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Wie das Wasser nach Wien reist
Es war eine technische Meisterleistung: Die I. Wiener Hochquellenleitung wurde 1869 bis 1873 errichtet und stellt bis heute Wiens Versorgung sicher. Eine Ausstellung dokumentiert nun die dafür gebauten "Wasserschlösser".
10. März 2022 - Stephanie Drlik
Eines der kostbarsten Güter dieser Erde ist das Trinkwasser.“ Mit diesen Worten beginnt die Festschrift zur 100-Jahr-Feier der I. Wiener Hochquellenleitung im Jahr 1973. Nun ist das Zitat des damals amtsführenden Stadtrats Kurt Heller beinahe 50 Jahre alt, doch vor dem Hintergrund des Klimawandels sind seine Worte treffender denn je. Weltweit gibt es eine Verknappung des Trinkwassers, und auch die Alpenländer könnten durch die Gletscherschmelze von einer besonders raschen Dynamik mit Auswirkungen auf den Wasserkreislauf betroffen sein. Was für ein Privileg der Wiener:innen: Kaum eine Großstadt ist in der Lage, ihre Bewohner:innen mit derart hochwertigem Quellwasser zu versorgen. Bestes Trinkwasser, das wir nach wie vor in den allermeisten Fällen als Nutzwasser unsere Wiener Toiletten hinunterspülen – ein kaum diskutierter Missstand. Der Veränderungswille ist überschaubar, fließt doch Nachschub aus dem Rax-Schneeberg-Massiv scheinbar nie enden wollend in unsere Leitungen. Dafür haben die Konstrukteure der I. Wiener Hochquellenleitung gesorgt.
Das Vorhaben war, damals wie heute betrachtet, eine technische Meisterleistung. Die Wasserleitung wurde in nur vier Jahren 1869 bis 1873 von Bauunternehmer Anton Gabrielli aus London errichtet. In den 1960er-Jahren kam es zur Verlängerung der Leitung über den Schneealpenstollen bis in die Steiermark und zur Einspeisung einiger weiterer Quellen in diesem Gebiet; die letzte Erweiterung fand im Jahr 1988 statt. Neben der Erschließung der Quellen und den Grabungen der Stollen war eine der großen Herausforderungen, das Wasser im freien Gefälle bis nach Wien zu leiten. Schließlich geht die Landschaft eigenwillig bergauf und bergab und wahrlich nicht im optimalen Fließwinkel. So mussten neben der Leitung zahlreiche Aquädukte zur Talquerung sowie Pump- beziehungsweise Schöpfstationen errichtet werden. Die im Endausbau rund 112 Kilometer lange Wasserleitung ist nach beinahe 150 Jahren bis heute in Funktion. Sie hat einen jährlichen Durchfluss von etwa 62 Millionen Kubikmeter Wasser und deckt damit grob die Hälfte des Wiener Bedarfs.
Von Steinbauten zu Betonfertigteilen
Begleitet wird der Weg des Wassers entlang der Hochquellenleitung von einigen teils außergewöhnlichen wasserbaulichen Anlagen. Es handelt sich um Bauwerke mit unterschiedlichen Funktionen: Wasserschlösser zur Quellfassung, Zumesskammern zur Messung des Wasserzulaufs, Einstiegstürme und Wartungszugänge für die Techniker:innen der zuständigen Magistratsabteilung, Aquädukte, Pump- und Schöpfwerke zur Überwindung von Höhensprüngen, Rückhalteanlagen zur Reduzierung von Druckunterschieden sowie Wasserreservoirs, in denen das Wasser auf die Weiterleitung wartet. Die jeweilige Bauphase der Quellenleitung – vom 19. Jahrhundert bis in die späten 1980er-Jahre – spiegelt sich in der Architektur der Häuschen wider. So finden sich historische Steinbauten ebenso wie zeitgenössische Kubaturen mit Betonfertigteilen. Im Gebirge wurden die Betriebsanlagen teils in das Bergmassiv integriert, was in der wilden Naturlandschaft ein romantisierendes Bild entstehen lässt.
