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Bäume fällen ist leicht – auch im Wiener Augarten
Der Bestand alter Bäume ist gefährdet. Wenn neu gebaut wird, aus Haftungsfragen, weil das Bewusstsein für ihren Wert fehlt. Der Augarten ist das jüngste Beispiel.
6. Oktober 2021 - Stephanie Drlik
Die positiven Wirkungen von Bäumen sind vielfältig, sie spenden Schatten, filtern die Luft und dienen der Erholung. Außerdem kommen sie als „nature-based solutions“ im Kampf gegen den Klimawandel zum Einsatz. Sie binden und verarbeiten CO2 und kühlen in immer heißer werdenden Städten. Diese wichtigen Klimafunktionen und Ökosystemleistungen haben in den jüngsten Jahren zu einem Umdenken geführt: So werden Gehölze zunehmend zu einem integralen Bestandteil der Stadtstrukturen – in Parks, auf Plätzen und in Straßenräumen, ja sogar auf Dächern und Fassaden dürfen sie mittlerweile wachsen.
Abweichend von der grundsätzlich steigenden Wertschätzung und Bereitschaft, möglichst viele neue Gehölze zu pflanzen, haben es Bestandsbäume hingegen schwerer. Unbedachte und vermeidbare Rodungen oder das systematisierte Kaputtschneiden von Bäumen – das liegt zum Teil an überzogenem Risikomanagement und unsachgemäßem Umgang – ist nach wie vor gängige Praxis. Dabei wäre gerade die Erhaltung ausgewachsener und somit voll klimawirksamer Großgehölze von besonderer Bedeutung.
In der Bundeshauptstadt Wien sind in den vergangenen Jahren sowohl in den großen Erweiterungsgebieten am Stadtrand als auch innerstädtisch etliche neue Wohnquartiere entstanden. Ursprünglich mit teils wertvollen alten Baumbeständen ausgestattet, haben es im allgemeinen Baugeschehen nur sehr wenige dieser ausgewachsenen Bäume in die Nutzungsphase geschafft.
Verpflichtende Ersatzpflanzungen
Dabei wäre die Bereitwilligkeit zur Erhaltung unter den Beteiligten durchaus gegeben gewesen. Bei Bauträgern und Immobilienentwicklern vermutlich weniger aus ökologischen als eher aus ökonomischen Gründen, denn einerseits werten Großgehölze Neubauten enorm auf, andererseits ist das Entfernen von Bäumen im Zuge der Bauphase oft kostspielig: Das seit 1974 in Kraft befindliche Wiener Baumschutzgesetz, das den Schutz und Erhalt von Bäumen in der Stadt regelt, macht Baumfällungen teuer. „Das Baumschutzgesetz schreibt für jeden gesund gerodeten Bestandsbaum mindestens eine verpflichtende Ersatzpflanzung vor“, erklärt Landschaftsarchitekt Erik Meinharter vom Wiener Planungs- und Kommunikationsbüro Plansinn, „wobei sich die Anzahl der Ersatzbäume nach dem Stammumfang des gerodeten Gehölzes bemisst.“
So hat ein großer, gefällter Baum nicht selten fünf bis zehn Ersatzpflanzungen zur Folge. Können im Umgriff bis zu 300 Meter Entfernung keine neuen Bäume untergebracht werden, müssen zweckgebundene Kompensationszahlungen in Höhe von 1090 Euro je nicht erbrachter Ersatzpflanzung geleistet werden.
Das kann auch für finanzstarke Immobilienentwickler durchaus ins Gewicht fallen und das Gesamtprojektbudget belasten. Dass dennoch nur wenige Bäume bei Neubauvorhaben erhalten werden, führt der Experte darauf zurück, dass der Baumbestand oftmals nicht in die Masterplanung einbezogen wird. „Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer frühen Berücksichtigung, idealerweise bereits im städtebaulichen Maßstab, jedenfalls aber noch vor der Widmungsplanung. Denn wenn die Baulinien gezogen werden, wird bestimmt, wo gebaut und somit gerodet werden darf. Verläuft die Baulinie entlang einer Baumreihe, können diese Gehölze in den wenigsten Fällen erhalten werden“, so Meinharter. „Zusätzlich ist bei der Erhaltung von Bäumen im Planungsgebiet die Standsicherheit ein limitierender Faktor“, ergänzt er und verweist auf das drohende Haftungsrisiko, das Baumverantwortliche eingehen.
