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Das Design der Wiener U-Bahn ist zeitlos
Vor 50 Jahren wurden die Stationen der Wiener U-Bahn entworfen – ähnlich wie bei Otto Wagners Stadtbahn sollten die Elemente des Bauwerks mit der Stadt verschmelzen. Eine Glanzleistung – aber noch immer zu wenig gewürdigt.
3. März 2022 - Harald A. Jahn
Noch an den letzten Tagen des Jahres 1971 arbeitete das Team der Architektengruppe U-Bahn (AGU) an dem Kompendium, das die Gestaltung der Wiener U-Bahn definierte. Der ähnliche Ansatz, die Stationen mit seriellen Paneelen zu verkleiden und daraus alle Elemente zu entwickeln, hatte die beiden Zweitplatzierten des vorangegangenen Architektenwettbewerbs zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeführt; nun wurden die Grundlagen der Gestaltung festgelegt, Sitzbänke, Mistkübel, Zielanzeigen, Stiegengeländer gezeichnet.
Neben den Architekten Holzbauer, Marschalek, Ladstätter und Gantar arbeiteten auch zwei Grafiker an den Entwürfen, die mit jeder Überarbeitung stringenter wurden: Tino Erben und Werner Sramek waren für das Leitsystem verantwortlich, das integraler Bestandteil der Architektur war und die Fahrgäste zuverlässig durch die Stationen führen sollte. Die U-Bahn war anfangs als reines Ingenieurbauwerk konzipiert gewesen; bereits seit November 1969 hatten sich die Bagger durch den Karlsplatz gefressen, erst 1970 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der mit schwacher Beteiligung und ohne ersten Preis abgeschlossen wurde.
Vieles war damals Neuland in einer Stadt, deren öffentliche Verkehrsmittel unterfinanziert und deren einzige Metro eine schon bei der Eröffnung veraltete Stadtbahn war. Der SP-Regierung war das Thema U-Bahn lange suspekt, man versuchte sich mit tiefgelegten Straßenbahnlinien in die unklare Verkehrszukunft zu retten; Vorbild dafür war Brüssel. Erst nach jahrelangem Druck der Opposition öffnete man sich der U-Bahnidee – Pläne hatte es seit der Ringstraßenzeit ja genug gegeben. Beeindruckend und überraschend ist im Rückblick vor allem, dass Wien nun tatsächlich Nägel mit Köpfen machen wollte und mit dem verspäteten Wettbewerb ein Architektenteam zusammenbrachte, dem ein wirklich großer Wurf gelang.
Eine Farbe für jede Linie
Die Grundidee ist jedem Wiener bekannt, auch wenn kaum jemand auf die Details achtet: eine Farbe für jede Linie, weiße glatte Flächen, regelmäßig unterbrochen durch Stege in Linienfarbe, ein heller Bahnsteigbereich, der durch das Lichtband vom dunklen Gleisbereich klar abgetrennt ist, einheitliche Beschriftung mit großer Primärinformation und Piktogrammen für die Richtungsangaben – all das war zu Zeiten einer Stadtbahn, die sich durch ruinöse Stationen bewegte, neu. Dabei war das System flexibel genug, um auf alle Stationstypen reagieren zu können, von Tiefstationen in offener oder Röhrenbauweise über die Adaption der Otto-Wagner-Haltestellen bis hin zu den Hochstationen der U1 nördlich der Donau.
Es spricht für die hohe Qualität des Entwurfs, dass alle Zugeständnisse an den damaligen Zeitgeist herausreduziert wurden – immerhin war es die Epoche der Pop-Art, der orange-braunen Plastikmöbel, der Space-Age-Plexiglaskuppeln. Einzig die typischen Viertelrundbögen und die damit ineinanderfließenden Wand- und Deckenverkleidungungen verraten die Entstehungszeit. Bewusst entschied sich die AGU dafür, alle Stationen in einheitlicher Formensprache auszuführen. Ähnlich wie Otto Wagners Stadtbahn sollte ein überall wiedererkennbares Bauwerk die ganze Stadt durchziehen – und sich in die bestehende Ikonografie einschreiben. Wie das Sonnenradgeländer Wagners sollten die Elemente der neuen U-Bahn mit der Stadt verschmelzen; so bezieht sich etwa der U-Bahnwürfel von Tino Erben bewusst auf die Wiener Würfeluhr.
