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Was eine gute Universität ausmacht
Heute braucht es an Hochschulen nicht mehr nur gut ausgestattete Labore und Hörsäle, sondern auch Bereiche für informelles Zusammentreffen sowie Projekträume für selbstständiges Arbeiten. Die FH St. Pölten agiert mit ihrem Erweiterungsbau auf der Höhe der Zeit.
11. Januar 2022 - Christian Kühn
Von Loris Malaguzzi, dem Begründer der „Reggio-Pädagogik“, stammt die viel zitierte Behauptung, der Raum sei – nach den Mitschülern und den Lehrern – der „dritte Pädagoge“. Entstanden in den 1960er-Jahren im Bereich der Kindergartenpädagogik, in der mit Maria Montessoris Prinzip der „vorbereiteten Umgebung“ bereits eine explizit raumverständige pädagogische Praxis etabliert war, brauchte die Idee des „dritten Pädagogen“ einige Jahrzehnte, bis sie auch Volksschule und Gymnasium erfasste. Heute reicht es nicht mehr, wenn Architektur in der Schule einen neutralen Hintergrund bietet. Sie muss gut gestaltete Reviere zur Verfügung stellen: für die Jagd nach Wissen und für das Training im kultivierten Umgang miteinander.
Auch Universitäten und Fachhochschulen brauchen solche Reviere. Dass sich das Selbstverständnis dieser Institutionen gewandelt hat, zeigt sich in der Wortwahl: Zu den klassischen Begriffen Lehre und Forschung ist das Lernen als gleichwertige Aktivität getreten, für die es in den Gebäuden und Freiräumen optimale Bedingungen braucht. Dazu gehören nicht nur gut ausgestattete Labore und Hörsäle, sondern auch Bereiche für informelles Zusammentreffen und Projekträume, in denen Studierende selbstständig miteinander arbeiten können.
Die Fachhochschule in St. Pölten ist mit ihren zwei Bauetappen ein besonders gutes Beispiel dafür, wie sich die Anforderungen an solche Räume in den vergangenen Jahren geändert haben. Die FH nahm ihren Betrieb 1996 auf, zehn Jahre, nachdem St. Pölten zur Landeshauptstadt Niederösterreichs erhoben worden war. 2007 bezog sie ihr erstes neu gebautes Haus. Ende vorigen Jahres eröffnete sie einen Erweiterungsbau, der die zur Verfügung stehende Fläche fast verdoppelt. Hinter diesem Zuwachs an Fläche steht der Erfolg der FH, die von 60 Studierenden zu Beginn auf heute über 3500 gewachsen ist. Rund 360 hauptberufliche Mitarbeiter und 900 externe Lehrende betreuen 26 Bachelor- und Masterstudien, die von Informatik, Wirtschaft und Medien bis zu Gesundheits- und Krankenpflege reichen.
Der Standort des Campus liegt 15 Gehminuten nördlich des historischen Zentrums in einem Umfeld, das von Wohnbauten der 1960er-Jahre und dem benachbarten Universitätsklinikum geprägt ist. Ein Bundesschulzentrum markiert die südöstliche Grenze des Areals, auf dem noch Platz für zukünftige Erweiterungen ist. Das Haus aus dem Jahr 2007, ein im Grundriss annähernd quadratischer Block mit fast 70 Meter Seitenlänge und rund 14000 Quadratmeter Nutzfläche, bildet den Auftakt des Campus. Er enthält im Erdgeschoß Hörsäle und eine Mensa, darüber ein Geschoß mit Seminarräumen und zwei Ebenen mit Büro- und Laborräumen. Eine zentrale, von oben belichtete Halle verbindet alle Geschoße. Seine Form bekommt der Baukörper durch leichte Abschrägungen, die im Grundriss als auch im Schnitt vorgenommen werden und dem Haus ein kristallines Aussehen geben.
Der Entwurf stammt von Sascha Bradic, dem „B“ im Wiener Architekturbüro NMPB, das unter Extrembedingungen arbeitete: Die Planung hatte nur sechs Monate Vorlauf und ging fließend in eine Ausführungsphase von 15 Monaten über. Dass dabei nicht nur die Termine, sondern auch die Kosten eingehalten wurden, schuf beim Bauherrn nachhaltiges Vertrauen. Als 2015 eine Erweiterung um rund 11.000 Quadratmeter beschlossen wurde, ergab eine Machbarkeitsstudie einen Budgetrahmen von 30 Millionen Euro reiner Baukosten, die als Vorgabe für ein mehrstufiges Verhandlungsverfahren angesetzt wurden. Das inhaltliche Konzept wurde unter Einbindung von Studierenden und Mitarbeitern in einer vom Büro Nonconform moderierten „Ideenwerkstatt“ erarbeitet. Im folgenden Wettbewerb traten neben NMPB mehrere renommierte Büros gegeneinander an, darunter Dietmar Feichtinger aus Paris, Architekt der Donau-Universität in Krems, Laura Spinadel, Architektin des WU Campus, und DMAA, die Architekten des FH Campus Wien.
