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Aus jeder Fuge sprießt Grün
Neue Zeiten, neue Sitten: Die Landschaftsarchitektur entdeckt das parametrische Entwerfen als Schlüssel zur Nachhaltigkeit. Das Schweizer Büro Bryum zeigt, wie es gehen kann.
26. November 2021 - Stephanie Drlik
Digitale Planungs- und Entwurfsprogramme wie Computer-Aided Design (CAD) und Building Information Modeling (BIM) sind längst im Arbeitsalltag aller Planungsdisziplinen angekommen; die Ausführung und Abstimmung digitaler Anwendungen nehmen mittlerweile einen überwiegenden Teil der Arbeit ein. Doch digitales Planen kann mehr bedeuten, als bloß das alltägliche Arbeiten in den digitalen Raum zu verlegen. Es gibt Ansätze, die den Anspruch haben, veränderte Strategien des Entwerfens anzustoßen. BIM hilft Planer:innen zwar, in den herkömmlichen Systemen effizient und smart zu arbeiten, doch was, wenn wir das bisherige System des Planens und Bauens verlassen wollen?
Eine völlig neue Dimension eröffnet das sogenannte parametrische Entwerfen. Es beruht auf einem System, das nicht das finale Objekt, sondern vielmehr den Prozess des Entwerfens in den Fokus rückt. Dabei werden die einzelnen Elemente durch Parameter festlegt, die miteinander korrespondieren. Verändert man einen, reagieren auch die anderen Parameter. Im Gegensatz zu herkömmlichen Entwurfsmethoden sind digitale parametrische Prozesse ständig in Bewegung. Statt hintereinander gesetzter, statischer Schritte legt die Planerin oder der Planer Systemregeln fest. Im Zusammenspiel des Regelwerks werden Lösungen vorgeschlagen – folglich werden die assoziative Verknüpfung der Parameter und die Abbildung der Abhängigkeiten handlungsleitend.
Durch die scheinbar unaufhörlich steigende Komplexität der Aufgabenstellungen in unserer Zeit ist solch eine flexible Methode zunehmend gefragt und findet auch schon in Bereichen wie der Architektur oder dem Industrial Design Anwendung. In der Landschaftsarchitektur hingegen, die Entwürfe aus dem Kontext ableitet und mit stark veränderlichen Komponenten arbeitet, steht das parametrische Entwerfen erst am Beginn. Zumindest hierzulande, denn blickt man über die Grenzen Österreichs, gibt es bereits durchaus spannende Ansätze. Einer der parametrischen Vorreiter ist Bryum, ein Landschaftsarchitektur- und Stadtentwicklungsbüro mit Sitz in Basel und einem Faible für große Herausforderungen. „Wir haben in unserem Büro die Prämisse, rund 80 Prozent unserer Arbeitszeit an Projekten zu arbeiten, mit denen wir auch Geld verdienen müssen. Doch die restlichen 20 Prozent unseres Aufwands investieren wir in Projekte und Ideen, in denen für uns ein Stück Zukunft steckt. Wir versuchen, der Gesellschaft so etwas zurückzugeben“, erklärt Daniel Baur, einer der Geschäftsführer von Bryum.
„Die Landschaftsarchitektur hat zur Lösung der Probleme unserer Zeit unheimlich viel anzubieten, doch wir wissen noch nicht genug darüber, wie die unterschiedlichen Bereiche der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit zusammenhängen.“ Beim traditionellen Entwerfen steht das Objekt, das am Ende herauskommen soll, im Zentrum. Doch bei der Planung von Städten und Lebensräumen ist vielmehr der interdisziplinäre Entwurfsprozess, die Frage, wie man zu diesem Objekt kommt, die eigentliche schöpferische Arbeit: „Für uns ist das parametrische Entwerfen, das Definieren und Vernetzen der Parameter, so zielführend“, schließlich geht es Daniel Baur vor allem um das Verstehen des Zusammenspiels neuer landschaftsarchitektonischer Parameter.
Eines der parametrischen Pionierprojekte von Bryum entstand zwischen 2014 und 2018. Der Pocket-Park Roche im schweizerischen Kaiseraugst wurde vom Entwurf bis zum Bau digital und parametrisiert entwickelt. Der kleine Park/Platz-Hybrid liegt inmitten eines großen Areals eines Pharmaunternehmens, umgeben von sechsgeschoßigen Bürogebäuden. Die Anforderungen waren enorm: Der Platz sollte Aufenthalts-, Durchgangs- und Veranstaltungsraum für 800 bis 1000 Menschen sein, die ihn aber auch zum Arbeiten und Ausspannen nutzen wollen. Und der Pocket-Park sollte eine Vermittlerrolle zwischen Architektur und Natur einnehmen. „Diese vielschichtigen Aufgabenstellungen waren ausschlaggebend, uns auf eine andere Art mit dem Thema der Überlagerung auseinanderzusetzen“, erzählt der Landschaftsarchitekt. „Mit traditionellen Entwurfsmethoden sind wir nicht weitergekommen, und so haben wir es mit einem parametrischen Entwurfsansatz versucht.“
Das zugrunde liegende Computerprogramm wurde eigens entwickelt. Die Basis des Entwurfs stellt ein über den gesamten Platz gespanntes digitales Netz aus Rechtecken, den Pflastersteinen, dar. In das Netz wurden alle erforderlichen Parameter eingefügt, wie etwa der Bedarf an Versickerung, Veranstaltungsflächen, Bewegungsströmen oder Beschattung. Durch diese Überlagerungen wurde das orthogonale Steinnetz mithilfe des digitalen Tools verändert, der Freiraum optimiert, die Steine wurden verformt und verschoben.
