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Lascher Umgang mit historischer Substanz: Pionierbau in Wien-Neubau
Ein Fabriksgebäude zwischen Kaiserstraße und Wimbergergasse repräsentiert die technologisch innovative Zeit der Jahrhundertwende in Wien. 117 Jahre hat es gut überstanden. Was kommt jetzt?
6. Januar 2023 - Franziska Leeb
Es ist vielleicht eines der authentischsten Gebäude im siebten Wiener Gemeindebezirk: Das auf einer Parzelle zwischen Kaiserstraße und Wimbergergasse errichtete Fabriks- und Werkstättengebäude der Brüder Demuth markiert einen Wendepunkt im Bauen. Ab den 1860er-Jahren ist das von Anton Demuth begründete Unternehmen, das unter anderem Maschinen für die Textilindustrie erzeugte, am Standort nachweisbar. Seine Söhne Carl und Edmund errichteten den Fabriksneubau im Hof, mit dem die Schlosserei und Metallstreckerei die Wandlung zum „fabriksmäßigen Betrieb des Maschinenbaugewerbes“ vollzog. Im Juni 1905 wurden die Pläne eingereicht, im Oktober die Baubewilligung erteilt. Schon im Frühjahr 1906 war der Bau fertig, der sich nun im Zuge von Forschungen eines Teams um Otto Kapfinger als Pionierbau der Eisenbetonarchitektur erweist. Die erst später errichteten straßenseitigen Wohnhäuser erscheinen im Vergleich dazu konservativ und bieder.
Errichtet wurde der viergeschoßige Fabriks-Trakt von der Baufirma Ed. Ast & Co., die zusammen mit Firmen wie G. A. Wayss, Pittel + Brausewetter oder Rella eine wesentliche Rolle bei der Weiterentwicklung der neuen Eisenbetontechnik spielte und im Tiefbau wie im Hochbau die konstruktive Grundlage des modernen Wiens schuf. Der armierte Beton ermöglichte gegenüber dem Ziegelbau schlanker dimensionierte Konstruktionen von hoher Tragfähigkeit mit größeren Spannweiten und offeneren Grundrissen. Eduard Ast erwarb 1989/99 die Lizenz des damals führenden Betonbausystems des französischen Ingenieurs François Hennebique exklusiv für den Raum der k.u.k. Monarchie und entwickelte es zum eigenen System Ast weiter, kongenial unterstützt von seinem Schwager, Firmenmitinhaber und Chefingenieur Hugo Gröger.
Feingliedrige Konstruktion
Die viergeschoßige Fabrik im Hof zwischen Kaiserstraße 67–69 und Wimbergergasse 12 besticht mit einer äußerst feingliedrigen Konstruktion im System Ast, das sich gegenüber dem Hennebique-System dadurch auszeichnet, dass die Stützen an den Auflagerpunkten der Balken nicht dreiecksförmig verbreitert sind, sondern orthogonal anschließen. Von Etage zu Etage werden die Betonpfeiler, die den etwa 20 mal 20 Meter messenden Grundriss in zwölf Felder teilen, schlanker. Im Erdgeschoß, wo sie die höchste Last zu tragen haben sind sie noch mit 40 mal 40 Zentimetern dimensioniert, ganz oben nur noch halb so stark. Ebenso nimmt die Deckenstärke ab. Neun Zentimeter dünn ist die Deckenplatte unten, oben nur noch sieben. Die wahre Innovation aber liegt darin, dass hier erstmals in Wien beide Fassaden als unverkleidete, nach dem Ausschalen noch steinmetzmäßig nachbearbeitete Betonstruktur gegossen wurde.
Die großen Fensterflächen mit kleinteiliger Eisen-Glas-Rasterung verfügen abgesehen vom Erdgeschoß noch über die originalen zarten Profile, im ersten und dritten Stock wurde die alte Einfachverglasung einfühlsam durch eine zweite innere Schicht ergänzt. Dieser Prototyp der Eisenbetonarchitektur vereint bauliche Ökonomie, räumliche Flexibilität und gestalterische Eleganz. Dass er in dieser Form erhalten blieb, ist wohl auch der durchgehenden Nutzung als Betriebs- und Arbeitsstätte zu verdanken. In den 1980er-Jahren adaptierten Künstler die großzügigen hellen Räume als Atelier, verschiedene Firmen waren und sind eingemietet, seit ein paar Jahren auch eine Bürogemeinschaft von Architekten.
Vernichtung von Kulturgut
Das Idyll trügt. Ein Immobilienunternehmen, das 2014 die Liegenschaft erwarb, bekam unter Zuhilfenahme des berühmt-berüchtigten Paragrafen 69 der Wiener Bauordnung, der Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes regelt und elastisch interpretiert wird, einen aus drei Wohnungen bestehenden zweigeschoßigen Aufbau samt Klimaaußengeräten bewilligt.
Die für das Stadtbild zuständige MA 19 gab ihren Sanctus, weil sie die Wirkung des nach der Devise „form follows paragraph“ gestalteten Aufbaus auf das örtliche Stadtbild aufgrund der Hoflage für nicht relevant hielt. Der Bauausschuss des Bezirks lehnte das Vorhaben zunächst ab, gab im Jänner 2020 aber trotz Überschreitung der höchstzulässigen Gebäudehöhe und anderer Abweichungen grünes Licht. Die Vorteile würden die Nachteile überwiegen und der Umbau eine zweckmäßigere oder zeitgemäße Nutzung des Bauwerkes bewirken.
