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Die Ausstellung „Verhüllung und Verheißung“ am HDA Graz entführt in die vermeintlich schöne Welt der Baustellenwerbung. Hinter den bunt-banalen Tafeln lauern so manche Abgründe und eine stattliche Portion Systemkritik.
15. Oktober 2022 - Maik Novotny
Es wäre nicht Graz, wenn es zur Eröffnung keine Kunstperformance gegeben hätte. Eine Skulptur aus Kunststoff, die langsam aufgeblasen wird, während Zitate aus der Immobilienwelt vorgelesen werden. Die Skulptur des Künstlers Sven Borger, die den Raum des Grazer Hauses der Architektur (HDA) seit Ende September füllt, trägt den jenseits der Sperrigkeit angesiedelten Namen NEOLOGISM UnUpsub*Arc, man darf aber auch „Immobilienblase“ dazu sagen.
Rund um die Blase: Ein Baustellen-Arrangement aus gelben Schalungsplatten, darauf montiert in einer Art Metareferenz Fotos von Baustellenzäunen. Verhüllung und Verheißung ist der Name der Ausstellung, die sich die Immobilienwerbung im öffentlichen Raum vorgenommen hat und sich so auch inhaltlich an der Schnittstelle von dreidimensionaler Blase und zweidimensionaler Tafel bewegt.
Sie ist damit eine von sechs Ausstellungen an acht Grazer Institutionen zum Thema Grafikdesign im Spannungsfeld von Kunst und Werbung. Das gemeinsame Projekt „Kunst der Verführung“ wurde koordiniert durch die Creative Industries Styria im Rahmen des Steirischen Herbsts ’22.
Fallhöhe und Kollision
„Grafikdesign ist an sich keine Disziplin der Architektur, aber ich bin schon seit Jahren fasziniert von Plakaten an Baustellen und ihrer Machart“, erklärt HDA-Leiterin Beate Engelhorn, die auch die Ausstellung kuratiert hat. „Man bleibt daran hängen, weil immer irgendetwas nicht stimmt. Es ist eher eine Art Antidesign.“
Nun könnte man sagen: Baustellenschilder gab es schon immer, und wenn Architektur mit Bildern beworben wird, wo ist das Problem? Zum Beispiel in der Fallhöhe, die aus der Kollision zweier Realitäten resultiert: Werden Bauten auf Messen, in Broschüren und online angepriesen, strahlen die schönen Visualisierungen unbehelligt von der Realität – vor Ort sieht die Sache schon anders aus. „Auf den Bildern ist meistens schön viel Grün zu sehen, das es dann aber nicht gibt“, sagt Beate Engelhorn. „Ausblicke aus dem Penthouse bei schönem Wetter, aber nie aus der Erdgeschoßwohnung. Die Interieurs sehen geräumig aus, aber wenn die Wohnung dann möbliert wird, geht die Tür nicht mehr auf. Es sind Luxusobjekte, die immer zum Verkauf angeboten werden und nicht zur Vermietung.“
Das alles ist kein Graz- und kein Österreich-Phänomen, sondern ein globales, dementsprechend wird die Ausstellung durch eine Serie des Architekturfotografen HG Esch illustriert, der verheißende Verhüllungen in Mailand, Rom und Tokio festgehalten hat, die mal wie noch von Christo und Jeanne-Claude verpackte Geschenke aussehen, mal als Schild im Gebüsch am Stadtrand von zukünftiger Zersiedelung und Zerstörung künden: „Hier entsteht ...“
Betonturm wird Betongold
Dort, wo sich der freie Markt besonders ungehindert im Immobiliensektor austoben darf, wie etwa in London, ist die Fallhöhe am drastischsten. Jüngstes Beispiel: der Balfron Tower, 1967 vom ungarischen Emigranten Ernő Goldfinger als Versprechen einer besseren Welt ins noch verslumte Londoner East End gestellt – um zu testen, ob seine Idee des vertikalen Wohnens funktioniert, zog Goldfinger samt Gattin Ursula selbst hier ein. 2022 wurde der für die Generalsanierung leergeräumte Balfron Tower wieder bezogen. Keiner der vorigen Mieter durfte wieder einziehen, stattdessen warten sechs kuratierte „Heritage“-Apartments mit Original-Interieur für Mid-Century-Modern-Hipster – hier können, wie der Architekturkritiker Olly Wainwright im Guardian schrieb, „Brutalismus-Fans den Alltag von Herrn und Frau Goldfinger cosplayen“. Früher von vielen als hässlichstes Haus Londons verdammt, wird der Betonturm jetzt zum Betongold. Der Markt hat gesprochen, der Markt hat immer recht. Extraprise entlarvender Zynismus: Auf dem Bauzaun prangten während der Renovierung Zitate des Architekten, der sich gegen die Elitisierung des Egalitären sicher mit Händen und Füßen gewehrt hätte. Fallhöhe zwischen Werbung und Realität: 84 Meter.
