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Diese Gartenanlage zelebriert die Schönheit auch im Winter, wenn der Raureif sich über Verblühtes legt
Für den Landschaftsarchitekten Piet Oudolf gehören Wachsen und Vergehen zum Jahreszyklus – in allen Farben und Formen.
26. Januar 2022 - Gabriele Detterer
Zwischenzeiten haben ihren Charme. Die oft als öde und ereignislos empfundenen Übergangsphasen bieten mehr Stille und Ruhe. Hier mischt auch der Gartendesigner Piet Oudolf mit: Er erkennt das Potenzial von Interimszeiten und weiss es auszuschöpfen.
In den von ihm entworfenen Gärten erlebt man die lange Winterpause nicht als öde, abgeflachte Leere zwischen dem Abblühen der Herbstflora und den ersten Pflanzensprossen, die im Vorfrühling aus der Erde lugen. Stattdessen lockt das Konzept des Niederländers selbst im Winter mit einer Vielfalt an pflanzlichen Formen. Denn es gilt das Prinzip: Es samt sich aus, wie es will, und es welkt, wie es welken will.
Somit wuchert der Garten wirkungsvoll und wunderbar wild. Sein auf dem Vitra-Campus angelegter Stauden- und Ziergräsergarten nahe der Stadtgrenze zu Basel erstreckt sich zwischen dem von Herzog & de Meuron entworfenen Schauhaus bis zum Minihaus «Diogene», das sich der Renzo Piano Building Workshop gemeinsam mit Transsolar ausgedacht hat. Vor allem im Winter offenbart sich das Gartenkonzept des Pioniers des «New Perennial Movement»: Es macht den Kreislauf des Wachsens und Vergehens über das ganze Jahr hinweg sichtbar, im ganzheitlichen Zusammenspiel von Mensch, Landschaft und gestalteter Natur.
Robuste Harmonie
Eine Ästhetik des Wachsens und Vergehens kennzeichnet die von Piet Oudolf entworfenen Gärten, die den pflanzlichen Lebenszyklus ganzheitlich sichtbar machen. Dass dies möglich wird, setzt eine gezielte Auswahl an winterharten Stauden voraus. Hierbei zählen nicht vorrangig Blühfreudigkeit und Blütenfarben, sondern der Aufbau der Pflanzenteile, der Sprossachse und der Blätter sowie Standhaftigkeit und Färbung im Herbst und Winter.
Erstmals 1990 listete Piet Oudolf zusammen mit Henk Gerritsen in dem Band «Droomplanten. De nieuwe generatie tuinplanten» pflegeleichte «Traumpflanzen» auf, die auch ausserhalb der Blütezeit ins Auge fallen. Acht Jahre zuvor, 1982, hatte Oudolf für seine Frau Anja eine Gärtnerei im niederländischen Hummelo gegründet.
Das naturnahe Gartendesign traf den Ökonerv der Zeit, Wachstumszyklen und Kreisläufe ganzheitlich zu sehen. Harmonisch gedeihliche Nachbarschaften von Staudengewächsen und Ziergräsern, die ein natürlich wucherndes Ensemble bilden, ebneten dem Pionier des New Perennial Movement den Weg zum Welterfolg. Der Hummelo-Garten schloss 2018 seine Pforten. Doch Oudolfs Traumpflanzen haben in privaten Gärten wie in öffentlichen Anlagen und Schaugärten das ganze Jahr über Saison.
Grau-Braun-Gelb-Rot
Getreu dem Konzept des Gartendesigners werden auch die Gewächse im jüngst auf dem Vitra-Campus angelegten öffentlichen Garten im Spätherbst nicht gekürzt. Also modellieren die welken Staudengewächse und das Grau-Braun-Gelb-Rot der Ziergräser den winterlichen Garten. Erst in der zweiten Winterhälfte werden verblühte Stauden und Gräser, die nach Frostnächten ein vom silbernen Raureif überzogenes Hochrelief formen, zurückgeschnitten. Die rund 30 000 Pflanzensetzlinge, die im Mai 2020 nach dem Pflanzplan von Piet Oudolf in die Erde gebracht wurden, verleihen der Gartenanlage auch im Winter eine kontrastreiche Struktur.
Beim Gang durch den Garten fallen einige Winterschönheiten ins Auge: Disteln formen ein sich ausbreitendes Sternbild, Perowskien, die in der warmen Jahreszeit zartblau blühen, zeigen sich im edlen Silberkleid, und über einer Ziergraswolke erhebt sich über einen Meter hoch die Strukturpflanze Echinacea pallida «Hula Dancer». Das Tutu aus rosa Blütenblättern hat sie abgelegt, sichtbar geblieben ist das dunkle Köpfchen.
