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Wo der Kaiser Verträge aufsetzte
Wie kommt es, dass in touristischen Gegenden nicht nur Urlaub gemacht wird, sondern bisweilen historische Entscheidungen getroffen wurden? Über den Bauboom in Kurorten wie Baden, Gastein und Sinaia und ihre politische Relevanz.
2. Juni 2022 - Judith Eiblmayr
Vertieft man sich in die Geschichte von berühmten Kurorten, fällt schnell auf, dass diese oft von den jeweiligen Machthabern protegiert wurden. Wie politisch bedeutsam sie waren, ist auch an den dort getroffenen Vereinbarungen abzulesen, etwa den „Karlsbader Beschlüssen“ 1818 oder der „Gasteiner Konvention“ 1865. Die Kur als unauffällige Rückzugsoption, um zufällig auf wichtige Persönlichkeiten zu treffen, war ein probates Mittel, hintergründig Politik zu machen, und ein wesentlicher Faktor, warum im 19. Jahrhundert in den Ausbau dieser ersten Tourismusorte kräftig investiert wurde.
Bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte der spätere Kaiser Franz II./I. das Badewesen an mehreren Orten des Habsburgerreiches gefördert. Geprägt durch seinen Vater, Großherzog Peter Leopold, der in den italienischen Kurort Montecatini investiert und diesen ab 1772 im klassizistischen Stil neu errichtet hatte, begab sich Franz nach Böhmen, um 1793 ein neues Bad zu gründen, das nach ihm Franzensbad genannt wurde und fortan nebst Marien- und Karlsbad das Westböhmische Bäderdreieck bildete. Er selbst weilte ab 1796 jeden Sommer in Baden bei Wien zur Kur, postulierte das „Badner Projekt“ und beauftragte namhafte Architekten wie Josef Kornhäusel und Charles von Moreau mit der Modernisierung zu einem mondänen Kurort klassizistischer Prägung. Zur gleichen Zeit nahm er sich auch des Wildbades Gastein an, das 1800, nach der Vertreibung der Erzbischöfe von Salzburg, Österreich zufiel und als Tourismusort entwickelt werden sollte. Hier wollte man aber nicht nur höfische Finanzmittel eingesetzt wissen, sondern Investoren gewinnen: Auf rechtlicher Basis des neu geschaffenen „Franziszäischen Katasters“ trat der Staat als Entwickler auf, indem den Einheimischen Wiesen abgekauft, diese parzelliert und Interessenten zum Verkauf angeboten wurden. Da für Franz II./I. sein „Badner Projekt“ ab 1804 Priorität hatte, sollte sein Bruder, Erzherzog Johann, die Geschäfte in Gastein vorantreiben.
Renditensteigerung dank Eisenbahn
Dieser war der Erste, der dem ortsansässigen mächtigen Gastwirt Peter Straubinger ein Grundstück abkaufte und 1830 ein schlichtes Sommerdomizil, die Villa Meran, erbauen ließ. Der Habsburger ging mit gutem Beispiel voran und sollte wohl in Absprache mit seinem Bruder Franz, nun Kaiser von Österreich, Gleichgesinnte ins Gasteinertal locken. Die Rechnung ging auf: Innerhalb kürzester Zeit wurde in Bad Gastein ein Bauboom entfesselt, der bis zum Ersten Weltkrieg anhielt. Konträr zu Baden jedoch, das eine gewachsene städtische Struktur aufzuweisen hatte, wurden im Wildbad mit seinem pittoresken Wasserfall ohne städtebaulichen Zusammenhang einzelne Kurhäuser in die Höhe gezogen. Städtische Architektur wurde nachgereicht, nachdem Investoren mit dem Eisenbahnbau die Chance erkannt hatten, ihre Renditen zu steigern.
