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Wien-Penzing: Wie der Baron in den Bäumen
Wie gehen baulicher Pragmatismus, künstlerische Freiheit, öffentliche Grünfläche und geförderter Wohnbau zusammen? Gut – wenn sich ein Planungsbüro auf die richtige Sache konzentriert. Zum Stadtteilprojekt in der Spallartgasse.
28. März 2022 - Christian Kühn
Ein vier Hektar großes, mit alten Bäumen bewachsenes Areal mitten im dicht bebauten Teil des Bezirks Penzing: Wo es in anderen Städten Industriebrachen gibt, die darauf warten, wachgeküsst zu werden, sind es in Wien alte Kasernenareale, die ganz oder teilweise aus der Funktion gefallen sind. Das Areal südlich der Spallartgasse gehörte zu einer ehemaligen Kadettenschule, errichtet 1898, in dem heute das Heeres-Nachrichtenamt untergebracht ist. Selbst mit Respektabstand braucht dieses Amt bestenfalls die Hälfte des Grundstücks, auf dem es steht. So war es naheliegend, sich von der anderen Hälfte zu trennen.
Zuständig für den Verkauf war die Sivbeg, eine 2005, in Zeiten der privatisierungsfreudigen schwarz-orangen Koalition gegründete Gesellschaft, die bis zu ihrer Auflösung 2016 Heeresliegenschaften im Wert von rund 370 Millionen Euro verkauft hatte. Die Stadt Wien hätte das Areal gerne selbst erworben, konnte sich aber mit der Sivbeg nicht über die den Preis bestimmenden Faktoren – Bebauungsdichte und Anteil an gefördertem Wohnbau – einigen. In einem irritierenden Konflikt zwischen zwei Auffassungen von „öffentlichem Interesse“ – der Schaffung von günstigem Wohnraum versus Budgetsanierung durch Privatisierung – ging das Areal schließlich 2015 an den Meistbietenden, den oberösterreichischen Projektentwickler CCI. Einige Platzhirsche unter den Wiener Bauträgern aus dem geförderten Bereich kamen nicht zum Zug.
Vonseiten der Stadt wurde eine Bebauung mit einer oberirdischen Bruttogeschoßfläche von 90.000 Quadratmetern in Aussicht gestellt. Im Gegenzug durfte der Anteil an frei finanziertem Wohnbau nicht mehr als ein Drittel ausmachen, der Rest sollte mit Wohnbauförderung errichtet und zu erschwinglichen Preisen vermietet werden. Diese Vereinbarungen wurden in einem städtebaulichen Vertrag zwischen Projektentwickler und Stadt festgelegt, in dem sich die CCI auch verpflichtete, für eine kontinuierliche Qualitätssicherung zu sorgen. Diese begann mit der Ausrichtung eines internationalen, zweistufigen städtebaulichen Realisierungswettbewerbs im Jahr 2016, an dem sich 94 Architekturbüros beteiligten.
Als Sieger ging das Projekt von Georg Driendl hervor, dem es am raffiniertesten gelang, die geforderten 90.000 Quadratmeter auf dem Areal zu verteilen. Driendl erfindet dabei keine neue Architektur: Das Rastermaß von 3,6 Metern, dem der Entwurf folgt, ist im Stahlbetonbau tausendfach bewährt; die tiefen Baukörper mit Innengängen und beidseitig angeordneten Wohnungen sind im heutigen Wiener Wohnbau Standard, ebenso Gebäudehöhen von bis zu zehn Geschoßen; knapp unter der Maximalhöhe, ab der verschärfte Brandschutzbestimmungen zum Tragen kommen. Die Haustechnik entspricht dem aktuellen Standard, die Materialien sind robust, aber sicher nicht reif für die Kreislaufwirtschaft, und die Balkontrenner in kräftigem Gelb und Orange zur Belebung der Fassaden hat man auch schon gesehen. Man könnte sagen: Driendl ist ein Pragmatiker, der sein Handwerk beherrscht. Es ist derselbe Pragmatismus, den auch Otto Wagner anspricht, wenn er als primäre Aufgabe der Architektur „peinlich genaues Erfassen und vollkommenes Erfüllen des Zwecks“ nennt. Dieser Pragmatismus hat allerdings eine Kehrseite: den Anspruch auf künstlerische Freiheit jenseits der Zweckmäßigkeit. Bei Driendls Entwurf für die Spallartgasse besteht diese Freiheit nicht zuletzt darin, im Rahmen des ökonomischen Rasters von 3,6 Metern die richtigen Baulinien zu finden. Sie folgen streckenweise der Straße, bilden U-förmig geschlossene Höfe, springen von der Straßenflucht zurück, wenn es zu eng wird, und weichen besonders erhaltenswerten Baumgruppen aus. Die Baukörper, die dabei entstehen, sind weder frei stehende, modernistische Einzelwesen noch starre Blockrandtypen, sondern locker platzierte Figuren, die miteinander und mit der Nachbarschaft im Dialog stehen. An einer Stelle schiebt sich eine dieser Figuren in die Tiefe des Parks und bildet dort einen der drei zehngeschoßigen Hochpunkte, mit denen die vereinbarte Dichte erreicht wird. Dass es sich hier ab dem fünften Geschoß lebt wie in Italo Calvinos „Baron auf den Bäumen“, ist ein Luxus, den es im geförderten Wohnbau selten gibt. Im Erdgeschoß dieses Trakts befindet sich ein Café mit Terrasse, das wie der ganze Park öffentlich zugänglich ist.