Noch höher als die Echinacea pallida ragen an der Umgrenzung des Gartens die Stengel mit den verblühten rosa Wedeln der winterharten Prachtspieren auf. Bodennah verhakelt sich Rutenhirse zu einem filigranen Gespinst, vertrocknete Blütenrispen der Reitgräser beugen sich über die Gartenwege.
Das hier Verblühte ist nicht für Deko-Boutiquen gedacht. Stattdessen macht der herbstliche und winterliche Garten die unzähligen Wandlungsformen als Schlüssel allen organischen Fortlebens erfahrbar, auch das Anpassungsvermögen der Natur.
Trotz Eis, Schnee und Kälte bringen schon bald die Frühblüher frische Farbe in den Garten, und die mehrjährigen Stauden treiben unbeschadet aus. «Zartheit und zähe Kraft» attestierte der berühmte Staudenzüchter Karl Foerster (1874–1970), auf dessen Ansatz sich Oudolf bezieht, den winterharten, krautigen Gewächsen.
Natürlich nicht Stauden, sondern grün glänzende Blätter des Peruanischen Blausterns kündigen in Piet Oudolfs Vitra-Garten bereits Anfang Januar das Winterende an. «Oh! Hat der Klimawandel den Blaustern jetzt schon aus der schützenden Zwiebel gelockt?», mag mancher zu bedenken geben.
Gartentraum mit Minihaus
An der Brunnenrinne laden Stühle aus der Vitra-Kollektion dazu ein, der zauberhaften Magie des Ineinandergreifens der Jahreszeiten nachzusinnen und sich eigenen Gartenträumen hinzugeben, nicht etwa, um wirkungsvolle florale Sträusse zu winden – sondern um der Natur willen, wie es Piet Oudolf praktiziert.
Da fällt der Blick auf das Minihaus, das auf der Wiese am südlichen Ende des Gartens steht. Das Tiny House, ebenfalls entworfen vom Renzo Piano Building Workshop mit Transsolar, mutiert in Gedanken flugs zum Gartenhaus, in dem ein Öfchen bullert und sich zur Bescheidenheit eines Lebens in der Natur das Glück der inneren Zufriedenheit zugesellt. Werde Gärtner, werde glücklich! – Das dürfte auf Piet Oudolf zutreffen, dessen Motto lautet: «Gardening, it’s my life!»
[ Piet Oudolf und Henk Gerritsen: Gärten, inspiriert von der Natur. Die schönsten Stauden und Gräser. Überarbeitet von Noel Kingsbury. Gräfe-und-Unzer-Verlag, München 2021. ]
In den von ihm entworfenen Gärten erlebt man die lange Winterpause nicht als öde, abgeflachte Leere zwischen dem Abblühen der Herbstflora und den ersten Pflanzensprossen, die im Vorfrühling aus der Erde lugen. Stattdessen lockt das Konzept des Niederländers selbst im Winter mit einer Vielfalt an pflanzlichen Formen. Denn es gilt das Prinzip: Es samt sich aus, wie es will, und es welkt, wie es welken will.
Somit wuchert der Garten wirkungsvoll und wunderbar wild. Sein auf dem Vitra-Campus angelegter Stauden- und Ziergräsergarten nahe der Stadtgrenze zu Basel erstreckt sich zwischen dem von Herzog & de Meuron entworfenen Schauhaus bis zum Minihaus «Diogene», das sich der Renzo Piano Building Workshop gemeinsam mit Transsolar ausgedacht hat. Vor allem im Winter offenbart sich das Gartenkonzept des Pioniers des «New Perennial Movement»: Es macht den Kreislauf des Wachsens und Vergehens über das ganze Jahr hinweg sichtbar, im ganzheitlichen Zusammenspiel von Mensch, Landschaft und gestalteter Natur.
Robuste Harmonie
Eine Ästhetik des Wachsens und Vergehens kennzeichnet die von Piet Oudolf entworfenen Gärten, die den pflanzlichen Lebenszyklus ganzheitlich sichtbar machen. Dass dies möglich wird, setzt eine gezielte Auswahl an winterharten Stauden voraus. Hierbei zählen nicht vorrangig Blühfreudigkeit und Blütenfarben, sondern der Aufbau der Pflanzenteile, der Sprossachse und der Blätter sowie Standhaftigkeit und Färbung im Herbst und Winter.
Erstmals 1990 listete Piet Oudolf zusammen mit Henk Gerritsen in dem Band «Droomplanten. De nieuwe generatie tuinplanten» pflegeleichte «Traumpflanzen» auf, die auch ausserhalb der Blütezeit ins Auge fallen. Acht Jahre zuvor, 1982, hatte Oudolf für seine Frau Anja eine Gärtnerei im niederländischen Hummelo gegründet.
