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„Materialnomaden“ feiern Erntedank auf dem Baufeld
Die „Materialnomaden“ bergen aus Häusern Schätze, die andere gar nicht sehen. Und machen sie für alle nutzbar.
30. Januar 2023 - Norbert Philipp
Auch eine Kegelhalle, die in die Jahre gekommen ist, kann eine wertvolle Ressource sein. Als Raum für ein Unternehmen etwa, das sich selbst um Ressourcen kümmert. Noch dazu vor allem um jene, die viele in der Architekturszene und Bauwirtschaft noch gar nicht als solche wahrgenommen hätten. Das Büro, das sich „Materialnomaden“ nennt, schürft von Wien Favoriten aus nach Materialschätzen, die längst verbaut sind, in den Häusern genauso wie in den Kegelhallen des Landes.
Heben muss die „Schätze“ trotzdem jemand. Oder besser: „ernten“. Dann rücken die „Materialnomaden“ aus, auf die Baufelder, auf denen die neue Architektur die alte gerade ablöst. Der Architektur-Urbanismus-Volksmund sagt dazu manchmal auch: „Urban Mining“. Doch für die „Materialnomaden“ sind das Schürfen und Ernten nur die ersten ihrer vielen Aufgaben, wie Peter Kneidinger erklärt. Der Bauingenieur, der gern tief in technische Materialdetails eintaucht, leitet das Büro gemeinsam mit Andrea Kessler, die als Architektin die gestalterische Perspektive im Augenwinkel behält. Zusammen mit einem interdisziplinären Team möchten sie beim Bauen miteinander verschweißen, was bislang kaum verknüpft scheint: nämlich das Ende des einen Projekts mit dem Anfang eines anderen. Aus vielen einzelnen Segmenten und Prozessen soll ein Kreislauf werden. Und eine der Werkstätten, in der das geschehen soll, ist die Kegelhalle in Wien Favoriten, die „zum ersten Circular Hub Österreichs geworden ist“, erzählt Peter Kneidinger. Heute ist er eine Sammelstelle für all die Daten und Expertise, die man so generieren kann – zu Bauteilen mit Zukunft, die man aus Gebäuden holt, die selbst keine mehr haben.
Nachgenutzt, wiederverwertet
Die Kegelhalle ist Büro, Ideenlabor und Materialwerkstatt. Dort veredelt das Team der „Materialnomaden“ ehemals genutzte Bauteile zu neuem Potenzial. Ein Haufen an Material, von dem man früher nicht wusste, wohin damit, wird systematisch mit gestalterischen Perspektiven aktualisiert. Dem Standort selbst geht es wie dem Großteil der Architektur – er hat ein Ablaufdatum. Diesen Sommer ist Schluss. Doch dann werden die „Materialnomaden“ an anderer Stelle das Ende eines Bauprojekts mit dem Anfang eines anderen verknüpfen. Noch lässt das Büro in der „Kreta“ in Wien Favoriten, die in der Gründerzeit als eine der ärmsten Wiens verschrien war, die Gedanken strawanzen. Mit einem klaren Ziel: Architektur und Bauen kreislauffähig zu machen. Auf den Außenflächen vor der Halle stapeln sich Bauteile, die man bei Rückbauten und Abrissen zuvor aus dem Bestand geholt hat.
Aluminium-Außenjalousien etwa, die die „Materialnomaden“ selbst zu Dachpaneelen upgegradet haben. Oder andere Paneele, ebenfalls aus Aluminium, unter denen Hunderttausende Menschen in den letzten Jahrzehnten in die Stadt gependelt sind, jene der alten blau-weißen Schnellbahnmodelle „4020“, die gerade von den ÖBB ausrangiert werden. Gerade Aluminium sei besonders wertvoll, erklärt Peter Kneidinger: „Man muss rechnen, dass eine Tonne davon acht Tonnen CO2 produziert.“ Ein guter Anlass, die Paneele zu einer Wandverkleidung in der „Magdas“ Großküche zu falten, diesmal sogar mit akustischer Zusatzfunktion.
