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Wien und Klosterneuburg: Luxus am Donauufer
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Ein Küstenspaziergang in Wien und Klosterneuburg zeigt: Leben am Wasser wird zur finanziell luxuriösen Angelegenheit – und der freie Zugang zur Donau immer mehr eingeschränkt.

21. Oktober 2021 - Judith Eiblmayr
Die Lockdowns haben für die Stadtbewohner:innen eine Beschäftigung populär gemacht, die nicht ohne Weiteres in den Arbeitsalltag integriert werden kann: das Flanieren durch leere Straßenzüge und das Wandern in Vororten und auf den Hausbergen. Als der Radius für Ausflugsziele behördlich eingeschränkt wurde, der Bewegungsdrang jedoch ausgelebt werden wollte, wurden Stadtwanderungen in der Kleingruppe gerne auf die Agenda gesetzt.

In Wien bieten sich 14 Stadtwanderwege an, und wer mit Nr. 1 beginnt, kann eine gemütliche Runde über den Kahlenberg spazieren. Wenn man diese Strecke um eine Schleife ausweitet, gelangt man ins benachbarte Klosterneuburg und ist auf dem Rückweg nach Wien entlang der Donau erstaunt, welche architektonischen Neuerungen sich präsentieren. Bereits auf der Rückseite des Kahlenbergs, den Josefsteig bergab schlendernd, kann man sich an alten spitzgiebeligen Häuschen und neuen flachgedeckten Bauten unterschiedlicher Stilrichtungen erfreuen, welche die Qualität der Hanglage eint. Spaziergänger:innen werden an dieser Stelle belohnt, denn es ist ein beeindruckendes Panorama, das sich Richtung Nordosten erschließt: über das Stift Klosterneuburg und die Auen der Donau hinweg auf den Wagram linkerhand, die Burg Kreuzenstein mittig und auf Donaustrom und Bisamberg rechterhand. Da fällt der Abstieg nach Weidling fast schwer, wenn der Blick mit jedem Schritt an Weite verliert.

Am Donauufer angekommen, führt der Weg zurück nach Wien und hält für die architekturinteressierten Flaneur:innen einige neue Objekte bereit: Die „Cabanas Kuchelau“ stehen am Ufer des Kuchelauer Hafenbeckens und sind schicke, schwarz getäfelte zweigeschoßige Hütten mit 42 Quadratmeter Nutzfläche und Dachterrasse, dicht an dicht aufgefädelt und über einer Schotterfläche aufgestelzt. Ostseitig zum Wasser hin ist jeweils ein kleines Holzdeck vorgelagert und eine Loggia ausgebildet, um Privatsphäre herzustellen, ein Detail, das man von den konventionellen Wiener Kabanen, wie stromabwärts im Gänsehäufel, kennt. Diese sind zwar bedeutend kleiner, nämlich nur zwei Quadratmeter groß, beschattet von altem Baumbestand, umgeben von Wiesen und der Alten Donau und nach wie vor ein beliebtes Kleinod zum Ausspannen – die jahrelange Wartezeit auf ein mietbares Hütterl mit gedecktem Vorplatz zeugt von deren Beliebtheit.

Ein wesentlicher Unterschied zu den „Cabanas“ ist allerdings der Preis. Während im städtischen Bad auf Leistbarkeit geachtet wird, kostet die Hütte auf Pachtgrund in Uferlage in der Kuchelau 290.000 Euro. Die London Docklands sind es zwar nicht, aber die Verwertung der Grundstücke am schmalen Hafenbecken, früher mit Werften und Industriebetrieben bebaut, wie einem Stadtplan von 1929 im Klosterneuburger Stadtarchiv zu entnehmen ist, lässt erahnen, dass Investoren hier angelegt haben. Der Kuchelauer Hafen wurde Ende des 19. Jahrhunderts durch Errichtung eines Dammes parallel zur Donau ausgebildet, um den Schiffen als Wartebereich zu dienen, bevor sie nach Wien einfuhren. Neben Fabriken siedelten sich die in Mode gekommenen Ruderklubs mit ihren Bootshütten an, denn das gut zwei Kilometer lange und 50 bis 80 Meter breite Hafenbecken war ein günstiger Ort für Wassersportler:innen, im Boot oder im Badeanzug: „Sie träumen vom nächsten Sonntag, der ihnen Wasser, Luft und Sonne bringen wird“, wie im Artikel „In der Kuchelau“ von 1929 nachzulesen und auch heutzutage zutreffend ist.

