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Das Recht auf Genuss
Seine Wohngebirge zwischen mediterraner Farbenfreude und Versailles-Versatzstücken lassen niemanden kalt. Ricardo Bofill war eine der umstrittensten und faszinierendsten Persönlichkeiten der Architektur. Jetzt starb er im Alter von 82 Jahren.
22. Januar 2022 - Anne Kockelkorn
Er war ein Weltstar, als Architektur zur Marke auf internationalen Bühnen wurde und noch niemand wusste, wer Rem Koolhaas ist: „Da steht er mit vierzig Jahren, (...) steigt zum zweihundertsten Mal in den Ring (...), ein Bobby Fisher der Architektur, ein Muhammad Ali der Architektur – ,mach es nicht, Ricardo‘.“ 1981, ein knappes Jahr nach Bofills Auftritt auf der Biennale Venedig jubelte der Architekturtheoretiker Charles Jencks über die Durchschlagskraft des jungen Katalanen. „Mach es nicht“: Damit meinte Jencks den Ruck zur neohistoristischen und monumentalen Fassaden aus eingefärbten Betonfertigteilen, die in den 1980er-Jahren zum Markenzeichen von Bofills Büro Taller de Arquitectura wurden.
Dass ein Architekt in seinen Vierzigern ein international so beachtetes bauliches Werk vorweisen konnte, war im 20. Jahrhundert eine Ausnahme. Ebenso dass ein Architekt ohne Architekturdiplom mit 24 Jahren seinen ersten Architekturpreis für einen realisierten Wohnungsbau gewinnt: eine brutalistisch anmutende Baulückenschließung mit roter Ziegelfassade in der barcelonischen Innenstadt.
Das zentrale Projekt seiner Zusammenarbeit mit Schriftstellern, Soziologen und Theatermachern und seiner Schwester Anna Bofill im „Taller“ war die „Raumstadt“, ein zwischen 1968 und 1972 entwickeltes Stadtprojekt und Gesellschaftsmodell, das seine Realisierung in der Peripherie von Madrid nur knapp verfehlte, aber den Ideengrundstock für kommende Jahrzehnte lieferte. Grundgedanke dieses Stadtmodells war die Auflösung von Straße und Wohnblock durch das dreidimensionale Clustern von Mikroeinheiten: Die kleinste Einheit ist das Zimmer, jenseits dessen die Stadt mit Freiräumen und sozialen Infrastrukturen beginnt.
Recht auf Stadt
Ökonomisch sollte sich die Raumstadt auf Basis von kollektiven Eigentümerstrukturen im Selbstbau entwickeln. Praktisch bauten diese Konzepte auf Bauerfahrung mit experimentellen Feriensiedlungen am Meer auf (wie zum Beispiel Xanadú bei Calpe, 1965–68) sowie Großüberbauungen für Arbeiter (wie das Barriò Gaudi in Reus 1964–72). Entscheidend ist: Bei der Raumstadt ging es nicht nur um eine Antwort auf das Wohnen für alle, sondern um die Erweiterung des Wohnens durch das Angebot kollektiver Erfahrungswelten in der urbanen Peripherie.
Die beiden Projekte, in denen Teile dieser Ideen umgesetzt wurden, sind Walden 7 in Barcelona (1970–75) und Les Espaces d’Abraxas in der Pariser Neustadt Marne-la-Vallée (1978–84). Von der Fachöffentlichkeit wurden diese Projekte mit gemischten Gefühlen begrüßt. Zu monumental erschien die Sogkraft der urbanen Innenräume, zu dunkel die Wohnungen der unteren Geschosse. Die visionäre Bedeutung dieser Antworten auf eine sich ausdifferenzierende Gesellschaft blieb angesichts des Widerwillens, die postmoderne Ästhetik zu akzeptieren, auf der Strecke.
„Es war, als würde man an den Olympischen Spielen teilnehmen“ oder „Es ist großartig, in einem Palast zu wohnen“ erinnerten sich im Gegenzug die Bewohnerinnen des monumentalen Les Espaces d’Abraxas an die ersten Jahre nach ihrem Einzug, vor allem jene, für die der Wohnungskauf oder die Zuweisung einer Sozialwohnung nach langer Wartezeit ein Aufstieg bedeutete und die nun inmitten eines Défilées an Künstlern, Architekturtouristen und Modeshootings wohnten. Hier geht es auch um das „Recht auf Stadt“, das der Philosoph Henri Lefebvre 1968 in einem Manifest einforderte. Auch Lefebvre gehörte zu jenen, die Taller de Arquitectura während der Arbeit an der „Raumstadt“ frequentierten.