Optisch prägen die Bäume den Entwurf, denn sie scheinen das Steinnetz durch ihr Wachstum aufzubrechen, die tatsächlich ebene Oberfläche wirkt wie aufgewölbt. Apropos Steinnetz: Dieses besteht aus den beschriebenen parametrisch generierten Rechtecken. Beinahe kein Stein gleicht dem anderen, was der Produktion Kreativität abverlangte – insbesondere weil Bryum versucht, nach den Kriterien der nachhaltigen Entwicklung zu arbeiten. Die Landschaftsarchitekt:innen entschieden sich für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz so gängige Methode des 3-D-Drucks. Allerdings wurden nicht die Steine, sondern die Fugen gedruckt, und das Fugenmaterial aus Maisstärke konnte nach dem Gießen des Ortbetons recycelt werden.
Eine der großen Herausforderungen im parametrischen landschaftsarchitektonischen Entwurf sind Pflanzen. Für sie sind solide Parameter aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklung nur schwer festlegbar. Es braucht detailliertes Hintergrundwissen über die Pflanze, aber auch über Pflanzengesellschaften, Schädlinge, Wasserbedarf et cetera. Und wie geht Bryum damit um? „Der Pocket-Park hat nach seiner Fertigstellung eher grau als grün ausgesehen, heute sprießt aus jeder Fuge Grün. Unser Ziel ist es nicht, statische und völlig fertige Räume zu produzieren. Naturdynamiken sind Teil unserer Arbeit und ein Stück weit immer unvorhersehbar.“
Scheint, als wäre die Natur sogar für Landschaftsarchitekt:innen zu komplex, um sie zu berechnen. Die Planer:innen von Bryum haben jedenfalls das parametrische Entwerfen seither vielfach weiterentwickelt. Sie wagen sich an größere Maßstäbe und städtebauliche Fragestellungen. Oder auch an heikle Aufgaben wie das parametrische Entwerfen mit Recycling-Materialien, bei dem ähnlich wie bei Pflanzen stets Fragen offenbleiben. Schließlich geht es Bryum bei jedem Projekt auch um den selbst auferlegten Anspruch, stets weiterzulernen.
Eine völlig neue Dimension eröffnet das sogenannte parametrische Entwerfen. Es beruht auf einem System, das nicht das finale Objekt, sondern vielmehr den Prozess des Entwerfens in den Fokus rückt. Dabei werden die einzelnen Elemente durch Parameter festlegt, die miteinander korrespondieren. Verändert man einen, reagieren auch die anderen Parameter. Im Gegensatz zu herkömmlichen Entwurfsmethoden sind digitale parametrische Prozesse ständig in Bewegung. Statt hintereinander gesetzter, statischer Schritte legt die Planerin oder der Planer Systemregeln fest. Im Zusammenspiel des Regelwerks werden Lösungen vorgeschlagen – folglich werden die assoziative Verknüpfung der Parameter und die Abbildung der Abhängigkeiten handlungsleitend.
Durch die scheinbar unaufhörlich steigende Komplexität der Aufgabenstellungen in unserer Zeit ist solch eine flexible Methode zunehmend gefragt und findet auch schon in Bereichen wie der Architektur oder dem Industrial Design Anwendung. In der Landschaftsarchitektur hingegen, die Entwürfe aus dem Kontext ableitet und mit stark veränderlichen Komponenten arbeitet, steht das parametrische Entwerfen erst am Beginn. Zumindest hierzulande, denn blickt man über die Grenzen Österreichs, gibt es bereits durchaus spannende Ansätze. Einer der parametrischen Vorreiter ist Bryum, ein Landschaftsarchitektur- und Stadtentwicklungsbüro mit Sitz in Basel und einem Faible für große Herausforderungen. „Wir haben in unserem Büro die Prämisse, rund 80 Prozent unserer Arbeitszeit an Projekten zu arbeiten, mit denen wir auch Geld verdienen müssen. Doch die restlichen 20 Prozent unseres Aufwands investieren wir in Projekte und Ideen, in denen für uns ein Stück Zukunft steckt. Wir versuchen, der Gesellschaft so etwas zurückzugeben“, erklärt Daniel Baur, einer der Geschäftsführer von Bryum.
