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Wenn die Schule für neue Unterrichtsformen Raum schafft
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Große Pausenhallen und kleine Gruppenräume fördern die Bildung von Netzwerken, stille Plätzchen in der Bibliothek bilden Rückzugsorte, die beim konzentrierten Arbeiten helfen: Die neue Volksschule in Graz-Andritz bietet auch andere Möglichkeiten als Frontalunterricht.

21. Juli 2022 - Sigrid Verhovsek
Unsere Schulkinder haben nun zwar Ferien – in vielen Schulen wird aber derzeit umso emsiger an deren baulicher Ertüchtigung gearbeitet. Auch wenn der Schulanfang derzeit nur aus weiter Ferne „droht“ und möglicherweise auf Distance-Learning zurückgegriffen werden muss, ist das Thema Neugestaltung adäquater „Bildungsbauten“ aktueller denn je.

Möglichkeitsräume, die in coronabedingter Hilflosigkeit nicht ausgelotet wurden, werden verstärkt diskutiert, erforscht und genutzt. Die derzeit bestehende Achtsamkeit für qualitätsvollen Schulbau resultiert aber auch daraus, dass gerade für kleine rurale Orte und Gemeinden eine „guteVolksschule“, eine „guteMNS“ maßgeblich sind: Familien suchen Wohnorte bei ähnlichen ökonomischen Vorgaben nach den vorhandenen Bildungschancen für ihre Kinder aus. Da aber pädagogische Konzepte oder das Engagement des Lehrkörpers auf den ersten Blick nicht so öffentlichkeitswirksam sind wie ein ansprechender Schulbau, wird derzeit fieberhaft an neuen Bildungsstätten gefeilt, von der Kinderkrippe bis zu neuen FH- oder Uni-Campus.

Auch wenn das Wichtigste für Bildung die Pädagog:innen sowie die Klassenkamerad:innen sind, ist unbestritten, dass die Physis am Lernen beteiligt ist. Loris Malaguzzi sprach etwa vom „Raum als drittem Pädagogen“. Tatsächlich stehen die von dem amerikanischen Zukunftsforscher David Thornburg ergründeten prototypischen Kommunikations- und Lernformen mit räumlichen Settings in Zusammenhang: Der „Mountain Top“ als Präsentationsspot kann, muss aber nicht dem Excathedra-Unterricht im Klassenzimmer entsprechen: Auch Schüler:innen lernen selbstbewusstes Präsentieren „auf dem Podium“.

Bewegung fördert das Gedächtnis

Am „Campfire“ spricht man wechselweise, diskursive Praktiken werden in kleineren Gruppen geübt. Am „Waterhole“ tauschen sich im Kommen und Gehen alle mit allen aus: Eine große Pausenhalle oder informellere kleine Gruppenräume fördern die Bildung von Netzwerken. Einzelräume, spezielle Möbel oder auch ein stilles Plätzchen in der Bibliothek bilden „Caves“ – diese Rückzugsorte helfen beim konzentrierten Arbeiten oder dabei, das Gelernte in Ruhe zu „verdauen“. Die dänische Architektin Rosan Bosch ergänzt noch um die Kategorien „Hands on“ und „Movement“: „Hand anlegen“ zielt auf den haptischen Lernkanal ab – selbstständiges Erkunden unterstützt beim Einprägen von Informationen. Bewegung dient nicht nur der Kanalisierung kindlicher Energie, sondern hilft auch dem Langzeitgedächtnis auf die Sprünge.

Diesen Erkenntnissen folgend, wurde die in der Gangschule beheimatete Frontalpädagogik durch ein flexibles Wechselspiel verschiedener Lernsettings abgelöst. Die Art, in der diese Unterrichtsformen in ihrer Vielschichtigkeit und oft Gleichzeitigkeit am einfachsten umsetzbar sind, ist der Cluster, ein ineinander übergehendes Raumkontinuum, das um Aula, Sportmöglichkeiten und Spezialräume ergänzt wird.

