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Trutzburg für Mutter und Kind
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Die Architektur der Postmoderne kommt ins sanierungsbedürftige Alter. Das Haus Mutter & Kind der Caritas in Feldkirch aus den 1980er-Jahren ist so ein Fall. Die Architekten versuchen, vorhandene Potenziale zu erkennen und die spezifische Architektursprache zu wahren.

3. September 2022 - Isabella Marboe
Der Ort ist mystisch. Von hohen Bäumen verdeckt, hockt ein eigenwilliges Gebäude am Rosamichlweg 12 in Feldkirch. Das Haus Mutter & Kind der Caritas. Im Nordwesten fällt unmittelbar davor schluchtartig ein stark bewaldeter Felshang bis auf eine Straße ab, die Hohle Gasse heißt. Im Nordosten verwandelt sich das schroffe Biotop in eine bukolische Landschaft. Kaum jemand kannte Ort und Bau, obwohl er unweit des Landeskrankenhauses liegt.

Nur einige ältere Leute aus der Nachbarschaft erinnern sich an das Gasthaus Carina, das bis in die frühen 1960er-Jahre dort stand. Damals arbeiteten viele Österreicherinnen in der Schweiz. Wurden sie schwanger, schob man sie ab. Ordensziel der Schwestern vom Guten Hirten (RGS ) ist es, Frauen, Mädchen und Kindern in Not vorbehaltlos zu helfen. 1957 ersuchte sie der damalige Landeshauptmann, Ulrich Ilg, ein Heim zu eröffnen. Im selben Jahr bauten sie den Gasthof zum Haus St. Michael um, wo sie bis 1982 rund 700 vertriebene Schwangere und 900 Kinder betreuten. Das Haus platzte aus allen Nähten.

Karl Müller, der Architekt ihres Vertrauens, hielt eine Sanierung für unmöglich, sie wagten einen Neubau. Er sollte in drei Etappen um damals 25 Millionen Schilling errichtet werden. Zuerst das Haupthaus für Frauen, Kinder und Schwestern, dann Nebenräume und Kapelle, zuletzt eine Pulmologie für das nahe Landeskrankenhaus. 1985 bezogen die Schwestern den ersten Trakt, als die Kosten nach der zweiten Etappe 33 Millionen Schilling erreichten, stoppten sie den Bau, die dritte Phase blieb unvollendet. 1990 übernahm die Caritas die professionelle Sozialarbeit, 1999 auch die Trägerschaft der Wohngemeinschaft Mutter-Kind, 2004 die ganze Liegenschaft.

Die Architekten Hermann Kaufmann, Andreas Postner und Konrad Duelli hatten schon in ihrem Projekt „Transfer Wohnraum Vorarlberg“ mit sozial intelligenter, solider Architektur auf die akute Problematik hoher Wohnungspreise und unwürdiger Flüchtlingsunterkünfte reagiert. 2018 beauftragte die Caritas die drei mit einer Machbarkeitsstudie für das Haus Mutter & Kind, das man nicht einfach abwohnen wollte. „Wir haben an die 25 soziale Nutzungsvarianten geprüft“, sagt Postner. Der angedachte neue Wohnbau für Jungfamilien hätte einer Tiefgarage bedurft, allein der Abbruch kostet rund eine Million Euro. Unfinanzierbar.

Insgesamt bringt es der Bestand auf etwa 3000 m? Bruttogeschoßfläche. Das ist kaum zu bewältigen, umso mehr als seine Trakte sehr verschieden sind. Daher beschlossen die Architekten, nur den Mittelteil zu sanieren und den Rest später zu bearbeiten. Gestaltungsbeirat und Bundesdenkmalamt stimmten zu, Postner und Duelli übernahmen die weitere Planung.