Wagner war übrigens in den 1960er-Jahren nur in Architektenkreisen geschätzt; in der allgemeinen Wahrnehmung war Jugendstil Kitsch, seine Baudenkmäler konnte man ohne Weiteres abreißen. Mit viel Glück wurden die Karlsplatz-Pavillons gerettet, die heute in keinem Tourismuskatalog fehlen dürfen; andere Bauwerke wie die Stationen Meidling, Hietzing oder Hauptzollamt (heute Wien-Mitte) gingen verloren. Die sorgfältigen Sanierungen im Zuge der U-Bahnumbauten trugen dazu bei, dass die Öffentlichkeit Wagners Wert wieder wahrnahm.
Leider wurde in den 1970er-Jahren auch ein „verdienter Partner der Gemeinde“ mit Aufträgen bedacht: Kurt Schlauss hatte sich nicht am Wettbewerb beteiligt, wohl aber einige Projekte wie das Matzleinsdorfer Hochhaus, Wehranlagen der Neuen Donau oder die Straßenbahnschleife Schottentor zur Zufriedenheit der Stadt geplant; nun durfte er sich am Karlsplatz verwirklichen und die Straßenbahn unter der „Zweierlinie“ umbauen. Vor allem der düstere Karlsplatz mit seinem schwer wirkenden Materialmix fiel von Anfang an deutlich zu den Stationen der AGU ab.
Technoider, aber beliebiger
In spätere Ausbaustufen wurde diese „Altlast“ mitgenommen: Während für einen Großteil von U3 und U6 das AGU-Stationsdesign weiterentwickelt wurde, mit großzügigen, natürlich belichteten Aufgängen und reduzierten Wartungskosten, entstanden erneut Haltestellen wie Volkstheater (U3) oder Längenfeldgasse (U4/U6) im Schlauss'schen Design. Und während die AGU schon in den 1970ern überzeugend und zeitlos entworfen hatten, dekorierte Schlauss seine Stationen noch in den 1990ern in Orange und Braun.
Ende der 1990er-Jahre begann mit der Verlängerung der U2 Richtung Stadlau eine neue Phase, nach einem erneuten Wettbewerb gestalteten nun die Büros Moßburger und Katzberger jeweils die Tief- und Hochstationen. Jetzt wandelte sich das Design, wurde technoider, aber beliebiger; die typische Identität ging verloren. Doch auch die Entwürfe aus der Anfangszeit konnten erneut ihre Stärken ausspielen: Mit nur wenigen Anpassungen wurde die U1 im Stil der 1970er-Jahre an beiden Enden weitergebaut. 2017 wurde sie fertiggestellt – eine unglaubliche Bestätigung der hohen Qualität, die die AGU 50 Jahre zuvor abgeliefert hat.
Damit schließt sich der Kreis gleich doppelt. Einerseits hat das typische Design des Grundnetzes seinen Platz im Stadtbild gefunden und kann ihn bis heute verteidigen; 70 Jahre nach Otto Wagner entstand abermals ein hochmodernes Verkehrsbauwerk, das mit seinen Begleitmaßnahmen die Stadt nachhaltig veränderte und als Gesamtkunstwerk gesehen werden kann. Andererseits teilen vor allem die frühen Bauwerke der U1 das Schicksal der Stadtbahnstationen: Sie werden als zu alltäglich wahrgenommen und schlecht gepflegt. Schon vor etlichen Jahren haben die Wiener Linien viele Deckenverkleidungen entfernt, ohne sich Gedanken über die Optik zu machen, oder nach kleinen Umbauten Wandpaneele weggelassen. Dass es im Lauf der Jahrzehnte zu Veränderungen kommt, ist selbstverständlich. Wünschenswert wäre aber, einen ganz kleinen Teil der Milliardenbeträge, die in die Neubaustrecken fließen, für den Altbestand aufzuwenden: Er hätte es verdient, nicht wie Otto Wagner erst nach Jahrzehnten wiederentdeckt zu werden
Neben den Architekten Holzbauer, Marschalek, Ladstätter und Gantar arbeiteten auch zwei Grafiker an den Entwürfen, die mit jeder Überarbeitung stringenter wurden: Tino Erben und Werner Sramek waren für das Leitsystem verantwortlich, das integraler Bestandteil der Architektur war und die Fahrgäste zuverlässig durch die Stationen führen sollte. Die U-Bahn war anfangs als reines Ingenieurbauwerk konzipiert gewesen; bereits seit November 1969 hatten sich die Bagger durch den Karlsplatz gefressen, erst 1970 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der mit schwacher Beteiligung und ohne ersten Preis abgeschlossen wurde.
Vieles war damals Neuland in einer Stadt, deren öffentliche Verkehrsmittel unterfinanziert und deren einzige Metro eine schon bei der Eröffnung veraltete Stadtbahn war. Der SP-Regierung war das Thema U-Bahn lange suspekt, man versuchte sich mit tiefgelegten Straßenbahnlinien in die unklare Verkehrszukunft zu retten; Vorbild dafür war Brüssel. Erst nach jahrelangem Druck der Opposition öffnete man sich der U-Bahnidee – Pläne hatte es seit der Ringstraßenzeit ja genug gegeben. Beeindruckend und überraschend ist im Rückblick vor allem, dass Wien nun tatsächlich Nägel mit Köpfen machen wollte und mit dem verspäteten Wettbewerb ein Architektenteam zusammenbrachte, dem ein wirklich großer Wurf gelang.
Eine Farbe für jede Linie
Die Grundidee ist jedem Wiener bekannt, auch wenn kaum jemand auf die Details achtet: eine Farbe für jede Linie, weiße glatte Flächen, regelmäßig unterbrochen durch Stege in Linienfarbe, ein heller Bahnsteigbereich, der durch das Lichtband vom dunklen Gleisbereich klar abgetrennt ist, einheitliche Beschriftung mit großer Primärinformation und Piktogrammen für die Richtungsangaben – all das war zu Zeiten einer Stadtbahn, die sich durch ruinöse Stationen bewegte, neu. Dabei war das System flexibel genug, um auf alle Stationstypen reagieren zu können, von Tiefstationen in offener oder Röhrenbauweise über die Adaption der Otto-Wagner-Haltestellen bis hin zu den Hochstationen der U1 nördlich der Donau.
Es spricht für die hohe Qualität des Entwurfs, dass alle Zugeständnisse an den damaligen Zeitgeist herausreduziert wurden – immerhin war es die Epoche der Pop-Art, der orange-braunen Plastikmöbel, der Space-Age-Plexiglaskuppeln. Einzig die typischen Viertelrundbögen und die damit ineinanderfließenden Wand- und Deckenverkleidungungen verraten die Entstehungszeit. Bewusst entschied sich die AGU dafür, alle Stationen in einheitlicher Formensprache auszuführen. Ähnlich wie Otto Wagners Stadtbahn sollte ein überall wiedererkennbares Bauwerk die ganze Stadt durchziehen – und sich in die bestehende Ikonografie einschreiben. Wie das Sonnenradgeländer Wagners sollten die Elemente der neuen U-Bahn mit der Stadt verschmelzen; so bezieht sich etwa der U-Bahnwürfel von Tino Erben bewusst auf die Wiener Würfeluhr.
Wagner war übrigens in den 1960er-Jahren nur in Architektenkreisen geschätzt; in der allgemeinen Wahrnehmung war Jugendstil Kitsch, seine Baudenkmäler konnte man ohne Weiteres abreißen. Mit viel Glück wurden die Karlsplatz-Pavillons gerettet, die heute in keinem Tourismuskatalog fehlen dürfen; andere Bauwerke wie die Stationen Meidling, Hietzing oder Hauptzollamt (heute Wien-Mitte) gingen verloren. Die sorgfältigen Sanierungen im Zuge der U-Bahnumbauten trugen dazu bei, dass die Öffentlichkeit Wagners Wert wieder wahrnahm.
Leider wurde in den 1970er-Jahren auch ein „verdienter Partner der Gemeinde“ mit Aufträgen bedacht: Kurt Schlauss hatte sich nicht am Wettbewerb beteiligt, wohl aber einige Projekte wie das Matzleinsdorfer Hochhaus, Wehranlagen der Neuen Donau oder die Straßenbahnschleife Schottentor zur Zufriedenheit der Stadt geplant; nun durfte er sich am Karlsplatz verwirklichen und die Straßenbahn unter der „Zweierlinie“ umbauen. Vor allem der düstere Karlsplatz mit seinem schwer wirkenden Materialmix fiel von Anfang an deutlich zu den Stationen der AGU ab.
Technoider, aber beliebiger
In spätere Ausbaustufen wurde diese „Altlast“ mitgenommen: Während für einen Großteil von U3 und U6 das AGU-Stationsdesign weiterentwickelt wurde, mit großzügigen, natürlich belichteten Aufgängen und reduzierten Wartungskosten, entstanden erneut Haltestellen wie Volkstheater (U3) oder Längenfeldgasse (U4/U6) im Schlauss'schen Design. Und während die AGU schon in den 1970ern überzeugend und zeitlos entworfen hatten, dekorierte Schlauss seine Stationen noch in den 1990ern in Orange und Braun.
Ende der 1990er-Jahre begann mit der Verlängerung der U2 Richtung Stadlau eine neue Phase, nach einem erneuten Wettbewerb gestalteten nun die Büros Moßburger und Katzberger jeweils die Tief- und Hochstationen. Jetzt wandelte sich das Design, wurde technoider, aber beliebiger; die typische Identität ging verloren. Doch auch die Entwürfe aus der Anfangszeit konnten erneut ihre Stärken ausspielen: Mit nur wenigen Anpassungen wurde die U1 im Stil der 1970er-Jahre an beiden Enden weitergebaut. 2017 wurde sie fertiggestellt – eine unglaubliche Bestätigung der hohen Qualität, die die AGU 50 Jahre zuvor abgeliefert hat.
Damit schließt sich der Kreis gleich doppelt. Einerseits hat das typische Design des Grundnetzes seinen Platz im Stadtbild gefunden und kann ihn bis heute verteidigen; 70 Jahre nach Otto Wagner entstand abermals ein hochmodernes Verkehrsbauwerk, das mit seinen Begleitmaßnahmen die Stadt nachhaltig veränderte und als Gesamtkunstwerk gesehen werden kann. Andererseits teilen vor allem die frühen Bauwerke der U1 das Schicksal der Stadtbahnstationen: Sie werden als zu alltäglich wahrgenommen und schlecht gepflegt. Schon vor etlichen Jahren haben die Wiener Linien viele Deckenverkleidungen entfernt, ohne sich Gedanken über die Optik zu machen, oder nach kleinen Umbauten Wandpaneele weggelassen. Dass es im Lauf der Jahrzehnte zu Veränderungen kommt, ist selbstverständlich. Wünschenswert wäre aber, einen ganz kleinen Teil der Milliardenbeträge, die in die Neubaustrecken fließen, für den Altbestand aufzuwenden: Er hätte es verdient, nicht wie Otto Wagner erst nach Jahrzehnten wiederentdeckt zu werden
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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