Artikel
Stauden in der Stadtlandschaft
In unseren heutigen Gärten lösen Wildstaudenpflanzungen zunehmend die klassische Staudenrabatte ab. Damit eröffnen sich auch für das öffentliche Grün neue Qualitäten im Umgang mit Pflanzen. Leitbilder für eine ökologische Staudenverwendung liegen häufig nahe – so ist Wien von einer spektakulären Trockenvegetation umgeben, die vermehrt Einzug in die Stadtlandschaft finden könnte, gärtnerisch wie künstlerisch gestaltet.
1. Juli 1999 - Sabine Plenk
„Bewege durch den Garten stark die Einbildungskraft und die Empfindung,
stärker als eine bloß natürlich schöne Gegend bewegen kann.
Rufe daher natürliche Schönheit der Landschaft herbei;
rufe aber auch die Kunst, damit sie jene durch ihre Einwirkung mehr erhöhe.“
Christian Cay Lorenz Hirschfeld, 1779
Staudenpflanzungen in öffentlichen Freiräumen spiegeln selten die jahrhundertelange gärtnerische Erfahrung und die gartenkünstlerische Tradition unseres Kulturkreises wider. Gartenpflege wurde im Nutzgarten wie in den Gärten der Herrschenden und Wohlhabenden von jeher intensiv betrieben. Dieser hohe Pflegeaufwand kann nach wie vor im privaten Bereich, nicht aber in öffentlichen Grünanlagen geleistet werden. Um hier dauerhafte und ansprechende Pflanzungen zu erhalten, müssen neue und ökonomische Methoden angewendet werden.
Neue Gartenkultur
Die Sehnsucht nach Wildnis und Einklang mit der Natur in einer Zeit, in der wir Wildnis und Natur zunehmend zu Idealen gestalten, drückt sich in einer neuen „Naturgarten-Kultur“ aus. Die Flut aktueller Gartenbücher mit Titeln wie „Wilde Schönheit gestalten – Ein Garten nach der Natur“ veranschaulicht dies deutlich. Ob bzw. wie dabei Natur thematisiert wird, sei an dieser Stelle dahingestellt. Wesentlich für den zeitgemäßen Garten ist jedoch, daß sich Ökologie und Gartenkunst treffen und zu einem neuen ästhetischen Verständnis führen, welches auch Staudenpflanzungen im öffentlichen Bereich nachhaltig beeinflussen wird.
Internationale Fachkreise erproben seit einigen Jahren neue Wege in der Pflanzenverwendung. In bezug auf Staudenpflanzungen geht es hierbei um wildnishafte Gartenkunst oder das „Spielen mit der Natur“1, wie es die AkteurInnen nennen, und um einen spezifischen Anwendungsbezug im öffentlichen Grün. Wildstaudenpflanzungen mit einer hohen Dynamik, kontrastreichen Strukturen oder jahreszeitlichen Blüh-Schwerpunkten sind dabei ebenso das Ergebnis wie harmonische, großflächige Staudenwiesen.
Ökonomische Pflanzenverwendung
Seit den 60er Jahren entwickelte sich hinsichtlich der Verwendung von krautigen Pflanzen eine eigenständige gärtnerische Wissenschaft. Entwicklung und Pflege von Pflanzungen wurden wesentlich erleichtert, indem die Artenauswahl nach standörtlich differenzierten Gruppen innerhalb eines definierten Kultur-grades – von der exotisch, hochgezüchteten bis zur heimischen, wildwachsenden Pflanze – erfolgen kann (Staudenverwendung nach 'Lebensbereichen'2). Den klassischen Beetstaudenpflanzungen mit einem intensiven Pflegeaufwand stehen die extensiven Wildstaudenpflanzungen gegenüber. Diese sind standörtlich angepaßt und besitzen eine gewisse Eigendynamik. Mit vergleichsweise geringen pflegerischen Eingriffen werden einzelne Arten gefördert bzw. entfernt, so daß sich eine ausgewogene Pflanzengemeinschaft entwickeln kann. Die extensivste Form der Pflege besteht in der einschürigen Mahd von „Staudenwiesen“ mit entsprechend toleranter Artenzusammensetzung.