Der Siegerentwurf von Sascha Bradic lebt davon, nicht originell sein zu wollen. Er ist im Prinzip nichts anderes als der etwas kleinere Bruder des Bestandsgebäudes: eine rechteckige, von oben belichtete Halle, aufgespannt zwischen vier Fluchttreppenhäusern, darum gruppiert Seminar- und Büroräume; und eine äußere Hülle, die aus dem orthogonalen System ausbricht und dem Haus ein kristallines Aussehen gibt. Der Witz des Projekts besteht darin, innerhalb dieser typologischen Bindung einen evolutionären Qualitätssprung zu erzielen, der auf mehreren Ebenen eindrucksvoll gelingt. Die Halle, das Herz des Gebäudes, dient im Neubau nicht nur der Belichtung, sondern ist ein Aufenthaltsraum mit Podesten und Nischen geworden, ein „Wohnraum“, wie er in der Ausschreibung gefordert war.
Zur gleichwertigen Verbindung von Bestands- und Neubau auf allen Ebenen dient ein verglastes Zwischenelement, in dem nicht nur Verbindungsgänge, sondern auch Plattformen, die zum Verweilen einladen, von oben abgehängt sind. Die Büros werden großteils im Desk-Sharing-Prinzip bespielt und sind so verglast, dass man sich nie abgekapselt, aber auch nicht jedem Blick von außen ausgesetzt fühlt. Für Studierende gibt es großzügige Aufenthaltsbereiche mit 300 freien Arbeitsplätzen; zusätzlich können sie bei Bedarf Besprechungsräume buchen.
Die FH St. Pölten versteht sich als Teil der sozialen Infrastruktur der Stadt und als Brutstätte für „Open Innovation“. Das bedeutet etwa, dass die Hochschulbibliothek öffentlich zugänglich ist und als Filiale der städtischen Bücherei fungiert, mit einer kleinen Auswahl an Jugendliteratur. Auch den Rücksprung der Fassade im Erdgeschoß kann man als freundliche Geste zum umgebenden Stadtraum interpretieren. Beim Bestandsbau ist dieser Rücksprung eher symbolisch; im Neubau ist er ein ernsthaftes Angebot, sich niederzulassen: Vor dem Haupteingang beträgt die Auskragung satte acht Meter.
Nur 14 Jahre liegen zwischen diesen beiden Häusern. Ohne den Bestand abzuwerten, zeigt der Neubau, wie stark sich die Vorstellungen vom Lehren und Lernen in der kurzen Zeit verändert haben. Wie das Projekt typologische Kontinuität mit dem Anspruch verbindet, auf der Höhe der Zeit zu agieren, ist eine beachtliche Leistung.
Auch Universitäten und Fachhochschulen brauchen solche Reviere. Dass sich das Selbstverständnis dieser Institutionen gewandelt hat, zeigt sich in der Wortwahl: Zu den klassischen Begriffen Lehre und Forschung ist das Lernen als gleichwertige Aktivität getreten, für die es in den Gebäuden und Freiräumen optimale Bedingungen braucht. Dazu gehören nicht nur gut ausgestattete Labore und Hörsäle, sondern auch Bereiche für informelles Zusammentreffen und Projekträume, in denen Studierende selbstständig miteinander arbeiten können.
Die Fachhochschule in St. Pölten ist mit ihren zwei Bauetappen ein besonders gutes Beispiel dafür, wie sich die Anforderungen an solche Räume in den vergangenen Jahren geändert haben. Die FH nahm ihren Betrieb 1996 auf, zehn Jahre, nachdem St. Pölten zur Landeshauptstadt Niederösterreichs erhoben worden war. 2007 bezog sie ihr erstes neu gebautes Haus. Ende vorigen Jahres eröffnete sie einen Erweiterungsbau, der die zur Verfügung stehende Fläche fast verdoppelt. Hinter diesem Zuwachs an Fläche steht der Erfolg der FH, die von 60 Studierenden zu Beginn auf heute über 3500 gewachsen ist. Rund 360 hauptberufliche Mitarbeiter und 900 externe Lehrende betreuen 26 Bachelor- und Masterstudien, die von Informatik, Wirtschaft und Medien bis zu Gesundheits- und Krankenpflege reichen.
