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Reden wir über Baukultur!
Die IG Architektur feiert ihren 20. Geburtstag. Ein guter Anlass für ein Fest, ein Buch und eine Ausstellung, die zum Nachdenken anregen möchten. Reicht das Reden über Baukultur?
9. Mai 2022 - Christian Kühn
Am Anfang war es eher der Zufall, der die Dinge ins Rollen brachte. Im Wiener Künstlerhaus, damals noch keine hochgerüstete Kulturmaschine, sondern das Aschenputtel unter den Wiener Kunstinstitutionen, kuratierten Peter Bogner, Karin Christof und der – letzten Herbst verstorbene – Jan Tabor im Jahr 2000 eine Ausstellung mit dem Titel „Den Fuß in der Tür. Manifeste des Wohnens“. Eingeladen waren Vertreter der jüngeren Architekturszene, für die Tabor als genialer Netzwerker eine Art Vaterfigur war. Das Budget war knapp; die beteiligten Nachwuchs-Büros halfen einander mit Kontakten und Werkzeug und tauschten ihre E-Mail-Adressen aus. Das Ergebnis war eine Ausstellung, die in Erinnerung blieb, weil sie an das Thema Wohnen origineller und weniger utilitaristisch heranging als in der Hauptstadt des Sozialen Wohnbaus sonst üblich.
Auf diesen Ursprung hinzuweisen, ist im Falle der Interessengemeinschaft (IG) Architektur, die sich ein Jahr später formierte, wichtig. Der im Jahr 2001 gerade ins Amt gekommene Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker wollte die Kontakte der Stadt zu jüngeren Büros verbessern und bat Susanne Höhndorf, die an der Ausstellung im Künstlerhaus beteiligt war, Namen zu nennen. Höhndorf leitete die Einladung offen im Schneeballsystem weiter. Das war die Geburtsstunde der IG, zu deren ersten Treffen im Herbst 2001 sechzig bis hundert Gäste kamen, die sich schnell organisierten und Doris Burtscher und Jakob Dunkl als ihre ersten Sprecher wählten.
Das Besondere an der IG ist ihr Glaube an das Kollektiv und die Kraft der „gegenseitigen Hilfe“. Um die Jahrtausendwende galt dieser Glaube als anachronistisch. Der Star-Architekt machte in den Jahren 1996 bis 2008 Furore, wobei das erste Datum auf Hans Holleins Titel für die Architekturbiennale verweist, „Sensing the Future – Der Architekt als Seismograph“: das zweite Datum markiert mit der Finanzkrise das Ende der rauschenden Party. Den Initiatoren der IG ging es einerseits um die Baukultur an sich, andererseits um die Rahmenbedingungen ihres beruflichen Schaffens, insbesondere restriktiven Berufszugang, der von der Kammer der Ziviltechniker:innen kontrolliert wird. Recht bald war der Beschluss gefasst, den langen Marsch durch die Institutionen anzutreten und eine eigene Liste bei den Kammerwahlen aufzustellen. Mit Erfolg: 2014 bis 2018 konnte die Liste der IG in der Kammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland in Kooperation mit den Ingenieuren die zentralen Positionen besetzen.
Es ist daher kein Zufall, dass die IG gerade an diesem Wochenende ein großes Fest zu ihrem 20. Geburtstag abhält, kurz vor den Kammerwahlen am 19. Mai. Berufspolitik nimmt im Programm dieses Festes trotzdem nur eine Nebenrolle ein. Zum Anlass erscheint unter dem Titel „Reden wir über Baukultur!“ ein Buch mit zahlreichen kurzen Essays. Das Spektrum der Texte ist breit: Nachhaltigkeit, Mobilität, Boden, Spekulation, alternde Gesellschaft, Migration, Wohnen, Ausbildung, Verfahren und Prozesse, Berufsbild. Das Mosaik ist gut komponiert und vermittelt ein Bild des aktuellen Architekturdiskurses, das nicht nur für ein Fachpublikum verständlich ist. Publikumswirksam sind auch die Events des Fests, für das am Samstag am späten Nachmittag die Gumpendorfer Straße gesperrt wird, um „Platz für die Menschen“ zu schaffen. Die IG Architektur ist in den 20 Jahren ihres Bestehens zu einer unverzichtbaren Institution geworden. Sie ist damit eine von vielen, die sich bemühen, die Baukultur in Österreich zu stärken: Da gibt es die Architekturhäuser in allen Bundesländern und ihre gemeinsame Dachorganisation, die Architekturstiftung Österreich. In Wien hat sich das Architekturzentrum längst zu einem vollwertigen Architekturmuseum entwickelt; es gibt die Zentralvereinigung der Architekten, die älteste Berufsvertretung, die mit dem Bauherrenpreis den renommiertesten Architekturpreis des Landes verleiht. Es gibt die Kammern als primär berufliche Interessenvertretung, die über die Leistung ihrer Mitglieder die Hauptlast der baukulturellen Produktion trägt. Sie engagiert sich aber auch in der Baukulturvermittlung, etwa im Rahmen der biennalen Architekturtage, die in Kooperation mit der Architekturstiftung heuer wieder am 10. und 11. Juni zum Thema „Leben.Lernen.Raum“ stattfinden. Zusätzlich gibt es zahlreiche kleinere Initiativen mit speziellem Programm wie „architektur in progress“, und als alle diese Akteure übergreifende Klammer die „Plattform für Baukulturpolitik“, die vor allem vor Wahlen auftritt und die Position der Parteien zum Thema hinterfragt.