Die Systemkritik, die hier hinter den Schildern lauert, bringt Reinier de Graaf, langjähriger Partner und strategischer Zweitkopf von Rem Koolhaas im Rotterdamer Büro OMA, in der Publikation zur Grazer Ausstellung auf den Punkt, wenn er, sich auf den französischen Wirtschaftswissenschafter Thomas Piketty berufend, in recht düsteren Tönen die optimistische Moderne als kurze Episode rahmt. Deren Traum des sozialen Aufstiegs für alle, den de Graaf selbst im niederländischen Wohlfahrtsstaat erlebt hat, sei im Neoliberalismus, wo Reichtum aus Reichtum entsteht und nicht aus Arbeit, verdampft: „Ein Gebäude ist nicht mehr etwas, das man benutzt, sondern etwas, das man besitzt. Die Bewertung von Architektur und von „architektonischem Stil“ wird dem Markt überlassen. Architektur ist so viel wert, wie andere dafür bezahlen wollen. Dies ist der Moment, in dem Architektur und Marketing ununterscheidbar werden. Das Bild kommt zuerst, die Substanz später.“ So wird das banale Baustellenschild zum Zeichen eines Machtwechsels.
Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass de Graafs Büro OMA sich auf genau diesem Feld selbst betätigt, etwa beim immer noch provisorisch KaDeWe betitelten Kaufhaus des Investors Signa Holding an der Wiener Mariahilfer Straße, für das das Möbelhaus Leiner auf die Schutthalde wanderte. Hier versucht man zwar, ein Old Europe mit bürgerlichen Kaufhäusern hinter steinernen Arkaden heraufzubeschwören, um der Zirkulation von Architektur als Verschubmasse von Finanzgeschäften eine Konstante abzuringen, einen Wert, der nicht beim nächsten Wiederverkauf wieder in die Schuttmulde wandert, doch auch hier kommt das Bild vor der Substanz. Mit zeitgemäßer Variation: Am Bauzaun an der Mariahilfer Straße prangen neben den verführerischen Renderings Daten und Zahlen, die die ökologische Nachhaltigkeit des Projekts beteuern. Während hinter den Brettern die nächste Blase emporwächst.
Rund um die Blase: Ein Baustellen-Arrangement aus gelben Schalungsplatten, darauf montiert in einer Art Metareferenz Fotos von Baustellenzäunen. Verhüllung und Verheißung ist der Name der Ausstellung, die sich die Immobilienwerbung im öffentlichen Raum vorgenommen hat und sich so auch inhaltlich an der Schnittstelle von dreidimensionaler Blase und zweidimensionaler Tafel bewegt.
Sie ist damit eine von sechs Ausstellungen an acht Grazer Institutionen zum Thema Grafikdesign im Spannungsfeld von Kunst und Werbung. Das gemeinsame Projekt „Kunst der Verführung“ wurde koordiniert durch die Creative Industries Styria im Rahmen des Steirischen Herbsts ’22.
