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In Graz wachsen Türme und Träume
Zwei neue Stadtteile in Graz erwachen zum Leben: Smart City und Reininghausquartier. Reichen Dichte und Durchmischung aus, um echte Urbanität zu erzeugen?
16. Januar 2023 - Christian Kühn
Graz wächst. Seit 2012 ist die Zahl der Stadtbewohner von 298.000 auf 335.000 gestiegen, ein Zuwachs von 12,5 Prozent. Damit liegt die Stadt proportional gleichauf mit der Entwicklung in Wien. Eine im Herbst 2022 veröffentlichte Wohnbaustudie zeigt einige Grazer Besonderheiten: 18.000 neue Wohnungen zwischen 2015 und 2020, davon nur 15 Prozent Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen. Im Jahr 2021 wurden 44 Prozent der Wohnungen zur Weitervermietung gekauft, wobei die durchschnittliche Wohnungsgröße auf rund 60 Quadratmeter zurückging, wie es für Anlegerwohnungen typisch ist.
Die beiden innerstädtischen Gebiete, die mit den größten Ambitionen entwickelt wurden, sind alte Industrieareale, beide im Westen in der früheren Vorstadt gelegen, jenseits der Bahn, die immer noch eine Barriere darstellt. Das kleinere der Areale, das sich als Smart City Graz positioniert, liegt unmittelbar an der Bahntrasse hinter dem Hauptbahnhof; das mit 52 Hektar deutlich größere, die Reininghausgründe, etwas weiter stadtauswärts im Südwesten. Beide Areale wurden mit neuen beziehungsweise erweiterten Straßenbahnlinien an den öffentlichen Verkehr angebunden.
Die Smart City hinter dem Bahnhof hat eine spezielle Entwicklungsgeschichte, deren erster Impuls auf zwei vom Architekten Markus Pernthaler entworfene Bauten zurückgeht, die List Halle und den Science Tower, die als Basilika und Campanile zum Nukleus eines Stadtquartiers wurden, das in dieser Form eigentlich nicht geplant war. Heute ist das Areal gerade in der letzten Phase der Fertigstellung; eine bewohnte Baustelle, an der man die städtebauliche Idee aber bereits gut ablesen kann: eine Stadt mit klaren Platz- und Straßenräumen, gemischt genutzt und hoch verdichtet. Trotz klassischer städtebaulicher Vorgaben gibt es eine gute Bandbreite an Gebäudelösungen, durchaus mit typologischen Innovationen.
Verkehrs- versus Freiraumplanung
Urbanität braucht neben Durchmischung und Dichte aber noch eine dritte Komponente, nämlich Theatralik, gewissermaßen die Art und Weise, wie Menschen und Räume im Alltag zu einem Ereignis verschmelzen. Ob es in der Smart City genug dafür geeignete Orte gibt, darf bezweifelt werden. Wie so oft in neuen Stadtvierteln schlägt die Verkehrsplanung die Freiraumplanung: Auch eine noch so gelungene Stadtmöblierung kann gegen überdimensionierte Asphaltflächen nicht viel ausrichten.
Das Reininghausquartier dürfte in Hinblick auf die Freiräume besser abschneiden. Hier ist erst ein Viertel der Bewohner eingezogen, im Herbst 2022 waren es 2300 Personen von 10.000, die hier im Endausbau vorgesehen sind. Dazu sollen 5000 Arbeitsplätze kommen. Maßstab für die vertikale Entwicklung des Gebiets war der Siloturm einer am Standort weiterhin in Betrieb befindlichen Malzfabrik. Hier entstehen mehrere Wohnhochhäuser mit 50 bis 70 Meter Höhe, unter anderem ein Green Tower mit begrünter Fassade von Thomas Pucher und ein Doppelturm nach Plänen der Architektengruppe Pentaplan, der auf einem Sockelgebäude aufsitzt. Dieser Sockel ist Teil der Randbebauung des Reininghausparks, der mit rund drei Hektar Fläche das grüne Herz des Gesamtprojekts werden soll. Eine kleine Wasserfläche am nördlichen Rand des Parks erinnert an die Eisteiche, die es hier zu Zeiten gab, als auf dem Areal noch Bier gebraut wurde. Die Randbebauung des Parks lag weitgehend in der Hand von Pentaplan, die alle von der Stadt vorgeschriebenen Wettbewerbe gewonnen haben. Ihre Architektur ist kostengünstig, intelligent organisiert und gut proportioniert. Sie vereint Pragmatik mit einem nicht zu dick aufgetragenen Witz, wenn sie etwa das große Bauvolumen, das die gesamte Nordseite des Parks markiert, einfach in einen beigen und einen rötlichen Teil gliedert und damit der großen Masse neue Obertöne herauslockt.
Für mehr Spektakel wird aber ein Projekt sorgen, dass an der Ostseite des Parks entstehen soll: ein Büro- und Wohnhaus nach Plänen von Coop Himmelb(l)au und Hermann Eisenköcks Büro Architektur Consult, eine Glas-und-Stahl-Glitzermaschine mit zwei Türmen und schwungvollem Sockel.
Spätestens bei diesen Namen im Grazer Kontext darf man stutzig werden: War da nicht noch etwas? Ein Modell Steiermark, das in den 1980er-Jahren im österreichischen Wohnbau eine Vorreiterrolle innehatte, mit von der Politik unterstützten Beamten wie Wolfdieter Dreibholz als Strippenzieher? Oder eine „Grazer Schule“, die sich zur selben Zeit international bemerkbar machte, mit Günther Domenig als Leitfigur? Auf dessen Einladung Wolf Prix und Helmut Swiczinsky 1980 an der TU Graz einen tonnenschweren „Flammenflügel“ brennen ließen, als Illustration zu ihrem Motto „Architektur muss brennen“?
Künstlerarchitekten
Viel weiter weg von dieser Architekturvorstellung könnte der Pragmatismus, der heute den Mainstream nicht nur der Grazer, sondern der Architektur im Allgemeinen prägt, nicht sein: auf der einen Seite die anonymen Dienstleister, auf der anderen Seite die kompromisslosen, geradezu besessenen Einzelkämpfer, die die Architekturgeschichte hinter sich lassen und ihre Ideen gegen eine Vielzahl von Widerständen durchsetzen. Dass sich hinter dieser für die Öffentlichkeit inszenierten Figur des Künstlerarchitekten eine komplexere Realität verbirgt, zeigt eine höchst gelungene Ausstellung, die derzeit im Kunsthaus Muerz in Mürzzuschlag zu sehen ist: „Wir Günther Domenig. Eine Korrektur.“ Ihr Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass das Wort „wir“ im Sprachgebrauch Günther Domenigs nicht existierte, seine Karriere aber von einem vielfältigen Netzwerk von Förderern, Partnern, Bauherren und nicht zuletzt Mitarbeitern getragen war.
Der Ausstellungsmacher Michael Zinganel hat dieses Netzwerk minutiös, Lebensphase für Lebensphase und Projekt für Projekt untersucht, von der frühen Partnerschaft mit Eilfried Huth bis hin zu Domenigs Lehrtätigkeit an der TU Graz und dem Netzwerk aus Diplomand:innen, die oft auch Mitarbeiter:innen in Domenigs Büro waren. Das klingt nach trockenem Stoff, ist aber höchst abwechslungsreich mit Originalmaterialien, Filmen und Modellen aufbereitet. Deutlich wird auch Domenigs erstaunliche Fähigkeit, intuitiv den nächsten Trend zu erkennen und von einer brutalistischen über eine technoide zu einer organischen Architektur zu finden, die sich schließlich auch als dekonstruktivistische darstellen ließ.
Bis zum Ende der Ausstellung am 5. Februar sind noch einige Kuratorenführungen angesetzt, die man Architekturinteressierten dringend empfehlen kann. Die raffiniert geknüpften Männernetzwerke, die hier zum Vorschein kommen, müssen uns nicht abgehen; die ansteckende Leidenschaft für die Sache Architektur aber sehr wohl.
Die beiden innerstädtischen Gebiete, die mit den größten Ambitionen entwickelt wurden, sind alte Industrieareale, beide im Westen in der früheren Vorstadt gelegen, jenseits der Bahn, die immer noch eine Barriere darstellt. Das kleinere der Areale, das sich als Smart City Graz positioniert, liegt unmittelbar an der Bahntrasse hinter dem Hauptbahnhof; das mit 52 Hektar deutlich größere, die Reininghausgründe, etwas weiter stadtauswärts im Südwesten. Beide Areale wurden mit neuen beziehungsweise erweiterten Straßenbahnlinien an den öffentlichen Verkehr angebunden.
Die Smart City hinter dem Bahnhof hat eine spezielle Entwicklungsgeschichte, deren erster Impuls auf zwei vom Architekten Markus Pernthaler entworfene Bauten zurückgeht, die List Halle und den Science Tower, die als Basilika und Campanile zum Nukleus eines Stadtquartiers wurden, das in dieser Form eigentlich nicht geplant war. Heute ist das Areal gerade in der letzten Phase der Fertigstellung; eine bewohnte Baustelle, an der man die städtebauliche Idee aber bereits gut ablesen kann: eine Stadt mit klaren Platz- und Straßenräumen, gemischt genutzt und hoch verdichtet. Trotz klassischer städtebaulicher Vorgaben gibt es eine gute Bandbreite an Gebäudelösungen, durchaus mit typologischen Innovationen.
Verkehrs- versus Freiraumplanung
Urbanität braucht neben Durchmischung und Dichte aber noch eine dritte Komponente, nämlich Theatralik, gewissermaßen die Art und Weise, wie Menschen und Räume im Alltag zu einem Ereignis verschmelzen. Ob es in der Smart City genug dafür geeignete Orte gibt, darf bezweifelt werden. Wie so oft in neuen Stadtvierteln schlägt die Verkehrsplanung die Freiraumplanung: Auch eine noch so gelungene Stadtmöblierung kann gegen überdimensionierte Asphaltflächen nicht viel ausrichten.
