Artikel
Wert schöpfen
Der österreichische Bauherrenpreis 2022: Vier Gewinnerprojekte sind Umbauten, alle fünf sind Musterbeispiele für einen Wertewandel vom kurzsichtigen Gewinn hin zum dauerhaften Bestand.
5. November 2022 - Maik Novotny
Sie kennen das: Man steht vor einem Gebäude und fragt sich, warum es so aussieht, wie es aussieht. Eine Antwort ist immer richtig: Das Verhältnis von Bauherren und Bauendem, oder auf Geschäftsdeutsch: die Bestellqualität. Über diese kann man viele Geschichten erzählen. Viele davon beginnen hoffnungsfroh und enden mit Ernüchterung, wenn sich der Wert des Gebauten nur daraus bestimmt, was unter dem Strich steht, und was gestrichen werden kann.
Zum Beispiel die (verbürgte) Geschichte eines Großwohnbaus in einem von Wiens Neubaugebieten. Sie geht so: Die Architekten wollen mehr als den üblichen Putz auf Wärmedämmung. Sondern Vor- und Rücksprünge, vielleicht Lisenen aus Stein. In vielen Jours fixes zerschellen die schönen Ideen an den Excel-Listen. Stein zu teuer. Zwei verschiedene Putzarten wenigstens? Klick, klick: Nein. Zwei verschiedene Farben, das sei das Höchste, was sich unterm Strich ausginge.
Andere Geschichten erzählen von Gebäuden, deren Bauherren schneller wechseln als das Wetter. Schon während der Planung wird an den nächsten Investor verkauft, und dann nach der Fertigstellung gleich noch einmal. Deren Excel-Listen flimmern auf Bildschirmen in Luxemburg, und was da in Wien rechts und links des Renditeobjekts steht, ist für den Wert nicht relevant.
Happy End mit Wein
Aber es gibt auch Geschichten mit Happy End. So wie diese: Ein 29-jähriger steirischer Weinbauer kommt bei einem WG-Essen mit einer 28-jährigen Berliner Architektin ins Gespräch. Er hat noch nie bauen lassen, sie hat noch nie gebaut. Es folgte eine gemeinsame Expedition in die Welt südoststeirischer Bautraditionen, und heute steht in Pichla bei Radkersburg ein 50 Meter langes perfektes Handwerkstück: Kühlhaus, Weinkeller, Buschenschank reihen sich unter einem Dach aneinander, dessen Konstruktion alleine zu genussvollem Seufzen herausfordert. Lukas Jahn und Mascha Ritter sind sich einig: Das war es wert. „Neun von zehn Winzern errichten ihre Weingüter und Buschenschanken ohne Architekten“, sagt Lukas Jahn. „Ich wollte es anders machen.“
Der Weinhof Locknbauer ist einer der fünf Preisträger beim Bauherrenpreis 2022, der gestern, Freitag, in Salzburg von der Zentralvereinigung der Architekten (ZV) verliehen wurde. Aus den insgesamt 86 Einreichungen wurden 18 Projekte in allen Bundesländern vorausgewählt. Daraus ermittelte die Hauptjury, bestehend aus dem ΔTANDARD-Architektur-Journalisten Wojciech Czaja, dem Schweizer Architekten Armando Ruinelli und Michaela Wolf (bergmeisterwolf Architekten, Südtirol), die finalen Preisträger.
Keine Abrisse mehr
Fünf von 86 von Zehntausenden. Aussagekräftig, oder heißer Tropfen auf den eiskalten Stein der betongewordenen Excel-Listen? Ja und nein. Denn erstens kalkulieren auch die ausgezeichneten Bauherren – private wie öffentliche – nicht mit dem Filzstift. Und zweitens lassen sich hier Schwerpunktverschiebungen in der heimischen Architekturlandschaft kartieren. Allen voran jene vom sorglosen Abriss und Neubau hin zur Bewahrung des Bestands. Konservativ im bestwörtlichen Sinne des Bewahrens, in einer Zeit, da sich das politisch „Konservative“ der kurzsichtigen Destruktion der Lebensgrundlagen verschrieben hat.
Vier von fünf Preisträgern sind Umbauten, zwei davon Bildungsbauten. In Salzburg fanden der Bauherr Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) und Riccione Architekten aus Innsbruck zusammen. Die BIG hatte im Wettbewerb für die Erweiterung der pädagogischen Hochschule die Entscheidung zwischen Abbruch und Neubau oder Sanierung und Erweiterung den Teilnehmern überlassen.