Das eigenwillige Haus von Architekt Müller verstört und fasziniert gleichermaßen. Hier stimmen Trafo, Garage und Lagerraum auf die Kapelle ein, die symmetrisch komponierte Eingangsfassade ist eine individuelle Spielart der Postmoderne, die Inszenierung der Balkone zwischen Kolossalsäulen erinnert an Raimund Abraham. Im ersten Untergeschoß verwies eine überdimensionierte Küche mit Kühlraum auf die projektierte Pulmologie, die nie zustande kam.

Die Einreichung ist genehmigt, 18 Wohnungen für das Haus Mutter & Kind und Jungfamilien sind bewilligt, schadhafte Bäume gerodet, vor zwei Jahren begannen erste Baumaßnahmen, die Untergeschoße sind ausgehöhlt, die ersten Einheiten im Erdgeschoß fertig. Im ersten und zweiten Stock leben begleitete Mütter mit ihren Kindern. Sie bleiben durchgehend hier, die Baustelle wird gewissenhaft abgesperrt. In Kalenderwoche 37 kommen die ersten Fenster, neun Wochen später werden sie montiert sein.

„Dieses Haus ist nicht umzubringen, das steht in hundert Jahren noch. Es ist auf Fels gebaut und hat keinen einzigen Riss“, so das Resümee der Architekten. Eine Trutzburg im Hang, mit eigenwilligen Erkern, die sich als sachte Ovale oder Dreiecke aus der Wand stülpen, tonnenweise Stahlbeton. Der massive Kern dieser Architektur ist unkaputtbar, alles weitere am Ende seiner Lebenszeit. In die Putzfassade haben Spechte große Löcher geklopft, zur Abschreckung brachte man schwarze Spechtattrappen an. Vergebens. Die Wände sind mit fünf Zentimeter Styropor für heutige Verhältnisse katastrophal schlecht gedämmt, die Heizkosten – erst Öl, dann Gas – exorbitant, die Eingangssituation bedrückend. Ein weiß gestrichenes Kreuzgewölbe aus Stahlbeton zitiert ein Klostermotiv, die Materialität ist typisch 1980er-Jahre. Braun gesprenkelte, diagonal verlegte Fliesen, der militärgrüne Lift steht um 45 Grad verdreht zwischen weißen Stahlbetonsäulen so, dass man fast hineinläuft. Dahinter führt eine Wendeltreppe nach oben, tapfer kämpft das Wort „Willkommen“ gegen die räumliche Enge an.

„Man muss sich mit dem Gebäude beschäftigen, um Liebe dazu zu entwickeln“, sagt Duelli. Über den Umgang mit sanierungsbedürftigen Bauten der Postmoderne gibt es stark divergierende Ansichten, die Epoche kennt viele Ausformungen. Die Architekten verfolgen die Strategie, vorhandene Potenziale zu erkennen und die spezifische Architektursprache zu wahren, wo sie Identität stiftet. Am nordöstlichen Ende des Gebäudes mündet eine Stiege auf ein Podest, das auf dreigeschosshohen, schmalen Sichtbetonstützen auf Tuchfühlung mit den Bäumen geht. Eine surrealistische Situation, deren Erhalt wärmebrückentechnisch eine Herausforderung ist.

Im Endausbau wird es im Untergeschoß eine Studierenden-WG, im Dachgeschoß vier, im ersten Stock sechs und im zweiten Stock vier Startwohnungen für Mütter und Kinder geben, dazu auf jeder Ebene einen Aufenthaltsraum und Büros für die begleitende Sozialarbeit, im ersten Stock eine Lehrküche. Die beliebte Dachterrasse mit dem tollen Ausblick wird saniert und um eine Veranda ergänzt, damit man auch bei Schlechtwetter im Freien sitzen kann. Vier 2020 neu sanierte Wohnungen im Erdgeschoß, „in denen du einfach ganz modern und schön leben kannst“ werden schon von Müttern und derzeit auch Vätern und ihren Kindern bewohnt. Sogar ungebrauchte Designermöbel von Charles und Ray Eames und Konsorten stehen drin – Restbestände, die Möbel Reiter gespendet hat. In jeder Wohnung andere. So geht Würde.

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