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Architekturzentrum Wien: Wenn die Sammlung zu erzählen beginnt
Spectrum

„Hot Questions – Cold Storage“: Unter diesem Titel präsentiert das Architekturzentrum Wien seine von Grund auf neu konzipierte Dauerausstellung. Unter den Schauobjekten: ein Riesenrad für Architekturmodelle. Wien ist um eine Attraktion reicher.

4. Februar 2022 - Christian Kühn
Die „a_chau“ nannte sich von 2004 bis 2021 die Dauerausstellung des Architekturzentrums Wien, eine chronologische Übersicht über die österreichische Architektur seit Mitte des 19. Jahrhunderts, mit einem klaren Schwerpunkt im 20. und ein paar ersten Beiträgen aus dem 21. Jahrhundert. Konzeptionell und gestalterisch war die „a?chau“ eine Herausforderung: Sie wirkte, als hätte ein Wirbelsturm Hunderte Seiten aus reich bebilderten Fachbüchern gerissen und im Raum verteilt. Einprägsam war diese Ausstellung jedenfalls nicht.

Dass gerade der Dauerausstellung des AzW der Erfolg verwehrt blieb, war kein Zufall. „Sturm der Ruhe. What is architecture?“ hieß 2001 die Ausstellung, mit der AzW-Direktor Dietmar Steiner sein Debüt in den neu adaptierten Räumen im Museumsquartier gab. Sie wollte dazu anregen, Architektur von ihren Rändern her zu denken, vom Unspektakulären, nicht medial Verwertbaren, und von den lapidaren Lösungen her, die erst auf den zweiten Blick ihre hohe „konzeptionelle Kompetenz“ preisgeben, von der sich Steiner eine „neue Architektur“ erwartete. Leicht vernebelte Assoziationsräume dieser Art zu öffnen war Steiners Stärke, und zu Recht wurde diese Ausstellung in der Architekturszene heftig diskutiert. Die didaktisch angelegte „a?chau“ war dagegen nie sein Herzensprojekt, auch wenn der Katalog zur „a?chau“ sich über die Jahre als Bestseller erwies.

Als Angelika Fitz im Jahr 2017 die Leitung des AzW übernahm, blieb die „a_chau“ trotz einiger Verbesserungen in der Präsentation und im Vermittlungsprogramm weitgehend unverändert. Der Schwerpunkt des AzW lag bei Sonderausstellungen, die sich konsequent mit den aktuellen „großen Fragen“ befassten, darunter „Boden für alle“ über die Ökonomie und Ökologie des Bodenverbrauchs, „Critical Care“ über den sorgsamen Umgang mit einem „Planeten in der Krise“ oder „Form folgt Paragraph“ über den Einfluss von Normen auf die Architekturentwicklung. Ergänzt wurde das Programm um Ausstellungen international renommierter Architektinnen und Architekten von Denise Scott Brown über Balkrishna Doshi bis Tatiana Bilbao.

Parallel dazu entstanden wichtige, von der Leiterin der AzW-Sammlung, Monika Platzer, kuratierte historische Ausstellungen, die vor allem die politische Dimension von Architektur und Stadtplanung untersuchten: „Kalter Krieg und Architektur“, quasi die Fortsetzung einer in der Ära Steiner entstandenen Ausstellung über die NS-Planungen unter dem Titel „Wien. Perle des Reiches“, oder eine Ausstellung über „Roland Rainer. (Un)Umstritten“, in der Rainers Karriere im NS-Staat in den Fokus rückte.

Dass man sich im AzW so lange mit der Neugestaltung der Dauerausstellung Zeit ließ, liegt nicht zuletzt daran, dass die Sammlung des AzW in den vergangenen Jahren auf inzwischen über 100 Vor- und Nachlässe gewachsen ist. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Materials erfordert einen langen Atem. Seit Mittwoch ist klar: Die Wartezeit hat sich gelohnt. Die neue, von Angelika Fitz und Monika Platzer konzipierte Dauerausstellung unterscheidet sich radikal von der bisherigen. Sie ist weder chronologisch aufgebaut noch versucht sie, aus der umfangreichen Sammlung eine Präsentation von Meisterwerken zusammenzustellen. Stattdessen überträgt sie das Konzept, mit dem das Sonderausstellungsprogramm des AzW so erfolgreich wurde, auf die Dauerausstellung: Sie stellt Fragen an die Sammlung und macht in ihren Antworten deutlich, dass Architektur nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine sozioökonomische und politische Sache ist.