Die beiden Architekten sahen den Wert im Bestehenden und arbeiteten sich mit großer Freude und Zuneigung durch die spröd-graue Substanz aus den späten 1960er-Jahren. Sie entkernten hier, addierten dort ein Foyer und ein Audimax, fügten Farbtupfer hinzu, bis sich Alt und Neu in einem Dialog auf Augenhöhe wiederfanden. „Die Hochschulleitung war zunächst überrascht, nahm die Rohheit und Prozesshaftigkeit der Architektur dann aber sogar in ihr pädagogisches Konzept auf: Der Unterricht hat sich seitdem verändert, hat heute einen offenen, werkstattartigen Charakter“, sagt Wolfgang Mairhofer, Projektsteuerer bei der BIG.
Mehrwert durch Respekt
Der zweite Bildungsbau ist die Schule in Nüziders. Von der Architektengemeinschaft C4 in der Blütezeit der Vorarlberger Baukünstler erbaut, wurde sie 1967 mit dem allerersten Bauherrenpreis überhaupt ausgezeichnet. 2002 bis 2004 wurde das feingliedrige Ensemble von Architekt Bruno Spagolla erweitert, einige Jahre später wurde der Raumbedarf erneut dringlich. Unter dem Juryvorsitz von Bruno Spagolla wurde im Wettbewerb der Entwurf von Fink Thurnher Architekten gekürt, die den bauhistorischen Schichten eine neue hinzufügten: Mehr Wert durch Addition, Mehrwert durch Respekt vor den Vorgängern.
Auch im Wohnbau funktioniert die Formel, nach der Wertvolles dort entsteht, wo man scheinbar wertlos Altem einen Wert zugesteht. Eine Wohnhausanlage aus dem Jahr 1985 in Salzburg. Der gemeinnützige Bauträger Heimat Österreich entschied sich, das renovierungsbedürftige Ensemble nicht abzureißen. Gemeinsam mit dem Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen wurde ein Forschungsprojekt aufgestellt, das Möglichkeiten untersuchte, im Wohnbau den Bestand zu ertüchtigen. Zusammen mit den Architekten Christoph Scheithauer und Stijn Nagels wurde eine Lösung gefunden, die den Zuwachs fast ikonisch darstellt: Eine Aufstockung aus Holzhybridkonstruktion klettert über die Zickzacksilhouette der alten Dächer. Technische Intelligenz trifft ökologische Vernunft, unter dem Strich stehen 24 Wohnungen mehr als zuvor, und mehr Wohnlichkeit für alle.
Auch der Neubau muss nicht leer ausgehen. Den Preis Nummer fünf durften querkraft Architekten und Ikea Österreich mit nach Hause nehmen, deren stahlumgitterter weißer Riese des City-Ikea am Wiener Westbahnhof nicht nur architektonisch, sondern auch in puncto Mobilität in die Zukunft weist. Die Regale und Teelichter im Inneren mögen preisgünstig sein, doch der Wert des Gebäudes ist von Dauer. Man muss es eben nur wollen.
Zum Beispiel die (verbürgte) Geschichte eines Großwohnbaus in einem von Wiens Neubaugebieten. Sie geht so: Die Architekten wollen mehr als den üblichen Putz auf Wärmedämmung. Sondern Vor- und Rücksprünge, vielleicht Lisenen aus Stein. In vielen Jours fixes zerschellen die schönen Ideen an den Excel-Listen. Stein zu teuer. Zwei verschiedene Putzarten wenigstens? Klick, klick: Nein. Zwei verschiedene Farben, das sei das Höchste, was sich unterm Strich ausginge.
Andere Geschichten erzählen von Gebäuden, deren Bauherren schneller wechseln als das Wetter. Schon während der Planung wird an den nächsten Investor verkauft, und dann nach der Fertigstellung gleich noch einmal. Deren Excel-Listen flimmern auf Bildschirmen in Luxemburg, und was da in Wien rechts und links des Renditeobjekts steht, ist für den Wert nicht relevant.
Happy End mit Wein
Aber es gibt auch Geschichten mit Happy End. So wie diese: Ein 29-jähriger steirischer Weinbauer kommt bei einem WG-Essen mit einer 28-jährigen Berliner Architektin ins Gespräch. Er hat noch nie bauen lassen, sie hat noch nie gebaut. Es folgte eine gemeinsame Expedition in die Welt südoststeirischer Bautraditionen, und heute steht in Pichla bei Radkersburg ein 50 Meter langes perfektes Handwerkstück: Kühlhaus, Weinkeller, Buschenschank reihen sich unter einem Dach aneinander, dessen Konstruktion alleine zu genussvollem Seufzen herausfordert. Lukas Jahn und Mascha Ritter sind sich einig: Das war es wert. „Neun von zehn Winzern errichten ihre Weingüter und Buschenschanken ohne Architekten“, sagt Lukas Jahn. „Ich wollte es anders machen.“
Der Weinhof Locknbauer ist einer der fünf Preisträger beim Bauherrenpreis 2022, der gestern, Freitag, in Salzburg von der Zentralvereinigung der Architekten (ZV) verliehen wurde. Aus den insgesamt 86 Einreichungen wurden 18 Projekte in allen Bundesländern vorausgewählt. Daraus ermittelte die Hauptjury, bestehend aus dem ΔTANDARD-Architektur-Journalisten Wojciech Czaja, dem Schweizer Architekten Armando Ruinelli und Michaela Wolf (bergmeisterwolf Architekten, Südtirol), die finalen Preisträger.
