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Der Fiat 500 der Architektur
Mit dem universal kompatiblen Kiosk K67 schuf der slowenische Designer Saša Mächtig in den 1960er-Jahren eine Design-Ikone. Jetzt erfand er ein Update für das 21. Jahrhundert. Eines steht seit heute in Wien.
10. September 2022 - Maik Novotny
Trafik, Imbissstand, Empfangsgebäude, Parkscheinautomat, Bienenkorb. Rot, Grün, Weiß, Gelb, Blau. Slowenien, Montenegro, Polen, Japan, Neuseeland. Meistens einzeln, manchmal zu zweit oder zu dritt. Mal auf Hochglanz poliert, mal schief und etwas zerbeult im Eck. Die Materialien: Fiberglas, Stahl, Glas. Ein kleines Ding, circa drei mal drei mal drei Meter groß, freundlich abgerundete Ecken, vier gleiche Seiten, eine davon meistens mit einem kecken Vordach ausgestattet.
Modulare Einheit
Der Pavillon mit dem Namen K67 war vor allem im östlichen Europa jahrzehntelang Bestandteil des Alltags. Entworfen wurde er 1966 in Ljubljana vom slowenischen Designer und Architekten Saša Mächtig, im Alter von gerade mal 25 Jahren. Es war eine Zeit des weltweiten Aufbruchs und Optimismus, in der das blockfreie Tito-Jugoslawien für eine Weile versprach, so etwas wie das Beste beider Welten zu werden: Wohlstand und Sozialismus für alle. Der zum Kleinunternehmertum einladende, immergleiche und doch verschiedene Kiosk war das perfekte Symbol dafür: Er verband das Individuum und das Kollektiv in gleichem Maße.
Dass Mächtig zu seinem Auftrag kam, war ein Glücksfall, erinnert sich der heute 81-Jährige. „Noch als Student hatte ich für die Terrasse des berühmten Hotel Europa in Ljubljana ein wolkig-leichtes Dach aus transluzentem Polyester entworfen. Die Granden der Stadt mochten es, wir saßen oft zu viert zusammen bei Whisky und Kaffee, und irgendwann spätabends klagte der Stadtplanungschef Marko Šlajmer, dass es in Ljubljana an praktischen und schönen Kiosken fehle.“
Mächtig wusste, was er zu tun hatte. Der Geistesblitz kam schnell, er baute ein paar Mock-ups, die Herren waren begeistert, der Rest ist Geschichte. Die Idee einer modularen Einheit, die sich theoretisch endlos aneinanderfügen ließ, war inspiriert vom Geist der Zeit: Die japanischen Metabolisten schraubten Türme aus Raumkapseln zusammen, die Briten von Archigram erträumten wandelnde Plug-in-Städte.
Revolutionäre Ideen, die nie ganz zur Umsetzung kamen. Der K67 dagegen wollte keine Revolution, erklärt Saša Mächtig. „Als Student wollte auch ich unbedingt etwas Großes entwerfen. Aber dann kam ich darauf, dass es besser ist, nicht in großem Maßstab, sondern in großen Stückzahlen zu denken.“ Mehr Auto als Architektur, mehr Fiat 500 als Monument. Klein, wendig, freundlich, benutzbar. „Ein kleiner Pavillon steht nicht in visuellem Konflikt mit der gebauten Umgebung, weil man ihn nicht als Architektur wahrnimmt. Er kann überall stehen.“
Besseres Leben für alle
Und ähnlich wie der kleine Cinquecento, der als „Polski Fiat“ den Osten eroberte, ließ sich auch der K67 von keinem Eisernen Vorhang aufhalten. „Damals bin ich per Anhalter durch ganz Europa gereist“, sagt Mächtig. „Ich habe mich immer als Teil von Europa gefühlt. Slowenische Architektur und Design waren in den 1960er-Jahren sehr beeinflusst von Skandinavien.“
„Es gab viele Parallelen in der Denkweise: die Liebe zur Qualität, zum gut gemachten Detail und zum besseren Leben für alle.“ Bald sollte der Designer auch über Europa hinaus reisen. Im Jänner 1971 stand Mächtig in Manhattan auf der 53rd Street. Neben ihm ein dunkelroter K67, den das Museum of Modern Art soeben für seine Sammlung angekauft hatte.
Kein Wunder, dass auch der Fall des Eisernen Vorhangs dem K67 nichts anhaben konnte. Bis der Hersteller 1999 in Konkurs ging, wurden 7500 Exemplare produziert. In Polen wurde der kleine Pavillon sogar erst nach der Wende populär.
