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Das Exil ist mittendrin
Das Exil ist mittendrin © Heinz Wäger
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Heinz Wäger lädt in Götzis zur Einschau und präsentiert sein vielschichtiges Werk

20. November 2022 - Martina Pfeifer Steiner
Geschichten über die Wäger-Brüder in der Vorarlberger Baukünstlerszene beginnen immer bei Heinz, dem ältesten, der die zwei jüngeren, Rudolf und Sigi, mit seinem Interesse für moderne Architektur angesteckt und inspiriert hat. Heinz Wäger ist nun 86 und kann auf ein vielfältiges gestalterisches Werk zurückblicken. Ausführlich hat er dieses im letzten Jahr aufgearbeitet, geordnet und lädt zu einer sehr persönlichen Schau in seinem Atelier ein.

Früh sei er schon als Volksschüler mit Zeichenbegabung aufgefallen, in der Hauptschule gewann Heinz den Wettbewerb für eine Brunnenskulptur. Die 25 Schilling Preisgeld gab er gleich für einen Kugelschreiber aus, der dann so gar nicht seinen Erwartungen entsprach. Mit diesen Anekdoten fangen die Erzählung sowie der Rundgang an. Heinz machte eine Lehre zum Maler und Anstreicher in Innsbruck, auch die damals beliebten Außenwandfresken bei Gasthäusern gehörten zu seinen Aufgabengebieten. Nebenbei versuchte er sich an kleineren Skulpturen und Schnitzereien. In der Schweiz fand er danach Arbeit, besuchte Modellierkurse, bastelte sich eine Staffelei und malte Landschaften, nicht nur Wände.

Inspiration

Die zeitgenössische Architektur dort interessierte ihn brennend, und mit Begeisterung verschlangen die jüngeren Brüder die mitgebrachten Fachzeitschriften über die Moderne in Skandinavien, der Schweiz, über die Werke von Alvar Aalto, Le Corbusier oder Frank Lloyd Wright. Da setzten sich die drei (Heinz 22, Rudolf 17, Sigi 16) auch schon mal in den Zug und besuchten die Möbelmesse in Mailand, was alle sehr beeindruckte. Sein bester Freund legte Heinz irgendwann nahe, er solle sich doch bei der berühmten Ulmer Hochschule für Gestaltung bewerben. Tatsächlich schaffte er die Aufnahme und studierte Produktgestaltung und Design.

Gleich im ersten Semester gewann er zwei Wettbewerbe: eine hochkarätige Jury in Mailand prämierte sein Sitzmöbel (das 1:10 Modell ist auf der Einladungskarte abgebildet) und eine große Schweizer Firma wählte sein Konzept für die komplette Ausstattung von Sanitärräumen, inklusive klug geführter Installationen, aus. Das motivierte freilich sehr und gab Selbstbewusstsein.

Da wollte man schon einmal in Vorarlberg zeigen, wie ein modernes Haus ausschauen kann! Heinz, im ersten Studienjahr, Rudolf die Zimmermanns- und Sigi die Maurerlehre fertig, auf Vaters Grundstück gab es noch Platz; die jungen Burschen wollten jetzt ein Statement abgeben! Freudig investierte Heinz die 500.000 Lire Gewinn vom Mailänder Sessel. Miteinander haben sie geplant und eigenhändig die Säulen betoniert, die Stahlträger aufgelegt, die Betondecke gefertigt. Sigi war für das Sichtmauerwerk im oberen Stock zuständig, Rudolf natürlich für die Dachkonstruktion aus Holz-Nagelbindern. Wie das Flachdach in der Gemeinde Götzis durchging, weiß heute keiner mehr! Jedenfalls erregte die schwebende Kiste mit großen Glasflächen und offenem Grundriss viel Aufsehen. Genauso wie die Diplomarbeit wenige Jahre später, bei der Heinz und vier Studienkollegen soziale Studien zur „Anpassbaren Wohnung“ vorlegten, konfigurierbar für jede Größe, mit losen Möbel als Abgrenzungen.

Das architektonische Werk von Heinz Wäger weist über vierzig Einfamilienhäuser und einige Mehrfamilienhäuser – auch unter „Coparts“ mit Siegfried Wäger – auf. Realisiert wurden zudem viele Produktgestaltungen für namhafte Firmen – wie Zumtobel oder Miller – und bemerkenswerte Projekte Visueller Kommunikation. Beim Krankenhaus Hohenems (1974) beispielsweise, stammen nicht nur der Innenausbau von Wäger, sondern vor allem das Leitsystem, das in der Folge – wissenschaftlich aufgearbeitet – bei weiteren Krankenhäusern verwendet wurde.

Die Kunst im Exil

Gestaltungsgrundsätze sind für Heinz Wäger – ob bei Bauwerk oder Produktdesign – immer in derselben Weise anwendbar. Auch in seiner Kunst, der er sich in den letzten zwanzig Jahren seit seiner Pensionierung noch intensiver widmet. „Für jede Skulptur fertige ich zuerst von allen Seiten rundherum Skizzen an. Ich möchte das Endergebnis kennen, eine räumliche Vorstellung davon haben, und nicht so lange runterkratzen, bis es mir gefällt!“ Beliebtes Ausgangsmaterial für seine Skulpturen sei Porenbeton. Die „Macroform der Venus von Willendorf“ hat ausnahmsweise Farbe bekommen, und sie wäre sehr anspruchsvoll im Zusammenfügen der perfekten Kugeln gewesen. Doch auch die Riesenscheibe einer Silberpappel mit über einem Meter Durchmesser findet ihre Form als „Sphärische Flächen“.

Möbeldesign – Tische, Sessel, Polstermöbel etc – stand naheliegender Weise bei Wäger immer im Mittelpunkt. Die Klappgarderobe ist ein schönes Beispiel für Platzsparen in kleinen Wohnungen: in Ruhestellung ein Bild an der Wand, entfaltet sich ihre Funktion nur im Gebrauch.

Damit wären wir beim Rundgang wieder unten im Besprechungsraum angelangt. Höchste Zeit zu erklären, was es mit dem „Exil“ auf sich hat, wo eben Interessierte zur Einschau geladen sind. Die künstlerische Aktivität sprengte mit der Zeit die Kapazität der Werkstatt im Wohnhaus. Ein Zubau war angedacht, doch dann erbte Ehefrau Marianne ein winziges, eigentlich für unbebaubar gehaltenes Grundstück (nur 125 m²) in unmittelbarer Nachbarschaft. Diese Herausforderung nahm Heinz gerne an und dachte sich einen kleinen Würfel (6x6x6 Meter) plus Keller aus, auf die Abstandsflächen dermaßen hingetüftelt, dass es tatsächlich genehmigt werden konnte.

Was andere vielleicht Ausgedinge nennen würden, ist für Heinz das EXIL. Wie ironisch das gemeint sein könnte, muss man nicht weiter interpretieren. Jedenfalls stehen die Türen offen, bei einem „Stillen“, dessen Lebenswerk sich zu entdecken lohnt. Doch bitte nur nach telefonischer Anmeldung, denn Heinz Wäger nimmt sich Zeit für Besuche.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, November 2022, http://www.kulturzeitschrift.at ]

arte variabile – Heinz Wäger gibt Einschau in 60 Jahre Gestaltung
im Exil, Götzis, Altacherstraße 32
von 5. November 2022 bis 31. Jänner 2023

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