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Kino in der Vorstadt: Als die Filme noch stumm waren
Seit 1909 ist dieses Kleinod relativ unverändert geblieben: die Breitenseer Lichtspiele. Die Zeiten für die Betreiber waren oft stürmisch – dank stilsicherer Adaptierung und Sanierung sieht die Zukunft des kleinen Kinos aber ganz gut aus.
14. Oktober 2022 - Judith Eiblmayr
Die Zeit des großen Kinosterbens wird mit den 1960er-Jahren assoziiert, als der Fernseher in den Haushalten Einzug hielt. Die Sendungen konnten bequem auf dem Sofa konsumiert werden, gleichzeitig galt das TV-Gerät als Statussymbol, das benutzt werden wollte. Zahlreiche Kinos verloren ihr Publikum, wurden zugesperrt und die großen Räume zu Supermärkten oder Lagerräumen umfunktioniert. Bis in die 1980er-Jahre hielt die negative Stimmung gegenüber den Kinos an, obwohl diese durch Verkleinerung der Säle und Etablierung von Programmkinos Cineasten ansprachen oder jene Zuschauer, die Fernsehen als spießig empfanden.
Ende der 1990er-Jahre setzte eine neue Entwicklung ein, die eine weitere Existenzgefahr für die innerstädtischen Kinos bedeutete, als am Stadtrand Kinocenter entstanden: mit extrabreiten Leinwänden und extrabequemen Polstersesseln – eine Form der „Eventarchitektur“, die Kino und leichtgängige Kulinarik plus Garagenparkplatz anbot, um in entlegenen Gegenden Kunden zu gewinnen. Einige dieser Kinocenter haben überlebt, andere wurden umgewidmet oder abgerissen, den Kinos im urbanen Bereich konnten sie jedoch nicht den Garaus machen. Eines der stimmungsvollsten dieser Art ist zugleich das älteste erhaltene Lichtspieltheater von Wien: die Breitenseer Lichtspiele, ein Kleinod der Filmszene, das seit 1909 relativ unverändert geblieben ist.
Das Angerdorf Breitensee hatte zwischen 1835 und 1890, dem Jahr der Eingemeindung nach Wien, eine wahre Bevölkerungsexplosion erfahren, als über die Wiener Vororte ein Raster gelegt wurde, um möglichst effizient Wohnbauten zu errichten. Eine übliche Zwischennutzung der Bauplätze erfolgte in Form von Wanderkinos, um den Arbeiterfamilien mit dem neuen Medium Film Zerstreuung anzubieten.
Unverändert bis aufs Tapetenmuster
Solch ein „Kinematographen-Theater“ im Zelt wurde ab 1905 auch in Breitensee aufgestellt. Als das Wohnhaus an der Breitenseer Straße 21 fertiggestellt war, zogen die Kinobetreiber dort ein, mieteten kurzerhand das Erdgeschoß dazu und eröffneten 1909 das nun ummauerte Breitenseer Kino. Seither wurde mehrmals die Sitzplatzzahl erhöht, denn das Kino konnte sich etablieren, in und nach den zwei Weltkriegen gehalten und kontinuierlich adaptiert werden. Historische Fotos belegen, dass der 20 Meter lange und nur knapp fünf Meter breite Kinosaal bis auf das Tapetenmuster unverändert ist, fünf Lagen Tapete seien übereinandergeschichtet gewesen, berichten die jetzigen Kinobetreiber Christina Nitsch-Fitz und Dieter Mattersdorfer. Der Eingangsbereich mit historischer Kassakoje, kleiner Verkaufsbudel und Theke mit Barhockern ist ebenso minimalistisch in der Dimensionierung wie der daran anschließende kleine Raum, um an einem der drei Tischchen den Kinoabend ausklingen zu lassen. Wahrscheinlich hat gerade die Kleinheit der Räumlichkeiten dem Kino das Überleben gesichert, denn von Miete bis Heizung blieben die Kosten so schmal und niedrig wie der Raum selbst. Das wahre Geheimnis ist aber, dass dieses Kino seit 1969 in Familienbesitz ist, denn damals erwarb die Mathematikerin Anna Nitsch-Fitz die Breitenseer Lichtspiele. Ihre Großmutter war Inhaberin des Nussdorfer Kinos gewesen; nach deren Tod hatte es ihr Vater, ein Arzt, bis zum Verkauf weitergeführt. Anna Nitsch-Fitz wollte auf die innerfamiliäre Tradition nicht verzichten und neben ihrem Beruf als Gymnasiallehrerin Kinobetreiberin werden – aus Liebhaberei, denn sie kaufte zu einer Zeit, da das Kino eben bereits totgesagt wurde.