Im öffentlichen Grün ist damit eine spezifische Praxis der Pflanzenverwendung möglich geworden, die den Forderungen nach Dauerhaftigkeit und pflegetechnisch angemessenem Aufwand nachkommt. Der ökologische Zugang schließt keineswegs ästhetisch-formale Gestaltqualitäten bei Wildstaudenpflanzungen aus. Gegenüber den klassischen Beetstaudenpflanzungen, deren Aspekte mehr oder weniger über Jahre gleichbleiben, erfordern sie allerdings eine geänderte Betrachtungsweise: Je dauerhafter eine solche Pflanzung erhalten werden kann, desto vielfältiger und abwechslungsreicher wird sie in ihrem Erscheinungsbild.
Gestalten mit Pflanzen im städtischen Freiraum
Städtische Freiflächen unterliegen einem ständigen Wertewandel. In Abhängikeit von freiraumplanerischen Vorgaben und der Architektur als Rahmen gibt es viele Facetten einer ökologisch-orientierten Gestaltung mit Pflanzen: Sie reichen vom Zulassen der Spontanvegetation bis zur naturhaft-abstrakten Pflanzung.
Als maßgebender Beitrag zur Erhaltung gefährdeter Pflanzen- (und Tier-)Arten oder zur Sicherung natürlicher Lebensgrundlagen des Menschen, wie in Fachkreisen vielfach argumentiert wird, ist der Einsatz von Staudenpflanzungen jedoch nicht zu verstehen. Dieser Ansatz führt vielmehr dazu, daß die in der Stadt meist ohnehin knappen öffentlichen Freiräume unter dem Vorwand ökologischer Notwendigkeiten dem – häufig unökologischen und doch so wichtigen – Alltagsgebrauch durch die Stadtbewohnenden entzogen wird.
Der Gehölzbestand und die bodendeckende Krautschicht tragen zur Verbesserung des Stadtklimas bei. Sie haben insofern eine wichtige „Naturschutz-Funktion“, als sie uns helfen, unsere Fähigkeit für Naturwahrnehmung in einer künstlich dominierten Welt nicht zu verlernen (Erlebbarkeit der Jahreszeiten, Wahrnehmen und Kennenlernen von typischen Pflanzen, die auch in der weiteren Stadtumgebung wachsen etc.).
Prinzipiell können Freiräume durch den Einsatz von Pflanzen organisiert und strukturiert werden. Stauden in Verbindung mit Gehölzen bilden z. B. Abgrenzungen und Übergänge zwischen unterschiedlich nutzbaren Bereichen (Bewegungsräume, Ruhezonen etc.). Die Vegetation kann den Charakter des Freiraumes bestimmen und den Ort als solchen prägen. Solche Funktionen von Pflanzen sind wesentlich für die Wahrnehmung von Handlungsspielräumen und Verhaltensmöglichkeiten im öffentlichen Freiraum. Eine Pflanzung kann Blickfang und Anziehungspunkt sein und damit zum Ort der Begegnung wie auch der Kommunikation werden. Stauden- und Sommerpflanzungen besitzen eine vor allem in den Städten wichtige mentale Funktion: Die bunte und formenreiche Vielfalt des Erscheinungsbildes, ihre jahreszeitlichen Aspekte bringen Abwechslung in die monotone Stadtlandschaft.
Mit diesen Eigenschaften spielen auch Wildstaudenpflanzungen eine wichtige Rolle bei der Inwertsetzung städtischer Freiräume. Unter Berücksichtigung ihrer freiraumplanerischen Funktion in öffentlichen Anlagen bieten sie sich großflä-chig auf offenen Freiflächen und in Verbindung mit Gehölzen an.
Leitbilder für die Staudenverwendung im Wiener Raum
Im pannonischen Klimaraum mit trocken-heißen Sommern und mäßig kalten, trockenen Wintern (eine Situation, wie sie etwa auch in städtischen Gebieten herrscht) findet sich auf Sonderstandorten eine gehölzfreie, kraut- und gräserreiche Trockenvegetation, die viele spektakuläre Pflanzenarten aufweist. In Abhängigkeit von Feuchte und Bodenauflage dominieren ganz bestimmte Wuchs- und Lebensformen; die standörtliche, kleinräumige Verbreitung der Pflanzenarten zeigt ihre individuelle Dynamik und das konkurrenzbedingte Verhalten innerhalb einer Pflanzengemeinschaft. Die entstehenden Muster, Rhythmen und Driften sind ebenso künstlerische Stilmittel wie die Blüh-Höhepunkte der Pflanzengesellschaften und können als wesentliche Vorgaben für eine gärtnerische Umsetzung gelten.