Der Titel der Ausstellung, „Hot Questions – Cold Storage“, bezieht sich auf die Doppelrolle jedes Museums: auf das so weit wie möglich objektive, „kühle“ Sammeln und Forschen auf der einen Seite und auf das Ausstellen auf der anderen, das immer bis zu einem gewissen Grad subjektiv bleiben muss, mit Präferenzen, die ein- und ausschließen, sowie mit Fragestellungen, die aus dem Heute an die Vergangenheit gestellt werden und so erst die aktuelle Relevanz eines Museums ausmachen. Das gilt für alle Museen, aber ganz besonders für ein Architekturmuseum, dessen Gegenstand eng mit sozioökonomischen und politischen Aspekten verbunden ist.

So lesen sich auch die sieben Begriffe und Fragen, nach denen die Ausstellung organisiert ist, wie ein Panorama des Zeitgeists: Kapital – Wer macht die Stadt? Habitat – Wie wollen wir leben? Gemeinwohl – Wer sorgt für uns? Selbstschau – Wer sind wir? Macher:innen – Wer spielt mit? Bausteine – Wie entsteht Architektur? Planet – Wie überleben wir?

Zu jeder dieser Fragen gibt es ein räumliches Gerüst, in dem Antworten aus der Sammlung präsentiert werden. Bei der Frage nach der Identität finden sich naheliegende Materialien über österreichische Beiträge zu Weltausstellungen, aber auch Detailinformationen über die Entstehung der Wiener UNO-City und Fotos von Kurt Waldheim, wie er als UNO-Generalsekretär in New York ein von österreichischen Betrieben gestiftetes Arbeitszimmer übernimmt, dazu die Rezeption dieses Nicht-Ereignisses in der österreichischen Presse.

Ein Unterabschnitt befasst sich mit Moscheen und Synagogen und präsentiert neben einem Modell der 1939 zerstörten Hietzinger Moschee von Arthur Grünberger und Adolf Jelletz ein geometrisch verwandtes Fassadenelement des islamischen Friedhofs von Bernardo Bader in Altach. In einer weiteren Unterabteilung zeigt ein unscheinbares Plandetail, die Beschriftung eines Geschäftsportals, den großen Architekten Otto Wagner als kleingeistigen Antisemiten. Dass er beides war, ist schmerzlich, aber eine Tatsache. Die Ausstellung ist voll von Überraschungen und mehr oder weniger großen Irritationen. So werden etwa die Monumentalbauten der Ringstraße im Abschnitt über das Kapital behandelt und als winzige Lego-Modelle gezeigt, an denen sich die Postkartenklischees, die wir von diesen Bauten im Gedächtnis haben, brechen.

Die Ausstellungsgestaltung von Michael Hieslmair mit Michael Zinganel (tracing spaces) und Christoph Schörkhuber mit Stefanie Wurnitsch (seite zwei) setzt mit ihrem Farbverlauf vom heißen Orange bis zum kalten Blau – wo Videos Einblick in den Betrieb des AzW-Lagers in Möllersdorf geben – die Grundidee der Ausstellung kongenial um. Zentrales Schauobjekt ist ein nach dem Vorbild des Paternosters langsam rotierendes Regalsystem hinter Glas, in dem Wohnbaumodelle mit der Unerbittlichkeit eines Uhrwerks durch den Raum kreisen (noch tun sie das nicht, weil pandemiebedingt einige Teile des Mechanismus fehlen).

Mit dieser Ausstellung ist Wien um eine Top-Attraktion reicher. Inhaltlich kann es das AzW mit den großen Tankern vom MAK bis zum Wien Museum aufnehmen. Jetzt sollte es endlich vom Bund und der Stadt Wien die Ressourcen erhalten, die diesem Format entsprechen.

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