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Wohnen wie in den 1960ern
Spectrum

Weil der „brutalistische“ Baustil eines Wohnhauses in Wien-Mauer dem neuen Besitzer nicht gefällt, droht der Abbruch. Aber was ist mit dem kulturellen Wert? Sichtbeton sollte als anregend verstanden werden – genau wie die Wotrubakirche zum Denken animiert, die sich nur zwei Gassen weiter findet.

3. Februar 2022 - Judith Eiblmayr
Um ungeschminkte Betonarchitektur zu erfassen, kommen Architekturinteressierte seit fünfzig Jahren auf den Georgenberg in Wien-Mauer. Dort steht die Kirche „Zur Heiligsten Dreifaltigkeit“ (1976), bekannt als „Wotrubakirche“. Das Bauwerk aus aufeinander geschachtelten Stahlbetonquadern mit Glasfeldern in den Zwischenräumen imponiert noch immer mit archaischer Kraft, die der Bildhauer Fritz Wotruba und der Architekt Fritz Gerhard Mayr der Raumplastik verliehen haben. Diese einzigartige Form für einen Kirchenbau hatte Wotruba bereits zehn Jahre zuvor für einen anderen Ort entwickelt; er wurde also nicht vom Genius Loci inspiriert, obwohl es auf dem Georgenberg zu der Zeit bereits Bauten in Sichtbeton gab.

Einerseits wurde die Kirche auf einem Grundstück des Bundes errichtet, wo „gewaltige Bagger die Betonsockel der Kaserne der Deutschen Wehrmacht aus dem Boden rissen“, wie im Liesinger Bezirksführer von Rudolf Spitzer nachzulesen ist. Bruno Kreisky und Bürgermeister Leopold Gratz hätten sich persönlich dafür eingesetzt, dass Wotrubas Wunsch in Erfüllung ging, einen Bauplatz zu finden, wo der Blick weit ins Land reichte. Dies war auf der Anhöhe in Mauer gegeben, und die Errichtung eines Sakralbaus, entworfen vom wichtigsten österreichischen Bildhauer seiner Zeit, bot eine gute Gelegenheit, die Ruinen der Nazi-Kaserne abzureißen. Noch immer zeugen in der Nähe der Kirche verwitterte Betonmauern vom Kasernengelände, der Blick ins Umland ist mittlerweile zugewachsen.

„Die drei Aquarien vom Wittmann“

Andrerseits gibt es zwei Gassen weiter ein Einfamilienhaus, dem der Blick über die Weingärten von Mauer und Perchtoldsdorf hinweg bis ins Wiener Becken noch gegeben ist. Es ist ein Haus aus Stahlbeton, wie es selten zu finden ist, und es stand schon hier, bevor die Wotrubakirche gebaut wurde: Das Haus Stricker, errichtet 1968, findet sich in Friedrich Achleitners Kompendium zur „Österreichischen Architektur im 20. Jahrhundert“, ist es doch eines der seltenen privaten Sichtbetonhäuser in Österreich.

Als Architekt ist in dem Buch ein anderer genannt als jener, von dem eine Projektkundige zu erzählen weiß, war dieses doch eines von drei Häusern auf gartenseitig benachbarten Grundstücken, die vom selben Architekten, Karl Wittmann, geplant worden waren. Die drei Familien seien befreundet gewesen, der Architekt bewohnte selbst eines der Häuser. „Die drei Aquarien vom Wittmann“ wurden sie genannt, wohl wegen der kubischen Form, wenn auch unterschiedlich gestaltet: eines in Sichtbeton, eines verputzt und eines mit keramischer Fassade. Wittmans Mutter, Luise, die ebenfalls dort wohnte, war Künstlerin und hat in zumindest zwei dieser Häuser Werke hinterlassen. Dieses Ensemble besteht noch immer, aber womöglich nicht mehr lange.
Das zweigeschoßige Haus Stricker hat wie bei Wotrubas Kirchenbau eine beeindruckende plastische Wirkung: An der Fassade sind die rauen Bretter der horizontalen Holzschalung des Betons abgebildet, was die betontypische natürliche Textur verleiht. Mit einer Brüstung mit überdimensioniertem Speiher zur Entwässerung der südwestseitig vorgelagerten großen Terrasse und einem übereck greifenden Relief an der Fassade wird die Positiv-Negativ-Wirkung des gegossenen Betons eingesetzt, um den Hauseingang rechts zu betonen.