Im Lauf der Jahrzehnte wurde saniert, reaktiviert und investiert, alles dezent und in überschaubarem Rahmen, denn Profilierung über das Design war nicht notwendig. In dem halben Jahrhundert wurde großes Kino auf kleinstem Raum geboten, aber das tat dem Ruf als „ältestem Kino von Wien“ keinen Abbruch. Frau Nitsch-Fitz in ihrem Kino war eine Institution und nicht nur im Westen von Wien bekannt.
Mittel gegen die Abwanderung
Auch in Eggenburg existiert seit über einem Jahrhundert ein „Lichtspielhaus“. Dieses wurde von Clemens Holzmeister geplant, sein zweites gebautes Werk. Im Gegensatz zum Kino von 1909 im Penzinger Wohnviertel wurde 1914 im Waldviertel ein frei stehendes Kinogebäude errichtet, das mit seinem hohen Walmdach an ein bürgerliches Wohnhaus der Jahrhundertwende gemahnt. Typologisch war dies ein Verweis auf die Heimatschutzbewegung – kein Zufall, denn der junge Holzmeister war über den Verein „Deutsche Heimat“, für deren Bauberatungsstelle er als Architekt tätig war, zu diesem Auftrag gekommen. Holzmeister habe das Bauwerk mit klassizistischen Details an der Eingangsfassade später als „Jugendsünde“ abgetan, wobei dies der erste seiner Theaterbauten war, für die er später berühmt werden sollte. Kubatur und imposante Formensprache dieses Kinos sind erstaunlich für ein Bauprojekt zu Beginn des Ersten Weltkriegs, offensichtlich setzte man politisch auf den Film als starkes Medium, um im Sinne der Heimatschutzbewegung die Landbevölkerung von der Abwanderung abzuhalten. Erstaunlich ist aber auch, dass dieses Gebäude unverändert in Eggenburg steht – zwar als Lager für Archivalien des Krahuletz-Museums genutzt wird, aber theoretisch als Kino- oder Theaterraum eine Zukunft haben könnte.
So wie die Breitenseer Lichtspiele eine Zukunft haben – da die mittlerweile verstorbene Besitzerin rechtzeitig ihre Nichte Christina Nitsch-Fitz für das Kino begeistern konnte, die nun gemeinsam mit Mattersdorfer den Betrieb fortführt. Die beiden setzen auf modernisierte Projektions- und Tontechnik, spannende Programmierung und eine stilsichere Sanierung, Eventarchitektur braucht es hier keine. Wenn die Holzklappstühle eine gepolsterte Sitzauflage und die Türen einen petrolfarbenen Anstrich erhalten, ist dies ein wohltuend dezentes Kino-Ambiente, in dem die beschriebene Tradition mitschwingt: das erweiterte Wohnzimmer einer filmbegeisterten Familie.
Ende der 1990er-Jahre setzte eine neue Entwicklung ein, die eine weitere Existenzgefahr für die innerstädtischen Kinos bedeutete, als am Stadtrand Kinocenter entstanden: mit extrabreiten Leinwänden und extrabequemen Polstersesseln – eine Form der „Eventarchitektur“, die Kino und leichtgängige Kulinarik plus Garagenparkplatz anbot, um in entlegenen Gegenden Kunden zu gewinnen. Einige dieser Kinocenter haben überlebt, andere wurden umgewidmet oder abgerissen, den Kinos im urbanen Bereich konnten sie jedoch nicht den Garaus machen. Eines der stimmungsvollsten dieser Art ist zugleich das älteste erhaltene Lichtspieltheater von Wien: die Breitenseer Lichtspiele, ein Kleinod der Filmszene, das seit 1909 relativ unverändert geblieben ist.
Das Angerdorf Breitensee hatte zwischen 1835 und 1890, dem Jahr der Eingemeindung nach Wien, eine wahre Bevölkerungsexplosion erfahren, als über die Wiener Vororte ein Raster gelegt wurde, um möglichst effizient Wohnbauten zu errichten. Eine übliche Zwischennutzung der Bauplätze erfolgte in Form von Wanderkinos, um den Arbeiterfamilien mit dem neuen Medium Film Zerstreuung anzubieten.