An Betriebsamkeit fehlt es in puncto Baukultur offenbar nicht. Dieser Betrieb erreicht durchaus eine immer größer werdende Anzahl von interessierten Bürgerinnen und Bürgern, die erkennen, dass Baukultur nichts Geringeres ist als die materiell gestaltete Antwort auf die Frage nach „einem guten Leben in einer gerechten Gesellschaft“. Architekten mit der passenden Haltung gibt es genug, und insofern bräuchte man sich für die Zukunft keine Sorgen zu machen, wäre da nicht die Evidenz, dass es mit der Baukultur des Landes nicht gut bestellt ist. In der Publikation der IG Architektur wird dieser Umstand kommentarlos durch zwei Fotoessays von Paul Ott, einem der besten Architekturfotografen des Landes, vermittelt. Die Bilder von Situationen in Wien und Graz zeigen eine traurige Sammlung missglückter Architektur, teilweise ohne, in den meisten Fällen aber mit Architektenbeteiligung, jedes eine Entgleisung für sich. Es sind keine Einzelfälle: Diese Fotos sind symptomatisch für ein ästhetisches Elend, von dem ganze Landstriche befallen sind.
Weder 20 Jahre IG noch 25 Jahre Architekturstiftung haben daran viel geändert. Themen wie Bodenverbrauch, Nachhaltigkeit und Freiraumqualität sind seit Jahrzehnten auf der Agenda und Teil von Regierungsprogrammen. Wo sind die politischen Akteure, die sich als Umsetzer einen Namen machen wollen? Einbetoniert in ihre Sachzwänge? Von der Wiener Stadtpolitik ist trotz Einladung jedenfalls niemand zum Fest der IG angekündigt.
Die Ausstellung „Reden wir über Baukultur!“ der IG Architektur findet bis 12. Juni in Graz und Wien statt. Weitere Infos unter: www.ig-architektur.at/baukulturausstellung
Auf diesen Ursprung hinzuweisen, ist im Falle der Interessengemeinschaft (IG) Architektur, die sich ein Jahr später formierte, wichtig. Der im Jahr 2001 gerade ins Amt gekommene Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker wollte die Kontakte der Stadt zu jüngeren Büros verbessern und bat Susanne Höhndorf, die an der Ausstellung im Künstlerhaus beteiligt war, Namen zu nennen. Höhndorf leitete die Einladung offen im Schneeballsystem weiter. Das war die Geburtsstunde der IG, zu deren ersten Treffen im Herbst 2001 sechzig bis hundert Gäste kamen, die sich schnell organisierten und Doris Burtscher und Jakob Dunkl als ihre ersten Sprecher wählten.
Das Besondere an der IG ist ihr Glaube an das Kollektiv und die Kraft der „gegenseitigen Hilfe“. Um die Jahrtausendwende galt dieser Glaube als anachronistisch. Der Star-Architekt machte in den Jahren 1996 bis 2008 Furore, wobei das erste Datum auf Hans Holleins Titel für die Architekturbiennale verweist, „Sensing the Future – Der Architekt als Seismograph“: das zweite Datum markiert mit der Finanzkrise das Ende der rauschenden Party. Den Initiatoren der IG ging es einerseits um die Baukultur an sich, andererseits um die Rahmenbedingungen ihres beruflichen Schaffens, insbesondere restriktiven Berufszugang, der von der Kammer der Ziviltechniker:innen kontrolliert wird. Recht bald war der Beschluss gefasst, den langen Marsch durch die Institutionen anzutreten und eine eigene Liste bei den Kammerwahlen aufzustellen. Mit Erfolg: 2014 bis 2018 konnte die Liste der IG in der Kammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland in Kooperation mit den Ingenieuren die zentralen Positionen besetzen.
