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SOS Gründerzeit, Teil 2
Nicht nur in Wien wird über den Abbruch historischer Bausubstanz debattiert. Auch in anderen Städten und auf dem Land fällt sie oft der Baggerschaufel der Partikularinteressen zum Opfer.
28. Januar 2023 - Maik Novotny
Architekt Gunter Breckner hat in diesen Tagen eine Art Déjà-vu. Das Gebäude, das, wie er sagt, „wie ein Kind für mich ist“, braucht wieder seine Hilfe. Beim ersten Mal, in den 1980er-Jahren, ging es darum, das Haus überhaupt zu retten, es war vergessen, durch Aufbauten entstellt, stand leer, sein Interieur geplündert.
Es ist eine der Ikonen österreichischer Architekturgeschichte: das ehemalige Sanatorium in Purkersdorf im Wienerwald von Josef Hoffmann aus dem Jahr 1906, ein kubisch-kühles Bauwerk an der Schnittstelle der Eleganz des 19. und der Rationalität des 20. Jahrhunderts. Der Harvard-Architekturhistoriker Eduard Sekler schrieb 1986, das Sanatorium stehe „gleichwertig neben den besten zeitgenössischen Architekturschöpfungen“ und sei zu Recht international als Meisterwerk anerkannt.
Als Sekler dies schrieb, war das Sanatorium in desolatem Zustand, nicht zuletzt dank des Engagements von Gunter Breckner wurde es gerettet, in den 1990er-Jahren restauriert und steht unter Denkmalschutz. Warum ist 2023 wieder eine Rettungsaktion nötig? Nicht weil hier Abbruchbagger drohen, sondern weil die Gemeinde zwischen Sanatorium und Straße einen Kindergarten bauen will. Dieser sei wichtiger als die Sichtachse durch den Sanatoriumspark, der ja sowieso nicht öffentlich sei.
Das sehen nicht alle so. Auch der Garten gehöre zum Denkmalschutz, betont Markus Landerer von der Initiative Denkmalschutz, die gemeinsam mit der Aktionsgruppe Bauten in Not und der Zentralvereinigung der Architekten in Purkersdorf Protest eingelegt hat. „Es ist das übliche Spiel der Politik. Nutzungen für den „guten Zweck“ werden für geplante Verbauungen in sensiblen Natur- und Kulturräumen als Argument vorgeschoben, im Wissen, dass man deren Verbauung anders schwer begründen kann.“
Asphalt statt Park
Wie es aussieht, wenn man einem bauhistorischen Einzelstück mit der Sensibilität eines Sumoringers naherückt, lässt sich ein paar Wienerwaldkilometer weiter nachprüfen: 2012 erwarb die Gemeinde Pressbaum die Theophil-Hansen-Villa, erbaut vom Architekten des Parlaments, inklusive Park. Die Nutzung gestaltete sich schwierig, bis man auf die Universalfüllmasse des Wohnbaus zurückgriff: Im Juni 2022 wurden 48 geförderte Wohnungen übergeben, die sich unmittelbar hinter die kleine Villa drängen. Da zwei Stellplätze pro Wohnung vorgeschrieben sind, verwandelte sich der Park in ein Meer aus Asphalt. Drive-in-Wohnen, mit einer Villa als bezugslosem Pförtnerhäuschen.
Um diesen traurigen Zustand herzustellen, brauchte es gar keinen bösen Willen, denn oft steckt eigentlich gut Gemeintes hinter schlechten Ergebnissen. Die Wohnbauförderung in Niederösterreich begünstigt das Bauen im Ortskern – an sich eine gute Sache, denn so wird Zersiedelung am Rand vermieden. Nachteil ist, dass alte Wohn- und Wirtshäuser, die früher das Leben im Ortskern ausmachten, oft diesen Sachzwängen weichen müssen.