Im Zweiten Weltkrieg erhielt der Hafen mit Errichtung der Marinekaserne direkt am Ufer militärische Bedeutung. Die Auen vor Klosterneuburg waren seit der Donauregulierung mit militärischen Anlagen bebaut, wovon die Namensgebung der „Pionierinsel“ drei Kilometer oberhalb der Kuchelau noch immer zeugt. Während dort kleine Holzhütten auf Stelzen kunterbunt nebeneinanderstehen, gerät die Kuchelauer Uferstraße optisch zu einem Sperrgebiet. Nicht nur die Tegetthoff-Kaserne wurde zu Luxuswohnungen umgebaut, nördlich davon, direkt anschließend an die „Cabanas“, schottet eine mehrgeschoßige Wohnbebauung zum Ufer hin ab. Auf dem ehemaligen militärischen Gelände südlich der jetzigen „Mietskaserne“ ragen kantige Spundwände aus dem Erdreich und zäunen eine Baustelle mit dicht an dicht betonierten Rohbauten ein. Zu statisch und abweisend sind die profilierten Stahlplatten, als dass Richard Serra daran eine Freude hätte, wobei dieses Readymade ohnehin temporär ist, wenn nach Ende der Bauarbeiten die Spundwände bodengleich abgeschnitten werden und der ewigen Baugrubensicherung gegen eindringendes Grundwasser dienen. Ein Energiekreis der anderen Art.

„The Shore“ nennt sich das Projekt im Luxussegment, und der Flaneur fragt sich umgehend, ob es nicht besser „The Edge“ oder vielmehr „Over the Edge“ heißen sollte: Hat man hier den Wagram mit einer Küste verwechselt, womöglich den Hafen mit einem Haff oder gar den Schutzdamm mit einer Nehrung? Ein Blick auf die Verkaufsseite der Errichtergesellschaft lässt dies vermuten, denn die Startseite zeigt, dass die Kleingartenhäuschen vis-à-vis am Ufer des Dammes zum Donaustrom kurzerhand ausgeblendet – um nicht zu sagen: ausradiert – wurden, sie hätten wohl den Blick in die vermeintliche Parklandschaft gestört. Eine Steilküste ist es nicht, auf der die Luxuswohnungen errichtet werden, vielmehr ein Flussufer, daher stellt sich die Frage zur potenziellen Hochwassergefahr. Seitens der MA 45 – Wiener Gewässer wird beruhigt, das Wasser könne sich ausreichend ausweiten, Überschwemmungen der Häuser oder Tiefgaragen seien nicht zu befürchten. Ein Foto von 2002, das von Barbara Weiss (Stadtarchiv Klosterneuburg) gefunden wurde, zeigt zwar das Hochwasser an der Kasernenmauer, aber womöglich ist dies Teil der Marketingstrategie von „Living the Shore Way of Life“: Ein wenig Strombad-Gefühl gehört wohl dazu, wenn nach dem Hochwasser die Gärten von Schlamm befreit werden müssen und die Gelsenbrut gedeiht.

Ein Verweis auf das vormalig wilde Ufer, das Raum für Hochwasser, Fauna und Flora bot, ist am nördlichen Hafenende auf einem Schild zu finden: „Reptilienschutzzone – Betreten verboten!“ Nachforschungen ergeben, dass es sich hierbei um Ersatzstrukturen zur Arterhaltung der Würfelnatter handelt, die bislang an den Uferböschungen des Kuchelauer Hafens und „im Wiesenbereich der Kaserne“ ihren Lebensraum hatte. Die Schlangen verbleiben artgeschützt in Nachbarschaft der Luxuswohnungen – wäre da nicht „Wild Coast“ ein sinnstiftender Projektname gewesen? Wien ist jedenfalls um eine virtuelle tektonische Attraktion reicher, und die Stadtwanderung kann zum Küstenspaziergang umformuliert werden. Schade allerdings, dass diese „Küste“ immer mehr verbaut und für die Allgemeinheit der Wasserzugang zusehends eingeengt wird.

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Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

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