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Sagmeister & Walsh mit einem multimedialen Spektakel zur „Beauty“ im vorarlberg museum
3. April 2022 - Martina Pfeifer Steiner
Endlich kann sie doch noch gezeigt werden, die große „Beauty“-Schau von Sameister & Walsh, die für das MAK - Museum für angewandte Kunst in Wien konzipiert wurde. Im vorarlberg museum wird so großzügig wie möglich Platz geschaffen: Schon das Atrium eignet sich bestens für die aufwändige Konstruktion mit den rhythmisch, zum eigens komponierten Song atmenden Luftpolstern. Auch das Untergeschoß wird einbezogen. Man macht sich nämlich auf die Suche nach dem funktionellsten Raum im Museum – die Toiletten – mit der Fragestellung: ist dies auch der schönste? Jedenfalls wird dort schön bedrucktes Klopapier zur Verfügung stehen. Im Obergeschoß stimmen auf der Galerie in den großen Vitrinen besondere Fundstücke aus dem Museum auf das Thema ein. Das „Beauty Archiv“ ist der variable Teil der Ausstellung, die auch in Frankfurt und Hamburg gezeigt wurde. Und hier wählte Stefan Sagmeister achtzig Objekte, teils mit sehr persönlichen Kommentaren versehen, aus der Sammlung, die im vierten Stock ebenfalls einen wichtigen Teil des multimedialen Spektakels darstellen.
Manipulierte Interaktion
„Beauty“ ist keine so oberflächlich interaktive Ausstellung, wie sie vorgibt. Das Publikum ist vielmehr sehr herausgefordert Meinung, Blick, Empfinden und Standpunkt selbst zu finden. Die Abstimmkarten – schwarzweiß bedruckte Papp-Chips – die am Einlass verteilt werden, dürfen nämlich nur bei belanglosen Fragestellungen eingeworfen werden: Welche Landschaft, welcher Geruch, welche Farbe und welche Form gefällt am besten? In der Folge findet sich aber das manipulativ eingesetzte Ergebnis in Schnörkelschrift auf zwei großen Tafeln: „Die hässlichste Farbe ist Braun. Die hässlichste Form ist das Rechteck. Ist dies das hässlichste Ding, das es gibt?“ Und zur Illustration: „Was glaubt die Bauindustrie?“ Die willkürlichen Architekturbeispiele zeigen neben braunen Kästen auch eine klassisch hübsche Backsteinvilla oder Robert Venturis berühmte Feuerwache – die ja geradezu eine Absage an modernistische Gestaltungsprinzipien darstellte. Dies gebührend zu reflektieren bleibt freilich „dem Auge der Betrachterin“ (so der Titel des vierten Kapitels der Ausstellung) vorbehalten.
Es könnte ja sein, dass Sagmeister und Walsh durch die Einladung zu einem Beitrag im Österreichischen Pavillon bei der Architekturbiennale 2018 in Venedig Rückenwind und Selbstbewusstsein verspürten, einen „neuen ästhetischen Diskurs als kritische Praxis“, den es so sehr brauche, dermaßen plakativ an der Architektur anzuzetteln. Die Verformung der Begriffe „Beauty = Funktion“, visuell übersteigert in Materialien wie Sand und Slime, ist übrigens in Vorarlberg viel komfortabler – weil nicht an der Decke, sondern an der Wand – zu beobachten. Und überhaupt: dass die beiden primär in Markenbildung und Grafikdesign zu Hause sind, zeigt auch die Installation des „Color Room“, dessen Erlebniswert aufs Changieren von Weiß in rosa Karo beschränkt bleibt. Hier liegt der Reiz wohl darin, aus dem dreidimensionalen Raum ein zweidimensionales Bild zu machen, in dem Eintretende – dann auch gemustert – quasi aufkaschiert sind.
Achtung Falle
Recht anmaßend geht es weiter: „Ein Österreicher, ein Schweizer und ein Deutscher überzeugten die Welt, wie sie zu leben habe. Adolf Loos, Le Corbusier, Mies van der Rohe.“ Es folgen plakative Tafeln zum Blättern mit Beispielen für den von diesen Protagonisten der Architektur des 20. Jahrhunderts zu verantwortenden verwerflichen Internationalen Stil. Ein Iglu auf schneebedeckter Gebirgskuppe: „Früher sah so Alaska aus“ und daneben ein Hochhaus mit der Unterschrift „Heute sieht Anchorage so aus“ (wirklich? auf diesem Bauplatz?); ebenso eine traditionelle Strohdach bedeckte Hütte: „Früher sah Indonesien so aus“ und gegenübergestellt: „Heute sieht Jakarta so aus“; oder ein chinesischer Tempel und Beijing. – Durchschaubar und nicht sehr statthaft verkürzt, könnte man sagen.