So drehen sich die gewohnten Rädchen bewährter Abläufe, die auf heute fragwürdig erscheinenden Wertvorstellungen beruhen. Für Reparatur statt Neubau, Mikroklima statt Hitzeinseln, Sonderlösungen statt Standardware ist wenig Platz und noch weniger Geld. Doch so werden Realitäten geschaffen, die Jahrzehnte bleiben, und Teile der gebauten und gewachsenen Umwelt zerstört, die nicht wiederkommen.
Keine Schutzzonen
Diskussionen gab es auch in St. Pölten, wo das nicht denkmalgeschützte Alte Presshaus mit seiner Sgraffitofassade 2018 abgebrochen und mit Maximale-Kubatur-hineinstopf-Architektur ersetzt wurde. Eine Schutzzone, die auch bei fehlendem Denkmalschutz die Abbruchlust hätte bremsen können, gab es damals ebenso wenig wie bei der 1899 erbauten Hüfner-Villa beim Bahnhof Grieskirchen. Diese ist seit dem 15. Mai 2022 Geschichte – „schweren Herzens“, so der Geschäftsführer der Firma Lagerhaus, die das Haus erworben hatte.
Gründerzeitvillen und Ikonen: Sind die Klagen über die Abrisse nur Zeichen einer feudalen Nostalgie oder Konfliktzone für Denkmalpflegenerds? Das greift zu kurz, denn auch wenn nicht jedes Einfamilienhaus eines k. u. k. Fabrikanten kunsthistorisches Gold ist, gilt heute der sorglose Abriss an sich schon als Problem, allein aufgrund der Klimabilanz. Wurde früher die Behauptung, etwas sei baufällig, abbruchreif oder „in die Jahre gekommen“, brav abgenickt, kommt man heute nicht mehr so einfach damit durch.
Zerstörte Arbeitersiedlung
Nicht nur das, auch um historische Bauten für die Arbeiterklasse wird gekämpft. In Villach formierte sich eine engagierte Initiativgruppe für den Erhalt der Kanaltalersiedlung aus den 1940er-Jahren, nachdem sie 2015 aus der Zeitung erfahren hatte, dass die Landeswohnbau Kärnten (LWBK) den Komplettabriss plante. Die Gruppe erarbeitete ein alternatives Sanierungsprojekt und erstellte einen Leitfaden „Quartier & Wir“, der nachvollziehbar argumentierte, dass eine Sanierung eine bessere Ökobilanz hat als Abriss und Neubau. Doch für den Anlassfall selbst war es ein Optimismus mit Ablaufdatum. In diesem Winter fräsen sich die Bagger durch die Siedlung, die LBWK-Neubauten werden als „Reconstructing“-Projekt tituliert. Das kann man ohne viel Mühe als Zynismus lesen.
In Linz wird seit vielen Jahren um die von 1927 bis 1931 erbaute Hafenarbeiter-Siedlung an der Sintstraße gerungen, 2020 wurde das Areal mit seinen denkmalgeschützten 18 Kleinhäusern vom stadteigenen Wohnbauträger GWG an die private Strabag verkauft. „Kein Ideenwettbewerb, keine städtebauliche Ambition, kein Wille, aus dieser Perle ein Vorzeigeprojekt mit leistbarem Wohnen für junge Familien zu machen“, sagt Lorenz Potocnik, Stadtentwickler und Kommunalpolitiker der Bürgerliste Linzplus, und fürchtet einen Teilabriss des Gartenstadtensembles.