Fallhöhe und Kollision
„Grafikdesign ist an sich keine Disziplin der Architektur, aber ich bin schon seit Jahren fasziniert von Plakaten an Baustellen und ihrer Machart“, erklärt HDA-Leiterin Beate Engelhorn, die auch die Ausstellung kuratiert hat. „Man bleibt daran hängen, weil immer irgendetwas nicht stimmt. Es ist eher eine Art Antidesign.“
Nun könnte man sagen: Baustellenschilder gab es schon immer, und wenn Architektur mit Bildern beworben wird, wo ist das Problem? Zum Beispiel in der Fallhöhe, die aus der Kollision zweier Realitäten resultiert: Werden Bauten auf Messen, in Broschüren und online angepriesen, strahlen die schönen Visualisierungen unbehelligt von der Realität – vor Ort sieht die Sache schon anders aus. „Auf den Bildern ist meistens schön viel Grün zu sehen, das es dann aber nicht gibt“, sagt Beate Engelhorn. „Ausblicke aus dem Penthouse bei schönem Wetter, aber nie aus der Erdgeschoßwohnung. Die Interieurs sehen geräumig aus, aber wenn die Wohnung dann möbliert wird, geht die Tür nicht mehr auf. Es sind Luxusobjekte, die immer zum Verkauf angeboten werden und nicht zur Vermietung.“
Das alles ist kein Graz- und kein Österreich-Phänomen, sondern ein globales, dementsprechend wird die Ausstellung durch eine Serie des Architekturfotografen HG Esch illustriert, der verheißende Verhüllungen in Mailand, Rom und Tokio festgehalten hat, die mal wie noch von Christo und Jeanne-Claude verpackte Geschenke aussehen, mal als Schild im Gebüsch am Stadtrand von zukünftiger Zersiedelung und Zerstörung künden: „Hier entsteht ...“
Betonturm wird Betongold
Dort, wo sich der freie Markt besonders ungehindert im Immobiliensektor austoben darf, wie etwa in London, ist die Fallhöhe am drastischsten. Jüngstes Beispiel: der Balfron Tower, 1967 vom ungarischen Emigranten Ernő Goldfinger als Versprechen einer besseren Welt ins noch verslumte Londoner East End gestellt – um zu testen, ob seine Idee des vertikalen Wohnens funktioniert, zog Goldfinger samt Gattin Ursula selbst hier ein. 2022 wurde der für die Generalsanierung leergeräumte Balfron Tower wieder bezogen. Keiner der vorigen Mieter durfte wieder einziehen, stattdessen warten sechs kuratierte „Heritage“-Apartments mit Original-Interieur für Mid-Century-Modern-Hipster – hier können, wie der Architekturkritiker Olly Wainwright im Guardian schrieb, „Brutalismus-Fans den Alltag von Herrn und Frau Goldfinger cosplayen“. Früher von vielen als hässlichstes Haus Londons verdammt, wird der Betonturm jetzt zum Betongold. Der Markt hat gesprochen, der Markt hat immer recht. Extraprise entlarvender Zynismus: Auf dem Bauzaun prangten während der Renovierung Zitate des Architekten, der sich gegen die Elitisierung des Egalitären sicher mit Händen und Füßen gewehrt hätte. Fallhöhe zwischen Werbung und Realität: 84 Meter.
Die Systemkritik, die hier hinter den Schildern lauert, bringt Reinier de Graaf, langjähriger Partner und strategischer Zweitkopf von Rem Koolhaas im Rotterdamer Büro OMA, in der Publikation zur Grazer Ausstellung auf den Punkt, wenn er, sich auf den französischen Wirtschaftswissenschafter Thomas Piketty berufend, in recht düsteren Tönen die optimistische Moderne als kurze Episode rahmt. Deren Traum des sozialen Aufstiegs für alle, den de Graaf selbst im niederländischen Wohlfahrtsstaat erlebt hat, sei im Neoliberalismus, wo Reichtum aus Reichtum entsteht und nicht aus Arbeit, verdampft: „Ein Gebäude ist nicht mehr etwas, das man benutzt, sondern etwas, das man besitzt. Die Bewertung von Architektur und von „architektonischem Stil“ wird dem Markt überlassen. Architektur ist so viel wert, wie andere dafür bezahlen wollen. Dies ist der Moment, in dem Architektur und Marketing ununterscheidbar werden. Das Bild kommt zuerst, die Substanz später.“ So wird das banale Baustellenschild zum Zeichen eines Machtwechsels.
Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie, dass de Graafs Büro OMA sich auf genau diesem Feld selbst betätigt, etwa beim immer noch provisorisch KaDeWe betitelten Kaufhaus des Investors Signa Holding an der Wiener Mariahilfer Straße, für das das Möbelhaus Leiner auf die Schutthalde wanderte. Hier versucht man zwar, ein Old Europe mit bürgerlichen Kaufhäusern hinter steinernen Arkaden heraufzubeschwören, um der Zirkulation von Architektur als Verschubmasse von Finanzgeschäften eine Konstante abzuringen, einen Wert, der nicht beim nächsten Wiederverkauf wieder in die Schuttmulde wandert, doch auch hier kommt das Bild vor der Substanz. Mit zeitgemäßer Variation: Am Bauzaun an der Mariahilfer Straße prangen neben den verführerischen Renderings Daten und Zahlen, die die ökologische Nachhaltigkeit des Projekts beteuern. Während hinter den Brettern die nächste Blase emporwächst.
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