Als der Wildwuchs an Straßenhändlern Anfang der 1990er-Jahre dort zunahm, stellten ihnen die Behörden ein Ultimatum: Sie durften ihre anarchisch-kapitalistischen Aktivitäten fortführen, aber nur in einem ordentlichen K67. Um die Jahrtausendwende wurde der K67 von einer neuen Generation wiederentdeckt, und 2004 startete der deutsche Designer Helge Kühnel sein Projekt „The Kiosk Shots“, das die Verteilung und die Variationen des K67 sammelte und kartierte.
Biomorphes Update
Saša Mächtig hatte sich da schon längst auf andere Pfade begeben. Mit den K67-Produzenten trennte er sich im Streit, um in den 1980er-Jahren den Studiengang für Design in Ljubljana aufzubauen, wo er auch die Professur übernahm. Nach seiner Pensionierung kam er wieder auf sein Lebensthema zurück – jedoch nicht zurückschauend, sondern voraus. Er entwarf einen neuen Pavillon namens K21, der die modularen Prinzipien des Vorgängers mit computergenerierter Formfindung verbindet. Organisch, biomorph und deutlich leichter als der solide Sixties-Pavillon. An eine Autokarosserie erinnert er noch immer, nur eben nicht an einen Fiat 500.
„Das System K21 kann einzeln oder kombiniert werden, als Infostand, Kiosk, Marktstand, Café oder auch als Wohneinheit“, sagt Mächtig. „Man könnte ihn sogar stapeln zu einem Haus.“ Als Sonderausstattung gegenüber dem Vorgängermodell werden Photovoltaikzellen zur energetischen Autarkie mitgeliefert.
Mit wachen, listigen Augen steht der 81-Jährige vor einem brandneuen, soeben installierten leuchtend roten K21 – an unerwartetem Ort, nämlich ausgerechnet im suburbanen Patchwork von Wien-Floridsdorf. Wie das kam? Die hervorragende und sehr gut gealterte Siedlung Gerasdorfer Straße feiert ihr 40-jähriges Bestehen mit der Eröffnung eines neuen Grätzelzentrums, und ihr Architekt Viktor Hufnagl (von dem auch die Wohnanlage Schöpfwerk im Wiener Süden stammt) wäre dieses Jahr 100 geworden.
Eine Ausstellung der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) zu Ehren des Architekten eröffnet kommende Woche am Franz-Josefs-Kai 3 im Stadtzentrum, der Bauträger Sozialbau feiert seine Siedlung in Floridsdorf – mit einem raumkapselartigen Import aus Slowenien, der sich erstaunlich gut in Wien einfügt. Perfekt eingeparkt.
Modulare Einheit
Der Pavillon mit dem Namen K67 war vor allem im östlichen Europa jahrzehntelang Bestandteil des Alltags. Entworfen wurde er 1966 in Ljubljana vom slowenischen Designer und Architekten Saša Mächtig, im Alter von gerade mal 25 Jahren. Es war eine Zeit des weltweiten Aufbruchs und Optimismus, in der das blockfreie Tito-Jugoslawien für eine Weile versprach, so etwas wie das Beste beider Welten zu werden: Wohlstand und Sozialismus für alle. Der zum Kleinunternehmertum einladende, immergleiche und doch verschiedene Kiosk war das perfekte Symbol dafür: Er verband das Individuum und das Kollektiv in gleichem Maße.
Dass Mächtig zu seinem Auftrag kam, war ein Glücksfall, erinnert sich der heute 81-Jährige. „Noch als Student hatte ich für die Terrasse des berühmten Hotel Europa in Ljubljana ein wolkig-leichtes Dach aus transluzentem Polyester entworfen. Die Granden der Stadt mochten es, wir saßen oft zu viert zusammen bei Whisky und Kaffee, und irgendwann spätabends klagte der Stadtplanungschef Marko Šlajmer, dass es in Ljubljana an praktischen und schönen Kiosken fehle.“
Mächtig wusste, was er zu tun hatte. Der Geistesblitz kam schnell, er baute ein paar Mock-ups, die Herren waren begeistert, der Rest ist Geschichte. Die Idee einer modularen Einheit, die sich theoretisch endlos aneinanderfügen ließ, war inspiriert vom Geist der Zeit: Die japanischen Metabolisten schraubten Türme aus Raumkapseln zusammen, die Briten von Archigram erträumten wandelnde Plug-in-Städte.