„Die Landschaftsarchitektur hat zur Lösung der Probleme unserer Zeit unheimlich viel anzubieten, doch wir wissen noch nicht genug darüber, wie die unterschiedlichen Bereiche der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit zusammenhängen.“ Beim traditionellen Entwerfen steht das Objekt, das am Ende herauskommen soll, im Zentrum. Doch bei der Planung von Städten und Lebensräumen ist vielmehr der interdisziplinäre Entwurfsprozess, die Frage, wie man zu diesem Objekt kommt, die eigentliche schöpferische Arbeit: „Für uns ist das parametrische Entwerfen, das Definieren und Vernetzen der Parameter, so zielführend“, schließlich geht es Daniel Baur vor allem um das Verstehen des Zusammenspiels neuer landschaftsarchitektonischer Parameter.
Eines der parametrischen Pionierprojekte von Bryum entstand zwischen 2014 und 2018. Der Pocket-Park Roche im schweizerischen Kaiseraugst wurde vom Entwurf bis zum Bau digital und parametrisiert entwickelt. Der kleine Park/Platz-Hybrid liegt inmitten eines großen Areals eines Pharmaunternehmens, umgeben von sechsgeschoßigen Bürogebäuden. Die Anforderungen waren enorm: Der Platz sollte Aufenthalts-, Durchgangs- und Veranstaltungsraum für 800 bis 1000 Menschen sein, die ihn aber auch zum Arbeiten und Ausspannen nutzen wollen. Und der Pocket-Park sollte eine Vermittlerrolle zwischen Architektur und Natur einnehmen. „Diese vielschichtigen Aufgabenstellungen waren ausschlaggebend, uns auf eine andere Art mit dem Thema der Überlagerung auseinanderzusetzen“, erzählt der Landschaftsarchitekt. „Mit traditionellen Entwurfsmethoden sind wir nicht weitergekommen, und so haben wir es mit einem parametrischen Entwurfsansatz versucht.“
Das zugrunde liegende Computerprogramm wurde eigens entwickelt. Die Basis des Entwurfs stellt ein über den gesamten Platz gespanntes digitales Netz aus Rechtecken, den Pflastersteinen, dar. In das Netz wurden alle erforderlichen Parameter eingefügt, wie etwa der Bedarf an Versickerung, Veranstaltungsflächen, Bewegungsströmen oder Beschattung. Durch diese Überlagerungen wurde das orthogonale Steinnetz mithilfe des digitalen Tools verändert, der Freiraum optimiert, die Steine wurden verformt und verschoben.
Optisch prägen die Bäume den Entwurf, denn sie scheinen das Steinnetz durch ihr Wachstum aufzubrechen, die tatsächlich ebene Oberfläche wirkt wie aufgewölbt. Apropos Steinnetz: Dieses besteht aus den beschriebenen parametrisch generierten Rechtecken. Beinahe kein Stein gleicht dem anderen, was der Produktion Kreativität abverlangte – insbesondere weil Bryum versucht, nach den Kriterien der nachhaltigen Entwicklung zu arbeiten. Die Landschaftsarchitekt:innen entschieden sich für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz so gängige Methode des 3-D-Drucks. Allerdings wurden nicht die Steine, sondern die Fugen gedruckt, und das Fugenmaterial aus Maisstärke konnte nach dem Gießen des Ortbetons recycelt werden.
Eine der großen Herausforderungen im parametrischen landschaftsarchitektonischen Entwurf sind Pflanzen. Für sie sind solide Parameter aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklung nur schwer festlegbar. Es braucht detailliertes Hintergrundwissen über die Pflanze, aber auch über Pflanzengesellschaften, Schädlinge, Wasserbedarf et cetera. Und wie geht Bryum damit um? „Der Pocket-Park hat nach seiner Fertigstellung eher grau als grün ausgesehen, heute sprießt aus jeder Fuge Grün. Unser Ziel ist es nicht, statische und völlig fertige Räume zu produzieren. Naturdynamiken sind Teil unserer Arbeit und ein Stück weit immer unvorhersehbar.“
Scheint, als wäre die Natur sogar für Landschaftsarchitekt:innen zu komplex, um sie zu berechnen. Die Planer:innen von Bryum haben jedenfalls das parametrische Entwerfen seither vielfach weiterentwickelt. Sie wagen sich an größere Maßstäbe und städtebauliche Fragestellungen. Oder auch an heikle Aufgaben wie das parametrische Entwerfen mit Recycling-Materialien, bei dem ähnlich wie bei Pflanzen stets Fragen offenbleiben. Schließlich geht es Bryum bei jedem Projekt auch um den selbst auferlegten Anspruch, stets weiterzulernen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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