Die Investoren verfolgen mithilfe willfähriger Architekten nur ihren Geschäftszweck. Den Vorwurf, mit der historischen Substanz und dem städtischen Gefüge zu lasch umzugehen, muss man Politik und Behörden machen. Die Vernichtung von Kulturgut ist das eine. Das andere ist, dass man keinen Zusammenhang zwischen der nicht enden wollenden Verdichtung und Ausbeutung der ohnedies schon dichtest bebauten Stadtteile und deren Überhitzung erkennen will. Die überhitzten Preise bewirken, dass jene, die zum viel gerühmten Flair des Bezirks beigetragen haben, sich das Wohnen und Arbeiten dort nicht mehr leisten können oder wollen. So viele kühlende Sprühnebeldüsen kann man zu ebener Erde gar nicht installieren, dass sie die Wärme wettmachen, die auf den Dächern von den Klimageräten zur Kühlung der Geldanlagen hinausgeblasen wird.
Errichtet wurde der viergeschoßige Fabriks-Trakt von der Baufirma Ed. Ast & Co., die zusammen mit Firmen wie G. A. Wayss, Pittel + Brausewetter oder Rella eine wesentliche Rolle bei der Weiterentwicklung der neuen Eisenbetontechnik spielte und im Tiefbau wie im Hochbau die konstruktive Grundlage des modernen Wiens schuf. Der armierte Beton ermöglichte gegenüber dem Ziegelbau schlanker dimensionierte Konstruktionen von hoher Tragfähigkeit mit größeren Spannweiten und offeneren Grundrissen. Eduard Ast erwarb 1989/99 die Lizenz des damals führenden Betonbausystems des französischen Ingenieurs François Hennebique exklusiv für den Raum der k.u.k. Monarchie und entwickelte es zum eigenen System Ast weiter, kongenial unterstützt von seinem Schwager, Firmenmitinhaber und Chefingenieur Hugo Gröger.
Feingliedrige Konstruktion
Die viergeschoßige Fabrik im Hof zwischen Kaiserstraße 67–69 und Wimbergergasse 12 besticht mit einer äußerst feingliedrigen Konstruktion im System Ast, das sich gegenüber dem Hennebique-System dadurch auszeichnet, dass die Stützen an den Auflagerpunkten der Balken nicht dreiecksförmig verbreitert sind, sondern orthogonal anschließen. Von Etage zu Etage werden die Betonpfeiler, die den etwa 20 mal 20 Meter messenden Grundriss in zwölf Felder teilen, schlanker. Im Erdgeschoß, wo sie die höchste Last zu tragen haben sind sie noch mit 40 mal 40 Zentimetern dimensioniert, ganz oben nur noch halb so stark. Ebenso nimmt die Deckenstärke ab. Neun Zentimeter dünn ist die Deckenplatte unten, oben nur noch sieben. Die wahre Innovation aber liegt darin, dass hier erstmals in Wien beide Fassaden als unverkleidete, nach dem Ausschalen noch steinmetzmäßig nachbearbeitete Betonstruktur gegossen wurde.
Die großen Fensterflächen mit kleinteiliger Eisen-Glas-Rasterung verfügen abgesehen vom Erdgeschoß noch über die originalen zarten Profile, im ersten und dritten Stock wurde die alte Einfachverglasung einfühlsam durch eine zweite innere Schicht ergänzt. Dieser Prototyp der Eisenbetonarchitektur vereint bauliche Ökonomie, räumliche Flexibilität und gestalterische Eleganz. Dass er in dieser Form erhalten blieb, ist wohl auch der durchgehenden Nutzung als Betriebs- und Arbeitsstätte zu verdanken. In den 1980er-Jahren adaptierten Künstler die großzügigen hellen Räume als Atelier, verschiedene Firmen waren und sind eingemietet, seit ein paar Jahren auch eine Bürogemeinschaft von Architekten.
Vernichtung von Kulturgut
Das Idyll trügt. Ein Immobilienunternehmen, das 2014 die Liegenschaft erwarb, bekam unter Zuhilfenahme des berühmt-berüchtigten Paragrafen 69 der Wiener Bauordnung, der Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes regelt und elastisch interpretiert wird, einen aus drei Wohnungen bestehenden zweigeschoßigen Aufbau samt Klimaaußengeräten bewilligt.
Die für das Stadtbild zuständige MA 19 gab ihren Sanctus, weil sie die Wirkung des nach der Devise „form follows paragraph“ gestalteten Aufbaus auf das örtliche Stadtbild aufgrund der Hoflage für nicht relevant hielt. Der Bauausschuss des Bezirks lehnte das Vorhaben zunächst ab, gab im Jänner 2020 aber trotz Überschreitung der höchstzulässigen Gebäudehöhe und anderer Abweichungen grünes Licht. Die Vorteile würden die Nachteile überwiegen und der Umbau eine zweckmäßigere oder zeitgemäße Nutzung des Bauwerkes bewirken.
Die Investoren verfolgen mithilfe willfähriger Architekten nur ihren Geschäftszweck. Den Vorwurf, mit der historischen Substanz und dem städtischen Gefüge zu lasch umzugehen, muss man Politik und Behörden machen. Die Vernichtung von Kulturgut ist das eine. Das andere ist, dass man keinen Zusammenhang zwischen der nicht enden wollenden Verdichtung und Ausbeutung der ohnedies schon dichtest bebauten Stadtteile und deren Überhitzung erkennen will. Die überhitzten Preise bewirken, dass jene, die zum viel gerühmten Flair des Bezirks beigetragen haben, sich das Wohnen und Arbeiten dort nicht mehr leisten können oder wollen. So viele kühlende Sprühnebeldüsen kann man zu ebener Erde gar nicht installieren, dass sie die Wärme wettmachen, die auf den Dächern von den Klimageräten zur Kühlung der Geldanlagen hinausgeblasen wird.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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