holzwand eingebaut, auf einer liegen Bauhandschuhe. Im gemauerten Kamin drei Scheite auf trockenen Kiefernzapfen, die Wandverbauten der Bibliothek mit den goldenen Lampen intakt, eine Marmorplatte ohne Wandverbau, aber immerhin. Neben einer Tür rechts und links je drei Farbproben, Blau: Echo, Delicate Blue, Bone, China Blue, Pale. Eher keine Loos-Farben. Auf zwei Kreppbändern steht: „Wand bleibt.“
Der Kollege sei vor fünf Minuten weg, sagen die Arbeiter. Als ich das Haus verlasse, treffe ich auf einen schlanken Mann in engen Jeans. „Sind Sie der dritte Arbeiter?“ Er mustert mich überrascht. „Ich bin der Bauherr.“ „Wunderbar. Mit Ihnen möchte ich ohnehin sprechen.“ – „Wer sind denn Sie?“ „Ich bin von der Presse.“ – „Ich gebe der Presse keine Auskünfte. Sie dürfen die Baustelle nicht betreten.“ Ich gehe.
Eigentlich hätte das Bundesdenkmalamt innerhalb von zwei Wochen vom Verkäufer über den neuen Besitzer informiert werden müssen. „Uns wurde nichts mitgeteilt“, sagt Salcher. „Wir haben im Grundbuch nachgesehen.“ Dort ist auch verzeichnet, dass das Haus unter Denkmalschutz steht. Das bedeutet: „Jede Veränderung muss vom Bundesdenkmalamt genehmigt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Planungen auf solider Basis ausgeführt werden. Es gibt vom Bund große Förderungen für Voruntersuchungen. Wir zahlen bis zu 95 Prozent. Mich wundert, dass sich manche Bauherren das nicht abholen.“ Auch alle Möbel und Einbauten, die mit der Wand verbunden sind, stehen unter Schutz. Das Bundesdenkmalamt hat die Planerin kontaktiert, deren Namen es nicht nennen will. Jener des Bauherrn steht im Grundbuch.
Donnerstag, neun Uhr früh. Ein Mail von Stefan Tweraser, dem Bauherrn. Er suche den ehrlichen Austausch und weist darauf hin, dass ich illegal in seinem Haus war. „Ich gebe Ihnen gern Auskunft. Was ich nicht will, ist, dass alles schwierig wird.“
Vor drei Monaten hätten er und seine Frau das Bundesdenkmalamt erstmals kontaktiert, der Begehungstermin sei abgesagt worden, derzeit sei der Austausch mit dessen Präsidenten, Christoph Bazil, wieder rege. „Es liegt uns sehr daran, dieses Juwel als Juwel zu erhalten.“ Die Familie will die Haupträume im Originalzustand bewahren und dort sorgsam und doch zeitgemäß wohnen. „Es ist in einem technisch fürchterlichen Zustand. Wir haben begonnen, Heizkörper zu entfernen, es waren nachgegossene aus England. Uns geht es darum, die heikle Balance zwischen Denkmal und Wohnhaus zu erhalten.“
Am Mittwoch, 15. September, beging Tweraser mit Burkhardt Rukschcio, einem weiteren Loos-Experten, die Baustelle. Nichts sei zu beanstanden. „Die Wiener Gerüchteküche bauscht alles auf.“ Donnerstagvormittag war die Baupolizei vor Ort, für 13.30 Uhr ein Besichtigungstermin mit Architekt Ralf Bock vereinbart. Die Dinge nehmen ihren Lauf.
Kinder strömen in die Sonne. Das nüchterne weiße Haus auf der anderen Straßenseite sagt ihnen wohl nichts. Ein kleines Baugerüst und ein Baukran stehen davor. Der Gartenzaun ist weit offen. Baustelle eben. Keine Bautafel, kein „Betreten verboten“. Kein Mensch zu sehen. Sie geht hinein, eine staubige Wendeltreppe. Abgeklebter Boden, abgeschlagener Putz. Hier fallen Späne. Sie sucht Auskunft, findet zwei Bauarbeiter, gibt sich als Architekturjournalistin zu erkennen. Was sie hier täten? Wie sie hießen? Journalistenhandwerk: immer nach Namen fragen.
Lukas – offener Blick, blaues T-Shirt, sein Kollege – schwarze Haare, kunstvoll tätowierter Unterarm – nennt keinen Namen. Beide wollen nichts sagen. „Sie können mit unserem Chef reden.“ Sie sind Installateure der Firma Stopfer Haustechnik im achten Bezirk. „Wir greifen nichts an“, versichern sie. Demontierte Heizkörper, Installationsrohre, Schutt. Warum sich die Autorin für ihre Arbeit interessiere? Weil es eines der bedeutendsten Häuser sei, die es gebe, es stehe unter Denkmalschutz. Von Adolf Loos – eines der ersten mit Flachdach weltweit. Eine Revolution. Die zwei: „Ist ein schönes Haus. Ziemlich groß. Kostet sicher genug.“
„Das Haus Scheu ist eine der bedeutendsten Villen von internationalem Rang, die wir in Österreich haben“, sagt Wolfgang Salcher, stellvertretender Landeskonservator für Wien im Bundesdenkmalamt. „Bedeutender geht's nicht mehr.“ Es ist eine typologische Rarität. Ein Terrassenhaus, das einzige von Loos und das erste seiner Art in Mitteleuropa. 1912/13 wurde es errichtet, hochinnovativ, mit eingebautem Mobiliar aus dunkler Eiche. Loos setzte es radikal abstrakt um: für jede der drei Wohnebenen eine Terrasse mit Morgensonne. Rechtsanwalt Gustav Scheu hatte die Gartenstadtidee nach Wien gebracht und Loos für die Siedlerbewegung entflammt. Im Salon von Helene Scheu-Riesz verkehrten große Geister wie Loos selbst, Kokoschka, Alban Berg.