Diese aus Skandinavien stammende Typologie hat sich vor etwa 20 Jahren auch im deutschsprachigen Raum etabliert. Hierorts hat das Wort Cluster aber oft die Vorstellung von organisch-wolkigen oder wabenförmig ausufernden Strukturen ausgelöst. Das muss nicht sein: Ein außergewöhnlich klares und geradliniges Beispiel der direkten, schnörkellosen Umsetzung von pädagogischen Konzepten in Raum bildet die neue Volksschule Andritz, die vom Wiener Architektenduo Christoph Mayrhofer und Gernot Hillinger nach einem gewonnenen Wettbewerb 2019 heuer fertiggestellt wurde.

Die städtebauliche Lage ist gewöhnungsbedürftig: abseits des Zentrums von Andritz an der stark befahrenen Stattegger Straße, wo es nur einen Gehsteig gibt, hinter der Maschinenfabrik, einem Supermarkt und einem Gewerbebetrieb. Eine neue Bushaltestelle wird im September eröffnet, ein Radweg ist im Bau – aber ob dieser Standort sich wirklich zu einem Zentrum mit urbaner Leitfunktion entwickelt, wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen. Der zweigeschoßige Baukörper ist lang-rechteckig an der nördlichen Grundgrenze positioniert, die Holzfassade aus Weißtanne schimmert in sanftem Graubraun, die hellen Ausbuchtungen der Oberlichten erinnern an die Aufbauten eines Überseedampfers: Bildung als Reise?

Freiterrassen für meditative Ruhe

Ein großer Vorplatz gibt den Blick auf eine durch das Obergeschoß überdachte offene Ecke im Erdgeschoß frei, in deren Schutz man die Schule betritt. Das Obergeschoß springt im Süden auch über die gesamte Länge des Baukörpers vor und schafft so natürliche Beschattung. Die freie Ecke wiederholt sich auf der anderen Seite des Gebäudes und spielt hier die Rolle eines intimeren, stilleren Platzes, der auch als Freiklasse der Ganztagesschule genutzt werden kann. Durch Windfang oder Garderoben betritt man die großzügige Aula, die sich in alle Himmelsrichtungen zu erstrecken scheint: Nach Süden öffnet sich die Glasfront zu einem Sportplatz, die Blickachse nach Osten führt über die Spezialräume ins Grün, durch die im Tiefgeschoß liegende, zweigeschoßige verglaste Turnhalle blickt man in den nordseitig gelegenen Reithof und im Westen auf den Vorplatz.

Die derzeit vier Cluster für gesamt 16 Klassen sind im Obergeschoß angeordnet, in das drei Stiegenhäuser führen, die für einen geordneten Ablauf beim Läuten der Schulglocke sorgen (sollen). Jeweils vier Klassenzimmer sind um eine zentrale Lernlandschaft gebündelt, dazwischen bieten sich zur flexiblen Nutzung weitere zwei Kleingruppenräume an. Die Lernlandschaft wird durch Oberlichten blendfrei ausgeleuchtet, auch durch die großzügigen Glasflächen zu den Klassenräumen hin fällt Licht. So wird es möglich, eine Klasse für spezielle Arbeiten zu teilen; durch den Sichtkontakt ist es den Lehrenden weiterhin möglich, ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen. Zusätzlich gibt es die zwischen allen Clustern verstreut angeordneten Freiterrassen, die als Atrien ausgebildet sind und zumindest im derzeit schülerlosen Zustand meditative Ruhe verströmen. Der an den Freiterrassen vorbeiführende Verbindungsgang zum Nachbarcluster oder ins Stiegenhaus wird für PC-Arbeitsplätze genutzt, sodass in diesem Geschoß keine reinen horizontalen „Verkehrsflächen“ existieren.

Auch ökologisch ist die neue Volksschule gut ausbalanciert: Tiefensonden und eine Fotovoltaik-Anlage auf dem begrünten Dach spenden Energie, auf PVC wurde bei Fenstern, Türen und im Innenausbau weitgehend verzichtet, die Dämmung ist aus nachwachsenden Rohstoffen. Die klaren Linien und reduzierte Formensprache geben viel Raum bei minimaler Ablenkung, und der permanente Außenbezug öffnet den Blick. So geht der Einstieg oder das „Back to school“ im Herbst vielleicht ganz einfach.

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