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Die Stadt ist auch ein Museum: Erlebbar ist Architektur am direktesten in Echtgrösse. Sie auszustellen, ist schwieriger
Auch alltägliche Bauten verdienen Räume der Reflexion. Es wurde gefragt, ob es ein neues Schweizer Architekturmuseum brauche. Nur: Es gibt schon eins.
19. Oktober 2021 - Sabine von Fischer
Darf ein Museum ohne Sammlung diesen Titel überhaupt tragen? In der Architektur auf jeden Fall, denn das einzige Architekturmuseum der Schweiz führt keine Sammlungsbestände und trägt den Namen trotzdem seit seiner Gründung vor fast vierzig Jahren. Seine Ausstellungen speist es aus den Archiven und Sammlungen anderer, besser ausgestatteter Institutionen.
Nun stellte vor kurzem eine Veranstaltung die Frage «Braucht die Schweiz ein (neues) Architekturmuseum?» und löste so im Vorfeld etliche Irritationen aus. Beherbergen die Räume am Steinenberg in Basel etwa kein Architekturmuseum? Vorab sei verraten: Der in Fachkreisen prominent beworbene und mehrmals verschobene Abend verlief dann vergleichsweise friedlich, zumal sich die Auslegeordnung als verwickelt erwies, keine Lösungen in Aussicht sind und der MoMA-Architektur-Chefkurator Martino Stierli als charmanter Moderator auch dem Direktor des real existierenden Architekturmuseums, Andreas Ruby, der im Publikum sass, das Wort gab.
Museumswelt kopfüber
Offenkundig ist, dass der Jurist Florian Schmidt-Gabain seine Reformvorschläge nicht mehr auf die bildenden Künste beschränkt, sondern auch die Architektur in eine mögliche Neuordnung der Museumswelt mit einbezieht. Unlängst hat er sich mit einer Sprengkandidatur gegen die Ende September verstorbene Anne Keller Dubach als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft beworben. Bereits 2019 hatte er zusammen mit dem Literaturwissenschafter Thomas Strässle ein Zentrum für künstlerische Nachlässe gegründet, das nun als Think-Tank konzeptionelle und praktische Lösungen anbieten will: Eine Ratgeberbroschüre für Musikernachlässe hat der Verein bereits veröffentlicht.
Es zeigte sich an diesem Abend: Architektur sammeln und zeigen ist schwieriger, als man vorerst denken könnte. Ausstellungen entstehen in erster Linie aus Werken der bildenden Künste. Die Architektur aber formt Wohnungen, Strassenzüge, Städte, lauter alltägliche Situationen. Sie lässt sich nur in Repräsentationen und Übersetzungen an die Wand hängen oder in einem Raum aufstellen. Trotzdem benötigt die im Alltag allgegenwärtige Architektur genauso wie die Kunst auch Räume der Reflexion. So jedenfalls argumentierte Madeleine Schuppli von Pro Helvetia und schloss an das Eingangsreferat des emeritierten Kunstgeschichtsprofessors Stanislaus von Moos an. Auch er, der in den Zeiten, als es im Zürcher Museum für Gestaltung noch Architekturausstellungen gab, solche selbst kuratiert hatte, stellte fest: Architektur gehört in den Alltag. Die Stadt selbst ist der wichtigste aller Orte, in denen Architektur ausgestellt werden kann.
Auf den Kopf gestellt wurde an der mit Spannung erwarteten Veranstaltung nichts. Kopfvoran aber mischt sich das noch junge Zentrum für künstlerische Nachlässe in grosse Fragen ein: Wer sammelt was, wo, wie viel und für wen?
Im Ausland scheint es um die Sammlungen der Architekturmuseen besser bestellt zu sein: Die Gründungslegende zum Deutschen Architekturmuseum beispielsweise, ob sie nun wahr ist oder nicht, zielt auf das Bewahren und Ausstellen der Baukunst. Sie geht so: Als der spätere Museumsgründer Heinrich Klotz in Chicago auf ein Treffen mit Mies van der Rohe wartete, wurde er Zeuge, wie die Modelle fertiggestellter Projekte entsorgt wurden, und begann mit Ankäufen von Materialien zeitgenössischer Baukünstler, welche dann die Grundlage des 1984 eingeweihten Architekturmuseums in Frankfurt bildeten.