Dass Driendl überhaupt den Auftrag für die Objektplanung erhielt, ist keine Selbstverständlichkeit. Der Wettbewerb von 2016 hatte sich nur auf den Städtebau bezogen, der Ende 2017 nach Bürgerbeteiligung und Behandlung in der Stadtentwicklungskommission zu einer Widmung und Ausweisung von Baufeldern führte. Die CCI beschloss, die Wohnhäuser nicht selbst zu errichten, sondern die Baufelder an gemeinnützige Wiener Bauträger zu verkaufen, darunter jene, die sich schon 2015 für das Areal interessiert hatten. Üblicherweise hätten diese Bauträger ihren eigenen Architekten die weitere Planung übertragen, Driendl konnte sie aber mithilfe der Stadt Wien überzeugen, ihn und drei andere Wettbewerbsteilnehmer – Frötscher/Lichtenwagner, Gangoly & Kristiner und BWM – zu beauftragen.
Wer die Wiener Praktiken im geförderten Wohnbau kennt, weiß, dass das kein Geschenk ist. Die Bauträger streifen hohe Nebenkosten ein, vergeben aber die Ausführung an Generalunternehmer, die einen weiteren Aufschlag berechnen. Architekten, denen Ausführungsqualität ein Anliegen ist, müssen unter diesen Bedingungen um jedes Detail kämpfen. Driendls Projekt hat sich in diesem Kampf als extrem robust erwiesen. Fensterflächen mussten reduziert werden, liegen aber immer noch um fast das Doppelte über der Vorschrift. Die Raumhöhe blieb bei 2,7 Metern, und auch ein zentraler Aspekt des Brandschutzes blieb unverändert: Um den Park nicht für die Feuerwehr befahrbar machen zu müssen, gibt es in den Häusern parkseitig aufwendigere bauliche Brandschutzmaßnahmen.
Wenn hinter diesem Projekt eine Botschaft steht, dann lautet sie wohl: Konzentrieren wir uns auf die richtige Sache, und machen wir die Sache richtig. Die neue Architektur kommt dann ganz von selbst.
Zuständig für den Verkauf war die Sivbeg, eine 2005, in Zeiten der privatisierungsfreudigen schwarz-orangen Koalition gegründete Gesellschaft, die bis zu ihrer Auflösung 2016 Heeresliegenschaften im Wert von rund 370 Millionen Euro verkauft hatte. Die Stadt Wien hätte das Areal gerne selbst erworben, konnte sich aber mit der Sivbeg nicht über die den Preis bestimmenden Faktoren – Bebauungsdichte und Anteil an gefördertem Wohnbau – einigen. In einem irritierenden Konflikt zwischen zwei Auffassungen von „öffentlichem Interesse“ – der Schaffung von günstigem Wohnraum versus Budgetsanierung durch Privatisierung – ging das Areal schließlich 2015 an den Meistbietenden, den oberösterreichischen Projektentwickler CCI. Einige Platzhirsche unter den Wiener Bauträgern aus dem geförderten Bereich kamen nicht zum Zug.
Vonseiten der Stadt wurde eine Bebauung mit einer oberirdischen Bruttogeschoßfläche von 90.000 Quadratmetern in Aussicht gestellt. Im Gegenzug durfte der Anteil an frei finanziertem Wohnbau nicht mehr als ein Drittel ausmachen, der Rest sollte mit Wohnbauförderung errichtet und zu erschwinglichen Preisen vermietet werden. Diese Vereinbarungen wurden in einem städtebaulichen Vertrag zwischen Projektentwickler und Stadt festgelegt, in dem sich die CCI auch verpflichtete, für eine kontinuierliche Qualitätssicherung zu sorgen. Diese begann mit der Ausrichtung eines internationalen, zweistufigen städtebaulichen Realisierungswettbewerbs im Jahr 2016, an dem sich 94 Architekturbüros beteiligten.
