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Lernen fürs Leben
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3. April 2022 - Martina Pfeifer Steiner
Etwas sperrig der Titel. Was könnte interessant sein am Thema „Lernen, Politik und Architektur in den 1960er und 1970er Jahren“ und der dazugehörenden Assoziation „Bildungsschock“? Dass ein Ausgangspunkt beim Forschungs- und Ausstellungsprojekt der „Sputnikschock“ Ende der 1950er ist? Damals sah sich die westliche Welt angesichts des sowjetischen Satelliten plötzlich im wissenschaftlichen wie technologischen Hintertreffen. Zur gleichen Zeit eröffnete sich durch die ersten geburtenstarken Jahrgänge und der damit einhergehenden Expansion des Bildungswesens ein Experimentierfeld, nicht nur für neue Lernkonzepte, sondern auch für innovative architektonische Ansätze. Hat die Coronakrise heute die Bildungssysteme nicht ebenso in einen Schockzustand versetzt? Was einmal ein Konzept alternativer Pädagogik war, hat sich in der Pandemie mit Homeschooling als Belastungsprobe für alle entpuppt, und die abhanden gekommene Selbstverständlichkeit von Begegnung in den Architektur-Räumen der Bildungsinstitutionen ruft Mangelerscheinungen hervor.

Das vai bringt nun die Ausstellung des HKW Haus der Kulturen der Welt, Berlin, nach Dornbirn. Auch dies hat seinen Grund: Die österreichweite Aktion der Architekturtage wurde in ein Architekturjahr transformiert, das sich in erweiterter Form je einem Thema widmen soll. 2021/22 ist es Architektur und Bildung mit der Überschrift „Leben/Lernen/Raum“. Am vai-Programm standen und stehen eigens produzierte Filmen über beispielhafte Vorarlberger Schulprojekte, im regelmäßigen Vermittlungsformat „Architektur vor Ort“ zahlreiche Exkursionen zu den neuesten Bildungsbauten und zum Abschluss eben diese ausführliche Schau, bei der versucht wird, die Ansätze der 1960er und 1970er Jahre als Archiv und Ressource für aktuelle Debatten zu entdecken. Kurator Tom Holert: „Was erzählt eine Ausstellung, die sich einer mehr als fünfzig Jahre zurückliegenden Epoche widmet, den von der aktuellen Krise Betroffenen? Welche Schlüsse lassen sich für die heutige Bildungspolitik aus einer Zeit ziehen, in der wie nie zuvor in die Infrastrukturen und Architekturen der Bildung investiert wurde? Gibt es ein Fortwirken der „revolutionären“ Pädagogiken, die sich um 1970 in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und geopolitischen Zusammenhängen dem kapitalistischen Bildungsmodell widersetzten?“

Er ist sich der Herausforderungen bezüglich Vermittlung sehr wohl bewusst: „Ausstellungen zu Bildung und zur Bildungsgeschichte sind schon deshalb schwierig, weil sie daran scheitern müssen, einen anderen Prozess des Lernens erlebbar zu machen als den, der – im besseren Fall – in einer Ausstellung selbst stattfindet. Die Immaterialität kognitiver und emotiver Vorgänge entzieht sich der Ausstellbarkeit. Was aber gezeigt werden kann, sind Modelle, Pläne, Lehrmittel, Publikationen und andere Archivalien aus den Geschichten von Architektur und Pädagogik.“ In Fallstudien verfolgen die Forscher:innen wie sich diese Materialien und die in sie eingegangenen Erfahrungen betrachten, analysieren und inszenieren lassen, um eine – vielleicht unerwartete – Perspektive auf die Bildungskrise der Gegenwart zu eröffnen.

Skalierung

Vor einer nicht minder großen Herausforderung stand der Kurator des vai, Clemens Quirin. Die Hallen des HKW in Berlin, wofür die Ausstellung ja konzipiert wurde, haben völlig andere räumliche Dimensionen und Voraussetzungen, noch dazu sei das Konzept nicht für ein Wandern angelegt worden. Da musste grundsätzlich neu gedacht werden, und man holte den Architekten und Designer Daniel Büchel ins Boot. Nicht von ungefähr, denn er ist bekannt für seine feine Klinge in Materialfindung, Einfühlen in die Qualitäten und architektonische Sprache vergangener Jahrzehnte, kluge Übersetzung und Skalierung, Sparsamkeit und seine Upcycling-Ideen. Büchel findet für die Fülle von 35 Case-Study-Projekten, die – farblich und mit einem Nummerierungssystem verlinkt – bestimmte Aspekte des globalen Bildungsgeschehens ausarbeiten, eine klare, pragmatische Lösung.

Ein Fahnenmeer rhythmisiert die Räumlichkeiten des vai, schafft Erweiterung und dann wieder ein immer dichter werdendes Entdeckungs-Labyrinth. „Ich wollte ein typisches Material dieser Jahrzehnte herausnehmen: die Jalousien. In der Ausstellung sind es einfache, textile Zupfrollos, die auch wirklich rauf- und runtergezogen werden können.“ Auf diesen transparenten Flächen sind die jeweiligen Key-Visuals gedruckt, sichtbar von beiden Seiten. Das funktioniert bei Fotos, Zeichnungen, Plänen, Lesen will man jedoch nicht so gerne seitenverkehrt. Also wird die Textebene auf den Boden gelegt. Die unzähligen Exponate wie Bücher, Zeitschriften, Repros und die Bildschirme für Videos füllen in Petersburger Hängung begleitend die Wandflächen. Dazu schaffen Möbel aus den 1960er Jahren Atmosphäre und Sitzgelegenheiten. Der Re-use Gedanke wird auch hier verfolgt: die Rollos haben ein Standardmaß von einem Meter und die wenigen Baulatten der quasi unter der Decke schwebenden Konstruktion kann kompakt gelagert und wiederverwendet werden.

Regionaler Bezug

Nicht moderiert wird ein Vorarlberg-Bezug. Ist auch nicht wichtig, denn diesen kann jede:r selbst herstellen. In nahezu allen Gemeinden gibt es doch hochwertige Schul- und Kindergarten Renovierungen, Neu-, Um- und Erweiterungsbauten. Die „Schulen am See“ in Hard zum Beispiel: „Die Schule der Zukunft sollte offene Ränder haben. Die möglichst vielfältigen Optionen entsprechen den Ideen von einem, im Fluss befindlichen Lehr- und Lernprogramm“, wie der Architekt Carlo Baumschlager feststellt. Hier wurde mit dem engagierten Lehrerkollegium und einem weitsichtigen Direktor ein die Volks- und Mittelschule übergreifendes Clusterkonzept realisiert. Bezüglich zeitlicher Zuordnung ist zudem noch die Sonderausstellung „Karl Sillaber und C4“ im Vorarlberg Museum in bester Erinnerung. Diese Architekten haben ab den 1960er Jahren Schlüsselwerke im modernen Schulbau mit ganz neuen Typologien in Vorarlberg geschaffen. So kann auch eine sehr umfangreiche, sehr wissenschaftliche Ausstellung Denkanstöße zur heutigen Lernsituation geben und auf die Wahrnehmung der räumlichen Konzepte unserer Bildungsbauten sensibilisieren.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, März 2022, http://www.kulturzeitschrift.at ]

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