Es ist daher kein Zufall, dass die IG gerade an diesem Wochenende ein großes Fest zu ihrem 20. Geburtstag abhält, kurz vor den Kammerwahlen am 19. Mai. Berufspolitik nimmt im Programm dieses Festes trotzdem nur eine Nebenrolle ein. Zum Anlass erscheint unter dem Titel „Reden wir über Baukultur!“ ein Buch mit zahlreichen kurzen Essays. Das Spektrum der Texte ist breit: Nachhaltigkeit, Mobilität, Boden, Spekulation, alternde Gesellschaft, Migration, Wohnen, Ausbildung, Verfahren und Prozesse, Berufsbild. Das Mosaik ist gut komponiert und vermittelt ein Bild des aktuellen Architekturdiskurses, das nicht nur für ein Fachpublikum verständlich ist. Publikumswirksam sind auch die Events des Fests, für das am Samstag am späten Nachmittag die Gumpendorfer Straße gesperrt wird, um „Platz für die Menschen“ zu schaffen. Die IG Architektur ist in den 20 Jahren ihres Bestehens zu einer unverzichtbaren Institution geworden. Sie ist damit eine von vielen, die sich bemühen, die Baukultur in Österreich zu stärken: Da gibt es die Architekturhäuser in allen Bundesländern und ihre gemeinsame Dachorganisation, die Architekturstiftung Österreich. In Wien hat sich das Architekturzentrum längst zu einem vollwertigen Architekturmuseum entwickelt; es gibt die Zentralvereinigung der Architekten, die älteste Berufsvertretung, die mit dem Bauherrenpreis den renommiertesten Architekturpreis des Landes verleiht. Es gibt die Kammern als primär berufliche Interessenvertretung, die über die Leistung ihrer Mitglieder die Hauptlast der baukulturellen Produktion trägt. Sie engagiert sich aber auch in der Baukulturvermittlung, etwa im Rahmen der biennalen Architekturtage, die in Kooperation mit der Architekturstiftung heuer wieder am 10. und 11. Juni zum Thema „Leben.Lernen.Raum“ stattfinden. Zusätzlich gibt es zahlreiche kleinere Initiativen mit speziellem Programm wie „architektur in progress“, und als alle diese Akteure übergreifende Klammer die „Plattform für Baukulturpolitik“, die vor allem vor Wahlen auftritt und die Position der Parteien zum Thema hinterfragt.
An Betriebsamkeit fehlt es in puncto Baukultur offenbar nicht. Dieser Betrieb erreicht durchaus eine immer größer werdende Anzahl von interessierten Bürgerinnen und Bürgern, die erkennen, dass Baukultur nichts Geringeres ist als die materiell gestaltete Antwort auf die Frage nach „einem guten Leben in einer gerechten Gesellschaft“. Architekten mit der passenden Haltung gibt es genug, und insofern bräuchte man sich für die Zukunft keine Sorgen zu machen, wäre da nicht die Evidenz, dass es mit der Baukultur des Landes nicht gut bestellt ist. In der Publikation der IG Architektur wird dieser Umstand kommentarlos durch zwei Fotoessays von Paul Ott, einem der besten Architekturfotografen des Landes, vermittelt. Die Bilder von Situationen in Wien und Graz zeigen eine traurige Sammlung missglückter Architektur, teilweise ohne, in den meisten Fällen aber mit Architektenbeteiligung, jedes eine Entgleisung für sich. Es sind keine Einzelfälle: Diese Fotos sind symptomatisch für ein ästhetisches Elend, von dem ganze Landstriche befallen sind.
Weder 20 Jahre IG noch 25 Jahre Architekturstiftung haben daran viel geändert. Themen wie Bodenverbrauch, Nachhaltigkeit und Freiraumqualität sind seit Jahrzehnten auf der Agenda und Teil von Regierungsprogrammen. Wo sind die politischen Akteure, die sich als Umsetzer einen Namen machen wollen? Einbetoniert in ihre Sachzwänge? Von der Wiener Stadtpolitik ist trotz Einladung jedenfalls niemand zum Fest der IG angekündigt.
Die Ausstellung „Reden wir über Baukultur!“ der IG Architektur findet bis 12. Juni in Graz und Wien statt. Weitere Infos unter: www.ig-architektur.at/baukulturausstellung
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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