Alles Einzelfälle oder Zeichen einer beschädigten Baukultur? Sensibler ist der Umgang mit Altbauten nicht geworden, sagt Architekt Ernst Beneder, Mitglied in vielen Gestaltungsbeiräten, derzeit in Salzburg und St. Pölten. „Abbrüche geschehen auch dort, wo es bis vor kurzem niemand vermutet hätte. Es trifft die Altstädte im Kern genauso wie deren Passepartout, die Zonen unscheinbarer baulicher Substanz, die allerdings erst dem Stadtbild seinen Rahmen, also den topografischen und sozialen Kontext, geben. Und es geschieht merkbar häufiger.“
„Der schmerzlichste Verlust ist dabei nicht die Bildwirkung, sondern die identitätsstiftende räumliche Komplexität, im Inneren und in der stadträumlich wirksamen Stellung der Häuser zueinander. Der Ersatz durch spekulative Neubauten bietet diesen vielfach nicht.“
Es ist eine der Ikonen österreichischer Architekturgeschichte: das ehemalige Sanatorium in Purkersdorf im Wienerwald von Josef Hoffmann aus dem Jahr 1906, ein kubisch-kühles Bauwerk an der Schnittstelle der Eleganz des 19. und der Rationalität des 20. Jahrhunderts. Der Harvard-Architekturhistoriker Eduard Sekler schrieb 1986, das Sanatorium stehe „gleichwertig neben den besten zeitgenössischen Architekturschöpfungen“ und sei zu Recht international als Meisterwerk anerkannt.
Als Sekler dies schrieb, war das Sanatorium in desolatem Zustand, nicht zuletzt dank des Engagements von Gunter Breckner wurde es gerettet, in den 1990er-Jahren restauriert und steht unter Denkmalschutz. Warum ist 2023 wieder eine Rettungsaktion nötig? Nicht weil hier Abbruchbagger drohen, sondern weil die Gemeinde zwischen Sanatorium und Straße einen Kindergarten bauen will. Dieser sei wichtiger als die Sichtachse durch den Sanatoriumspark, der ja sowieso nicht öffentlich sei.
Das sehen nicht alle so. Auch der Garten gehöre zum Denkmalschutz, betont Markus Landerer von der Initiative Denkmalschutz, die gemeinsam mit der Aktionsgruppe Bauten in Not und der Zentralvereinigung der Architekten in Purkersdorf Protest eingelegt hat. „Es ist das übliche Spiel der Politik. Nutzungen für den „guten Zweck“ werden für geplante Verbauungen in sensiblen Natur- und Kulturräumen als Argument vorgeschoben, im Wissen, dass man deren Verbauung anders schwer begründen kann.“
Asphalt statt Park
Wie es aussieht, wenn man einem bauhistorischen Einzelstück mit der Sensibilität eines Sumoringers naherückt, lässt sich ein paar Wienerwaldkilometer weiter nachprüfen: 2012 erwarb die Gemeinde Pressbaum die Theophil-Hansen-Villa, erbaut vom Architekten des Parlaments, inklusive Park. Die Nutzung gestaltete sich schwierig, bis man auf die Universalfüllmasse des Wohnbaus zurückgriff: Im Juni 2022 wurden 48 geförderte Wohnungen übergeben, die sich unmittelbar hinter die kleine Villa drängen. Da zwei Stellplätze pro Wohnung vorgeschrieben sind, verwandelte sich der Park in ein Meer aus Asphalt. Drive-in-Wohnen, mit einer Villa als bezugslosem Pförtnerhäuschen.
Um diesen traurigen Zustand herzustellen, brauchte es gar keinen bösen Willen, denn oft steckt eigentlich gut Gemeintes hinter schlechten Ergebnissen. Die Wohnbauförderung in Niederösterreich begünstigt das Bauen im Ortskern – an sich eine gute Sache, denn so wird Zersiedelung am Rand vermieden. Nachteil ist, dass alte Wohn- und Wirtshäuser, die früher das Leben im Ortskern ausmachten, oft diesen Sachzwängen weichen müssen.
So drehen sich die gewohnten Rädchen bewährter Abläufe, die auf heute fragwürdig erscheinenden Wertvorstellungen beruhen. Für Reparatur statt Neubau, Mikroklima statt Hitzeinseln, Sonderlösungen statt Standardware ist wenig Platz und noch weniger Geld. Doch so werden Realitäten geschaffen, die Jahrzehnte bleiben, und Teile der gebauten und gewachsenen Umwelt zerstört, die nicht wiederkommen.
Keine Schutzzonen
Diskussionen gab es auch in St. Pölten, wo das nicht denkmalgeschützte Alte Presshaus mit seiner Sgraffitofassade 2018 abgebrochen und mit Maximale-Kubatur-hineinstopf-Architektur ersetzt wurde. Eine Schutzzone, die auch bei fehlendem Denkmalschutz die Abbruchlust hätte bremsen können, gab es damals ebenso wenig wie bei der 1899 erbauten Hüfner-Villa beim Bahnhof Grieskirchen. Diese ist seit dem 15. Mai 2022 Geschichte – „schweren Herzens“, so der Geschäftsführer der Firma Lagerhaus, die das Haus erworben hatte.
Gründerzeitvillen und Ikonen: Sind die Klagen über die Abrisse nur Zeichen einer feudalen Nostalgie oder Konfliktzone für Denkmalpflegenerds? Das greift zu kurz, denn auch wenn nicht jedes Einfamilienhaus eines k. u. k. Fabrikanten kunsthistorisches Gold ist, gilt heute der sorglose Abriss an sich schon als Problem, allein aufgrund der Klimabilanz. Wurde früher die Behauptung, etwas sei baufällig, abbruchreif oder „in die Jahre gekommen“, brav abgenickt, kommt man heute nicht mehr so einfach damit durch.
Zerstörte Arbeitersiedlung
Nicht nur das, auch um historische Bauten für die Arbeiterklasse wird gekämpft. In Villach formierte sich eine engagierte Initiativgruppe für den Erhalt der Kanaltalersiedlung aus den 1940er-Jahren, nachdem sie 2015 aus der Zeitung erfahren hatte, dass die Landeswohnbau Kärnten (LWBK) den Komplettabriss plante. Die Gruppe erarbeitete ein alternatives Sanierungsprojekt und erstellte einen Leitfaden „Quartier & Wir“, der nachvollziehbar argumentierte, dass eine Sanierung eine bessere Ökobilanz hat als Abriss und Neubau. Doch für den Anlassfall selbst war es ein Optimismus mit Ablaufdatum. In diesem Winter fräsen sich die Bagger durch die Siedlung, die LBWK-Neubauten werden als „Reconstructing“-Projekt tituliert. Das kann man ohne viel Mühe als Zynismus lesen.
In Linz wird seit vielen Jahren um die von 1927 bis 1931 erbaute Hafenarbeiter-Siedlung an der Sintstraße gerungen, 2020 wurde das Areal mit seinen denkmalgeschützten 18 Kleinhäusern vom stadteigenen Wohnbauträger GWG an die private Strabag verkauft. „Kein Ideenwettbewerb, keine städtebauliche Ambition, kein Wille, aus dieser Perle ein Vorzeigeprojekt mit leistbarem Wohnen für junge Familien zu machen“, sagt Lorenz Potocnik, Stadtentwickler und Kommunalpolitiker der Bürgerliste Linzplus, und fürchtet einen Teilabriss des Gartenstadtensembles.
Alles Einzelfälle oder Zeichen einer beschädigten Baukultur? Sensibler ist der Umgang mit Altbauten nicht geworden, sagt Architekt Ernst Beneder, Mitglied in vielen Gestaltungsbeiräten, derzeit in Salzburg und St. Pölten. „Abbrüche geschehen auch dort, wo es bis vor kurzem niemand vermutet hätte. Es trifft die Altstädte im Kern genauso wie deren Passepartout, die Zonen unscheinbarer baulicher Substanz, die allerdings erst dem Stadtbild seinen Rahmen, also den topografischen und sozialen Kontext, geben. Und es geschieht merkbar häufiger.“
„Der schmerzlichste Verlust ist dabei nicht die Bildwirkung, sondern die identitätsstiftende räumliche Komplexität, im Inneren und in der stadträumlich wirksamen Stellung der Häuser zueinander. Der Ersatz durch spekulative Neubauten bietet diesen vielfach nicht.“
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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