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Wie Architektur das Land aufwertet
Spectrum

Mehr als nur ein Sehnsuchtsort: Eine Ausstellung zeigt, wie Architektur und Baukultur das Land aufwertet, Perspektiven eröffnet und dabei auch das Selbstbewusstsein hochschrauben kann.

20. April 2022 - Norbert Philipp
Land und Stadt. Dass man das eine vom anderen scharf trennen könne wie Schwarz von Weiß, von dieser Illusion hat man sich längst gelöst. Alles scheint im universalen Sowohl-als-auch zu überblenden. Auch in Österreich fühlen sich manche Regionen ästhetisch und funktional längst so an, als hätte da jemand scheint eine Stadt zwischen den Bergen ausgeschüttet. Anderen Gegenden dagegen will man das Merkmal „Land“ dann doch ansehen, an den Dächern der Häuser, an den Materialien, aus denen sie entstanden sind, oder an der Anzahl der Blumenbalkone. Darin manifestiert sich auch ein untrüglicher Charakterzug einiger Regionen: der Gestaltungswille und die baukulturelle Haltung dahinter. In Österreich schiebt sich bei diesen Gedanken unweigerlich der Bregenzerwald ins Vorbewusstsein. An anderer Stelle blitzen dagegen weniger idyllische Bilder auf: Einfamilienhäuser etwa, die mit dem Land und ihren baulichen Traditionen so viel zu tun haben wie der Swimmingpool im Garten mit dem See in der Landschaft. Eine Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums (DAM) nähert sich dem „Land“ nun, ohne es als romantisierten Sehnsuchtsort zu verstehen. „Schön hier. Architektur auf dem Land“ breitet keine idyllischen Vorstellungen aus.

Vielmehr Perspektiven, wie Architektur und Baukultur jene Flächen des Planeten aufwerten kann, auf denen sich genauso entscheidet, wie die Klimakrise dereinst ausgeht. „Hierbei geht es natürlich immanent auch um die Themen Flächenverbrauch und Bodenversiegelung“, sagt Stefanie Lampe, die gemeinsam mit Annette Becker und Lessano Negussie die Schau kuratiert hat. Und gerade in diesem Themenfeld demonstrieren auch viele der 70 ausgewählten Projekte, was die Architektur am Land vielleicht am dringendsten braucht: den intelligenten Umgang damit, was schon vorhanden ist. „Dazu gehört natürlich auch einfach der bauliche Bestand“, sagt Lampe. Bauernhäuser, aufgelassene Klöster, Scheunen. Die Architektur kann ihnen neue Nutzungen und damit Zukunft injizieren. Die Ausstellung selbst beweist es schon irgendwie: Sie präsentiert der Öffentlichkeit in einer Scheune, im Freilichtmuseum Hessenpark in Neu Anspach.

Lebendige Ortszentren

Aber auch die Expertise sowie die Materialien vor Ort gehören zu den Ressourcen, die die Architektur nutzen kann, um das Potenzial des ländlichen Raums auszuschöpfen. Jenes, das auch die Digitalisierung durchaus aktivieren könnte. Denn gerade Arbeit und Bildung könnten die Stadt irgendwann nicht mehr brauchen, um sich zu verorten. Schon gar nicht baulich.

Die Ausstellung „Schön hier“ beweist vor allem eines: Wie die Architektur dem Land dabei hilft, selbstbewusst Land zu sein. Und den Dörfern, Dorf zu sein. Eines, das funktioniert vor allem. Und lebt. Auch in den Ortskernen. „Wir zeigen natürlich viele öffentliche Projekte. Aber dabei muss es sich nicht immer klassisch um Rathäuser samt Gemeindesaal drehen“, sagt Lampe. Denn die Architekten und Architektinnen bringen auch ganz andere Orte und Bauten ein, die vor allem eines stiften: Gemeinschaft. Und dabei gleichzeitig neues Leben triggern. Dabei kann man auch unkonventionelle Nutzungen kombinieren, die früher vielleicht nicht so selbstverständlich zusammengefunden hätten, wie Lampe erzählt: Etwa in Hittisau im Bregenzerwald, wo im ersten Stock das Frauenmuseum eingezogen ist und im Erdgeschoß die Feuerwehr. Mitten im Dorfzentrum.

In einer anderen Gemeinde der Region, in Krumbach, haben sich die Kuratorinnen und Kuratoren auch besonders tief eingelassen auf das, was dort geschieht. Wie die Prozesse laufen, wie die Finanzierungen zustanden kommen, welche Akteure beteiligt sind. „Nicht nur das Anknüpfen an lokale Bautraditionen ist wichtig. Auch die Partizipationsmöglichkeiten“, sagt Lampe. Und für das Landpanorama, das die Ausstellung aufzieht, hat das Kuratoren-Team auch intensiv zugehört. Was Gemeinderäte, lokale Architektinnen, die Winzer und die Bürgerinnen zu sagen haben.

Miteinander

Neben Krumbach hat man sich vor allem auch in Thüringen, in Valedas in der Schweiz sowie im Schwarzwald umgehört und eingefühlt. „Dort gibt es etwa seit 2020 die Baukultur-Initiative Bauwerk Schwarzwald, die auch Gestaltungsberatung von Fachleuten für Private anbietet.“ Denn baukulturelle Haltungen sollen womöglich auch jenseits der Thuyenhecken und Carports aus dem Baumarkt einsickern. Doch das Einfamilienhaus ist ohnehin die Typologie der Vergangenheit. Gemeinden wie Krumbach rücken da ganz andere ins Zentrum, sprichwörtlich noch dazu: Wie etwa Generationenhäuser mit barrierefreien Wohnungen. „Uns ging es vor allem aber auch darum, die Vielfalt der architektonischen Aufgaben aufzufächern“, sagt Lampe. Und diese reichen von öffentlichen Bauten wie Bushaltestellen und Gemeindeämtern über neue Wohnformen bis hin zu den Produktionsstätten. Auch die sollten sich schließlich im besten Fall ins Landschaftsbild fügen.
Architektur auf dem Land
„Schön hier“. Eine Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums im Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach. Noch bis 27. November, dam-online.de

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