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Hervorragende Designerinnen gibt es viele. Jetzt stehen ihre Werke im Rampenlicht
Neue Zürcher Zeitung

Statt über die Benachteiligung von Frauen zu jammern, braucht es Ausstellungen wie «Here We Are!».

16. November 2021 - Sabine von Fischer
Bunt und beige, kantig und geschwungen bespielen die Tassen, Liegen und Stoffe die Museumsräume und kümmern sich nicht um die Frage nach einem gemeinsamen Stil. Es geht hier um anderes: Die derzeitige Ausstellung auf dem Vitra-Campus widerlegt die landläufige Annahme, dass das weibliche Geschlecht zu wenig bleibende Beachtung fände – und bespielt eine ganze Ausstellung mir ihren Werken.

Viele Werke erfolgreicher Frauen wurden zur Zeit ihres Erscheinens publiziert, kritisiert, ausgestellt, gefilmt. Die zeitgenössische Literatur nannte ihre Namen. Doch später wurden sie kaum mehr gezeigt. Designerinnen und Designerinnen-Teams tauchten im ganzen letzten Jahrhundert zwar immer wieder auf, aber meist nur für kurze Momente. Darüber könnte man nun jammern und Frauen darob zu Opfern stilisieren, aber dies würde sie erst zu solchen machen. Also ist eine andere Taktik angesagt: Die üppigen und vielfältigen Arbeiten brauchen mehr Rampenlicht.

Perspektivenwechsel

«Here We Are!» betiteln nun die Kuratorinnen die umfangreiche Schau im Vitra Design Museum und gehen der Frage nach, warum die späteren Generationen die Werke so selten für Ausstellungen auswählten: Waren sie nicht genial genug? Entsprachen sie nicht dem klassischen Kanon?

Ein Satz der Kuratorin Susanne Graner, fast beiläufig während des Gangs durch die Ausstellung fallengelassen, ist besonders bemerkenswert: «Beim Vorbereiten ist uns einmal mehr bewusst geworden, wie viele Entwürfe von Designerinnen in unserer Sammlung bereits vorhanden waren.» Als Leiterin der Sammlung des Vitra Design Museum mit gut 7000 Möbeln kennt Susanne Graner die Bestände seit elf Jahren sehr genau. Und allen Vorurteilen zum Trotz, dass es vielleicht nicht genügend Frauenarbeiten gebe, konnte auch die derzeitige Schau mit Werken von gut 80 Designerinnen zum grössten Teil aus dem eigenen Archiv bespielt werden.

Einzelne Neuzugänge kamen im Rahmen der Vorbereitungen dazu, beispielsweise ein Gartenstuhl der umtriebigen deutschen Innenarchitektin Herta-Maria Witzemann (1918–1999). Im Lauf der Ausstellungsvorbereitung wurde die hauseigene Präsenzbibliothek um einige von deren Büchern ergänzt und auch um solche der St. Galler Architektin Berta Rahm (1910–1998). Unter der Buchvitrine steht Rahms für ein Haus in Hohfluh entworfener Holzstuhl, der seit 2000 in zwei Exemplaren in der Sammlung vorhanden ist.

Während Witzemann eine durchaus erfolgreiche Karriere erlebte, an Hochschulen lehrte und Präsidentin des Berufsverbands wurde, durfte Rahm trotz Wettbewerbserfolgen und ausgezeichneten Fachkenntnissen viele ihrer Projekte nicht ausführen, prozessierte erfolglos gegen die Männerbünde und musste ihren Beruf 1966 schliesslich aufgeben. Die Bücher in der Ausstellung erschienen in ihrem in der Folge gegründeten feministischen Ala-Verlag. Kürzlich wurden Teile ihres Werks an der ETH Zürich und im Zentrum für Architektur Zürich (ZAZ) ausgestellt, und auch in «Here We Are!» erhält sie einen prominenten Auftritt – mit einer grossen Fotografie ihres Pavillonanbaus für die Schweizer Ausstellung für Frauenarbeit («Saffa») von 1958.

Design-Ikonen und Unbekannte

Design-Ikonen und Möbelklassiker gibt es in der Sammlung ebenfalls: So sind Stücke von Aino Aalto, Gae Aulenti, Ray Eames, Eileen Gray, Charlotte Perriand und Lilly Reich seit langem umfangreich dokumentiert. In den meisten Fällen gingen diese Frauen – ungeachtet der fehlenden Anerkennung – ihren gestalterischen Berufungen dank ausgiebigen finanziellen Mitteln aus einem Familienerbe oder einer Partnerschaft mit einem männlichen Kollegen (oft beidem) nach.

Eine, die um Anerkennung kämpfte, war die Bauhaus-Studentin und -Meisterin Gunta Stölzl (1897–1983). Besonders freut Susanne Graner ein Zufallsfund aus ihrem Schaffen: Ein wunderbarer Wandteppich der bedeutenden Weberin und Textildesignerin aus dem Archiv der Schule für Gestaltung Basel ist als Leihgabe in die Schau integriert. Zwar wird immer wieder erzählt, wie das Bauhaus im Gegensatz zu anderen Schulen viele Frauen aufgenommen habe. Dass sie aber nur bestimmte Fächer, wie Keramik und Textil, belegen konnten und wenig vom Bauhaus-Rampenlicht abbekamen, empfanden sie – nachvollziehbar – als unbefriedigend (mehr dazu auch in der Schau «Vergessene Bauhaus-Frauen», Bauhaus-Museum, Weimar, bis 3. Januar 2022).

