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Wie man Demokratie entwirft
Die Olympischen Spiele von München gelten als architektonischer Höhepunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein Marathon durch drei süddeutsche Ausstellungen, die an ihre Planer und Designer erinnern.
27. August 2022 - Maik Novotny
Im Restaurant Nord verspeisen Gruppen von Menschen ihr Schnitzel auf knallgelben Tischen, während sich Röhren aus orangenem und durchsichtigem Kunststoff über ihren Köpfen winden wie fliegende Würmer. Andere legen eine Pause ein im Restaurant in der Schwimmhalle, die aussieht wie eine halbfertige Mondstation in Popfarben, die sich in einer Strumpfhose verheddert hat.
Beides entworfen von den österreichischen Architekten Günther Domenig und Eilfried Huth, die sich richtig austoben durften, damals in München 1972. Draußen zieht sich die von Anita und Werner Ruhnau konzipierte Spielstraße durch die Wiese, die avantgardistisches Mitmach-Straßentheater bietet. Der revolutionäre Geist von 1968 weht an diesen Sommertagen durch die bayerische Hauptstadt.
36 Jahre nach den von den Nazis als Propaganda inszenierten Spielen von Berlin und 27 Jahre nach Kriegsende bekam die Bundesrepublik in München die Chance, zu beweisen, dass sie Demokratie gelernt hatte. Das funktionierte ziemlich gut. So gut, dass sich heute, 50 Jahre später, die Disziplinen Architektur und Design an eine Zeit des Optimismus erinnern. Gleich drei Ausstellungen tun dies im Synchronschritt.
Wiesengründe Topografie
Den Startschuss lassen wir in München ertönen, wo das Architekturmuseum an der Pinakothek der Moderne an die Olympiastadt München und seine Bauten erinnert. Als das Team um Günter Behnisch 1967 mit seinem Zeltdachmodell den Wettbewerb für das Olympia-Gelände gewann, entlockte das sogar dem knurrigen Franz Josef Strauß würdigende Äußerungen zur Architektur.
Die Idee überzeugt heute noch: Statt rationalen rechten Winkels eine „Architektur, die mit der Landschaft geht“, wie es Behnisch-Mitarbeiter Carlo Weber nannte. Ein bewusstes Gegenmodell zum streng axialen Olympia-Areal in Berlin. Aus einem Trümmerberg am Oberwiesenfeld wurde die wiesengrüne Topografie eines neuen, quasi geschichtslosen Deutschlands gezaubert.
Eingefügt darin: Die zipfelige Landschaft des Zeltdachs, inspiriert vom deutschen Pavillon der Expo Montreal 1967. Die Aufgabe in München erwies sich jedoch als komplex, und die Wettbewerbsjury bezweifelte, dass sich dieses Experiment realisieren ließ. Aber schon im revolutionären Mai 1968 hatte der Ingenieur Frei Otto die konstruktive Lösung gefunden. Aus Sicht des schwerfälligen Deutschlands von heute mit seiner heruntergewirtschafteten Infrastruktur ging der Formfindungs- und Bauprozess geradezu in Sprintgeschwindigkeit von dannen.
Die Ausstellung nimmt Olympia und München stets gemeinsam ins Blickfeld, denn der Sportevent wurde zum Infrastrukturbooster, mit Stadtautobahnen, U-Bahn-Bau und Großwohnsiedlungen. Das Olympia-Areal wurde zum Experimentierfeld der Architektur, mit Space-Age-Modulbauten und mit neuen Wohnkonzepten im olympischen Dorf. Dieses wurde am schwarzen 5. September zu einem weltweiten Bild des Grauens, mit dem körnigen Foto des maskierten palästinensischen Geiselnehmers auf dem Balkon.
Nächste Station des Olympia-Marathons: Das HfG-Archiv auf dem Kuhberg in Ulm. Die Hochschule für Gestaltung ist ein weiteres Beispiel deutscher Demokratisierung. Eröffnet 1953 vom Schweizer Architekten Max Bill, Inge Aicher-Scholl, der Schwester von Hans und Sophie, und ihrem Mann, dem Designer Otl Aicher (1922–1991). Jener wird derzeit zum 100. Geburtstag mit der Ausstellung 100 Plakate geehrt, und er war es auch, dessen Gestaltungskonzept das Bild der „heiteren Spiele“ von 1972 prägte. National konnotierte Farben wie Rot und Gold wurden explizit vermieden, stattdessen prägten Blau, Silber, Grün und Orange das Corporate Design, das sich bis in die Details wie Parkscheine und Polizeiuniformen erstreckte.
Auch Aichers Olympia-Plakate zeigten keine grimmigen Lorbeerkranz-Siegerposen wie 1936, sondern Menschen in Bewegung. Sportliche Wettbewerb nicht als Triumph, sondern als gemeinsames Erlebnis. Bis heute prägend für die gesamte Designwelt: Aichers ikonische Piktogramme, für die er die Bildtafeln weiterentwickelte, die Masaru Katzumi für Tokio 1964 entworfen hatte.