Gerade im Neubau sind Bauträger daher mit der Pflanzung von kleinen Ersatzbäumchen auf der sichereren Seite. Dass ausgewachsene Bäume jedoch bereits ab dem Bezug der Wohnung Qualitäten haben, die nachgesetzte Ersatzbäume in mittlerer Baumschulqualität erst nach Jahrzehnten des Wachstums erreichen, spielt für die Verantwortlichen oft eine nachgereihte Rolle. „Es erfordert eine gezielte Bewusstseinsbildung, dass wir alle eine große Verantwortung zur Erhaltung der Bäume tragen“, so Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der Wiener Umweltschutzabteilung und Initiatorin der „Österreichischen Baumkonvention“. Die Baumkonvention ist eine Plattform, die sich seit 2017 für den Erhalt von Bäumen einsetzt. Im Fokus stehen besonders jene Baumbestände, die von überschießenden Fällungen oder Angstschnitten aus vorauseilenden Sicherheitserwägungen bedroht sind. Denn die Haftungsfrage beschäftigt längst nicht nur Planer:innen und Bauwerber:innen, sondern alle Baumverantwortlichen, auch Kommunen. Die Sorge, zivil- und strafrechtlich zu haften, wenn es um herabfallende Äste und umstürzende Bäume geht, wächst. Dabei lässt sich dieser Trend weder aus der geltenden Rechtslage noch aus der Judikatur ableiten.
Wann haften Baumverantwortliche?
„Wir brauchen mehr Rechtssicherheit und eine klarere Darstellung, wofür Baumverantwortliche haften und wofür nicht“, fordert Büchl-Krammerstätter. Und da „die Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern“ Teil des türkis-grünen Regierungsprogramms ist, hat sich bereits eine diesbezügliche Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen aus Justiz-, Klima- und Forstministerium formiert. Gemeinsam mit der Baumkonvention, der mittlerweile rund 80 Institutionen und Organisationen den Rücken stärken, könnte eine positive Entwicklung gelingen. „Mich freut, dass alle an einem Strang ziehen, denn dieses wichtige Thema kann man nur gemeinsam stemmen“, so die Initiatorin Büchl-Krammerstätter.
Gemeinsam stemmen derzeit auch Kommunalpolitiker:innen und Bürger:innen den Widerstand gegen drohende Baumfällungen im Wiener Augarten. Für die Errichtung einer Eventzone könnten bis zu 100 Bäume fallen. Es ist zwar immer noch offen, ob und wie viele Bäume gefällt werden, doch allein die Ankündigung möglicher Rodungen hat Unverständnis und zivilgesellschaftlichen Widerstand ausgelöst. Hier benötigen die zuständigen Parkverantwortlichen scheinbar dringend die von Büchl-Krammerstätter als so notwendig erachtete Bewusstseinsbildung. Denn eine öffentliche Parkanlage auf Kosten ihres ökologischen Werts unter dem Vorwand des Denkmalschutzes wirtschaftlich verwertbar zu machen ist in Zeiten von Klimawandel und Artensterben nicht nur widersinnig, sondern auch volkswirtschaftlich zu kurz gedacht. Fast schon ironisch daran ist, dass die für den Wiener Augarten zuständige Abteilung des Landwirtschaftsministeriums die Baumkonvention mit ihrem Appell „Zukunft mit Bäumen – Bäume mit Zukunft“ unterstützt.
Abweichend von der grundsätzlich steigenden Wertschätzung und Bereitschaft, möglichst viele neue Gehölze zu pflanzen, haben es Bestandsbäume hingegen schwerer. Unbedachte und vermeidbare Rodungen oder das systematisierte Kaputtschneiden von Bäumen – das liegt zum Teil an überzogenem Risikomanagement und unsachgemäßem Umgang – ist nach wie vor gängige Praxis. Dabei wäre gerade die Erhaltung ausgewachsener und somit voll klimawirksamer Großgehölze von besonderer Bedeutung.
In der Bundeshauptstadt Wien sind in den vergangenen Jahren sowohl in den großen Erweiterungsgebieten am Stadtrand als auch innerstädtisch etliche neue Wohnquartiere entstanden. Ursprünglich mit teils wertvollen alten Baumbeständen ausgestattet, haben es im allgemeinen Baugeschehen nur sehr wenige dieser ausgewachsenen Bäume in die Nutzungsphase geschafft.
Verpflichtende Ersatzpflanzungen
Dabei wäre die Bereitwilligkeit zur Erhaltung unter den Beteiligten durchaus gegeben gewesen. Bei Bauträgern und Immobilienentwicklern vermutlich weniger aus ökologischen als eher aus ökonomischen Gründen, denn einerseits werten Großgehölze Neubauten enorm auf, andererseits ist das Entfernen von Bäumen im Zuge der Bauphase oft kostspielig: Das seit 1974 in Kraft befindliche Wiener Baumschutzgesetz, das den Schutz und Erhalt von Bäumen in der Stadt regelt, macht Baumfällungen teuer. „Das Baumschutzgesetz schreibt für jeden gesund gerodeten Bestandsbaum mindestens eine verpflichtende Ersatzpflanzung vor“, erklärt Landschaftsarchitekt Erik Meinharter vom Wiener Planungs- und Kommunikationsbüro Plansinn, „wobei sich die Anzahl der Ersatzbäume nach dem Stammumfang des gerodeten Gehölzes bemisst.“
So hat ein großer, gefällter Baum nicht selten fünf bis zehn Ersatzpflanzungen zur Folge. Können im Umgriff bis zu 300 Meter Entfernung keine neuen Bäume untergebracht werden, müssen zweckgebundene Kompensationszahlungen in Höhe von 1090 Euro je nicht erbrachter Ersatzpflanzung geleistet werden.