In diesem Sinne werden abschließend einige charakteristische Pflanzenbilder der Trocken- und Halbtrockenrasen aus der näheren Umgebung Wiens vorgestellt und diskutiert. Sie sollen zum genauen Beobachten am Wildstandort anleiten und in der Folge eine freie künstlerische, dabei ökologisch fundierte Umsetzung im Garten oder Park ermöglichen.
Felssteppen
Die charakteristischen Pflanzengesellschaften der pannonischen Felssteppe besiedeln steile, vollbesonnte, flachgründige Hänge. Das pflanzliche Grundgerüst der Felssteppe wird von zwei Lebensformentypen gebildet: Grasartige Horstpflanzen halten erodiertes Bodenmaterial auf, wodurch es lokal zu Geländeverflachungen kommt und teppichbildende Zwergsträucher überwachsen mit ihren dichtverzweigten Kriechtrieben schuttbedeckte Absätze und Felsflächen.
Neben den Federgräsern (Stipa-Arten) sind der Steif-Schwingel (Festuca stricta), das Kalk-Blaugras (Sesleria albicans), das Badener Rispengras (Poa badensis) und die Erd-Segge (Carex humilis) die wichtigsten Horstpflanzen. An Teppichsträuchern finden sich: Graues Sonnenröschen (Helianthemum canum), Herzblatt-Kugelblume (Globularia cordifolia), Berg-Gamander (Teucrium montanum), Kriech-Quendel (Thymus praecox), Sand-Fingerkraut (Potentilla arenaria) oder der Seidenhaar-Ginster (Genista pilosa). Diesem Grundgerüst sind bodennah überwinternde oder einziehende Stauden in großer Artenzahl eingefügt. Im Mai und Juni fallen ihre Blütenstände und großen Blüten in den Farben Weiß, Rosa, Purpur, Violett, Blau und vor allem Gelb auf. In dieser Zeit haben die Vegetationsbestände ihr phänologisches Entwicklungsoptimum.
Charakteristische Kräuter sind Silberscharte (Jurinea mollis), Visiani-Lotwurz (Onosma visianii), Sibirische Glockenblume (Campanula sibirica), Meergrüner Bergfenchel (Seseli osseum) etc. Einige Sukkulenten wie Hauswurz- (Jovibarba-) und Mauerpfeffer- (Sedum- Arten) siedeln in Gruppen oder Herden an besonders flachgründigen und steinigen Stellen, wo keine höherwüchsigen Konkurrenten sie bedrängen.
Rasensteppen
Etwas feinerdereicher und tiefgründiger sind die weitgehend geschlossenen, pannonischen Rasensteppen auf weniger steilen bis flachen Hangabschnitten.
Anders als in den Felssteppen, nehmen zahlreiche Pflanzen mit unterirdischen Überdauerungs- und Speicherorganen am Bestandsaufbau teil. Diese Pflanzen begründen auch den auffälligen, dekorativen Frühlingsaspekt der Trockenrasen: violettblau bis dunkelpurpurn blühen im März die Küchenschellen (Pulsatilla grandis, etwas später und relativ lange P. pratensis subsp. nigricans); im Kontrast dazu stehen die leuchtend gelben Blütensterne des Frühlings-Adonis (Adonis vernalis). Die Arten blühen in einem gelb-braunen Teppich aus niedergedrückten, abgetrockneten Pflanzenteilen vornehmlich der charakteristischen Gräser. Gleichzeitig blüht in den angrenzenden Gehölzsäumen leuchtend gelb der Hartriegel (Cornus mas). Weitere auffallende Frühlingsgeophyten sind Gelbstern- (Gagea-) sowie Milchstern- (Ornithogalum-)Arten. Im April folgt dann die Blüte der Zwergiris (Iris pumila) in Weiß-, Gelb- bis Violett- und Blautönen, häufig begleitet von leuchtend blauen Traubenhyazinthen (Muscari neglectum), kleinen gelbblühenden Polsterstauden Sand-Fingerkraut (Potentilla arenaria), Graues Sonnenröschen (Helianthemum canum) oder der zerstreut wachsenden grün- gelben Zypressenwolfsmilch (Euphorbia cyparissias).
Bezeichnende Gräser der hier vorherrschenden Gesellschaft der Schneckenklee-Walliserschwingel-Rasen sind Walliser Schwingel (Festuca valesiaca), Knollen-Rispengras (Poa bulbosa) und Glanz-Lieschgras (Phleum phleoides). Auffallende sommerliche Farbaspekte bilden Gruppen von Regensburger Zwerggeisklee (Chamaecytisus ratisbonensis), Schwert-Alant (Inula ensifolia) oder der Großen Brunelle (Prunella grandis).