Akrobatisches Mikado
Dritte Station auf der Ausstellungslangstrecke: Stuttgart. Im selben Jahr geboren wie Aicher und somit ebenso ausstellungswürdig ist Günter Behnisch, dem eine große und ausgezeichnet aufgearbeitete Retrospektive gewidmet ist. Das olympische München war für den dezidierten Teamplayer die Initialzündung für ein reichhaltiges Werk, das eine direkte Abkürzung von den experimentierfreudigen 1960er-Jahren in die High-Tech-80er nahm und den schwerfälligen Bauwirtschaftsfunktionalismus der 1970er-Jahre links liegen ließ. Dabei war seine Idee von Technik stets spielerisch und kulturbewusst, wie sein Hysolar-Institut in Stuttgart (1987), ein akrobatisch ausbalancierter Mikado-Haufen, zeigt. „Die Möglichkeiten für formale Ordnungen sind tendenziell unbegrenzt“, schrieb er 1996. „Fortwährend können wir Neues entdecken.“
Popbuntes Deutschland
Zentral für Behnischs Architektur- und Demokratieverständnis, dem jeglicher Pomp fremd war, stehen zwei Bauten aus den 1990er-Jahren. Der Plenarsaal für den Bonner Bundestag, an dem er fast 20 Jahre lang plante, wurde 1992 fertig, kurz nachdem der Beschluss zum Umzug nach Berlin gefasst wurde. Als die Abgeordneten das nach allen Seiten gläsern offene Haus schon 1999 wieder verließen, war das auch das Ende einer süddeutsch-liberal geprägten Architekturära.
Seit dem einst futuristisch imaginierten Jahr 2000 dominieren die steinern-preußische Humorlosigkeit und die Verklärung des 19. Jahrhunderts, verkörpert durch den Senatsbaudirektor Hans Stimmann, der Berlin eine Lochfassaden-Einheit verordnete. Nur Behnischs Akademie der Künste neben dem Brandenburger Tor widersetzte sich gläsern diesem Diktat, was für heftige Feuilletondebatten sorgte. Heute hat Berlin eine neofeudale Schlossattrappe, und die Demokratie ist weltweit auch dort, wo man sie am sichersten glaubte, im Rückzugsgefecht. So mischt sich in die Erinnerung an Behnisch, Aicher und die Bilder eines popbunten Deutschlands von den Hügeln am Oberwiesenfeld 1972 auch ein wehmütiges Was-wäre-wenn.
Die Olympiastadt München
Architekturmuseum München, bis 8. Jänner 2023
Otl Aicher: 100 Plakate
HfG Archiv Ulm, bis 8. Jänner 2023
Bauen für eine offene Gesellschaft – Günter Behnisch 100
Theaterpassage Stuttgart, bis 3. Oktober 2022
Beides entworfen von den österreichischen Architekten Günther Domenig und Eilfried Huth, die sich richtig austoben durften, damals in München 1972. Draußen zieht sich die von Anita und Werner Ruhnau konzipierte Spielstraße durch die Wiese, die avantgardistisches Mitmach-Straßentheater bietet. Der revolutionäre Geist von 1968 weht an diesen Sommertagen durch die bayerische Hauptstadt.
36 Jahre nach den von den Nazis als Propaganda inszenierten Spielen von Berlin und 27 Jahre nach Kriegsende bekam die Bundesrepublik in München die Chance, zu beweisen, dass sie Demokratie gelernt hatte. Das funktionierte ziemlich gut. So gut, dass sich heute, 50 Jahre später, die Disziplinen Architektur und Design an eine Zeit des Optimismus erinnern. Gleich drei Ausstellungen tun dies im Synchronschritt.
Wiesengründe Topografie
Den Startschuss lassen wir in München ertönen, wo das Architekturmuseum an der Pinakothek der Moderne an die Olympiastadt München und seine Bauten erinnert. Als das Team um Günter Behnisch 1967 mit seinem Zeltdachmodell den Wettbewerb für das Olympia-Gelände gewann, entlockte das sogar dem knurrigen Franz Josef Strauß würdigende Äußerungen zur Architektur.
Die Idee überzeugt heute noch: Statt rationalen rechten Winkels eine „Architektur, die mit der Landschaft geht“, wie es Behnisch-Mitarbeiter Carlo Weber nannte. Ein bewusstes Gegenmodell zum streng axialen Olympia-Areal in Berlin. Aus einem Trümmerberg am Oberwiesenfeld wurde die wiesengrüne Topografie eines neuen, quasi geschichtslosen Deutschlands gezaubert.
Eingefügt darin: Die zipfelige Landschaft des Zeltdachs, inspiriert vom deutschen Pavillon der Expo Montreal 1967. Die Aufgabe in München erwies sich jedoch als komplex, und die Wettbewerbsjury bezweifelte, dass sich dieses Experiment realisieren ließ. Aber schon im revolutionären Mai 1968 hatte der Ingenieur Frei Otto die konstruktive Lösung gefunden. Aus Sicht des schwerfälligen Deutschlands von heute mit seiner heruntergewirtschafteten Infrastruktur ging der Formfindungs- und Bauprozess geradezu in Sprintgeschwindigkeit von dannen.