Die Architekturen werden von Felsen, Wiesen und Vegetation bedeckt, als wäre der technische Eingriff eine Wunde in der Landschaft, die langsam verheilt. An manchen Stellen fließt das Quellwasser frei an der Oberfläche, andernorts liegt die Wasserleitung im Verborgenen, und nur die wie Fremdkörper in der Landschaft wirkenden Funktionsbauten zeugen vom Eingriff in die Natur. Dennoch: Der Einbau erfolgte behutsam – eine sensible Vorgehensweise, die wir uns heute bei so manch technischem Landschaftseingriff wünschen würden. Man denke an die landschaftsbasierte Energiewende, bei der immer wieder unter der Prämisse des Klimaschutzes auf Kosten anderer Schutzgüter, allen voran des Landschaftsbilds, agiert wird. Das spannende Setting der teils unter Denkmalschutz stehenden Bauwerke der I. Wiener Hochquellenleitung war für den Wiener Fotografen Johannes Hloch Anlass, sich auf fotografische Weise mit den Architekturen der Hochquellenleitung zu beschäftigen. Hloch studierte Landschaftsplanung und -architektur und wandte sich nach seinem Abschluss der Fotografie zu. 2009 legte er die Meisterprüfung ab und arbeitet seither als freier Fotograf. Bei seinen Landschaftsaufnahmen ist stets auch der planerische Hintergrund zu spüren – Perspektiven wählt er so, dass Geometrien, Formen und Räumlichkeiten herausgearbeitet und Bezüge zur Landschaft hergestellt werden.
Verzicht auf Filter und Retuschen
Aus der dokumentarischen Auseinandersetzung mit der I. Wiener Hochquellenleitung entstand Hlochs Serie der „Wasserschlösser“, benannt nach der wasserbaulichen Anlage im Reisstal am Endpunkt des Schneealpenstollens. Der Titel könnte passender nicht sein, denn die abgebildeten Bauwerke haben trotz ihrer meist überschaubaren Größe allesamt etwas Monumentales, etwas Stolzes. Selbst wenn es sich nur um kleine Einstiegstürme handelt, die Häuschen scheinen die technische Bedeutung und Wichtigkeit der Hochquellenleitung für unsere Gesellschaft repräsentieren zu wollen. Bei den Wasserschlössern der Hochquellenleitung treten anstelle der sonst bei Schlössern üblichen prunkvollen Park- und Gartenanlagen die Natur- und Kulturlandschaften hervor.
Die Fotografien bilden nicht nur Bauwerke unterschiedlicher Epochen ab, sie dokumentieren auch die atemberaubende Vielseitigkeit der österreichischen Landschaft im Verlauf der 112 Streckenkilometer. Zurückhaltend und unaufgeregt sind die Bilder dank des dokumentarischen Ansatzes, schließlich will Hloch zeigen, was ist. Ein ehrliches Abbild zu erschaffen, indem auf Filter oder Retuschen verzichtet wird, denn das würde, so Hloch, die ursprüngliche Wahrheit verfälschen und entfremden – der dokumentarische Wert würde leiden. Bei solch einem wissenschaftlichen Zugang ist es schon fast erstaunlich, wie gefühlvoll die Fotografien inszeniert und farblich komponiert sind. Die ästhetische Bildsprache berührt und lässt beinahe vergessen, dass es sich bei den Motiven um technische Funktionsbauten handelt.
Die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur zeigt Johannes Hlochs Serie „Wasserschlösser – Architekturen der I. Wiener Hochquellenleitung“ derzeit im Rahmen des Festivals „Foto Wien“. Die Ausstellung findet in Kooperation mit der Stadt Wien in der Planungswerkstatt am Friedrich-Schmidt-Platz statt; die Bilder sind für die Öffentlichkeit von 10. bis 24. März, dienstags bis freitags Nachmittag, zugänglich. Detaillierte Informationen gibt es unter www.hausderlandschaft.at oder auf der Foto-Wien-Festivalseite.
Das Vorhaben war, damals wie heute betrachtet, eine technische Meisterleistung. Die Wasserleitung wurde in nur vier Jahren 1869 bis 1873 von Bauunternehmer Anton Gabrielli aus London errichtet. In den 1960er-Jahren kam es zur Verlängerung der Leitung über den Schneealpenstollen bis in die Steiermark und zur Einspeisung einiger weiterer Quellen in diesem Gebiet; die letzte Erweiterung fand im Jahr 1988 statt. Neben der Erschließung der Quellen und den Grabungen der Stollen war eine der großen Herausforderungen, das Wasser im freien Gefälle bis nach Wien zu leiten. Schließlich geht die Landschaft eigenwillig bergauf und bergab und wahrlich nicht im optimalen Fließwinkel. So mussten neben der Leitung zahlreiche Aquädukte zur Talquerung sowie Pump- beziehungsweise Schöpfstationen errichtet werden. Die im Endausbau rund 112 Kilometer lange Wasserleitung ist nach beinahe 150 Jahren bis heute in Funktion. Sie hat einen jährlichen Durchfluss von etwa 62 Millionen Kubikmeter Wasser und deckt damit grob die Hälfte des Wiener Bedarfs.
