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Der Welt ist nichts mehr hinzuzufügen: Was Babyboomer verwittern lassen, erfindet eine junge Generation japanischer Architektinnen und Architekten neu
Die Werkschau «Make Do With Now» in Basel zeigt, wie eine aufstrebende Architekturszene in Japan auf die grossen Fragen der Zeit reagiert.
27. Dezember 2022 - Ulf Meyer
Bisher galt Japan als Schlaraffenland der Architektur. Es gibt fast keine baurechtliche Regulierung oder thermische Anforderung für Fassaden, stattdessen fähige Baukonzerne und Handwerker. Mutige Bauherren agieren in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt. Die Ausstellung in Basel «Make Do With Now» (zu Deutsch «mit dem Jetzigen auskommen») überrascht deshalb. Kaum visuell attraktive Exponate werden gezeigt. Keine für Nippon gewohnte Wabi-Sabi-Ästhetik, keine Eleganz, die durch ihre Reduktion auf das Wesentliche perfektioniert ist.
Die Werkschau will «neue Wege in der japanischen Architektur» aufzeigen. Das gelingt ihr auch in ihrer gegenüber der Alltagskultur unprätentiösen Herangehensweise. Sie zeichnet ein radikal anderes Bild vom Land der aufgehenden Sonne. Eines nach Fukushima und eines einer schnell alternden Bevölkerung – besonders auf dem Land. Nach 150 Jahren des stetigen Wachstums geht in Japan die Bevölkerung seit 2008 zurück. Gemäss einer Studie von 2018 stehen bereits über zehn Prozent der Gebäude leer. Die bestehenden welken Gebäude, die die Babyboomer-Generation hinterlässt, werden vielerorts einfach abgerissen.
«Akiya» werden solche leerstehenden Häuser genannt, die sich in den verfallenden Wohnvierteln an den Peripherien der Metropolen zeigen. Beim Bau, bei der Herstellung und Montage von Bauteilen wird «graue Energie» aufgewendet. Insbesondere angesichts der Ressourcenknappheit und Klimadiskussion darf diese nicht verschwendet werden.
Abkehr vom Hochglanz seit Fukushima
Die an der Basler Schau beteiligten Architekturbüros sind kaum bekannt. Es sind Klein- und Kleinstbüros, deren Inhaber erste Umbau-Aufträge nutzen, um ihre gestalterischen Ideen zu testen.
Die neue Generation von Architekten in Japan «behilft sich mit vorgefundenen Materialien und Räumen», so der Kurator der Schau, Yuma Shinohara, im Gespräch. Vom Bild des Architekten als alleinigen Autors eines Gebäudes kehren die jungen Japaner ab. Mit dem Bauherren, den Nutzern, Nachbarn und Handwerkern wollen sie stattdessen Kollektive gründen, die die Umbauten gemeinsam leisten und teilweise auch betreiben.
Die in Basel präsentierten «Gebäude jenseits des Wachstumsparadigmas» haben oft raue Ecken und Kanten, sie suchen eine «Verbindung mit allem, was sie umgibt und bewohnt», sagt Shinohara. Eine Hochglanz-Ästhetik ist ihnen fremd.
Das Unglück von Fukushima 2011 war eine Zäsur, die in Japan auch die Fragilität der Baukunst bewusst gemacht und zum Umdenken geführt hat. Im alternden Werftviertel von Osaka haben «dot architects» beispielsweise einen heruntergekommenen Klumpen von Altbauten liebevoll renoviert und zu einem Kulturzentrum namens «Chidori Bunka» umgestaltet, in dem sie selber jeden Freitagabend eine Sake-Bar betreiben. Denn ihre Renovation sehen sie nicht nur als Reaktion auf den Leerstand, sondern auch als «Rehabilitation der lokalen Gemeinschaft».