Die Ausstellung nimmt Olympia und München stets gemeinsam ins Blickfeld, denn der Sportevent wurde zum Infrastrukturbooster, mit Stadtautobahnen, U-Bahn-Bau und Großwohnsiedlungen. Das Olympia-Areal wurde zum Experimentierfeld der Architektur, mit Space-Age-Modulbauten und mit neuen Wohnkonzepten im olympischen Dorf. Dieses wurde am schwarzen 5. September zu einem weltweiten Bild des Grauens, mit dem körnigen Foto des maskierten palästinensischen Geiselnehmers auf dem Balkon.
Nächste Station des Olympia-Marathons: Das HfG-Archiv auf dem Kuhberg in Ulm. Die Hochschule für Gestaltung ist ein weiteres Beispiel deutscher Demokratisierung. Eröffnet 1953 vom Schweizer Architekten Max Bill, Inge Aicher-Scholl, der Schwester von Hans und Sophie, und ihrem Mann, dem Designer Otl Aicher (1922–1991). Jener wird derzeit zum 100. Geburtstag mit der Ausstellung 100 Plakate geehrt, und er war es auch, dessen Gestaltungskonzept das Bild der „heiteren Spiele“ von 1972 prägte. National konnotierte Farben wie Rot und Gold wurden explizit vermieden, stattdessen prägten Blau, Silber, Grün und Orange das Corporate Design, das sich bis in die Details wie Parkscheine und Polizeiuniformen erstreckte.
Auch Aichers Olympia-Plakate zeigten keine grimmigen Lorbeerkranz-Siegerposen wie 1936, sondern Menschen in Bewegung. Sportliche Wettbewerb nicht als Triumph, sondern als gemeinsames Erlebnis. Bis heute prägend für die gesamte Designwelt: Aichers ikonische Piktogramme, für die er die Bildtafeln weiterentwickelte, die Masaru Katzumi für Tokio 1964 entworfen hatte.
Akrobatisches Mikado
Dritte Station auf der Ausstellungslangstrecke: Stuttgart. Im selben Jahr geboren wie Aicher und somit ebenso ausstellungswürdig ist Günter Behnisch, dem eine große und ausgezeichnet aufgearbeitete Retrospektive gewidmet ist. Das olympische München war für den dezidierten Teamplayer die Initialzündung für ein reichhaltiges Werk, das eine direkte Abkürzung von den experimentierfreudigen 1960er-Jahren in die High-Tech-80er nahm und den schwerfälligen Bauwirtschaftsfunktionalismus der 1970er-Jahre links liegen ließ. Dabei war seine Idee von Technik stets spielerisch und kulturbewusst, wie sein Hysolar-Institut in Stuttgart (1987), ein akrobatisch ausbalancierter Mikado-Haufen, zeigt. „Die Möglichkeiten für formale Ordnungen sind tendenziell unbegrenzt“, schrieb er 1996. „Fortwährend können wir Neues entdecken.“
Popbuntes Deutschland
Zentral für Behnischs Architektur- und Demokratieverständnis, dem jeglicher Pomp fremd war, stehen zwei Bauten aus den 1990er-Jahren. Der Plenarsaal für den Bonner Bundestag, an dem er fast 20 Jahre lang plante, wurde 1992 fertig, kurz nachdem der Beschluss zum Umzug nach Berlin gefasst wurde. Als die Abgeordneten das nach allen Seiten gläsern offene Haus schon 1999 wieder verließen, war das auch das Ende einer süddeutsch-liberal geprägten Architekturära.
Seit dem einst futuristisch imaginierten Jahr 2000 dominieren die steinern-preußische Humorlosigkeit und die Verklärung des 19. Jahrhunderts, verkörpert durch den Senatsbaudirektor Hans Stimmann, der Berlin eine Lochfassaden-Einheit verordnete. Nur Behnischs Akademie der Künste neben dem Brandenburger Tor widersetzte sich gläsern diesem Diktat, was für heftige Feuilletondebatten sorgte. Heute hat Berlin eine neofeudale Schlossattrappe, und die Demokratie ist weltweit auch dort, wo man sie am sichersten glaubte, im Rückzugsgefecht. So mischt sich in die Erinnerung an Behnisch, Aicher und die Bilder eines popbunten Deutschlands von den Hügeln am Oberwiesenfeld 1972 auch ein wehmütiges Was-wäre-wenn.
Die Olympiastadt München
Architekturmuseum München, bis 8. Jänner 2023
Otl Aicher: 100 Plakate
HfG Archiv Ulm, bis 8. Jänner 2023
Bauen für eine offene Gesellschaft – Günter Behnisch 100
Theaterpassage Stuttgart, bis 3. Oktober 2022
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