Die deutsche Sammlung mag gemessen an berühmten Kunstmuseen verhältnismässig jung und klein sein, aber es gibt sie, wie auch in den Nachbarländern Österreich und Frankreich. In Rotterdam entstand durch das Zusammenführen von Archiv, Bibliothek und Ausstellungsraum 1993 sogar die riesige Institution Netherlands Architecture Institute, wie die niederländische Kuratorin Anneke Abhelakh in ihrem Rundgang durch Europas Institutionen ausführte. 2013 allerdings wurde der erfolgreiche Zusammenschluss in den Niederlanden infolge Budgetkürzungen wieder aufgehoben, die Archive wurden immerhin beibehalten.
Abfallberg oder Sammlergut?
Architektennachlässe hieven die Sammlungsfrage nur schon wegen ihrer teilweise riesigen Volumen in ganz andere dreidimensionale Sphären. Enorm gross ist auch das auf Einladung zugängliche Lager, das Herzog & de Meuron Architekten im Basler Dreispitz für ihre eigene Arbeit gebaut haben. Die H&dM-Partnerin Christine Binswanger weiss selbst gut genug, dass eine solche private Lösung die Ausnahme bleiben wird. Welche Institution hätte Platz für einen solchen riesigen Vor- oder Nachlass? Dem Grossteil der Archive wird weiterhin die Endstation Mülldeponie drohen – zumindest solange es nicht einmal eine Strategie gibt, welche Stücke aus den naturgemäss umfangreichen Architektennachlässen überhaupt aufbewahrt werden sollen.
Zwar haben in der Schweiz die drei Hochschulen in Zürich, Lausanne und Mendrisio umfangreiche Sammlungen, die immer wieder in den dezentral verteilten Ausstellungsräumen ans Licht gelangen. Wer aber, wenn nicht das Bundesamt für Kultur, soll solche Kooperationen finanzieren? Dieses aber hat dem (real existierenden) Schweizerischen Architekturmuseum vor vier Jahren auch noch die schlanken 300 000 Franken Unterstützung gestrichen. Bereits vergleichsweise kleinen Institutionen fehlt es an Ressourcen. Die Kritik an der Sparpolitik des Bundes wurde im Lauf des Abends lauter. Wie kann die Schweiz eine Baukultur pflegen, wenn keiner für sie einsteht?
Allerdings scheiterten auch schon andere beim Einrichten grandioser Architektursammlungen: Mitten in den Wirren der Französischen Revolution gingen die Absichten für einen festen Platz der Baukunst im Louvre ins Leere. Dies erzählte Stanislaus von Moos an der eingangs erwähnten Diskussionsveranstaltung. Die französischen Sammlungsstücke wurden in aller Eile in einem leer geräumten Klosterkomplex im Quartier Latin untergebracht. In der Schweiz ist es nun nicht ganz so chaotisch wie in Paris um 1791, trotzdem scheint sich keine praktische Lösung abzuzeichnen. Ausserhalb der Hochschulen fehlt es schlicht an Platz und Ressourcen für das Architektur-Sammeln.
Nun stellte vor kurzem eine Veranstaltung die Frage «Braucht die Schweiz ein (neues) Architekturmuseum?» und löste so im Vorfeld etliche Irritationen aus. Beherbergen die Räume am Steinenberg in Basel etwa kein Architekturmuseum? Vorab sei verraten: Der in Fachkreisen prominent beworbene und mehrmals verschobene Abend verlief dann vergleichsweise friedlich, zumal sich die Auslegeordnung als verwickelt erwies, keine Lösungen in Aussicht sind und der MoMA-Architektur-Chefkurator Martino Stierli als charmanter Moderator auch dem Direktor des real existierenden Architekturmuseums, Andreas Ruby, der im Publikum sass, das Wort gab.
Museumswelt kopfüber
Offenkundig ist, dass der Jurist Florian Schmidt-Gabain seine Reformvorschläge nicht mehr auf die bildenden Künste beschränkt, sondern auch die Architektur in eine mögliche Neuordnung der Museumswelt mit einbezieht. Unlängst hat er sich mit einer Sprengkandidatur gegen die Ende September verstorbene Anne Keller Dubach als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft beworben. Bereits 2019 hatte er zusammen mit dem Literaturwissenschafter Thomas Strässle ein Zentrum für künstlerische Nachlässe gegründet, das nun als Think-Tank konzeptionelle und praktische Lösungen anbieten will: Eine Ratgeberbroschüre für Musikernachlässe hat der Verein bereits veröffentlicht.