Seit 1971 steht dieses Kleinod der Architekturgeschichte unter Denkmalschutz. Zwischenzeitlich lebten Obdachlose im Haus, sie behandelten es gut; 1978/79 wurde es von Heinz Neumann und Sepp Frank generalsaniert. Die Familie Leodolter bewohnte es mit Sorgfalt und Freude, 2011 wurde es von Silvia Leodolter verkauft. Die Gemeinde Wien zeigte kein Interesse. Der neue Besitzer, Johannes Holländer, kaufte Loos-Möbel zu. „Es war in einem perfekten Zustand, das bestgepflegte Loos-Haus, das wir haben“, sagt Bock. Das Bundesdenkmalamt war zufrieden, der Bauherr glücklich mit dem Original-Loos, er zieht nach Rotterdam.
Am 28. August 2021 wechselt das Haus den Besitzer, keinen Monat später fällt einem Beobachter ein Bauaufzug an der Fassade auf, Bock setzt das Bundesdenkmalamt und einige Journalist:innen in Kenntnis. Montag, 13. September: „Weil wir eine wache Behörde sind, reagierten wir sofort“, so Salcher. Zu diesem Zeitpunkt waren ihm keinerlei konkret geplante Arbeiten bekannt. Am Dienstag kontaktierte er die Planerin und erfuhr, dass eine Instandsetzung der Elektro- und Gasleitung geplant war. Sofort fuhr er in die Larochegasse. „Ich stellte fest, dass Baumaßnahmen stattfanden, die vom Bundesdenkmalamt nicht genehmigt sind.“
Die Journalistin sucht den dritten Bauarbeiter. Laden und Kastentüren, mehr oder weniger nonchalant mit Plastikplanen abgedeckt, lehnen an den Wänden. Eigentlich dürfte man die Holzverkleidungen in diesem Haus nur mit weißen Museumshandschuhen berühren, denkt sie. Erleichtert nimmt sie die Holzträme der Decke wahr, den Luster, originale Tür- und Fensterbeschläge, die Kaminnische. Alles noch da. Zwei Fauteuils, in die Holzwand eingebaut, auf einer liegen Bauhandschuhe. Im gemauerten Kamin drei Scheite auf trockenen Kiefernzapfen, die Wandverbauten der Bibliothek mit den goldenen Lampen intakt, eine Marmorplatte ohne Wandverbau, aber immerhin. Neben einer Tür rechts und links je drei Farbproben, Blau: Echo, Delicate Blue, Bone, China Blue, Pale. Eher keine Loos-Farben. Auf zwei Kreppbändern steht: „Wand bleibt.“
Der Kollege sei vor fünf Minuten weg, sagen die Arbeiter. Als ich das Haus verlasse, treffe ich auf einen schlanken Mann in engen Jeans. „Sind Sie der dritte Arbeiter?“ Er mustert mich überrascht. „Ich bin der Bauherr.“ „Wunderbar. Mit Ihnen möchte ich ohnehin sprechen.“ – „Wer sind denn Sie?“ „Ich bin von der Presse.“ – „Ich gebe der Presse keine Auskünfte. Sie dürfen die Baustelle nicht betreten.“ Ich gehe.
Eigentlich hätte das Bundesdenkmalamt innerhalb von zwei Wochen vom Verkäufer über den neuen Besitzer informiert werden müssen. „Uns wurde nichts mitgeteilt“, sagt Salcher. „Wir haben im Grundbuch nachgesehen.“ Dort ist auch verzeichnet, dass das Haus unter Denkmalschutz steht. Das bedeutet: „Jede Veränderung muss vom Bundesdenkmalamt genehmigt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Planungen auf solider Basis ausgeführt werden. Es gibt vom Bund große Förderungen für Voruntersuchungen. Wir zahlen bis zu 95 Prozent. Mich wundert, dass sich manche Bauherren das nicht abholen.“ Auch alle Möbel und Einbauten, die mit der Wand verbunden sind, stehen unter Schutz. Das Bundesdenkmalamt hat die Planerin kontaktiert, deren Namen es nicht nennen will. Jener des Bauherrn steht im Grundbuch.
Donnerstag, neun Uhr früh. Ein Mail von Stefan Tweraser, dem Bauherrn. Er suche den ehrlichen Austausch und weist darauf hin, dass ich illegal in seinem Haus war. „Ich gebe Ihnen gern Auskunft. Was ich nicht will, ist, dass alles schwierig wird.“
Vor drei Monaten hätten er und seine Frau das Bundesdenkmalamt erstmals kontaktiert, der Begehungstermin sei abgesagt worden, derzeit sei der Austausch mit dessen Präsidenten, Christoph Bazil, wieder rege. „Es liegt uns sehr daran, dieses Juwel als Juwel zu erhalten.“ Die Familie will die Haupträume im Originalzustand bewahren und dort sorgsam und doch zeitgemäß wohnen. „Es ist in einem technisch fürchterlichen Zustand. Wir haben begonnen, Heizkörper zu entfernen, es waren nachgegossene aus England. Uns geht es darum, die heikle Balance zwischen Denkmal und Wohnhaus zu erhalten.“
Am Mittwoch, 15. September, beging Tweraser mit Burkhardt Rukschcio, einem weiteren Loos-Experten, die Baustelle. Nichts sei zu beanstanden. „Die Wiener Gerüchteküche bauscht alles auf.“ Donnerstagvormittag war die Baupolizei vor Ort, für 13.30 Uhr ein Besichtigungstermin mit Architekt Ralf Bock vereinbart. Die Dinge nehmen ihren Lauf.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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