Nicht nur Wuchsformen und Blühzeiten der Pflanzen sind wichtige gestalterische Vorgaben. Auch der Wechsel zwischen Bewuchs und offenem, steinigem Boden ist dem Naturstandort nachzuempfinden: So kann die Pflanzengemeinschaft ihre eigene Dynamik entfalten.
Wiesensteppen
Auf den tiefgründigeren pannonischen Wiesensteppen, die durch extensive Beweidung entstanden sind, wachsen attraktive, zum Teil in Gartenkultur befindliche Arten östlicher (pontischer) und südlicher (submediterraner) Herkunft, wie der Frühlings-Adonis (Adonis vernalis), die Purpur-Königskerze (Verbascum phoeniceum), die Trauer-Nachtviole (Hesperis tristis) oder der Pannonische Goldlack (Erysimum odoratum). Auch Halbtrockenrasen haben einen bunten, artenreichen Frühlingsaspekt, ähnlich dem der Rasensteppen. Im Frühsommer und Sommer blühen in einem dichten Grasteppich zerstreut oder in kleinen Gruppen zahlreiche bunte Kräuter wie das Knollen-Mädesüß (Filipendula vulgaris), die Goldschopf-Aster (Aster linosyris) oder der Aufrechte Ziest (Stachys recta). Im Spätsommer und Herbst leuchten vereinzelte Aspekte im grauen, dürren Rasen, so z. B. die Blüten der Gelben Skabiose (Scabiosa ochroleuca).
Wärmeliebende Säume
Die Diptam-Blutstorchschnabel-Saumgesellschaft leitet an feuchteren, nicht beweideten Stellen von den Trocken- und Halbtrockenrasen zum Flaumeichen-Buschwald über. Hier fällt vor allem das stellenweise massenhafte Auftreten von Diptam (Dictamnus albus), Blutstorchschnabel (Geranium sanguineum), Duft-Weißwurz (Polygonatum odoratum), Straußmargerite (Tanacetum corymbosum) oder Schwalbenwurz (Vincetoxicum hirundinaria) auf. Im Gegensatz zum auffallend strukturierten Vegetationsbild offener Trockenstandorte ist das Erscheinungsbild der Säume wesentlich einheitlicher und viele Pflanzenarten verbreiten sich großflächig. In den wärmeliebenden Saumbereichen wachsen floristische Kostbarkeiten wie Österreichischer Drachenkopf (Dracocephalum austriacum), Einkopf-Scharte (Serratula lycopifolia) oder Waldsteppenbeifuß (Artemisia pancicii). Eine Besonderheit im lichten Schatten der Saumvegetation ist die zweijährige Gelbdolde (Smyrnium perfoliatum). Diese vermutlich reliktäre Kulturpflanze hat sich sehr selten in alten Gärten und Parks eingebürgert. Eine gärtnerisch-gestalterische Anlehnung an die pannonische Trockenvegetation schließt nicht aus, daß heimische und fremdländische Pflanzen erfolgreich kombiniert werden können. Ein beträchtlicher Teil unserer heimischen Trockenflora ist „natürlich“ eingewandert. Ebenso gibt es zahlreiche fremdländische Wildstauden, die sich aufgrund ihrer typischen standörtlichen und klimatischen Voraussetzungen bei uns kultivieren lassen und somit das heimische Pflanzensortiment bereichern.
Wesentliches Kriterium bei einer Mischung von Pflanzen verschiedener Herkunft im Garten oder Park ist das Beachten der regionalen heimischen Flora – hier sollten regional vermehrte Arten verwendet werden, um ein Hybridisieren mit naheverwandten Wildpflanzen aus der Umgebung zu vermeiden. Es ist immer zu bedenken, daß heimische Wildarten Teil eines komplexen ökologischen Wirkungsgefüges sind.
1 LEOPOLD, R. (Ed.) (1997): Perennial Preview. Creative ecology and integral landscape design. Report of the symposium Perennial Perspectives. Arnhem, June 19th and 20th. Volharding, Groningen.
2 HANSEN, R., STAHL, F. (1997): Die Stauden und ihre Lebensbereiche in Gärten und Parkanlagen. Verlag Ulmer, Stuttgart.
Literatur:
HIRSCHFELD, C.C.L. (1779): Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Weidmann’s Erben, Leipzig.