Keine Abrisse mehr
Fünf von 86 von Zehntausenden. Aussagekräftig, oder heißer Tropfen auf den eiskalten Stein der betongewordenen Excel-Listen? Ja und nein. Denn erstens kalkulieren auch die ausgezeichneten Bauherren – private wie öffentliche – nicht mit dem Filzstift. Und zweitens lassen sich hier Schwerpunktverschiebungen in der heimischen Architekturlandschaft kartieren. Allen voran jene vom sorglosen Abriss und Neubau hin zur Bewahrung des Bestands. Konservativ im bestwörtlichen Sinne des Bewahrens, in einer Zeit, da sich das politisch „Konservative“ der kurzsichtigen Destruktion der Lebensgrundlagen verschrieben hat.
Vier von fünf Preisträgern sind Umbauten, zwei davon Bildungsbauten. In Salzburg fanden der Bauherr Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) und Riccione Architekten aus Innsbruck zusammen. Die BIG hatte im Wettbewerb für die Erweiterung der pädagogischen Hochschule die Entscheidung zwischen Abbruch und Neubau oder Sanierung und Erweiterung den Teilnehmern überlassen.
Die beiden Architekten sahen den Wert im Bestehenden und arbeiteten sich mit großer Freude und Zuneigung durch die spröd-graue Substanz aus den späten 1960er-Jahren. Sie entkernten hier, addierten dort ein Foyer und ein Audimax, fügten Farbtupfer hinzu, bis sich Alt und Neu in einem Dialog auf Augenhöhe wiederfanden. „Die Hochschulleitung war zunächst überrascht, nahm die Rohheit und Prozesshaftigkeit der Architektur dann aber sogar in ihr pädagogisches Konzept auf: Der Unterricht hat sich seitdem verändert, hat heute einen offenen, werkstattartigen Charakter“, sagt Wolfgang Mairhofer, Projektsteuerer bei der BIG.
Mehrwert durch Respekt
Der zweite Bildungsbau ist die Schule in Nüziders. Von der Architektengemeinschaft C4 in der Blütezeit der Vorarlberger Baukünstler erbaut, wurde sie 1967 mit dem allerersten Bauherrenpreis überhaupt ausgezeichnet. 2002 bis 2004 wurde das feingliedrige Ensemble von Architekt Bruno Spagolla erweitert, einige Jahre später wurde der Raumbedarf erneut dringlich. Unter dem Juryvorsitz von Bruno Spagolla wurde im Wettbewerb der Entwurf von Fink Thurnher Architekten gekürt, die den bauhistorischen Schichten eine neue hinzufügten: Mehr Wert durch Addition, Mehrwert durch Respekt vor den Vorgängern.
Auch im Wohnbau funktioniert die Formel, nach der Wertvolles dort entsteht, wo man scheinbar wertlos Altem einen Wert zugesteht. Eine Wohnhausanlage aus dem Jahr 1985 in Salzburg. Der gemeinnützige Bauträger Heimat Österreich entschied sich, das renovierungsbedürftige Ensemble nicht abzureißen. Gemeinsam mit dem Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen wurde ein Forschungsprojekt aufgestellt, das Möglichkeiten untersuchte, im Wohnbau den Bestand zu ertüchtigen. Zusammen mit den Architekten Christoph Scheithauer und Stijn Nagels wurde eine Lösung gefunden, die den Zuwachs fast ikonisch darstellt: Eine Aufstockung aus Holzhybridkonstruktion klettert über die Zickzacksilhouette der alten Dächer. Technische Intelligenz trifft ökologische Vernunft, unter dem Strich stehen 24 Wohnungen mehr als zuvor, und mehr Wohnlichkeit für alle.
Auch der Neubau muss nicht leer ausgehen. Den Preis Nummer fünf durften querkraft Architekten und Ikea Österreich mit nach Hause nehmen, deren stahlumgitterter weißer Riese des City-Ikea am Wiener Westbahnhof nicht nur architektonisch, sondern auch in puncto Mobilität in die Zukunft weist. Die Regale und Teelichter im Inneren mögen preisgünstig sein, doch der Wert des Gebäudes ist von Dauer. Man muss es eben nur wollen.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom