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Ist das die Stadt der Zukunft?
Ein gut vorbereiteter städtebaulicher Wettbewerb bot Gelegenheit, einen neuen Stadtteil zu gestalten. Am Ergebnis scheiden sich die Geister: Kann Wien sich aus den Mustern des vergangenen Jahrhunderts befreien? Ein Beispiel aus der Donaustadt.
16. Dezember 2021 - Christian Kühn
Eine ebene Fläche, von der U-Bahnlinie U2 in einem großen Bogen überquert: Mehr ist hier nicht zu sehen, und trotzdem könnte die Zukunft dieses Orts kaum spannender sein. Auf einer Fläche von rund einem Viertel der Wiener Innenstadt sollen hier 2340 Wohnungen entstehen, in denen 5380 Menschen leben werden. Zehn Prozent der Bruttogrundfläche von 260.000 Quadratmetern werden für Büro- und Gewerbenutzungen, die sich vor allem im Bereich um die U-Bahnstation Aspernstraße am nördlichen Rand des Areals konzentrieren sollen, zur Verfügung stehen.
Die Umgebung dieses Gebiets ist eine Art Freilichtmuseum des Wiener Wohnbaus der Jahre 1980 bis 2000. Südöstlich liegt die 1981 entworfene Wohnhausanlage Biberhaufenweg. Otto Häuselmayer, Carl Pruscha und Heinz Tesar zitierten hier in bester postmoderner Manier traditionelle dörfliche Grundelemente: Anger, Gasse und Platz statt der rationalistischen Zeilenbebauung der Moderne. Im Südwesten, gegenüber dem SMZ Ost (heute Klinik Donaustadt), liegt die 1983 fertiggestellte Wohnhausanlage Gerasdorferstraße von Viktor Hufnagl, eine Variante der Gartenstadtidee mit lang gestreckten, von Laubengängen gesäumten Höfen. Zehn Jahre jünger ist die Siedlung Pilotengasse im Nordosten, geplant von Herzog & de Meuron und Adolf Krischanitz, ein Ensemble aus leicht gekrümmten Reihenhauszeilen, die an den Wiener Siedlungsbau nach dem Ersten Weltkrieg erinnern.
Zwei Nachbarn grenzen unmittelbar an den neuen Stadtteil an: im Westen die 1992 entstandene Wohnanlage Tamariskengasse von Roland Rainer, der hier sein Konzept einer Gartenstadt mit Atriumhäusern endlich auch in Wien umsetzen durfte. Der deutlich dichtere Nachbar im Osten ist die Erzherzog-Karl-Stadt, 1998 nach Plänen von Gustav Peichl und Martin Kohlbauer entstanden. Stadträumlich folgt sie den Ideen einer speziellen Postmoderne, aus der man die Moderne noch deutlich herausschmeckt: Diese „White City“ fällt im Freiluftmuseum durch ihre Sterilität auf, die nicht auf die einheitliche Farbe, sondern auf die industriell anmutende Wiederholung ihrer Elemente zurückgeht.
Je genauer man sich in dieser Gegend umsieht, desto deutlicher spürt man, dass etwas fehlt. Die Siedlungen sind zu sehr auf sich bezogen. Sie gleichen einem Patchwork von Ideen, die nicht zueinanderfinden. Und überhaupt: Kann eine Stadt aus nichts anderem bestehen als aus „Siedlungen“? Sollte es nicht möglich sein, andere Nutzungen zu integrieren und dafür neue, multifunktionale Bautypen zu entwickeln?
Antworten auf diese Fragen durfte man sich von einem städtebaulichen Wettbewerb erwarten, dessen Ergebnisse vergangene Woche bekannt wurden. Dass dieser Wettbewerb europaweit ausgeschrieben und anonym sowie zweistufig abgehalten wurde, ist bemerkenswert. Seit einigen Jahren hat sich die Stadt für ähnliche Aufgabenstellungen oft anderer Verfahren, die als „kooperativ“ bezeichnet werden, bedient. Bei diesen Verfahren sind die Teilnehmer bekannt und interagieren mit der Jury und den anderen beteiligten Büros. Das soll im Dialog Erkenntnisse bringen und zu einem besseren Verständnis der Aufgabe führen. Kritiker dieser Verfahren bemängeln, dass sie oft auf schwammigen Vorgaben aufbauen, weil die Aufgabe ja erst im Verfahren präzisiert werden soll, und am Ende schwache Kompromisse hervorbringen, für die niemand verantwortlich zeichnet.
Quo vadis, Donaustadt?
Im gegenständlichen Fall konnte die Ausschreibung der Stadt auf langjährigen Vorstudien aufbauen. Das Areal war bereits im Stadtentwicklungsplan 2005 ein „Zielgebiet“ und 2013 Teil des Strategieplans „Wo willst Du hin, meine Donaustadt?“. Vorgegeben war die Teilung des Areals in vier Quadranten mit einem verbindenden Park im Ausmaß von 2,15 Hektar. Um die Selbstbezogenheit früherer Siedlungen zu vermeiden, sollten sich die Gebäudehöhen an den Rändern an den Bestand angleichen und an der U-Bahnstation sowie im Zentrum des Areals auf maximal 35 Meter ansteigen dürfen; Hochhäuser jenseits dieser Grenze waren unzulässig. Zur Vernetzung der Stadtteile sollte die Empfehlung beitragen, die Eibengasse, gewissermaßen die Hauptstraße der „White City“ von Peichl und Kohlbauer, im neuen Stadtteil fortzuführen.
Das Siegerprojekt des Wettbewerbs vom Büro Superblock ist symptomatisch für den aktuellen Stand des Städtebaus in Wien. Das Verhältnis zur Umgebung ist durch eine entsprechende Abstufung der Gebäudehöhen zwar einigermaßen gelöst – problematisch ist allerdings der Umgang mit dem öffentlichen Raum. Superblock interpretieren das ebene Feld als Aufmarschplatz für Baukörper, die sich zu L- und U-förmigen Strukturen anordnen, zwischen denen Dreiergruppen von mittelhohen Türmen Aufstellung nehmen. Der öffentliche Raum ist das, was dazwischen übrig bleibt. Diese Art von Klötzchen-Urbanismus wird in der Regel damit verteidigt, es handle sich um eine Parklandschaft mit Einbauten, eine Metapher, an die Superblock mit der gewagten Behauptung anknüpfen, ihre Dreiertürme seien „Stadtkronen“ und „Leuchttürme“. Den Park gibt es zwar, aber er wird von der in Hochlage geführten U-Bahn dominiert und verfließt übergangslos ins Abstandsgrün zwischen den Baukörpern.
Ganz anders geht das zweitplatzierte Projekt von Hubert Rieß und seinen Partnerarchitekten an die Aufgabe heran. Es legt eine klare Ordnung fest, die Freiraum und Bebauung zugleich und überzeugend reguliert. Die Eibengasse wird als Allee durch das gesamte Planungsgebiet geführt und der Park als rechteckiges freies Feld einmal zur linken und einmal zur rechten Seite angeordnet. Seine Gestaltung bleibt offen; fürs Erste darf man sich eine große Wiese vorstellen, die frei bespielt werden kann. Das Areal wird durch Eibengasse und U-Bahn in vier Quadranten aufgeteilt, die nach einem einheitlichen Muster bebaut sind: linear angeordnete Zeilen mit einzelnen Hochpunkten, zwischen denen halb öffentliche, dicht mit Bäumen bewachsene Höfe entstehen. Die vorherrschende Gebäudehöhe beträgt 22 Meter, das Maximum, das bei dieser Struktur und Dichte sinnvoll ist. Die innere Erschließung der Wohnviertel erfolgt über West-Ost gerichtete Fußgängerwege mit kommerziell oder für soziale Zwecke nutzbaren Erdgeschoßzonen.
Dieses Projekt wäre eine Einladung, neben den gewohnten auch neue Formen städtischer Bebauung und neue Freiraumtypen zu entwickeln. Für die meisten Bauträger ist das eine Zumutung, da sie am liebsten Wohnungen, aber keine Stadt bauen wollen. Auf diesem Weg wird Wien in den Mustern des vergangenen Jahrhunderts stecken bleiben. Die zuständige Stadträtin, Ulli Sima, hätte die Aufgabe, die öffentliche Debatte über die Zukunft der Stadt anzuzünden, am besten mit einem Symposium, bei dem die Ergebnisse dieses Wettbewerbs diskutiert werden, als ginge es um den Lobau-Tunnel. Baumpflanzen, Installieren von Nebelduschen und Pseudo-Partizipation reichen nicht. Immerhin trägt Simas Ressort den Begriff „Innovation“ im Titel.
Die Umgebung dieses Gebiets ist eine Art Freilichtmuseum des Wiener Wohnbaus der Jahre 1980 bis 2000. Südöstlich liegt die 1981 entworfene Wohnhausanlage Biberhaufenweg. Otto Häuselmayer, Carl Pruscha und Heinz Tesar zitierten hier in bester postmoderner Manier traditionelle dörfliche Grundelemente: Anger, Gasse und Platz statt der rationalistischen Zeilenbebauung der Moderne. Im Südwesten, gegenüber dem SMZ Ost (heute Klinik Donaustadt), liegt die 1983 fertiggestellte Wohnhausanlage Gerasdorferstraße von Viktor Hufnagl, eine Variante der Gartenstadtidee mit lang gestreckten, von Laubengängen gesäumten Höfen. Zehn Jahre jünger ist die Siedlung Pilotengasse im Nordosten, geplant von Herzog & de Meuron und Adolf Krischanitz, ein Ensemble aus leicht gekrümmten Reihenhauszeilen, die an den Wiener Siedlungsbau nach dem Ersten Weltkrieg erinnern.
Zwei Nachbarn grenzen unmittelbar an den neuen Stadtteil an: im Westen die 1992 entstandene Wohnanlage Tamariskengasse von Roland Rainer, der hier sein Konzept einer Gartenstadt mit Atriumhäusern endlich auch in Wien umsetzen durfte. Der deutlich dichtere Nachbar im Osten ist die Erzherzog-Karl-Stadt, 1998 nach Plänen von Gustav Peichl und Martin Kohlbauer entstanden. Stadträumlich folgt sie den Ideen einer speziellen Postmoderne, aus der man die Moderne noch deutlich herausschmeckt: Diese „White City“ fällt im Freiluftmuseum durch ihre Sterilität auf, die nicht auf die einheitliche Farbe, sondern auf die industriell anmutende Wiederholung ihrer Elemente zurückgeht.
Je genauer man sich in dieser Gegend umsieht, desto deutlicher spürt man, dass etwas fehlt. Die Siedlungen sind zu sehr auf sich bezogen. Sie gleichen einem Patchwork von Ideen, die nicht zueinanderfinden. Und überhaupt: Kann eine Stadt aus nichts anderem bestehen als aus „Siedlungen“? Sollte es nicht möglich sein, andere Nutzungen zu integrieren und dafür neue, multifunktionale Bautypen zu entwickeln?
Antworten auf diese Fragen durfte man sich von einem städtebaulichen Wettbewerb erwarten, dessen Ergebnisse vergangene Woche bekannt wurden. Dass dieser Wettbewerb europaweit ausgeschrieben und anonym sowie zweistufig abgehalten wurde, ist bemerkenswert. Seit einigen Jahren hat sich die Stadt für ähnliche Aufgabenstellungen oft anderer Verfahren, die als „kooperativ“ bezeichnet werden, bedient. Bei diesen Verfahren sind die Teilnehmer bekannt und interagieren mit der Jury und den anderen beteiligten Büros. Das soll im Dialog Erkenntnisse bringen und zu einem besseren Verständnis der Aufgabe führen. Kritiker dieser Verfahren bemängeln, dass sie oft auf schwammigen Vorgaben aufbauen, weil die Aufgabe ja erst im Verfahren präzisiert werden soll, und am Ende schwache Kompromisse hervorbringen, für die niemand verantwortlich zeichnet.
Quo vadis, Donaustadt?
Im gegenständlichen Fall konnte die Ausschreibung der Stadt auf langjährigen Vorstudien aufbauen. Das Areal war bereits im Stadtentwicklungsplan 2005 ein „Zielgebiet“ und 2013 Teil des Strategieplans „Wo willst Du hin, meine Donaustadt?“. Vorgegeben war die Teilung des Areals in vier Quadranten mit einem verbindenden Park im Ausmaß von 2,15 Hektar. Um die Selbstbezogenheit früherer Siedlungen zu vermeiden, sollten sich die Gebäudehöhen an den Rändern an den Bestand angleichen und an der U-Bahnstation sowie im Zentrum des Areals auf maximal 35 Meter ansteigen dürfen; Hochhäuser jenseits dieser Grenze waren unzulässig. Zur Vernetzung der Stadtteile sollte die Empfehlung beitragen, die Eibengasse, gewissermaßen die Hauptstraße der „White City“ von Peichl und Kohlbauer, im neuen Stadtteil fortzuführen.
Das Siegerprojekt des Wettbewerbs vom Büro Superblock ist symptomatisch für den aktuellen Stand des Städtebaus in Wien. Das Verhältnis zur Umgebung ist durch eine entsprechende Abstufung der Gebäudehöhen zwar einigermaßen gelöst – problematisch ist allerdings der Umgang mit dem öffentlichen Raum. Superblock interpretieren das ebene Feld als Aufmarschplatz für Baukörper, die sich zu L- und U-förmigen Strukturen anordnen, zwischen denen Dreiergruppen von mittelhohen Türmen Aufstellung nehmen. Der öffentliche Raum ist das, was dazwischen übrig bleibt. Diese Art von Klötzchen-Urbanismus wird in der Regel damit verteidigt, es handle sich um eine Parklandschaft mit Einbauten, eine Metapher, an die Superblock mit der gewagten Behauptung anknüpfen, ihre Dreiertürme seien „Stadtkronen“ und „Leuchttürme“. Den Park gibt es zwar, aber er wird von der in Hochlage geführten U-Bahn dominiert und verfließt übergangslos ins Abstandsgrün zwischen den Baukörpern.
Ganz anders geht das zweitplatzierte Projekt von Hubert Rieß und seinen Partnerarchitekten an die Aufgabe heran. Es legt eine klare Ordnung fest, die Freiraum und Bebauung zugleich und überzeugend reguliert. Die Eibengasse wird als Allee durch das gesamte Planungsgebiet geführt und der Park als rechteckiges freies Feld einmal zur linken und einmal zur rechten Seite angeordnet. Seine Gestaltung bleibt offen; fürs Erste darf man sich eine große Wiese vorstellen, die frei bespielt werden kann. Das Areal wird durch Eibengasse und U-Bahn in vier Quadranten aufgeteilt, die nach einem einheitlichen Muster bebaut sind: linear angeordnete Zeilen mit einzelnen Hochpunkten, zwischen denen halb öffentliche, dicht mit Bäumen bewachsene Höfe entstehen. Die vorherrschende Gebäudehöhe beträgt 22 Meter, das Maximum, das bei dieser Struktur und Dichte sinnvoll ist. Die innere Erschließung der Wohnviertel erfolgt über West-Ost gerichtete Fußgängerwege mit kommerziell oder für soziale Zwecke nutzbaren Erdgeschoßzonen.
Dieses Projekt wäre eine Einladung, neben den gewohnten auch neue Formen städtischer Bebauung und neue Freiraumtypen zu entwickeln. Für die meisten Bauträger ist das eine Zumutung, da sie am liebsten Wohnungen, aber keine Stadt bauen wollen. Auf diesem Weg wird Wien in den Mustern des vergangenen Jahrhunderts stecken bleiben. Die zuständige Stadträtin, Ulli Sima, hätte die Aufgabe, die öffentliche Debatte über die Zukunft der Stadt anzuzünden, am besten mit einem Symposium, bei dem die Ergebnisse dieses Wettbewerbs diskutiert werden, als ginge es um den Lobau-Tunnel. Baumpflanzen, Installieren von Nebelduschen und Pseudo-Partizipation reichen nicht. Immerhin trägt Simas Ressort den Begriff „Innovation“ im Titel.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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