Revolutionäre Ideen, die nie ganz zur Umsetzung kamen. Der K67 dagegen wollte keine Revolution, erklärt Saša Mächtig. „Als Student wollte auch ich unbedingt etwas Großes entwerfen. Aber dann kam ich darauf, dass es besser ist, nicht in großem Maßstab, sondern in großen Stückzahlen zu denken.“ Mehr Auto als Architektur, mehr Fiat 500 als Monument. Klein, wendig, freundlich, benutzbar. „Ein kleiner Pavillon steht nicht in visuellem Konflikt mit der gebauten Umgebung, weil man ihn nicht als Architektur wahrnimmt. Er kann überall stehen.“
Besseres Leben für alle
Und ähnlich wie der kleine Cinquecento, der als „Polski Fiat“ den Osten eroberte, ließ sich auch der K67 von keinem Eisernen Vorhang aufhalten. „Damals bin ich per Anhalter durch ganz Europa gereist“, sagt Mächtig. „Ich habe mich immer als Teil von Europa gefühlt. Slowenische Architektur und Design waren in den 1960er-Jahren sehr beeinflusst von Skandinavien.“
„Es gab viele Parallelen in der Denkweise: die Liebe zur Qualität, zum gut gemachten Detail und zum besseren Leben für alle.“ Bald sollte der Designer auch über Europa hinaus reisen. Im Jänner 1971 stand Mächtig in Manhattan auf der 53rd Street. Neben ihm ein dunkelroter K67, den das Museum of Modern Art soeben für seine Sammlung angekauft hatte.
Kein Wunder, dass auch der Fall des Eisernen Vorhangs dem K67 nichts anhaben konnte. Bis der Hersteller 1999 in Konkurs ging, wurden 7500 Exemplare produziert. In Polen wurde der kleine Pavillon sogar erst nach der Wende populär.
Als der Wildwuchs an Straßenhändlern Anfang der 1990er-Jahre dort zunahm, stellten ihnen die Behörden ein Ultimatum: Sie durften ihre anarchisch-kapitalistischen Aktivitäten fortführen, aber nur in einem ordentlichen K67. Um die Jahrtausendwende wurde der K67 von einer neuen Generation wiederentdeckt, und 2004 startete der deutsche Designer Helge Kühnel sein Projekt „The Kiosk Shots“, das die Verteilung und die Variationen des K67 sammelte und kartierte.
Biomorphes Update
Saša Mächtig hatte sich da schon längst auf andere Pfade begeben. Mit den K67-Produzenten trennte er sich im Streit, um in den 1980er-Jahren den Studiengang für Design in Ljubljana aufzubauen, wo er auch die Professur übernahm. Nach seiner Pensionierung kam er wieder auf sein Lebensthema zurück – jedoch nicht zurückschauend, sondern voraus. Er entwarf einen neuen Pavillon namens K21, der die modularen Prinzipien des Vorgängers mit computergenerierter Formfindung verbindet. Organisch, biomorph und deutlich leichter als der solide Sixties-Pavillon. An eine Autokarosserie erinnert er noch immer, nur eben nicht an einen Fiat 500.
„Das System K21 kann einzeln oder kombiniert werden, als Infostand, Kiosk, Marktstand, Café oder auch als Wohneinheit“, sagt Mächtig. „Man könnte ihn sogar stapeln zu einem Haus.“ Als Sonderausstattung gegenüber dem Vorgängermodell werden Photovoltaikzellen zur energetischen Autarkie mitgeliefert.
Mit wachen, listigen Augen steht der 81-Jährige vor einem brandneuen, soeben installierten leuchtend roten K21 – an unerwartetem Ort, nämlich ausgerechnet im suburbanen Patchwork von Wien-Floridsdorf. Wie das kam? Die hervorragende und sehr gut gealterte Siedlung Gerasdorfer Straße feiert ihr 40-jähriges Bestehen mit der Eröffnung eines neuen Grätzelzentrums, und ihr Architekt Viktor Hufnagl (von dem auch die Wohnanlage Schöpfwerk im Wiener Süden stammt) wäre dieses Jahr 100 geworden.
Eine Ausstellung der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) zu Ehren des Architekten eröffnet kommende Woche am Franz-Josefs-Kai 3 im Stadtzentrum, der Bauträger Sozialbau feiert seine Siedlung in Floridsdorf – mit einem raumkapselartigen Import aus Slowenien, der sich erstaunlich gut in Wien einfügt. Perfekt eingeparkt.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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