Das Reininghausquartier dürfte in Hinblick auf die Freiräume besser abschneiden. Hier ist erst ein Viertel der Bewohner eingezogen, im Herbst 2022 waren es 2300 Personen von 10.000, die hier im Endausbau vorgesehen sind. Dazu sollen 5000 Arbeitsplätze kommen. Maßstab für die vertikale Entwicklung des Gebiets war der Siloturm einer am Standort weiterhin in Betrieb befindlichen Malzfabrik. Hier entstehen mehrere Wohnhochhäuser mit 50 bis 70 Meter Höhe, unter anderem ein Green Tower mit begrünter Fassade von Thomas Pucher und ein Doppelturm nach Plänen der Architektengruppe Pentaplan, der auf einem Sockelgebäude aufsitzt. Dieser Sockel ist Teil der Randbebauung des Reininghausparks, der mit rund drei Hektar Fläche das grüne Herz des Gesamtprojekts werden soll. Eine kleine Wasserfläche am nördlichen Rand des Parks erinnert an die Eisteiche, die es hier zu Zeiten gab, als auf dem Areal noch Bier gebraut wurde. Die Randbebauung des Parks lag weitgehend in der Hand von Pentaplan, die alle von der Stadt vorgeschriebenen Wettbewerbe gewonnen haben. Ihre Architektur ist kostengünstig, intelligent organisiert und gut proportioniert. Sie vereint Pragmatik mit einem nicht zu dick aufgetragenen Witz, wenn sie etwa das große Bauvolumen, das die gesamte Nordseite des Parks markiert, einfach in einen beigen und einen rötlichen Teil gliedert und damit der großen Masse neue Obertöne herauslockt.
Für mehr Spektakel wird aber ein Projekt sorgen, dass an der Ostseite des Parks entstehen soll: ein Büro- und Wohnhaus nach Plänen von Coop Himmelb(l)au und Hermann Eisenköcks Büro Architektur Consult, eine Glas-und-Stahl-Glitzermaschine mit zwei Türmen und schwungvollem Sockel.
Spätestens bei diesen Namen im Grazer Kontext darf man stutzig werden: War da nicht noch etwas? Ein Modell Steiermark, das in den 1980er-Jahren im österreichischen Wohnbau eine Vorreiterrolle innehatte, mit von der Politik unterstützten Beamten wie Wolfdieter Dreibholz als Strippenzieher? Oder eine „Grazer Schule“, die sich zur selben Zeit international bemerkbar machte, mit Günther Domenig als Leitfigur? Auf dessen Einladung Wolf Prix und Helmut Swiczinsky 1980 an der TU Graz einen tonnenschweren „Flammenflügel“ brennen ließen, als Illustration zu ihrem Motto „Architektur muss brennen“?
Künstlerarchitekten
Viel weiter weg von dieser Architekturvorstellung könnte der Pragmatismus, der heute den Mainstream nicht nur der Grazer, sondern der Architektur im Allgemeinen prägt, nicht sein: auf der einen Seite die anonymen Dienstleister, auf der anderen Seite die kompromisslosen, geradezu besessenen Einzelkämpfer, die die Architekturgeschichte hinter sich lassen und ihre Ideen gegen eine Vielzahl von Widerständen durchsetzen. Dass sich hinter dieser für die Öffentlichkeit inszenierten Figur des Künstlerarchitekten eine komplexere Realität verbirgt, zeigt eine höchst gelungene Ausstellung, die derzeit im Kunsthaus Muerz in Mürzzuschlag zu sehen ist: „Wir Günther Domenig. Eine Korrektur.“ Ihr Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass das Wort „wir“ im Sprachgebrauch Günther Domenigs nicht existierte, seine Karriere aber von einem vielfältigen Netzwerk von Förderern, Partnern, Bauherren und nicht zuletzt Mitarbeitern getragen war.
Der Ausstellungsmacher Michael Zinganel hat dieses Netzwerk minutiös, Lebensphase für Lebensphase und Projekt für Projekt untersucht, von der frühen Partnerschaft mit Eilfried Huth bis hin zu Domenigs Lehrtätigkeit an der TU Graz und dem Netzwerk aus Diplomand:innen, die oft auch Mitarbeiter:innen in Domenigs Büro waren. Das klingt nach trockenem Stoff, ist aber höchst abwechslungsreich mit Originalmaterialien, Filmen und Modellen aufbereitet. Deutlich wird auch Domenigs erstaunliche Fähigkeit, intuitiv den nächsten Trend zu erkennen und von einer brutalistischen über eine technoide zu einer organischen Architektur zu finden, die sich schließlich auch als dekonstruktivistische darstellen ließ.
Bis zum Ende der Ausstellung am 5. Februar sind noch einige Kuratorenführungen angesetzt, die man Architekturinteressierten dringend empfehlen kann. Die raffiniert geknüpften Männernetzwerke, die hier zum Vorschein kommen, müssen uns nicht abgehen; die ansteckende Leidenschaft für die Sache Architektur aber sehr wohl.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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