Als Sieger ging das Projekt von Georg Driendl hervor, dem es am raffiniertesten gelang, die geforderten 90.000 Quadratmeter auf dem Areal zu verteilen. Driendl erfindet dabei keine neue Architektur: Das Rastermaß von 3,6 Metern, dem der Entwurf folgt, ist im Stahlbetonbau tausendfach bewährt; die tiefen Baukörper mit Innengängen und beidseitig angeordneten Wohnungen sind im heutigen Wiener Wohnbau Standard, ebenso Gebäudehöhen von bis zu zehn Geschoßen; knapp unter der Maximalhöhe, ab der verschärfte Brandschutzbestimmungen zum Tragen kommen. Die Haustechnik entspricht dem aktuellen Standard, die Materialien sind robust, aber sicher nicht reif für die Kreislaufwirtschaft, und die Balkontrenner in kräftigem Gelb und Orange zur Belebung der Fassaden hat man auch schon gesehen. Man könnte sagen: Driendl ist ein Pragmatiker, der sein Handwerk beherrscht. Es ist derselbe Pragmatismus, den auch Otto Wagner anspricht, wenn er als primäre Aufgabe der Architektur „peinlich genaues Erfassen und vollkommenes Erfüllen des Zwecks“ nennt. Dieser Pragmatismus hat allerdings eine Kehrseite: den Anspruch auf künstlerische Freiheit jenseits der Zweckmäßigkeit. Bei Driendls Entwurf für die Spallartgasse besteht diese Freiheit nicht zuletzt darin, im Rahmen des ökonomischen Rasters von 3,6 Metern die richtigen Baulinien zu finden. Sie folgen streckenweise der Straße, bilden U-förmig geschlossene Höfe, springen von der Straßenflucht zurück, wenn es zu eng wird, und weichen besonders erhaltenswerten Baumgruppen aus. Die Baukörper, die dabei entstehen, sind weder frei stehende, modernistische Einzelwesen noch starre Blockrandtypen, sondern locker platzierte Figuren, die miteinander und mit der Nachbarschaft im Dialog stehen. An einer Stelle schiebt sich eine dieser Figuren in die Tiefe des Parks und bildet dort einen der drei zehngeschoßigen Hochpunkte, mit denen die vereinbarte Dichte erreicht wird. Dass es sich hier ab dem fünften Geschoß lebt wie in Italo Calvinos „Baron auf den Bäumen“, ist ein Luxus, den es im geförderten Wohnbau selten gibt. Im Erdgeschoß dieses Trakts befindet sich ein Café mit Terrasse, das wie der ganze Park öffentlich zugänglich ist.
Dass Driendl überhaupt den Auftrag für die Objektplanung erhielt, ist keine Selbstverständlichkeit. Der Wettbewerb von 2016 hatte sich nur auf den Städtebau bezogen, der Ende 2017 nach Bürgerbeteiligung und Behandlung in der Stadtentwicklungskommission zu einer Widmung und Ausweisung von Baufeldern führte. Die CCI beschloss, die Wohnhäuser nicht selbst zu errichten, sondern die Baufelder an gemeinnützige Wiener Bauträger zu verkaufen, darunter jene, die sich schon 2015 für das Areal interessiert hatten. Üblicherweise hätten diese Bauträger ihren eigenen Architekten die weitere Planung übertragen, Driendl konnte sie aber mithilfe der Stadt Wien überzeugen, ihn und drei andere Wettbewerbsteilnehmer – Frötscher/Lichtenwagner, Gangoly & Kristiner und BWM – zu beauftragen.
Wer die Wiener Praktiken im geförderten Wohnbau kennt, weiß, dass das kein Geschenk ist. Die Bauträger streifen hohe Nebenkosten ein, vergeben aber die Ausführung an Generalunternehmer, die einen weiteren Aufschlag berechnen. Architekten, denen Ausführungsqualität ein Anliegen ist, müssen unter diesen Bedingungen um jedes Detail kämpfen. Driendls Projekt hat sich in diesem Kampf als extrem robust erwiesen. Fensterflächen mussten reduziert werden, liegen aber immer noch um fast das Doppelte über der Vorschrift. Die Raumhöhe blieb bei 2,7 Metern, und auch ein zentraler Aspekt des Brandschutzes blieb unverändert: Um den Park nicht für die Feuerwehr befahrbar machen zu müssen, gibt es in den Häusern parkseitig aufwendigere bauliche Brandschutzmaßnahmen.
Wenn hinter diesem Projekt eine Botschaft steht, dann lautet sie wohl: Konzentrieren wir uns auf die richtige Sache, und machen wir die Sache richtig. Die neue Architektur kommt dann ganz von selbst.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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