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Schloss Lengenfeld: Das Fest ist vorbei
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Nahe Krems liegt das Schloss Lengenfeld, wo einst regelmäßig Kunst und Kultur gefeiert wurden. Die Letztbesitzer vermachten es dem Land Niederösterreich, das jedoch nicht deren Wunsch entsprach, es weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten. Jüngst wurde es verkauft – und was passiert nun?

4. Oktober 2022 - Judith Eiblmayr
Der Sommerausklang ist die ideale Zeit, um die Gegend rund um Wien zu durchstreifen. Nicht mehr zu heiß, aber bei prächtigem Wetter fährt, wandert oder läuft man umher und landet unvermutet an einem Ort, der an die Kindheit erinnert. Nördlich von Krems und östlich von Langenlois liegt Lengenfeld, und mittendrin, direkt an der Hauptstraße, verfügt das lang gestreckte Straßendorf über ein Renaissanceschloss. Die zufällige Begegnung mit den zwei in den Straßenraum ragenden runden Wehrtürmchen mit „Hexenhutdach“ weckt die Reminiszenz an Festivitäten in den 1970er-Jahren, zu denen die Eltern eingeladen und auch Kinder willkommen waren. Wie oft waren wir dort, zwei-, dreimal? So genau weiß ich es nicht mehr, aber dass es rauschende Feste waren, die das Künstlerehepaar Christa Hauer und Johann Fruhmann veranstalteten, ist mir erinnerlich.

Ein Blick über den Zaun offenbart, dass sich hier nicht wie früher im „Freilichtzoo“ Katzen, Esel und Pfaue, sondern nun eher wilde Tiere vergnügen; ungestört von zivilisatorischen Eingriffen, liegt der Garten brach mit seinen satt grünen, üppigen Wiesen zu beiden Seiten des Lengenfelder Baches, der parallel zum Schloss das Grundstück quert. Was dem Naturgarten guttut, ist der Bausubstanz weniger zuträglich, und so verwundert es nicht, dass die Fassaden der Anlage etwas mitgenommen aussehen. Allerdings verleiht Fruhmanns Sgraffito aus dem Jahr 1974 an zwei Seiten dem Gebäude eine speziell würdevolle Patina.

Das Gebäude über quadratischem Grundriss ist an allen vier Seiten geschlossen und hat einen Innenhof mit Arkaden im Erdgeschoß und einen Laubengang im Obergeschoß. Flankiert wird es von den vier Rundtürmen mit spitzem Kegeldach, die ungewöhnlich, weil niedriger als das Schloss und mit diesem nicht verbunden sind, da die Ringmauer im 19. Jahrhundert abgetragen wurde. Sie wirken als historische Wehrtürme ungeeignet, durch ihre „Putzigkeit“ jedoch umso charmanter. Und à propos Putz, der blättert ab: sowohl von den Türmchen als auch vom Gebäude.