PLENK, S. (1998): Staudenpflanzungen für öffentliche Freiräume. Über die ökologisch orientierte Gestaltung und Pflege zum dauerhaften Grün. Diss. am Inst. f. Obst- und Gartenbau, Univ. f. Bodenkultur, Wien.
stärker als eine bloß natürlich schöne Gegend bewegen kann.
Rufe daher natürliche Schönheit der Landschaft herbei;
rufe aber auch die Kunst, damit sie jene durch ihre Einwirkung mehr erhöhe.“
Christian Cay Lorenz Hirschfeld, 1779
Staudenpflanzungen in öffentlichen Freiräumen spiegeln selten die jahrhundertelange gärtnerische Erfahrung und die gartenkünstlerische Tradition unseres Kulturkreises wider. Gartenpflege wurde im Nutzgarten wie in den Gärten der Herrschenden und Wohlhabenden von jeher intensiv betrieben. Dieser hohe Pflegeaufwand kann nach wie vor im privaten Bereich, nicht aber in öffentlichen Grünanlagen geleistet werden. Um hier dauerhafte und ansprechende Pflanzungen zu erhalten, müssen neue und ökonomische Methoden angewendet werden.
Neue Gartenkultur
Die Sehnsucht nach Wildnis und Einklang mit der Natur in einer Zeit, in der wir Wildnis und Natur zunehmend zu Idealen gestalten, drückt sich in einer neuen „Naturgarten-Kultur“ aus. Die Flut aktueller Gartenbücher mit Titeln wie „Wilde Schönheit gestalten – Ein Garten nach der Natur“ veranschaulicht dies deutlich. Ob bzw. wie dabei Natur thematisiert wird, sei an dieser Stelle dahingestellt. Wesentlich für den zeitgemäßen Garten ist jedoch, daß sich Ökologie und Gartenkunst treffen und zu einem neuen ästhetischen Verständnis führen, welches auch Staudenpflanzungen im öffentlichen Bereich nachhaltig beeinflussen wird.
Internationale Fachkreise erproben seit einigen Jahren neue Wege in der Pflanzenverwendung. In bezug auf Staudenpflanzungen geht es hierbei um wildnishafte Gartenkunst oder das „Spielen mit der Natur“1, wie es die AkteurInnen nennen, und um einen spezifischen Anwendungsbezug im öffentlichen Grün. Wildstaudenpflanzungen mit einer hohen Dynamik, kontrastreichen Strukturen oder jahreszeitlichen Blüh-Schwerpunkten sind dabei ebenso das Ergebnis wie harmonische, großflächige Staudenwiesen.
Ökonomische Pflanzenverwendung
Seit den 60er Jahren entwickelte sich hinsichtlich der Verwendung von krautigen Pflanzen eine eigenständige gärtnerische Wissenschaft. Entwicklung und Pflege von Pflanzungen wurden wesentlich erleichtert, indem die Artenauswahl nach standörtlich differenzierten Gruppen innerhalb eines definierten Kultur-grades – von der exotisch, hochgezüchteten bis zur heimischen, wildwachsenden Pflanze – erfolgen kann (Staudenverwendung nach 'Lebensbereichen'2). Den klassischen Beetstaudenpflanzungen mit einem intensiven Pflegeaufwand stehen die extensiven Wildstaudenpflanzungen gegenüber. Diese sind standörtlich angepaßt und besitzen eine gewisse Eigendynamik. Mit vergleichsweise geringen pflegerischen Eingriffen werden einzelne Arten gefördert bzw. entfernt, so daß sich eine ausgewogene Pflanzengemeinschaft entwickeln kann. Die extensivste Form der Pflege besteht in der einschürigen Mahd von „Staudenwiesen“ mit entsprechend toleranter Artenzusammensetzung.
Im öffentlichen Grün ist damit eine spezifische Praxis der Pflanzenverwendung möglich geworden, die den Forderungen nach Dauerhaftigkeit und pflegetechnisch angemessenem Aufwand nachkommt. Der ökologische Zugang schließt keineswegs ästhetisch-formale Gestaltqualitäten bei Wildstaudenpflanzungen aus. Gegenüber den klassischen Beetstaudenpflanzungen, deren Aspekte mehr oder weniger über Jahre gleichbleiben, erfordern sie allerdings eine geänderte Betrachtungsweise: Je dauerhafter eine solche Pflanzung erhalten werden kann, desto vielfältiger und abwechslungsreicher wird sie in ihrem Erscheinungsbild.