Mit Mehrzweckraum, Galerie und Geschäft ist das «Chidori Bunka» Teil des Alltags der Menschen geworden. Es ist «nur ein gewöhnliches Gebäude, geflickt und gestopft mit Tischler-Arbeiten», wie die Architekten sagen. Der Umbau war eine «Bastelarbeit mit Werkzeugen und Materialien, die in der Nachbarschaft verfügbar waren». Es gab endlose Erweiterungen und Veränderungen und nicht einmal einen Plan. Toshikatsu Lenari, einer der Gründer von «dot architects», hat das Tragwerk und die Geschichte und Kultur der Nachbarschaft genau studiert und beide Ansätze zur Grundlage seines behutsamen Low-Budget-Umbaus gemacht.
Neue Ära, auch für die Schweiz
Gebäude als «Rohstofflager» zu betrachten, ist ein Gedanke, der auch in der Schweiz derzeit umfassend diskutiert wird. Vorgefundene Materialien und Räume neu zu nutzen, das Bauen im Bestand und die Partizipation der Nutzer und Nachbarn passen gut in den Zeitgeist, der ganz auf ökologische und soziale Kreisläufe ausgerichtet ist. Die Suche nach Engagement, sagt Shinohara, ist löblich, und die Generation Renovation entwickelt selbst angesichts mondäner Bauaufgaben eine «Can do»-Attitude.
Architekturbüros lediglich als Nichtregierungs- oder Non-Profit-Organisationen und den Architekten als Aktivisten zu betrachten, stösst jedoch an Grenzen. Die Basler Ausstellung präsentiert einen eingeschränkten und auch tendenziösen Blick auf einen kleinen Teil der zeitgenössischen Architektur. Im postolympischen Tokio thront jetzt beispielsweise Yuko Nagayamas Kabukicho-Tower über Shinjuku. Er ist der höchste von einer japanischen Architektin entworfene Wolkenkratzer. Ein paar Bahnstationen weiter südlich wird Sumitomo das höchste Holzhochhaus der Welt bauen.
Ein vollständiges Porträt der neuen Generation japanischer Architekten leistet die Basler Schau also nicht, aber einen aufschlussreichen Blick auf eine Sub-Szene der Architektur als «arte povera» – einen harschen Reality-Check im fernöstlichen Schlaraffenland der Baukultur, der allen Klischees über Japans Architektur widerspricht.
[ Ausstellung im S AM Basel bis 12. März 2023; Publikation: «Make Do With Now: New Directions In Japanese Architecture». Christoph-Merian-Verlag, Englisch. ]
Die Werkschau will «neue Wege in der japanischen Architektur» aufzeigen. Das gelingt ihr auch in ihrer gegenüber der Alltagskultur unprätentiösen Herangehensweise. Sie zeichnet ein radikal anderes Bild vom Land der aufgehenden Sonne. Eines nach Fukushima und eines einer schnell alternden Bevölkerung – besonders auf dem Land. Nach 150 Jahren des stetigen Wachstums geht in Japan die Bevölkerung seit 2008 zurück. Gemäss einer Studie von 2018 stehen bereits über zehn Prozent der Gebäude leer. Die bestehenden welken Gebäude, die die Babyboomer-Generation hinterlässt, werden vielerorts einfach abgerissen.
«Akiya» werden solche leerstehenden Häuser genannt, die sich in den verfallenden Wohnvierteln an den Peripherien der Metropolen zeigen. Beim Bau, bei der Herstellung und Montage von Bauteilen wird «graue Energie» aufgewendet. Insbesondere angesichts der Ressourcenknappheit und Klimadiskussion darf diese nicht verschwendet werden.
Abkehr vom Hochglanz seit Fukushima
Die an der Basler Schau beteiligten Architekturbüros sind kaum bekannt. Es sind Klein- und Kleinstbüros, deren Inhaber erste Umbau-Aufträge nutzen, um ihre gestalterischen Ideen zu testen.