Von Steinbauten zu Betonfertigteilen
Begleitet wird der Weg des Wassers entlang der Hochquellenleitung von einigen teils außergewöhnlichen wasserbaulichen Anlagen. Es handelt sich um Bauwerke mit unterschiedlichen Funktionen: Wasserschlösser zur Quellfassung, Zumesskammern zur Messung des Wasserzulaufs, Einstiegstürme und Wartungszugänge für die Techniker:innen der zuständigen Magistratsabteilung, Aquädukte, Pump- und Schöpfwerke zur Überwindung von Höhensprüngen, Rückhalteanlagen zur Reduzierung von Druckunterschieden sowie Wasserreservoirs, in denen das Wasser auf die Weiterleitung wartet. Die jeweilige Bauphase der Quellenleitung – vom 19. Jahrhundert bis in die späten 1980er-Jahre – spiegelt sich in der Architektur der Häuschen wider. So finden sich historische Steinbauten ebenso wie zeitgenössische Kubaturen mit Betonfertigteilen. Im Gebirge wurden die Betriebsanlagen teils in das Bergmassiv integriert, was in der wilden Naturlandschaft ein romantisierendes Bild entstehen lässt.
Die Architekturen werden von Felsen, Wiesen und Vegetation bedeckt, als wäre der technische Eingriff eine Wunde in der Landschaft, die langsam verheilt. An manchen Stellen fließt das Quellwasser frei an der Oberfläche, andernorts liegt die Wasserleitung im Verborgenen, und nur die wie Fremdkörper in der Landschaft wirkenden Funktionsbauten zeugen vom Eingriff in die Natur. Dennoch: Der Einbau erfolgte behutsam – eine sensible Vorgehensweise, die wir uns heute bei so manch technischem Landschaftseingriff wünschen würden. Man denke an die landschaftsbasierte Energiewende, bei der immer wieder unter der Prämisse des Klimaschutzes auf Kosten anderer Schutzgüter, allen voran des Landschaftsbilds, agiert wird. Das spannende Setting der teils unter Denkmalschutz stehenden Bauwerke der I. Wiener Hochquellenleitung war für den Wiener Fotografen Johannes Hloch Anlass, sich auf fotografische Weise mit den Architekturen der Hochquellenleitung zu beschäftigen. Hloch studierte Landschaftsplanung und -architektur und wandte sich nach seinem Abschluss der Fotografie zu. 2009 legte er die Meisterprüfung ab und arbeitet seither als freier Fotograf. Bei seinen Landschaftsaufnahmen ist stets auch der planerische Hintergrund zu spüren – Perspektiven wählt er so, dass Geometrien, Formen und Räumlichkeiten herausgearbeitet und Bezüge zur Landschaft hergestellt werden.
Verzicht auf Filter und Retuschen
Aus der dokumentarischen Auseinandersetzung mit der I. Wiener Hochquellenleitung entstand Hlochs Serie der „Wasserschlösser“, benannt nach der wasserbaulichen Anlage im Reisstal am Endpunkt des Schneealpenstollens. Der Titel könnte passender nicht sein, denn die abgebildeten Bauwerke haben trotz ihrer meist überschaubaren Größe allesamt etwas Monumentales, etwas Stolzes. Selbst wenn es sich nur um kleine Einstiegstürme handelt, die Häuschen scheinen die technische Bedeutung und Wichtigkeit der Hochquellenleitung für unsere Gesellschaft repräsentieren zu wollen. Bei den Wasserschlössern der Hochquellenleitung treten anstelle der sonst bei Schlössern üblichen prunkvollen Park- und Gartenanlagen die Natur- und Kulturlandschaften hervor.
Die Fotografien bilden nicht nur Bauwerke unterschiedlicher Epochen ab, sie dokumentieren auch die atemberaubende Vielseitigkeit der österreichischen Landschaft im Verlauf der 112 Streckenkilometer. Zurückhaltend und unaufgeregt sind die Bilder dank des dokumentarischen Ansatzes, schließlich will Hloch zeigen, was ist. Ein ehrliches Abbild zu erschaffen, indem auf Filter oder Retuschen verzichtet wird, denn das würde, so Hloch, die ursprüngliche Wahrheit verfälschen und entfremden – der dokumentarische Wert würde leiden. Bei solch einem wissenschaftlichen Zugang ist es schon fast erstaunlich, wie gefühlvoll die Fotografien inszeniert und farblich komponiert sind. Die ästhetische Bildsprache berührt und lässt beinahe vergessen, dass es sich bei den Motiven um technische Funktionsbauten handelt.
Die Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur zeigt Johannes Hlochs Serie „Wasserschlösser – Architekturen der I. Wiener Hochquellenleitung“ derzeit im Rahmen des Festivals „Foto Wien“. Die Ausstellung findet in Kooperation mit der Stadt Wien in der Planungswerkstatt am Friedrich-Schmidt-Platz statt; die Bilder sind für die Öffentlichkeit von 10. bis 24. März, dienstags bis freitags Nachmittag, zugänglich. Detaillierte Informationen gibt es unter www.hausderlandschaft.at oder auf der Foto-Wien-Festivalseite.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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