Sammlung öffentlich zugänglich

Das Anwesen steht eindeutig leer. So beginne ich zu recherchieren und werde im Grundbuchauszug vom Juli 2022 fündig: Das Land Niederösterreich ist als alleiniger Eigentümer eingetragen, und noch davor ist vermerkt: „Die Erhaltung des Schlosses Lengenfeld ist im öffentlichen Interesse gelegen.“ 1994 trat Christa Hauer-Fruhmann – ihr Mann war 1985 verstorben – als Geschenkgeberin auf den Plan. In einem Notariatsakt, der im Grundbuch und somit öffentlich aufliegt, steht, dass sie vom Land eine Leibrente erhält und „nach ihrem Ableben sich das Land Niederösterreich verpflichtet, das Schloß Lengenfeld fachkundig zu verwalten. Lengenfeld soll als Lebensort der Künstler- und Sammlerfamilie Hauer-Fruhmann präsentiert werden, die vorhandene Sammlung muß öffentlich zugänglich sein und die im Schloß traditionelle Festkultur ist durch mehrere Veranstaltungen jährlich fortzusetzen.“ Die 130 Kunstwerke sind in einer lapidaren Auflistung ebenfalls im Grundbuch angeführt, von A wie „Anonym, stehende Madonna, 2. Hälfte 14. Jh.“ über „Dürer Nachfolge“, Egger Lienz, Jungwirth, Lassnig, Prantl, Rainer, Schiele bis Z wie Zülow – eine Sammlung, die größtenteils auf Christas Großvater, den Kunstsammler Franz Hauer (1867–1914), zurückgeht. Dieser stammte aus Weißenkirchen und war Besitzer des Griechenbeisls am Wiener Fleischmarkt; sein Sohn war der Maler Leopold Hauer und der Christas Vater. Bestärkt durch ihn und ihre Mutter, Sophie Helling, studierte Christa Hauer, 1925 geboren, Kunst und lebte von 1953 bis 1960 in den USA. Nach ihrer Rückkehr nach Wien erwarb sie 1970 Schloss Lengenfeld und machte es mit Hans Fruhmann zu einem Ort, der nicht dem persönlichen Eskapismus dienen sollte, „sondern sie begründeten ein Strahlungszentrum, dessen Besonderheit sich in einer in der Großstadt kaum zu schaffenden Verbindung von Privatheit und Öffentlichkeit, von Stadt und Land manifestiert“, wie Dieter Bogner im Vorwort der Publikation „1990 – 20 Jahre Lengenfeld“ schrieb. Und weiter: „Dort ist Theoretisieren über Kunst ebenso zu Hause wie das Feiern von Kunst und die Kunst des Feierns.“ Wesentlich war auch ihre Vorreiterrolle punkto Ökologie und Ortsbildschutz, die Hauer und Fruhmann u. a. um den Erhalt einer historischen Brücke in Langenlois kämpfen ließ. Dies alles ist erwähnt, um die Historie der kunstaffinen, weltoffenen und umweltbewussten Familie mit Wachauer Wurzeln zu verdeutlichen. Als Christa Hauer 2013 kinderlos starb, wurde das Land Niederösterreich durch die „Schenkung auf den Todesfall“ in die juristische und moralische Verantwortung genommen, die Erhaltung des Schlosses zu sichern.

Verkauft auf dem „Schlössermarkt“

Man ging ambitioniert an die Sache heran und schrieb 2015 einen Wettbewerb aus, den ein Projekt mit einem „behutsam strukturierten Konzept“ gewann, wie der Juryvorsitzende Andreas Vass meint. Der Genius Loci sollte konzeptionell gestärkt werden und die jahrhundertealte Historie der denkmalgeschützten Anlage mit Hauptgebäude, Türmchen und Garten ebenso ablesbar sein wie die Intentionen des Künstlerpaars Hauer-Fruhmann. Dieses planerische Konzept mit programmatischem Überbau wurde beauftragt. In einer umfassenden bauanalytischen Diplomarbeit an der TU Wien zu Schloss Lengenfeld, verfasst 2018 von Benjamin Türk, wurde der Architekt in einem Interview zitiert, dass er sich auf die Umsetzung des Projektes freue. Es kam anders, denn die Eigentümervertreter bekamen wohl kalte Füße beim Gedanken an die Baukosten zur Trockenlegung des Schlosses am Bach.

Das Schloss landete ganz unsentimental auf „Willhaben“ und fand auf dem „vitalen Schlössermarkt“ („Der Standard“, 10. 9.) jüngst einen Käufer. Den Namen des Investors darf Hermann Dikowitsch, Leiter der NÖ-Kulturabteilung, nicht preisgeben, da noch Verhandlungen zu führen sind, um einen Modus für die Nutzung zu finden, denn „die öffentliche Zugänglichkeit müsse bleiben“. Hier tun sich im oben aus dem Grundbuch zitierten öffentlichen Interesse zwei Fragen auf: Lässt der Notariatsakt den Verkauf an einen Investor zu, und wenn ja, wofür werden die Einnahmen verwendet? Salopp gesprochen: Wer kassiert – und wie viel? Wird hier vermachtes öffentliches Gut der Allgemeinheit entzogen oder durch gezieltes Investment im Sinne Hauer-Fruhmanns bewahrt?

„WIR KOMMEN VON ZU VIEL HER. WIR BEWEGEN UNS AUF ZU WENIG WEITER“: ein Aphorismus, der unter anderem vom Künstlerpaar an die Wand im Arkadengang des Innenhofes appliziert wurde und noch immer lesbar ist. Hoffentlich ist dies kein Sinnspruch für das weitere Schicksal von Schloss Lengenfeld.

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