Die neue Generation von Architekten in Japan «behilft sich mit vorgefundenen Materialien und Räumen», so der Kurator der Schau, Yuma Shinohara, im Gespräch. Vom Bild des Architekten als alleinigen Autors eines Gebäudes kehren die jungen Japaner ab. Mit dem Bauherren, den Nutzern, Nachbarn und Handwerkern wollen sie stattdessen Kollektive gründen, die die Umbauten gemeinsam leisten und teilweise auch betreiben.
Die in Basel präsentierten «Gebäude jenseits des Wachstumsparadigmas» haben oft raue Ecken und Kanten, sie suchen eine «Verbindung mit allem, was sie umgibt und bewohnt», sagt Shinohara. Eine Hochglanz-Ästhetik ist ihnen fremd.
Das Unglück von Fukushima 2011 war eine Zäsur, die in Japan auch die Fragilität der Baukunst bewusst gemacht und zum Umdenken geführt hat. Im alternden Werftviertel von Osaka haben «dot architects» beispielsweise einen heruntergekommenen Klumpen von Altbauten liebevoll renoviert und zu einem Kulturzentrum namens «Chidori Bunka» umgestaltet, in dem sie selber jeden Freitagabend eine Sake-Bar betreiben. Denn ihre Renovation sehen sie nicht nur als Reaktion auf den Leerstand, sondern auch als «Rehabilitation der lokalen Gemeinschaft».
Mit Mehrzweckraum, Galerie und Geschäft ist das «Chidori Bunka» Teil des Alltags der Menschen geworden. Es ist «nur ein gewöhnliches Gebäude, geflickt und gestopft mit Tischler-Arbeiten», wie die Architekten sagen. Der Umbau war eine «Bastelarbeit mit Werkzeugen und Materialien, die in der Nachbarschaft verfügbar waren». Es gab endlose Erweiterungen und Veränderungen und nicht einmal einen Plan. Toshikatsu Lenari, einer der Gründer von «dot architects», hat das Tragwerk und die Geschichte und Kultur der Nachbarschaft genau studiert und beide Ansätze zur Grundlage seines behutsamen Low-Budget-Umbaus gemacht.
Neue Ära, auch für die Schweiz
Gebäude als «Rohstofflager» zu betrachten, ist ein Gedanke, der auch in der Schweiz derzeit umfassend diskutiert wird. Vorgefundene Materialien und Räume neu zu nutzen, das Bauen im Bestand und die Partizipation der Nutzer und Nachbarn passen gut in den Zeitgeist, der ganz auf ökologische und soziale Kreisläufe ausgerichtet ist. Die Suche nach Engagement, sagt Shinohara, ist löblich, und die Generation Renovation entwickelt selbst angesichts mondäner Bauaufgaben eine «Can do»-Attitude.
Architekturbüros lediglich als Nichtregierungs- oder Non-Profit-Organisationen und den Architekten als Aktivisten zu betrachten, stösst jedoch an Grenzen. Die Basler Ausstellung präsentiert einen eingeschränkten und auch tendenziösen Blick auf einen kleinen Teil der zeitgenössischen Architektur. Im postolympischen Tokio thront jetzt beispielsweise Yuko Nagayamas Kabukicho-Tower über Shinjuku. Er ist der höchste von einer japanischen Architektin entworfene Wolkenkratzer. Ein paar Bahnstationen weiter südlich wird Sumitomo das höchste Holzhochhaus der Welt bauen.
Ein vollständiges Porträt der neuen Generation japanischer Architekten leistet die Basler Schau also nicht, aber einen aufschlussreichen Blick auf eine Sub-Szene der Architektur als «arte povera» – einen harschen Reality-Check im fernöstlichen Schlaraffenland der Baukultur, der allen Klischees über Japans Architektur widerspricht.
[ Ausstellung im S AM Basel bis 12. März 2023; Publikation: «Make Do With Now: New Directions In Japanese Architecture». Christoph-Merian-Verlag, Englisch. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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