Das naturnahe Gartendesign traf den Ökonerv der Zeit, Wachstumszyklen und Kreisläufe ganzheitlich zu sehen. Harmonisch gedeihliche Nachbarschaften von Staudengewächsen und Ziergräsern, die ein natürlich wucherndes Ensemble bilden, ebneten dem Pionier des New Perennial Movement den Weg zum Welterfolg. Der Hummelo-Garten schloss 2018 seine Pforten. Doch Oudolfs Traumpflanzen haben in privaten Gärten wie in öffentlichen Anlagen und Schaugärten das ganze Jahr über Saison.
Grau-Braun-Gelb-Rot
Getreu dem Konzept des Gartendesigners werden auch die Gewächse im jüngst auf dem Vitra-Campus angelegten öffentlichen Garten im Spätherbst nicht gekürzt. Also modellieren die welken Staudengewächse und das Grau-Braun-Gelb-Rot der Ziergräser den winterlichen Garten. Erst in der zweiten Winterhälfte werden verblühte Stauden und Gräser, die nach Frostnächten ein vom silbernen Raureif überzogenes Hochrelief formen, zurückgeschnitten. Die rund 30 000 Pflanzensetzlinge, die im Mai 2020 nach dem Pflanzplan von Piet Oudolf in die Erde gebracht wurden, verleihen der Gartenanlage auch im Winter eine kontrastreiche Struktur.
Beim Gang durch den Garten fallen einige Winterschönheiten ins Auge: Disteln formen ein sich ausbreitendes Sternbild, Perowskien, die in der warmen Jahreszeit zartblau blühen, zeigen sich im edlen Silberkleid, und über einer Ziergraswolke erhebt sich über einen Meter hoch die Strukturpflanze Echinacea pallida «Hula Dancer». Das Tutu aus rosa Blütenblättern hat sie abgelegt, sichtbar geblieben ist das dunkle Köpfchen.
Noch höher als die Echinacea pallida ragen an der Umgrenzung des Gartens die Stengel mit den verblühten rosa Wedeln der winterharten Prachtspieren auf. Bodennah verhakelt sich Rutenhirse zu einem filigranen Gespinst, vertrocknete Blütenrispen der Reitgräser beugen sich über die Gartenwege.
Das hier Verblühte ist nicht für Deko-Boutiquen gedacht. Stattdessen macht der herbstliche und winterliche Garten die unzähligen Wandlungsformen als Schlüssel allen organischen Fortlebens erfahrbar, auch das Anpassungsvermögen der Natur.
Trotz Eis, Schnee und Kälte bringen schon bald die Frühblüher frische Farbe in den Garten, und die mehrjährigen Stauden treiben unbeschadet aus. «Zartheit und zähe Kraft» attestierte der berühmte Staudenzüchter Karl Foerster (1874–1970), auf dessen Ansatz sich Oudolf bezieht, den winterharten, krautigen Gewächsen.
Natürlich nicht Stauden, sondern grün glänzende Blätter des Peruanischen Blausterns kündigen in Piet Oudolfs Vitra-Garten bereits Anfang Januar das Winterende an. «Oh! Hat der Klimawandel den Blaustern jetzt schon aus der schützenden Zwiebel gelockt?», mag mancher zu bedenken geben.
Gartentraum mit Minihaus
An der Brunnenrinne laden Stühle aus der Vitra-Kollektion dazu ein, der zauberhaften Magie des Ineinandergreifens der Jahreszeiten nachzusinnen und sich eigenen Gartenträumen hinzugeben, nicht etwa, um wirkungsvolle florale Sträusse zu winden – sondern um der Natur willen, wie es Piet Oudolf praktiziert.
Da fällt der Blick auf das Minihaus, das auf der Wiese am südlichen Ende des Gartens steht. Das Tiny House, ebenfalls entworfen vom Renzo Piano Building Workshop mit Transsolar, mutiert in Gedanken flugs zum Gartenhaus, in dem ein Öfchen bullert und sich zur Bescheidenheit eines Lebens in der Natur das Glück der inneren Zufriedenheit zugesellt. Werde Gärtner, werde glücklich! – Das dürfte auf Piet Oudolf zutreffen, dessen Motto lautet: «Gardening, it’s my life!»
[ Piet Oudolf und Henk Gerritsen: Gärten, inspiriert von der Natur. Die schönsten Stauden und Gräser. Überarbeitet von Noel Kingsbury. Gräfe-und-Unzer-Verlag, München 2021. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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