Auf Le Corbusier haben es die Ausstellungsmacher besonders abgesehen. Zwei großformatige Projektionen konfrontieren seinen utopischen städtebaulichen Entwurf – den Plan Voisin für die „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ in Paris, 1925 (diese Information wird nicht beigegeben) – mit dem gewachsenen Quartier nördlich der Seine, für das die sechzigstöckigen Hochhäuser mit kreuzförmigem Grundriss theoretisch gedacht worden sind. Auch das Plakat zu Adolf Loos Vortrag „Ornament und Verbrechen“ (veranstaltet 1913 vom Akad. Architekten Verein) eignet sich für eine Schrecksekunde, wird jedoch relativiert durch drei Porzellanhäuser-Modelle – Wiener Staatsoper, Rathaus, Parlament – die mit Wiener Zuckerl zur freien Entnahme gefüllt sind, in großen Lettern dazu immerhin die Anmerkung: „Der Architekt Adolf Loos begann seine Karriere in der Hochphase des architektonischen Historismus in Wien, in der man verschiedene historische Stile kopierte.“
Vielleicht wird die Spur zur hyper-diffizilen Provokation ja schon mit dem prächtigen Pfau gleich am Anfang der Schau im Entree gelegt: „Schönheit ist die Strategie vieler Tiere, um den besten Partner zu finden. Die Federn des Pfaus sollen die beste Pfauenhenne anziehen. Sie behindern auch deutlich seine Bewegungs- und Flugfähigkeit, was ihn zur leichten Beute für Räuber macht.“ Die klein geschriebene Anmerkung könnte nämlich leicht übersehen werden, wenn man in die Falle des plakativen Reizes tappt: „Aus evolutionärer Sicht ist die Paarung mit der besten Pfauenhenne für den Pfau von größerer Bedeutung, als das Risiko von einem Panda gefressen zu werden.“ He? Die aufmerksame Besucherin wird sofort auf Google fündig, dass Pandas Flexitarier sind, ihre Nahrung zu 99 Prozent aus Bambus besteht, dass sie daneben noch Kräuter wie Bocksdorn, Enzian und mitunter Raupen und kleine Wirbeltiere fressen. Reingefallen.
Allzu wörtlich zu nehmen sind die zahlreichen erklärenden Postulate also nicht. Vielmehr darf man sich lustvoll dem durchaus barock-sinnlichen Spektakel hingeben, die eigenen Assoziationen hemmungslos laufen lassen und jeden applizierten Satz als hinterfragbar lesen. Auch diese abschließende Anleitung zum Ausstellungsbesuch soll als Beispiel dafür dienen, dass weniger Kommentieren noch mehr Erlebniswert bringen würde.
[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, April 2022, http://www.kulturzeitschrift.at ]
Manipulierte Interaktion
„Beauty“ ist keine so oberflächlich interaktive Ausstellung, wie sie vorgibt. Das Publikum ist vielmehr sehr herausgefordert Meinung, Blick, Empfinden und Standpunkt selbst zu finden. Die Abstimmkarten – schwarzweiß bedruckte Papp-Chips – die am Einlass verteilt werden, dürfen nämlich nur bei belanglosen Fragestellungen eingeworfen werden: Welche Landschaft, welcher Geruch, welche Farbe und welche Form gefällt am besten? In der Folge findet sich aber das manipulativ eingesetzte Ergebnis in Schnörkelschrift auf zwei großen Tafeln: „Die hässlichste Farbe ist Braun. Die hässlichste Form ist das Rechteck. Ist dies das hässlichste Ding, das es gibt?“ Und zur Illustration: „Was glaubt die Bauindustrie?“ Die willkürlichen Architekturbeispiele zeigen neben braunen Kästen auch eine klassisch hübsche Backsteinvilla oder Robert Venturis berühmte Feuerwache – die ja geradezu eine Absage an modernistische Gestaltungsprinzipien darstellte. Dies gebührend zu reflektieren bleibt freilich „dem Auge der Betrachterin“ (so der Titel des vierten Kapitels der Ausstellung) vorbehalten.