Unverändert bis aufs Tapetenmuster
Solch ein „Kinematographen-Theater“ im Zelt wurde ab 1905 auch in Breitensee aufgestellt. Als das Wohnhaus an der Breitenseer Straße 21 fertiggestellt war, zogen die Kinobetreiber dort ein, mieteten kurzerhand das Erdgeschoß dazu und eröffneten 1909 das nun ummauerte Breitenseer Kino. Seither wurde mehrmals die Sitzplatzzahl erhöht, denn das Kino konnte sich etablieren, in und nach den zwei Weltkriegen gehalten und kontinuierlich adaptiert werden. Historische Fotos belegen, dass der 20 Meter lange und nur knapp fünf Meter breite Kinosaal bis auf das Tapetenmuster unverändert ist, fünf Lagen Tapete seien übereinandergeschichtet gewesen, berichten die jetzigen Kinobetreiber Christina Nitsch-Fitz und Dieter Mattersdorfer. Der Eingangsbereich mit historischer Kassakoje, kleiner Verkaufsbudel und Theke mit Barhockern ist ebenso minimalistisch in der Dimensionierung wie der daran anschließende kleine Raum, um an einem der drei Tischchen den Kinoabend ausklingen zu lassen. Wahrscheinlich hat gerade die Kleinheit der Räumlichkeiten dem Kino das Überleben gesichert, denn von Miete bis Heizung blieben die Kosten so schmal und niedrig wie der Raum selbst. Das wahre Geheimnis ist aber, dass dieses Kino seit 1969 in Familienbesitz ist, denn damals erwarb die Mathematikerin Anna Nitsch-Fitz die Breitenseer Lichtspiele. Ihre Großmutter war Inhaberin des Nussdorfer Kinos gewesen; nach deren Tod hatte es ihr Vater, ein Arzt, bis zum Verkauf weitergeführt. Anna Nitsch-Fitz wollte auf die innerfamiliäre Tradition nicht verzichten und neben ihrem Beruf als Gymnasiallehrerin Kinobetreiberin werden – aus Liebhaberei, denn sie kaufte zu einer Zeit, da das Kino eben bereits totgesagt wurde.
Im Lauf der Jahrzehnte wurde saniert, reaktiviert und investiert, alles dezent und in überschaubarem Rahmen, denn Profilierung über das Design war nicht notwendig. In dem halben Jahrhundert wurde großes Kino auf kleinstem Raum geboten, aber das tat dem Ruf als „ältestem Kino von Wien“ keinen Abbruch. Frau Nitsch-Fitz in ihrem Kino war eine Institution und nicht nur im Westen von Wien bekannt.
Mittel gegen die Abwanderung
Auch in Eggenburg existiert seit über einem Jahrhundert ein „Lichtspielhaus“. Dieses wurde von Clemens Holzmeister geplant, sein zweites gebautes Werk. Im Gegensatz zum Kino von 1909 im Penzinger Wohnviertel wurde 1914 im Waldviertel ein frei stehendes Kinogebäude errichtet, das mit seinem hohen Walmdach an ein bürgerliches Wohnhaus der Jahrhundertwende gemahnt. Typologisch war dies ein Verweis auf die Heimatschutzbewegung – kein Zufall, denn der junge Holzmeister war über den Verein „Deutsche Heimat“, für deren Bauberatungsstelle er als Architekt tätig war, zu diesem Auftrag gekommen. Holzmeister habe das Bauwerk mit klassizistischen Details an der Eingangsfassade später als „Jugendsünde“ abgetan, wobei dies der erste seiner Theaterbauten war, für die er später berühmt werden sollte. Kubatur und imposante Formensprache dieses Kinos sind erstaunlich für ein Bauprojekt zu Beginn des Ersten Weltkriegs, offensichtlich setzte man politisch auf den Film als starkes Medium, um im Sinne der Heimatschutzbewegung die Landbevölkerung von der Abwanderung abzuhalten. Erstaunlich ist aber auch, dass dieses Gebäude unverändert in Eggenburg steht – zwar als Lager für Archivalien des Krahuletz-Museums genutzt wird, aber theoretisch als Kino- oder Theaterraum eine Zukunft haben könnte.
So wie die Breitenseer Lichtspiele eine Zukunft haben – da die mittlerweile verstorbene Besitzerin rechtzeitig ihre Nichte Christina Nitsch-Fitz für das Kino begeistern konnte, die nun gemeinsam mit Mattersdorfer den Betrieb fortführt. Die beiden setzen auf modernisierte Projektions- und Tontechnik, spannende Programmierung und eine stilsichere Sanierung, Eventarchitektur braucht es hier keine. Wenn die Holzklappstühle eine gepolsterte Sitzauflage und die Türen einen petrolfarbenen Anstrich erhalten, ist dies ein wohltuend dezentes Kino-Ambiente, in dem die beschriebene Tradition mitschwingt: das erweiterte Wohnzimmer einer filmbegeisterten Familie.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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