„Recht auf Stadt“ beschreibt das Recht auf politische Teilhabe, aber auch das Recht auf Vergnügen und Genießen im Austausch von Informationen, Gütern und Affekten. Bei einem Besuch von Les Espaces d’Abraxas kann jedoch auch die unheimliche Dimension des Genießens zutage treten; das Projekt diente als Filmkulisse für Blockbuster, die von einem dystopischen Überwachungsstaat handeln, erst 1984 für Brazil von Terry Giliam, dann 2015 für Mockingjay: Part 2 der Hunger Games.
Als ich 2011 und 2012 im Zuge meiner Dissertation für sieben Monate in Abraxas wohnte, ändert sich jedoch meine Blickrichtung. Jetzt blickte ich nicht mehr aus der Innenstadt auf die Peripherie, sondern aus der Peripherie auf die kostbare und in puncto Immobilienpreisen unerreichbare Innenstadt. In meinem Alltag wurde die surreale Kulisse zum Angebot eines gestalteten öffentlichen Raumes, der zum Träumen und zum Fürchten, aber auch zum Fußballspielen, Sich-Treffen, für Video- und Tanzperformances einlud. Ein Angebot, das es im städtischen Umfeld der Pariser Banlieue nicht gab.
In den 1980ern endete der Traum von Zentralität in Abraxas und anderen Pariser Neustädten jedoch abrupt in einer Schuldenkrise. Sie entstand durch die aggressive Vermarktung von Subprime-Krediten auf dem Wohnungsmarkt ab 1978 und erfasste nicht nur Einfamilienhaussiedlungen, sondern auch die jungen Neustadtzentren. Die damit einhergehende Vernachlässigung des urbanen Umfelds führte dazu, dass die Mittelklasse Abraxas genauso schnell verließ, wie dies bei den Grands Ensembles in den 1970ern der Fall war.
Unverständnis
Der Grund dieses Versagens wurde auf die Ikonozität und Monumentalität von Abraxas projiziert und der Architekt in die Verantwortung gezogen, während die Wohnungsbaugesellschaft schon 1985 bankrottgegangen war.
Mediales Unverständnis und der Streit mit nahezu allen Gründungsmitgliedern des Taller mögen dazu beigetragen haben, dass sich Ricardo Bofill ab den 1990er-Jahren weitestgehend aus der Fachöffentlichkeit zurückzog. Dennoch blieb er ein genialer Kommunikationskünstler, Manager und Ideengeber, dessen internationales Büro RBTA bis heute Großprojekte von Marokko bis China realisiert. Letzten Freitag starb Ricardo Bofill im Alter von 82 Jahren.
[ Anne Kockelkorn lehrt an der TU Delft und promovierte 2018 zu den Räumen des Abraxas und den Vorgängerprojekten von Taller de Arquitectura an der ETH Zürich. ]
Dass ein Architekt in seinen Vierzigern ein international so beachtetes bauliches Werk vorweisen konnte, war im 20. Jahrhundert eine Ausnahme. Ebenso dass ein Architekt ohne Architekturdiplom mit 24 Jahren seinen ersten Architekturpreis für einen realisierten Wohnungsbau gewinnt: eine brutalistisch anmutende Baulückenschließung mit roter Ziegelfassade in der barcelonischen Innenstadt.
Das zentrale Projekt seiner Zusammenarbeit mit Schriftstellern, Soziologen und Theatermachern und seiner Schwester Anna Bofill im „Taller“ war die „Raumstadt“, ein zwischen 1968 und 1972 entwickeltes Stadtprojekt und Gesellschaftsmodell, das seine Realisierung in der Peripherie von Madrid nur knapp verfehlte, aber den Ideengrundstock für kommende Jahrzehnte lieferte. Grundgedanke dieses Stadtmodells war die Auflösung von Straße und Wohnblock durch das dreidimensionale Clustern von Mikroeinheiten: Die kleinste Einheit ist das Zimmer, jenseits dessen die Stadt mit Freiräumen und sozialen Infrastrukturen beginnt.
Recht auf Stadt
Ökonomisch sollte sich die Raumstadt auf Basis von kollektiven Eigentümerstrukturen im Selbstbau entwickeln. Praktisch bauten diese Konzepte auf Bauerfahrung mit experimentellen Feriensiedlungen am Meer auf (wie zum Beispiel Xanadú bei Calpe, 1965–68) sowie Großüberbauungen für Arbeiter (wie das Barriò Gaudi in Reus 1964–72). Entscheidend ist: Bei der Raumstadt ging es nicht nur um eine Antwort auf das Wohnen für alle, sondern um die Erweiterung des Wohnens durch das Angebot kollektiver Erfahrungswelten in der urbanen Peripherie.