Das kann auch für finanzstarke Immobilienentwickler durchaus ins Gewicht fallen und das Gesamtprojektbudget belasten. Dass dennoch nur wenige Bäume bei Neubauvorhaben erhalten werden, führt der Experte darauf zurück, dass der Baumbestand oftmals nicht in die Masterplanung einbezogen wird. „Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer frühen Berücksichtigung, idealerweise bereits im städtebaulichen Maßstab, jedenfalls aber noch vor der Widmungsplanung. Denn wenn die Baulinien gezogen werden, wird bestimmt, wo gebaut und somit gerodet werden darf. Verläuft die Baulinie entlang einer Baumreihe, können diese Gehölze in den wenigsten Fällen erhalten werden“, so Meinharter. „Zusätzlich ist bei der Erhaltung von Bäumen im Planungsgebiet die Standsicherheit ein limitierender Faktor“, ergänzt er und verweist auf das drohende Haftungsrisiko, das Baumverantwortliche eingehen.
Gerade im Neubau sind Bauträger daher mit der Pflanzung von kleinen Ersatzbäumchen auf der sichereren Seite. Dass ausgewachsene Bäume jedoch bereits ab dem Bezug der Wohnung Qualitäten haben, die nachgesetzte Ersatzbäume in mittlerer Baumschulqualität erst nach Jahrzehnten des Wachstums erreichen, spielt für die Verantwortlichen oft eine nachgereihte Rolle. „Es erfordert eine gezielte Bewusstseinsbildung, dass wir alle eine große Verantwortung zur Erhaltung der Bäume tragen“, so Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der Wiener Umweltschutzabteilung und Initiatorin der „Österreichischen Baumkonvention“. Die Baumkonvention ist eine Plattform, die sich seit 2017 für den Erhalt von Bäumen einsetzt. Im Fokus stehen besonders jene Baumbestände, die von überschießenden Fällungen oder Angstschnitten aus vorauseilenden Sicherheitserwägungen bedroht sind. Denn die Haftungsfrage beschäftigt längst nicht nur Planer:innen und Bauwerber:innen, sondern alle Baumverantwortlichen, auch Kommunen. Die Sorge, zivil- und strafrechtlich zu haften, wenn es um herabfallende Äste und umstürzende Bäume geht, wächst. Dabei lässt sich dieser Trend weder aus der geltenden Rechtslage noch aus der Judikatur ableiten.
Wann haften Baumverantwortliche?
„Wir brauchen mehr Rechtssicherheit und eine klarere Darstellung, wofür Baumverantwortliche haften und wofür nicht“, fordert Büchl-Krammerstätter. Und da „die Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern“ Teil des türkis-grünen Regierungsprogramms ist, hat sich bereits eine diesbezügliche Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen aus Justiz-, Klima- und Forstministerium formiert. Gemeinsam mit der Baumkonvention, der mittlerweile rund 80 Institutionen und Organisationen den Rücken stärken, könnte eine positive Entwicklung gelingen. „Mich freut, dass alle an einem Strang ziehen, denn dieses wichtige Thema kann man nur gemeinsam stemmen“, so die Initiatorin Büchl-Krammerstätter.
Gemeinsam stemmen derzeit auch Kommunalpolitiker:innen und Bürger:innen den Widerstand gegen drohende Baumfällungen im Wiener Augarten. Für die Errichtung einer Eventzone könnten bis zu 100 Bäume fallen. Es ist zwar immer noch offen, ob und wie viele Bäume gefällt werden, doch allein die Ankündigung möglicher Rodungen hat Unverständnis und zivilgesellschaftlichen Widerstand ausgelöst. Hier benötigen die zuständigen Parkverantwortlichen scheinbar dringend die von Büchl-Krammerstätter als so notwendig erachtete Bewusstseinsbildung. Denn eine öffentliche Parkanlage auf Kosten ihres ökologischen Werts unter dem Vorwand des Denkmalschutzes wirtschaftlich verwertbar zu machen ist in Zeiten von Klimawandel und Artensterben nicht nur widersinnig, sondern auch volkswirtschaftlich zu kurz gedacht. Fast schon ironisch daran ist, dass die für den Wiener Augarten zuständige Abteilung des Landwirtschaftsministeriums die Baumkonvention mit ihrem Appell „Zukunft mit Bäumen – Bäume mit Zukunft“ unterstützt.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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