Szenenwechsel: ein Kurort in den Bergen. Warum hat man in Sinaia in den Karpaten, zwischen Bukarest und Braşov (Kronstadt) gelegen, den Eindruck, in einem Hybrid aus Bad Gastein und Bad Ischl zu sein? Und was hat das mit Deutschland zu tun? Am Beispiel des Städtchens Sinaia wird exemplarisch die politische und wirtschaftliche Bedeutung von Kurorten anschaulich: In Rumänien wurde aus gesamteuropäischem Interesse 1866 der deutsche Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmaringen als Fürst von Rumänien eingesetzt und durch eine Volksabstimmung legitimiert. Als Karl sich mit seiner Frau, Elisabeth, die unter dem Pseudonym Carmen Sylva als Dichterin erfolgreich war, im neuen Land niederließ, suchte er bald nach einem schönen Plätzchen in den Bergen. Auf einer Passhöhe im Tal des Flusses Prahova und am Fuße des Bucegi-Gebirges wurde er fündig. Diese unbebaute Gegend hatte zwar keine Heilquellen, aber gute Luft und ward rasch auserkoren, als Luftkurort entwickelt zu werden. 1864 kaufte eine Investorengesellschaft 35 Hektar Land an, wollte ein Erholungsheim errichten, gleichzeitig jedoch Grundstücke verkaufen, und da kam der deutsche Fürst, der 1881 zu König Carol I. von Rumänien gekrönt werden sollte, gerade recht. 1871 wurde das erste Hotel, Hotel Sinaia, eröffnet, geführt vom Österreicher Josef Ungarth, der bis dahin für den Investor Prinz Dimitri Ghica tätig gewesen war.
Dann sollte dem künftigen König ein Schloss errichtet werden: Man holte aus Wien den Architekten Wilhelm von Doderer, der als Reverenz an die Abstammung des Fürsten eine deutsch-romantisierende Architektur mit Fachwerk und einer Unzahl von Türmchen schuf. Platziert wurde es am Hang oberhalb des Klosters; für unterhalb beauftragte man einen Schweizer Landschaftsplaner, N. N. Eder, den Bebauungsplan für die neue Ortschaft anzulegen, mit breitem Boulevard, Kurpark und geschwungenen Gässchen den Hang hinauf.
Geplant auf der „grünen Wiese“
Doderers Sohn Richard war in Deutschland in der Eisenbahnindustrie tätig, und so war es nicht verwunderlich, dass ab 1905 ein Schienenstrang durch das Prahova-Tal gelegt wurde. Schon zuvor, sobald der frisch gekrönte König Schloss Peleş 1883 bezogen hatte, war Sinaia zum Treffpunkt für die Elite aus Politik und Wirtschaft geworden. Auch das war gesteuert worden, indem einflussreichen Personen aus Bukarest nahegelegt worden war, in Sinaia ein Grundstück zu kaufen und eine Villa zu errichten. Allerdings musste der stringente Bebauungsplan des alleinigen Investors eingehalten werden, kein Gebäude durfte das Schloss des Königs übertrumpfen. Am angelegten Kurpark entstanden später das obligate große Hotel, Hotel Palace, und ein Casino. Somit war das baulich und programmatisch perfekte Ambiente realisiert, das ein nobler Tourismusort der Jahrhundertwende bieten sollte. Umgesetzt wurde dies alles in nur 30 Jahren, 120 Kilometer nördlich von Bukarest, geplant auf der „grünen Wiese“.
Noch immer spürt man in Sinaia, dass hier ein Kurort stringent „aufgesetzt“ wurde, ganz anders als in Bad Gastein, wo ohne Bebauungsplan jeder baute, wie er wollte. Apropos: In Gastein gibt es den König-Carol-Weg, denn der rumänische König war von 1902 bis 1905 im Sommer im Hotel Kaiserhof zu Gast. Es gab wohl gute politische Gründe, sich abseits von Sinaia zu treffen. Ironie des Schicksals ist, dass keine zehn Jahre später die Kriegserklärung an Serbien in Bad Ischl verfasst wurde, wie im Buch „Bad Ischl – mit und ohne Kaiser“ (Wimberger/Rapp) nachzulesen ist: „In den glanzvollen Kulissen der Villa fassten Minister, Beamte und der Kaiser selbst Beschlüsse, die den Untergang jener Welt bedeuten werden, der sie angehörten.“ Zu dieser Welt gehörte die Exklusivität der elitären Kurorte – 100 Jahre später können diese auch von der Allgemeinheit genossen werden.
Bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte der spätere Kaiser Franz II./I. das Badewesen an mehreren Orten des Habsburgerreiches gefördert. Geprägt durch seinen Vater, Großherzog Peter Leopold, der in den italienischen Kurort Montecatini investiert und diesen ab 1772 im klassizistischen Stil neu errichtet hatte, begab sich Franz nach Böhmen, um 1793 ein neues Bad zu gründen, das nach ihm Franzensbad genannt wurde und fortan nebst Marien- und Karlsbad das Westböhmische Bäderdreieck bildete. Er selbst weilte ab 1796 jeden Sommer in Baden bei Wien zur Kur, postulierte das „Badner Projekt“ und beauftragte namhafte Architekten wie Josef Kornhäusel und Charles von Moreau mit der Modernisierung zu einem mondänen Kurort klassizistischer Prägung. Zur gleichen Zeit nahm er sich auch des Wildbades Gastein an, das 1800, nach der Vertreibung der Erzbischöfe von Salzburg, Österreich zufiel und als Tourismusort entwickelt werden sollte. Hier wollte man aber nicht nur höfische Finanzmittel eingesetzt wissen, sondern Investoren gewinnen: Auf rechtlicher Basis des neu geschaffenen „Franziszäischen Katasters“ trat der Staat als Entwickler auf, indem den Einheimischen Wiesen abgekauft, diese parzelliert und Interessenten zum Verkauf angeboten wurden. Da für Franz II./I. sein „Badner Projekt“ ab 1804 Priorität hatte, sollte sein Bruder, Erzherzog Johann, die Geschäfte in Gastein vorantreiben.
Renditensteigerung dank Eisenbahn
Dieser war der Erste, der dem ortsansässigen mächtigen Gastwirt Peter Straubinger ein Grundstück abkaufte und 1830 ein schlichtes Sommerdomizil, die Villa Meran, erbauen ließ. Der Habsburger ging mit gutem Beispiel voran und sollte wohl in Absprache mit seinem Bruder Franz, nun Kaiser von Österreich, Gleichgesinnte ins Gasteinertal locken. Die Rechnung ging auf: Innerhalb kürzester Zeit wurde in Bad Gastein ein Bauboom entfesselt, der bis zum Ersten Weltkrieg anhielt. Konträr zu Baden jedoch, das eine gewachsene städtische Struktur aufzuweisen hatte, wurden im Wildbad mit seinem pittoresken Wasserfall ohne städtebaulichen Zusammenhang einzelne Kurhäuser in die Höhe gezogen. Städtische Architektur wurde nachgereicht, nachdem Investoren mit dem Eisenbahnbau die Chance erkannt hatten, ihre Renditen zu steigern.