Die beiden Projekte, in denen Teile dieser Ideen umgesetzt wurden, sind Walden 7 in Barcelona (1970–75) und Les Espaces d’Abraxas in der Pariser Neustadt Marne-la-Vallée (1978–84). Von der Fachöffentlichkeit wurden diese Projekte mit gemischten Gefühlen begrüßt. Zu monumental erschien die Sogkraft der urbanen Innenräume, zu dunkel die Wohnungen der unteren Geschosse. Die visionäre Bedeutung dieser Antworten auf eine sich ausdifferenzierende Gesellschaft blieb angesichts des Widerwillens, die postmoderne Ästhetik zu akzeptieren, auf der Strecke.
„Es war, als würde man an den Olympischen Spielen teilnehmen“ oder „Es ist großartig, in einem Palast zu wohnen“ erinnerten sich im Gegenzug die Bewohnerinnen des monumentalen Les Espaces d’Abraxas an die ersten Jahre nach ihrem Einzug, vor allem jene, für die der Wohnungskauf oder die Zuweisung einer Sozialwohnung nach langer Wartezeit ein Aufstieg bedeutete und die nun inmitten eines Défilées an Künstlern, Architekturtouristen und Modeshootings wohnten. Hier geht es auch um das „Recht auf Stadt“, das der Philosoph Henri Lefebvre 1968 in einem Manifest einforderte. Auch Lefebvre gehörte zu jenen, die Taller de Arquitectura während der Arbeit an der „Raumstadt“ frequentierten.
„Recht auf Stadt“ beschreibt das Recht auf politische Teilhabe, aber auch das Recht auf Vergnügen und Genießen im Austausch von Informationen, Gütern und Affekten. Bei einem Besuch von Les Espaces d’Abraxas kann jedoch auch die unheimliche Dimension des Genießens zutage treten; das Projekt diente als Filmkulisse für Blockbuster, die von einem dystopischen Überwachungsstaat handeln, erst 1984 für Brazil von Terry Giliam, dann 2015 für Mockingjay: Part 2 der Hunger Games.
Als ich 2011 und 2012 im Zuge meiner Dissertation für sieben Monate in Abraxas wohnte, ändert sich jedoch meine Blickrichtung. Jetzt blickte ich nicht mehr aus der Innenstadt auf die Peripherie, sondern aus der Peripherie auf die kostbare und in puncto Immobilienpreisen unerreichbare Innenstadt. In meinem Alltag wurde die surreale Kulisse zum Angebot eines gestalteten öffentlichen Raumes, der zum Träumen und zum Fürchten, aber auch zum Fußballspielen, Sich-Treffen, für Video- und Tanzperformances einlud. Ein Angebot, das es im städtischen Umfeld der Pariser Banlieue nicht gab.
In den 1980ern endete der Traum von Zentralität in Abraxas und anderen Pariser Neustädten jedoch abrupt in einer Schuldenkrise. Sie entstand durch die aggressive Vermarktung von Subprime-Krediten auf dem Wohnungsmarkt ab 1978 und erfasste nicht nur Einfamilienhaussiedlungen, sondern auch die jungen Neustadtzentren. Die damit einhergehende Vernachlässigung des urbanen Umfelds führte dazu, dass die Mittelklasse Abraxas genauso schnell verließ, wie dies bei den Grands Ensembles in den 1970ern der Fall war.
Unverständnis
Der Grund dieses Versagens wurde auf die Ikonozität und Monumentalität von Abraxas projiziert und der Architekt in die Verantwortung gezogen, während die Wohnungsbaugesellschaft schon 1985 bankrottgegangen war.
Mediales Unverständnis und der Streit mit nahezu allen Gründungsmitgliedern des Taller mögen dazu beigetragen haben, dass sich Ricardo Bofill ab den 1990er-Jahren weitestgehend aus der Fachöffentlichkeit zurückzog. Dennoch blieb er ein genialer Kommunikationskünstler, Manager und Ideengeber, dessen internationales Büro RBTA bis heute Großprojekte von Marokko bis China realisiert. Letzten Freitag starb Ricardo Bofill im Alter von 82 Jahren.
[ Anne Kockelkorn lehrt an der TU Delft und promovierte 2018 zu den Räumen des Abraxas und den Vorgängerprojekten von Taller de Arquitectura an der ETH Zürich. ]
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