Gestalten mit Pflanzen im städtischen Freiraum
Städtische Freiflächen unterliegen einem ständigen Wertewandel. In Abhängikeit von freiraumplanerischen Vorgaben und der Architektur als Rahmen gibt es viele Facetten einer ökologisch-orientierten Gestaltung mit Pflanzen: Sie reichen vom Zulassen der Spontanvegetation bis zur naturhaft-abstrakten Pflanzung.
Als maßgebender Beitrag zur Erhaltung gefährdeter Pflanzen- (und Tier-)Arten oder zur Sicherung natürlicher Lebensgrundlagen des Menschen, wie in Fachkreisen vielfach argumentiert wird, ist der Einsatz von Staudenpflanzungen jedoch nicht zu verstehen. Dieser Ansatz führt vielmehr dazu, daß die in der Stadt meist ohnehin knappen öffentlichen Freiräume unter dem Vorwand ökologischer Notwendigkeiten dem – häufig unökologischen und doch so wichtigen – Alltagsgebrauch durch die Stadtbewohnenden entzogen wird.
Der Gehölzbestand und die bodendeckende Krautschicht tragen zur Verbesserung des Stadtklimas bei. Sie haben insofern eine wichtige „Naturschutz-Funktion“, als sie uns helfen, unsere Fähigkeit für Naturwahrnehmung in einer künstlich dominierten Welt nicht zu verlernen (Erlebbarkeit der Jahreszeiten, Wahrnehmen und Kennenlernen von typischen Pflanzen, die auch in der weiteren Stadtumgebung wachsen etc.).
Prinzipiell können Freiräume durch den Einsatz von Pflanzen organisiert und strukturiert werden. Stauden in Verbindung mit Gehölzen bilden z. B. Abgrenzungen und Übergänge zwischen unterschiedlich nutzbaren Bereichen (Bewegungsräume, Ruhezonen etc.). Die Vegetation kann den Charakter des Freiraumes bestimmen und den Ort als solchen prägen. Solche Funktionen von Pflanzen sind wesentlich für die Wahrnehmung von Handlungsspielräumen und Verhaltensmöglichkeiten im öffentlichen Freiraum. Eine Pflanzung kann Blickfang und Anziehungspunkt sein und damit zum Ort der Begegnung wie auch der Kommunikation werden. Stauden- und Sommerpflanzungen besitzen eine vor allem in den Städten wichtige mentale Funktion: Die bunte und formenreiche Vielfalt des Erscheinungsbildes, ihre jahreszeitlichen Aspekte bringen Abwechslung in die monotone Stadtlandschaft.
Mit diesen Eigenschaften spielen auch Wildstaudenpflanzungen eine wichtige Rolle bei der Inwertsetzung städtischer Freiräume. Unter Berücksichtigung ihrer freiraumplanerischen Funktion in öffentlichen Anlagen bieten sie sich großflä-chig auf offenen Freiflächen und in Verbindung mit Gehölzen an.
Leitbilder für die Staudenverwendung im Wiener Raum
Im pannonischen Klimaraum mit trocken-heißen Sommern und mäßig kalten, trockenen Wintern (eine Situation, wie sie etwa auch in städtischen Gebieten herrscht) findet sich auf Sonderstandorten eine gehölzfreie, kraut- und gräserreiche Trockenvegetation, die viele spektakuläre Pflanzenarten aufweist. In Abhängigkeit von Feuchte und Bodenauflage dominieren ganz bestimmte Wuchs- und Lebensformen; die standörtliche, kleinräumige Verbreitung der Pflanzenarten zeigt ihre individuelle Dynamik und das konkurrenzbedingte Verhalten innerhalb einer Pflanzengemeinschaft. Die entstehenden Muster, Rhythmen und Driften sind ebenso künstlerische Stilmittel wie die Blüh-Höhepunkte der Pflanzengesellschaften und können als wesentliche Vorgaben für eine gärtnerische Umsetzung gelten.
In diesem Sinne werden abschließend einige charakteristische Pflanzenbilder der Trocken- und Halbtrockenrasen aus der näheren Umgebung Wiens vorgestellt und diskutiert. Sie sollen zum genauen Beobachten am Wildstandort anleiten und in der Folge eine freie künstlerische, dabei ökologisch fundierte Umsetzung im Garten oder Park ermöglichen.