Die auch formal schwere Terrasse steht auf schmalen Stahlstützen, darunter gibt eine vollflächige Übereckverglasung den Blick ins Wohnzimmer und bis in den hinter dem Haus liegenden Garten frei. Das Gebäude ist kompakt, quaderförmig und flach gedeckt und mit den rostbraunen Fensterprofilen sowie Wandverschalungen ein perfektes Abbild der Moderne der 1960er-Jahre. Man möchte fast sagen, es ist formvollendet: ein schlichter, kantiger Bau mit einer starken künstlerischen Geste zur Straße hin, der sich mit seiner patinierten Sichtbetonfassade gegenüber dem Grün des Gartens zurücknimmt. Genau dieses Haus soll nun abgerissen werden. Dass neue Besitzer ihr Wohnhaus spezifisch geplant haben wollen, ist prinzipiell verständlich, zudem schätzt nicht jeder „Hausbenutzer“ die Moderne. Manchmal hängen an Bauten persönliche Geschichten, die – abgesehen von hohen Heizkosten und kaum einer Möglichkeit, die Sichtbetonmauern thermisch nachzurüsten, ohne die Architektur zu zerstören – auch eine finanzielle Last darstellen. Gleichzeitig hat sich neben Grundstücksspekulanten, die ohne Rücksicht auf „Stadtbildverluste“ alles wegreißen, was im Weg steht, um auf einem Grundstück die maximale Kubatur zu generieren (auf dem Grundstück des Hauses Stricker lässt dies die Bauordnung nicht zu), eine Käuferschaft entwickelt, die diese privaten Bauten retten will. Zumindest jene, die durch eine Erwähnung von Fritz Achleitner im österreichischen Architekturkanon „geadelt“ wurden, absolut erhaltenswürdig sind und mit finanziellem Ein- und innovativem Ansatz bei Haustechnik und Bauweise sicherlich zeitadäquat und stilaffin verbessert werden können.

Verschämt mit Styropor zugepappt

Wenn es nach den Vorstellungen der Aktionsgruppe „Bauten in Not“ geht, sollten einige von diesen rasch unter Denkmalschutz gestellt werden, damit nicht alle Gebäude verschwinden, die als „brutalistisch“ bezeichnet und damit eigentlich verunglimpft werden. „Für den Brutalismus, eine Architekturbewegung, die hauptsächlich in den 1960er-/1970er-Jahren auftrat, war die Verwendung von rohen Materialien als Gestaltungselemente und nicht rein als Werkstoffe für eine stabile Konstruktion charakteristisch“, wie in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Juli 2021 zur Unterschutzstellung des Kongresszentrums in Bad Gastein nachzulesen ist. Für dieses Bauwerk von Gerhard Garstenauer, geplant und wie die Wotrubakirche 1974 bis 1976 errichtet, wurde erst voriges Jahr bestimmt, dass „die Erhaltung des Objekts im öffentlichen Interesse gelegen sei“.

„Brut“ ist das Stichwort, nicht „brutal“: Als anregend sollte Sichtbeton (frz. béton brut) verstanden werden, so wie die Wotrubakirche unbestritten ein Meisterwerk ist, das zum Denken anregt und nicht als nackte Wahrheit missverstanden werden muss, verschämt mit Telwolle verhüllt, realiter mit Styropor „zugepappt“. Die Wahrhaftigkeit der Konstruktion ist dem Menschen zumutbar, könnte man in Abwandlung eines berühmten Zitates sagen – genau das Prinzip, das Fritz Wotruba mit seinem Entwurf realisieren wollte. Die Menschen verstehen das, sonst würden sie nicht zu diesem Bauwerk pilgern. Das Einfamilienhaus in Sichtbeton versteht sich als Teil unserer Kulturgeschichte und sollte unbedingt erhalten werden, wenn es baulich in Ordnung, kompakt und im Stil so cool ist wie das Haus von Karl Wittmann – noch dazu wenn es auf dem Georgenberg steht.

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