In der Ausstellung des Vitra Design Museum erfährt man ausserdem, dass parallel zum Bauhaus eine Designschule nur für Frauen in Loheland gegründet wurde und vieles mehr. Zwischen Möbeln, Teppichen, Büchern und Filmmaterial gibt es Keramiken zu bestaunen, etwa von Eva Zeisel, die 1938 in die USA emigrierte und im Museum of Modern Art in New York eine Einzelausstellung ausgerichtet bekam. Andere, wie ihre Zeitgenossin Trude Petri, blieben unbekannt, weil ihre Namen in den Firmen, in denen sie angestellt waren, nie hervorgehoben wurden. Auch die russische Weltraumdesignerin Galina Balaschowa (* 1931) entwarf weit mehr, als sie dann auch signierte. Die Kosmonauten erinnern sich bestens an ihre Arbeit, die Designgeschichte holt nun auf. So sind in Weil am Rhein ein aus dem Moskauer Kosmonautenmuseum geliehenes Interview und Bildmaterial zu ihren futuristischen Interieurs für Raumkapseln zu sehen.

Die Ausstellung erzählt von schönen und intelligenten Objekten, aber auch von der Geduld und Ungeduld, von Engagement, Frustrationen und Erfolgen der Designerinnen. Die vier Räume der Ausstellung sind, beginnend um 1900, chronologisch geordnet und zeigen bestimmte Entwicklungen auf: So gab es bei der Heimarbeit keine Autorschaft, handwerkliche Arbeit blieb fast immer anonym. Erst Reformbewegungen und Industrialisierung im 20. Jahrhundert eröffneten Berufsfelder, in denen Frauen tätig werden und ihre Entwürfe oft auch signieren konnten.

Vorwürfe, dass Frauenarbeiten einem abwertenden Blick unterworfen gewesen und sogar systematisch übersehen worden seien, treffen auf die Rezeption vieler der hier gezeigten Protagonistinnen zu. Die Co-Kuratorin Nina Steinmüller sprach anlässlich der Eröffnung mit Nachdruck von der jungen Generation, Viviane Stappmanns, die dritte im Bunde der Kuratorinnen, von den «Leerstellen» in der Designgeschichte. Und der Museumsdirektor Mateo Kries stellte fest, dass die Vorbereitungen für diese Übersichtsschau auch eine tiefgreifende Reflexion über die Sammlungskriterien ausgelöst habe.

Sogar wenn es so war, dass für Werke von Frauen andere Massstäbe als für jene der männlichen Kollegen galten – es gibt keinen Grund, dies für die gegenwärtige und zukünftige Generationen zu wiederholen. Dafür braucht es nicht «Women only»-Shows (auch diese hier ist keine, denn viele dieser Frauen arbeiteten gemeinsam mit Partnern), sondern Aufmerksamkeit und Teamwork.

Auch das Schaudepot auf dem Vitra-Campus wurde mit dem Titel «Spot On. Designerinnen in der Sammlung» neu eingerichtet. Die auf Entwürfen von Frauen basierenden Objekte sind in den Regalen speziell gekennzeichnet. Auf den Podesten stehen neben Highlights der jüngeren Generation auch Ikonen wie Zaha Hadids «Mesa Table» von 2007.

Und nicht nur im Vitra Design Museum gibt es mehr Werke von Frauen in der Sammlung als gemeinhin angenommen. Im Museum of Modern Art in New York wurde Ähnliches festgestellt. Der Schweizer Martino Stierli, Chefkurator für Architektur und Design, stellte im letztjährigen Interview mit der NZZ fest, dass die Bestände des Museums gar nicht so homogen seien: «Die grosse Überraschung war nämlich, dass diese enorm grosse Sammlung viel diverser ist, als wir das alle gedacht hätten.»

Ein Blick in die Zukunft

Also liegt es in den Händen der gegenwärtigen Generation, die Erinnerung an das gestalterische Schaffen zu bewahren. So hat die über achtzigjährige Schweizer Innenarchitektin Verena Huber gemeinsam mit elf weiteren Personen im letzten Juli stilgerecht in der Zürcher «Kronenhalle»-Bar das Archiv Innenarchitektur Schweiz (AIS) gegründet. Anwesend waren als Gründungsgäste auch das legendäre Paar Trix und Robert Haussmann. Die Bar ist Teil seines Frühwerks, und Robert Haussmanns kürzlicher Tod unterstreicht, wie dringlich das Aufbewahren auch für die Designgeschichte ist. Der Verein fordert alle über achtzigjährigen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen dazu auf, ihren Vorlass zu ordnen, damit dafür ein Archiv gefunden werden könne.

Weil am Rhein ist nur die erste Station dieser Ausstellung. Die Kuratorinnen von «Here We Are!» fordern nun die an einer Übernahme interessierten Ausstellungshäuser dazu auf, in ihre eigenen Archive zu schauen. Die Kunsthalle Rotterdam hat sich bereits dazu verpflichtet, die Schau fürs eigene Haus zu erweitern und dafür die eigene Sammlung unvoreingenommen nach Designerinnen-Werken abzusuchen. Wie viel es dort wohl jenseits des etablierten Kanons zu entdecken gibt?

Die Frage nach neuen Blickwinkeln verschiebt das Problem der unterrepräsentierten Frauen aus der Vergangenheit in die Gegenwart: Nicht die Archive, sondern die Auswahlkriterien sind das Problem. Schönheit mag in den Augen der Betrachter entstehen. Sichtbarkeit aber braucht mehr, nämlich einen zugewandten Blick und die Bereitschaft, die Objekte aus den Kellern ans Licht zu holen.

[ «Here We Are! Frauen im Design 1900 bis heute», Vitra Design Museum / «Spot On. Designerinnen in der Sammlung», Schaudepot, Vitra-Campus, Weil am Rhein (mit Tram 8 direkt vom Basler Bahnhof erreichbar), bis 6. März 2022. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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