Felssteppen
Die charakteristischen Pflanzengesellschaften der pannonischen Felssteppe besiedeln steile, vollbesonnte, flachgründige Hänge. Das pflanzliche Grundgerüst der Felssteppe wird von zwei Lebensformentypen gebildet: Grasartige Horstpflanzen halten erodiertes Bodenmaterial auf, wodurch es lokal zu Geländeverflachungen kommt und teppichbildende Zwergsträucher überwachsen mit ihren dichtverzweigten Kriechtrieben schuttbedeckte Absätze und Felsflächen.
Neben den Federgräsern (Stipa-Arten) sind der Steif-Schwingel (Festuca stricta), das Kalk-Blaugras (Sesleria albicans), das Badener Rispengras (Poa badensis) und die Erd-Segge (Carex humilis) die wichtigsten Horstpflanzen. An Teppichsträuchern finden sich: Graues Sonnenröschen (Helianthemum canum), Herzblatt-Kugelblume (Globularia cordifolia), Berg-Gamander (Teucrium montanum), Kriech-Quendel (Thymus praecox), Sand-Fingerkraut (Potentilla arenaria) oder der Seidenhaar-Ginster (Genista pilosa). Diesem Grundgerüst sind bodennah überwinternde oder einziehende Stauden in großer Artenzahl eingefügt. Im Mai und Juni fallen ihre Blütenstände und großen Blüten in den Farben Weiß, Rosa, Purpur, Violett, Blau und vor allem Gelb auf. In dieser Zeit haben die Vegetationsbestände ihr phänologisches Entwicklungsoptimum.
Charakteristische Kräuter sind Silberscharte (Jurinea mollis), Visiani-Lotwurz (Onosma visianii), Sibirische Glockenblume (Campanula sibirica), Meergrüner Bergfenchel (Seseli osseum) etc. Einige Sukkulenten wie Hauswurz- (Jovibarba-) und Mauerpfeffer- (Sedum- Arten) siedeln in Gruppen oder Herden an besonders flachgründigen und steinigen Stellen, wo keine höherwüchsigen Konkurrenten sie bedrängen.
Rasensteppen
Etwas feinerdereicher und tiefgründiger sind die weitgehend geschlossenen, pannonischen Rasensteppen auf weniger steilen bis flachen Hangabschnitten.
Anders als in den Felssteppen, nehmen zahlreiche Pflanzen mit unterirdischen Überdauerungs- und Speicherorganen am Bestandsaufbau teil. Diese Pflanzen begründen auch den auffälligen, dekorativen Frühlingsaspekt der Trockenrasen: violettblau bis dunkelpurpurn blühen im März die Küchenschellen (Pulsatilla grandis, etwas später und relativ lange P. pratensis subsp. nigricans); im Kontrast dazu stehen die leuchtend gelben Blütensterne des Frühlings-Adonis (Adonis vernalis). Die Arten blühen in einem gelb-braunen Teppich aus niedergedrückten, abgetrockneten Pflanzenteilen vornehmlich der charakteristischen Gräser. Gleichzeitig blüht in den angrenzenden Gehölzsäumen leuchtend gelb der Hartriegel (Cornus mas). Weitere auffallende Frühlingsgeophyten sind Gelbstern- (Gagea-) sowie Milchstern- (Ornithogalum-)Arten. Im April folgt dann die Blüte der Zwergiris (Iris pumila) in Weiß-, Gelb- bis Violett- und Blautönen, häufig begleitet von leuchtend blauen Traubenhyazinthen (Muscari neglectum), kleinen gelbblühenden Polsterstauden Sand-Fingerkraut (Potentilla arenaria), Graues Sonnenröschen (Helianthemum canum) oder der zerstreut wachsenden grün- gelben Zypressenwolfsmilch (Euphorbia cyparissias).
Bezeichnende Gräser der hier vorherrschenden Gesellschaft der Schneckenklee-Walliserschwingel-Rasen sind Walliser Schwingel (Festuca valesiaca), Knollen-Rispengras (Poa bulbosa) und Glanz-Lieschgras (Phleum phleoides). Auffallende sommerliche Farbaspekte bilden Gruppen von Regensburger Zwerggeisklee (Chamaecytisus ratisbonensis), Schwert-Alant (Inula ensifolia) oder der Großen Brunelle (Prunella grandis).
Nicht nur Wuchsformen und Blühzeiten der Pflanzen sind wichtige gestalterische Vorgaben. Auch der Wechsel zwischen Bewuchs und offenem, steinigem Boden ist dem Naturstandort nachzuempfinden: So kann die Pflanzengemeinschaft ihre eigene Dynamik entfalten.