Es könnte ja sein, dass Sagmeister und Walsh durch die Einladung zu einem Beitrag im Österreichischen Pavillon bei der Architekturbiennale 2018 in Venedig Rückenwind und Selbstbewusstsein verspürten, einen „neuen ästhetischen Diskurs als kritische Praxis“, den es so sehr brauche, dermaßen plakativ an der Architektur anzuzetteln. Die Verformung der Begriffe „Beauty = Funktion“, visuell übersteigert in Materialien wie Sand und Slime, ist übrigens in Vorarlberg viel komfortabler – weil nicht an der Decke, sondern an der Wand – zu beobachten. Und überhaupt: dass die beiden primär in Markenbildung und Grafikdesign zu Hause sind, zeigt auch die Installation des „Color Room“, dessen Erlebniswert aufs Changieren von Weiß in rosa Karo beschränkt bleibt. Hier liegt der Reiz wohl darin, aus dem dreidimensionalen Raum ein zweidimensionales Bild zu machen, in dem Eintretende – dann auch gemustert – quasi aufkaschiert sind.
Achtung Falle
Recht anmaßend geht es weiter: „Ein Österreicher, ein Schweizer und ein Deutscher überzeugten die Welt, wie sie zu leben habe. Adolf Loos, Le Corbusier, Mies van der Rohe.“ Es folgen plakative Tafeln zum Blättern mit Beispielen für den von diesen Protagonisten der Architektur des 20. Jahrhunderts zu verantwortenden verwerflichen Internationalen Stil. Ein Iglu auf schneebedeckter Gebirgskuppe: „Früher sah so Alaska aus“ und daneben ein Hochhaus mit der Unterschrift „Heute sieht Anchorage so aus“ (wirklich? auf diesem Bauplatz?); ebenso eine traditionelle Strohdach bedeckte Hütte: „Früher sah Indonesien so aus“ und gegenübergestellt: „Heute sieht Jakarta so aus“; oder ein chinesischer Tempel und Beijing. – Durchschaubar und nicht sehr statthaft verkürzt, könnte man sagen.
Auf Le Corbusier haben es die Ausstellungsmacher besonders abgesehen. Zwei großformatige Projektionen konfrontieren seinen utopischen städtebaulichen Entwurf – den Plan Voisin für die „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ in Paris, 1925 (diese Information wird nicht beigegeben) – mit dem gewachsenen Quartier nördlich der Seine, für das die sechzigstöckigen Hochhäuser mit kreuzförmigem Grundriss theoretisch gedacht worden sind. Auch das Plakat zu Adolf Loos Vortrag „Ornament und Verbrechen“ (veranstaltet 1913 vom Akad. Architekten Verein) eignet sich für eine Schrecksekunde, wird jedoch relativiert durch drei Porzellanhäuser-Modelle – Wiener Staatsoper, Rathaus, Parlament – die mit Wiener Zuckerl zur freien Entnahme gefüllt sind, in großen Lettern dazu immerhin die Anmerkung: „Der Architekt Adolf Loos begann seine Karriere in der Hochphase des architektonischen Historismus in Wien, in der man verschiedene historische Stile kopierte.“
Vielleicht wird die Spur zur hyper-diffizilen Provokation ja schon mit dem prächtigen Pfau gleich am Anfang der Schau im Entree gelegt: „Schönheit ist die Strategie vieler Tiere, um den besten Partner zu finden. Die Federn des Pfaus sollen die beste Pfauenhenne anziehen. Sie behindern auch deutlich seine Bewegungs- und Flugfähigkeit, was ihn zur leichten Beute für Räuber macht.“ Die klein geschriebene Anmerkung könnte nämlich leicht übersehen werden, wenn man in die Falle des plakativen Reizes tappt: „Aus evolutionärer Sicht ist die Paarung mit der besten Pfauenhenne für den Pfau von größerer Bedeutung, als das Risiko von einem Panda gefressen zu werden.“ He? Die aufmerksame Besucherin wird sofort auf Google fündig, dass Pandas Flexitarier sind, ihre Nahrung zu 99 Prozent aus Bambus besteht, dass sie daneben noch Kräuter wie Bocksdorn, Enzian und mitunter Raupen und kleine Wirbeltiere fressen. Reingefallen.
Allzu wörtlich zu nehmen sind die zahlreichen erklärenden Postulate also nicht. Vielmehr darf man sich lustvoll dem durchaus barock-sinnlichen Spektakel hingeben, die eigenen Assoziationen hemmungslos laufen lassen und jeden applizierten Satz als hinterfragbar lesen. Auch diese abschließende Anleitung zum Ausstellungsbesuch soll als Beispiel dafür dienen, dass weniger Kommentieren noch mehr Erlebniswert bringen würde.
[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, April 2022, http://www.kulturzeitschrift.at ]
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