Szenenwechsel: ein Kurort in den Bergen. Warum hat man in Sinaia in den Karpaten, zwischen Bukarest und Braşov (Kronstadt) gelegen, den Eindruck, in einem Hybrid aus Bad Gastein und Bad Ischl zu sein? Und was hat das mit Deutschland zu tun? Am Beispiel des Städtchens Sinaia wird exemplarisch die politische und wirtschaftliche Bedeutung von Kurorten anschaulich: In Rumänien wurde aus gesamteuropäischem Interesse 1866 der deutsche Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmaringen als Fürst von Rumänien eingesetzt und durch eine Volksabstimmung legitimiert. Als Karl sich mit seiner Frau, Elisabeth, die unter dem Pseudonym Carmen Sylva als Dichterin erfolgreich war, im neuen Land niederließ, suchte er bald nach einem schönen Plätzchen in den Bergen. Auf einer Passhöhe im Tal des Flusses Prahova und am Fuße des Bucegi-Gebirges wurde er fündig. Diese unbebaute Gegend hatte zwar keine Heilquellen, aber gute Luft und ward rasch auserkoren, als Luftkurort entwickelt zu werden. 1864 kaufte eine Investorengesellschaft 35 Hektar Land an, wollte ein Erholungsheim errichten, gleichzeitig jedoch Grundstücke verkaufen, und da kam der deutsche Fürst, der 1881 zu König Carol I. von Rumänien gekrönt werden sollte, gerade recht. 1871 wurde das erste Hotel, Hotel Sinaia, eröffnet, geführt vom Österreicher Josef Ungarth, der bis dahin für den Investor Prinz Dimitri Ghica tätig gewesen war.
Dann sollte dem künftigen König ein Schloss errichtet werden: Man holte aus Wien den Architekten Wilhelm von Doderer, der als Reverenz an die Abstammung des Fürsten eine deutsch-romantisierende Architektur mit Fachwerk und einer Unzahl von Türmchen schuf. Platziert wurde es am Hang oberhalb des Klosters; für unterhalb beauftragte man einen Schweizer Landschaftsplaner, N. N. Eder, den Bebauungsplan für die neue Ortschaft anzulegen, mit breitem Boulevard, Kurpark und geschwungenen Gässchen den Hang hinauf.
Geplant auf der „grünen Wiese“
Doderers Sohn Richard war in Deutschland in der Eisenbahnindustrie tätig, und so war es nicht verwunderlich, dass ab 1905 ein Schienenstrang durch das Prahova-Tal gelegt wurde. Schon zuvor, sobald der frisch gekrönte König Schloss Peleş 1883 bezogen hatte, war Sinaia zum Treffpunkt für die Elite aus Politik und Wirtschaft geworden. Auch das war gesteuert worden, indem einflussreichen Personen aus Bukarest nahegelegt worden war, in Sinaia ein Grundstück zu kaufen und eine Villa zu errichten. Allerdings musste der stringente Bebauungsplan des alleinigen Investors eingehalten werden, kein Gebäude durfte das Schloss des Königs übertrumpfen. Am angelegten Kurpark entstanden später das obligate große Hotel, Hotel Palace, und ein Casino. Somit war das baulich und programmatisch perfekte Ambiente realisiert, das ein nobler Tourismusort der Jahrhundertwende bieten sollte. Umgesetzt wurde dies alles in nur 30 Jahren, 120 Kilometer nördlich von Bukarest, geplant auf der „grünen Wiese“.
Noch immer spürt man in Sinaia, dass hier ein Kurort stringent „aufgesetzt“ wurde, ganz anders als in Bad Gastein, wo ohne Bebauungsplan jeder baute, wie er wollte. Apropos: In Gastein gibt es den König-Carol-Weg, denn der rumänische König war von 1902 bis 1905 im Sommer im Hotel Kaiserhof zu Gast. Es gab wohl gute politische Gründe, sich abseits von Sinaia zu treffen. Ironie des Schicksals ist, dass keine zehn Jahre später die Kriegserklärung an Serbien in Bad Ischl verfasst wurde, wie im Buch „Bad Ischl – mit und ohne Kaiser“ (Wimberger/Rapp) nachzulesen ist: „In den glanzvollen Kulissen der Villa fassten Minister, Beamte und der Kaiser selbst Beschlüsse, die den Untergang jener Welt bedeuten werden, der sie angehörten.“ Zu dieser Welt gehörte die Exklusivität der elitären Kurorte – 100 Jahre später können diese auch von der Allgemeinheit genossen werden.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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