Wiesensteppen
Auf den tiefgründigeren pannonischen Wiesensteppen, die durch extensive Beweidung entstanden sind, wachsen attraktive, zum Teil in Gartenkultur befindliche Arten östlicher (pontischer) und südlicher (submediterraner) Herkunft, wie der Frühlings-Adonis (Adonis vernalis), die Purpur-Königskerze (Verbascum phoeniceum), die Trauer-Nachtviole (Hesperis tristis) oder der Pannonische Goldlack (Erysimum odoratum). Auch Halbtrockenrasen haben einen bunten, artenreichen Frühlingsaspekt, ähnlich dem der Rasensteppen. Im Frühsommer und Sommer blühen in einem dichten Grasteppich zerstreut oder in kleinen Gruppen zahlreiche bunte Kräuter wie das Knollen-Mädesüß (Filipendula vulgaris), die Goldschopf-Aster (Aster linosyris) oder der Aufrechte Ziest (Stachys recta). Im Spätsommer und Herbst leuchten vereinzelte Aspekte im grauen, dürren Rasen, so z. B. die Blüten der Gelben Skabiose (Scabiosa ochroleuca).
Wärmeliebende Säume
Die Diptam-Blutstorchschnabel-Saumgesellschaft leitet an feuchteren, nicht beweideten Stellen von den Trocken- und Halbtrockenrasen zum Flaumeichen-Buschwald über. Hier fällt vor allem das stellenweise massenhafte Auftreten von Diptam (Dictamnus albus), Blutstorchschnabel (Geranium sanguineum), Duft-Weißwurz (Polygonatum odoratum), Straußmargerite (Tanacetum corymbosum) oder Schwalbenwurz (Vincetoxicum hirundinaria) auf. Im Gegensatz zum auffallend strukturierten Vegetationsbild offener Trockenstandorte ist das Erscheinungsbild der Säume wesentlich einheitlicher und viele Pflanzenarten verbreiten sich großflächig. In den wärmeliebenden Saumbereichen wachsen floristische Kostbarkeiten wie Österreichischer Drachenkopf (Dracocephalum austriacum), Einkopf-Scharte (Serratula lycopifolia) oder Waldsteppenbeifuß (Artemisia pancicii). Eine Besonderheit im lichten Schatten der Saumvegetation ist die zweijährige Gelbdolde (Smyrnium perfoliatum). Diese vermutlich reliktäre Kulturpflanze hat sich sehr selten in alten Gärten und Parks eingebürgert. Eine gärtnerisch-gestalterische Anlehnung an die pannonische Trockenvegetation schließt nicht aus, daß heimische und fremdländische Pflanzen erfolgreich kombiniert werden können. Ein beträchtlicher Teil unserer heimischen Trockenflora ist „natürlich“ eingewandert. Ebenso gibt es zahlreiche fremdländische Wildstauden, die sich aufgrund ihrer typischen standörtlichen und klimatischen Voraussetzungen bei uns kultivieren lassen und somit das heimische Pflanzensortiment bereichern.
Wesentliches Kriterium bei einer Mischung von Pflanzen verschiedener Herkunft im Garten oder Park ist das Beachten der regionalen heimischen Flora – hier sollten regional vermehrte Arten verwendet werden, um ein Hybridisieren mit naheverwandten Wildpflanzen aus der Umgebung zu vermeiden. Es ist immer zu bedenken, daß heimische Wildarten Teil eines komplexen ökologischen Wirkungsgefüges sind.
1 LEOPOLD, R. (Ed.) (1997): Perennial Preview. Creative ecology and integral landscape design. Report of the symposium Perennial Perspectives. Arnhem, June 19th and 20th. Volharding, Groningen.
2 HANSEN, R., STAHL, F. (1997): Die Stauden und ihre Lebensbereiche in Gärten und Parkanlagen. Verlag Ulmer, Stuttgart.
Literatur:
HIRSCHFELD, C.C.L. (1779): Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Weidmann’s Erben, Leipzig.
PLENK, S. (1998): Staudenpflanzungen für öffentliche Freiräume. Über die ökologisch orientierte Gestaltung und Pflege zum dauerhaften Grün. Diss. am Inst. f. Obst- und Gartenbau, Univ. f. Bodenkultur, Wien.
Für den Beitrag verantwortlich: zolltexte
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