Der Standort des Campus liegt 15 Gehminuten nördlich des historischen Zentrums in einem Umfeld, das von Wohnbauten der 1960er-Jahre und dem benachbarten Universitätsklinikum geprägt ist. Ein Bundesschulzentrum markiert die südöstliche Grenze des Areals, auf dem noch Platz für zukünftige Erweiterungen ist. Das Haus aus dem Jahr 2007, ein im Grundriss annähernd quadratischer Block mit fast 70 Meter Seitenlänge und rund 14000 Quadratmeter Nutzfläche, bildet den Auftakt des Campus. Er enthält im Erdgeschoß Hörsäle und eine Mensa, darüber ein Geschoß mit Seminarräumen und zwei Ebenen mit Büro- und Laborräumen. Eine zentrale, von oben belichtete Halle verbindet alle Geschoße. Seine Form bekommt der Baukörper durch leichte Abschrägungen, die im Grundriss als auch im Schnitt vorgenommen werden und dem Haus ein kristallines Aussehen geben.
Der Entwurf stammt von Sascha Bradic, dem „B“ im Wiener Architekturbüro NMPB, das unter Extrembedingungen arbeitete: Die Planung hatte nur sechs Monate Vorlauf und ging fließend in eine Ausführungsphase von 15 Monaten über. Dass dabei nicht nur die Termine, sondern auch die Kosten eingehalten wurden, schuf beim Bauherrn nachhaltiges Vertrauen. Als 2015 eine Erweiterung um rund 11.000 Quadratmeter beschlossen wurde, ergab eine Machbarkeitsstudie einen Budgetrahmen von 30 Millionen Euro reiner Baukosten, die als Vorgabe für ein mehrstufiges Verhandlungsverfahren angesetzt wurden. Das inhaltliche Konzept wurde unter Einbindung von Studierenden und Mitarbeitern in einer vom Büro Nonconform moderierten „Ideenwerkstatt“ erarbeitet. Im folgenden Wettbewerb traten neben NMPB mehrere renommierte Büros gegeneinander an, darunter Dietmar Feichtinger aus Paris, Architekt der Donau-Universität in Krems, Laura Spinadel, Architektin des WU Campus, und DMAA, die Architekten des FH Campus Wien.
Der Siegerentwurf von Sascha Bradic lebt davon, nicht originell sein zu wollen. Er ist im Prinzip nichts anderes als der etwas kleinere Bruder des Bestandsgebäudes: eine rechteckige, von oben belichtete Halle, aufgespannt zwischen vier Fluchttreppenhäusern, darum gruppiert Seminar- und Büroräume; und eine äußere Hülle, die aus dem orthogonalen System ausbricht und dem Haus ein kristallines Aussehen gibt. Der Witz des Projekts besteht darin, innerhalb dieser typologischen Bindung einen evolutionären Qualitätssprung zu erzielen, der auf mehreren Ebenen eindrucksvoll gelingt. Die Halle, das Herz des Gebäudes, dient im Neubau nicht nur der Belichtung, sondern ist ein Aufenthaltsraum mit Podesten und Nischen geworden, ein „Wohnraum“, wie er in der Ausschreibung gefordert war.
Zur gleichwertigen Verbindung von Bestands- und Neubau auf allen Ebenen dient ein verglastes Zwischenelement, in dem nicht nur Verbindungsgänge, sondern auch Plattformen, die zum Verweilen einladen, von oben abgehängt sind. Die Büros werden großteils im Desk-Sharing-Prinzip bespielt und sind so verglast, dass man sich nie abgekapselt, aber auch nicht jedem Blick von außen ausgesetzt fühlt. Für Studierende gibt es großzügige Aufenthaltsbereiche mit 300 freien Arbeitsplätzen; zusätzlich können sie bei Bedarf Besprechungsräume buchen.
Die FH St. Pölten versteht sich als Teil der sozialen Infrastruktur der Stadt und als Brutstätte für „Open Innovation“. Das bedeutet etwa, dass die Hochschulbibliothek öffentlich zugänglich ist und als Filiale der städtischen Bücherei fungiert, mit einer kleinen Auswahl an Jugendliteratur. Auch den Rücksprung der Fassade im Erdgeschoß kann man als freundliche Geste zum umgebenden Stadtraum interpretieren. Beim Bestandsbau ist dieser Rücksprung eher symbolisch; im Neubau ist er ein ernsthaftes Angebot, sich niederzulassen: Vor dem Haupteingang beträgt die Auskragung satte acht Meter.
Nur 14 Jahre liegen zwischen diesen beiden Häusern. Ohne den Bestand abzuwerten, zeigt der Neubau, wie stark sich die Vorstellungen vom Lehren und Lernen in der kurzen Zeit verändert haben. Wie das Projekt typologische Kontinuität mit dem Anspruch verbindet, auf der Höhe der Zeit zu agieren, ist eine beachtliche Leistung.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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