Es zeigte sich an diesem Abend: Architektur sammeln und zeigen ist schwieriger, als man vorerst denken könnte. Ausstellungen entstehen in erster Linie aus Werken der bildenden Künste. Die Architektur aber formt Wohnungen, Strassenzüge, Städte, lauter alltägliche Situationen. Sie lässt sich nur in Repräsentationen und Übersetzungen an die Wand hängen oder in einem Raum aufstellen. Trotzdem benötigt die im Alltag allgegenwärtige Architektur genauso wie die Kunst auch Räume der Reflexion. So jedenfalls argumentierte Madeleine Schuppli von Pro Helvetia und schloss an das Eingangsreferat des emeritierten Kunstgeschichtsprofessors Stanislaus von Moos an. Auch er, der in den Zeiten, als es im Zürcher Museum für Gestaltung noch Architekturausstellungen gab, solche selbst kuratiert hatte, stellte fest: Architektur gehört in den Alltag. Die Stadt selbst ist der wichtigste aller Orte, in denen Architektur ausgestellt werden kann.
Auf den Kopf gestellt wurde an der mit Spannung erwarteten Veranstaltung nichts. Kopfvoran aber mischt sich das noch junge Zentrum für künstlerische Nachlässe in grosse Fragen ein: Wer sammelt was, wo, wie viel und für wen?
Im Ausland scheint es um die Sammlungen der Architekturmuseen besser bestellt zu sein: Die Gründungslegende zum Deutschen Architekturmuseum beispielsweise, ob sie nun wahr ist oder nicht, zielt auf das Bewahren und Ausstellen der Baukunst. Sie geht so: Als der spätere Museumsgründer Heinrich Klotz in Chicago auf ein Treffen mit Mies van der Rohe wartete, wurde er Zeuge, wie die Modelle fertiggestellter Projekte entsorgt wurden, und begann mit Ankäufen von Materialien zeitgenössischer Baukünstler, welche dann die Grundlage des 1984 eingeweihten Architekturmuseums in Frankfurt bildeten.
Die deutsche Sammlung mag gemessen an berühmten Kunstmuseen verhältnismässig jung und klein sein, aber es gibt sie, wie auch in den Nachbarländern Österreich und Frankreich. In Rotterdam entstand durch das Zusammenführen von Archiv, Bibliothek und Ausstellungsraum 1993 sogar die riesige Institution Netherlands Architecture Institute, wie die niederländische Kuratorin Anneke Abhelakh in ihrem Rundgang durch Europas Institutionen ausführte. 2013 allerdings wurde der erfolgreiche Zusammenschluss in den Niederlanden infolge Budgetkürzungen wieder aufgehoben, die Archive wurden immerhin beibehalten.
Abfallberg oder Sammlergut?
Architektennachlässe hieven die Sammlungsfrage nur schon wegen ihrer teilweise riesigen Volumen in ganz andere dreidimensionale Sphären. Enorm gross ist auch das auf Einladung zugängliche Lager, das Herzog & de Meuron Architekten im Basler Dreispitz für ihre eigene Arbeit gebaut haben. Die H&dM-Partnerin Christine Binswanger weiss selbst gut genug, dass eine solche private Lösung die Ausnahme bleiben wird. Welche Institution hätte Platz für einen solchen riesigen Vor- oder Nachlass? Dem Grossteil der Archive wird weiterhin die Endstation Mülldeponie drohen – zumindest solange es nicht einmal eine Strategie gibt, welche Stücke aus den naturgemäss umfangreichen Architektennachlässen überhaupt aufbewahrt werden sollen.
Zwar haben in der Schweiz die drei Hochschulen in Zürich, Lausanne und Mendrisio umfangreiche Sammlungen, die immer wieder in den dezentral verteilten Ausstellungsräumen ans Licht gelangen. Wer aber, wenn nicht das Bundesamt für Kultur, soll solche Kooperationen finanzieren? Dieses aber hat dem (real existierenden) Schweizerischen Architekturmuseum vor vier Jahren auch noch die schlanken 300 000 Franken Unterstützung gestrichen. Bereits vergleichsweise kleinen Institutionen fehlt es an Ressourcen. Die Kritik an der Sparpolitik des Bundes wurde im Lauf des Abends lauter. Wie kann die Schweiz eine Baukultur pflegen, wenn keiner für sie einsteht?
Allerdings scheiterten auch schon andere beim Einrichten grandioser Architektursammlungen: Mitten in den Wirren der Französischen Revolution gingen die Absichten für einen festen Platz der Baukunst im Louvre ins Leere. Dies erzählte Stanislaus von Moos an der eingangs erwähnten Diskussionsveranstaltung. Die französischen Sammlungsstücke wurden in aller Eile in einem leer geräumten Klosterkomplex im Quartier Latin untergebracht. In der Schweiz ist es nun nicht ganz so chaotisch wie in Paris um 1791, trotzdem scheint sich keine praktische Lösung abzuzeichnen. Ausserhalb der Hochschulen fehlt es schlicht an Platz und Ressourcen für das Architektur-Sammeln.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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