Erntehelfer
Nachnutzung – ein nachhaltiger Aspekt der Architektur. Und das ist bei Materialien und Bauteilen auch nicht anders als bei Räumen. Denn wenn sie die Entwürfe der Architekturbüros offen und flexibel anlegen, erhöht sich die potenzielle Nutzungsdauer. Auch die Kegelhalle hätte wohl nicht gedacht, dass hier einmal „Materialnomaden“ an Bauteilen schrauben. Und die Mitarbeiter und Architektinnen mit ihren Ideen und Herzblut punkten statt mit Vor- oder Rückhand an den Tischtennis-Tischen, auf denen heute ihre Computer stehen. Doch auch aus der Kegelhalle wird das, was aus den meisten Gebäuden einmal wird: ein Haufen Schutt.
Üblicherweise rollen dann die Lkw an, um ihn wegzubringen. Damit später noch mehr Lkw kommen können, um neues Material und neue Bauteile heranzukarren. Schon das Material selbst hat bis dorthin ganz schön viel auf das CO2-Konto eingezahlt. Der Transport legt noch einiges drauf. Da suchen Peter Kneidinger, Andrea Kessler und ihr Team doch lieber nach Abkürzungen und vor allem nach Kreisläufen, in die sie Bauteile, die sie zuvor katalogisiert haben, einklinken können. An anderer Stelle vielleicht. Oder noch besser natürlich: gleich an ein- und derselben.
So bleiben dann und wann schon Bauteile direkt am Bauplatz. Wenn auch in anderer Funktion. Beim Projekt „Grellgasse“ in Wien vom Bauträger Schwarzatal, das von Knötzl Architekten umgesetzt wurde, war das etwa so. Zuvor stand dort ein Bürohaus der OMV. In Workshops mit Eigentümern und Architekten erarbeiteten die „Materialnomaden“ gestalterische Potenziale für die vorgefundenen Bauteile. Gemeinsam mit Landschaftsarchitektin Carla Lo etwa für die Gestaltung des Außenraums. Dafür entwickelte das Büro Bänke aus Betonfassaden-Elementen. Und auch in der Kletterwand am Spielplatz sollte die bauliche Vergangenheit durchschlagen. Doch einer spielte nicht mit: der TÜV und seine Standards. Aber für die Beschattung der Sandkiste hat’s gereicht. „Bei solchen Projekten muss man in der Nachnutzung auch flexibel bleiben“, sagt Kneidinger. Das funktioniert, wenn die Bauteile detailliert aufgearbeitet sind. Damit die Gestalter auch wissen, was sie den Elementen später im Entwurf zumuten dürfen. Schließlich sei „Nein, das geht nicht“ einer der häufigsten Stehsätze im Prozess, erzählt Kneidinger. Gefolgt von der Standardfrage: „Und wer übernimmt die Haftung?“
Kataloge
Schon deshalb löschen die „Materialnomaden“ vorsorglich gleich die größten Fragezeichen für die Nachnutzung. Bei Bauteilen von Fliesen, Türen bis hin zu Teilen ehemaliger Beichtstühle. Im „Magdas Hotel“ im dritten Bezirk Wiens verkleiden sie nun die Bar im Lokal. Dafür musste man sie aber nach brandschutztechnischen Standards neu lackieren. Das Haus war zuvor ein Priesterheim der Caritas. Als die Nutzer auszogen, wurden auch die Beichtstühle obsolet. An gleicher Stelle reaktivierten die „Materialnomaden“ auch unzählige Leuchten. Nachdem sie sie neu zertifizieren ließen und mit LED-Komponenten bestückten.
Schon oft sind die „Materialnomaden“ ausgerückt, um aus Büroimmobilien Hunderte Quadratmeter Parkett auszubauen. „Mit Werkzeugen und Methoden, die wir selbst entwickelt haben“, sagt Kneidinger, „damit die Bauteile unversehrt bleiben“. Wie auch aus einem ehemaligen Fitnesscenter am Columbusplatz. „Doch das noch Wertvollere lag unsichtbar darunter.“ Die Trittschalldämmung. Inzwischen macht sie sich in einem ganz anderen Projekt nützlich. Unter der Bühne des Theaters Werk X in Wien.
Heben muss die „Schätze“ trotzdem jemand. Oder besser: „ernten“. Dann rücken die „Materialnomaden“ aus, auf die Baufelder, auf denen die neue Architektur die alte gerade ablöst. Der Architektur-Urbanismus-Volksmund sagt dazu manchmal auch: „Urban Mining“. Doch für die „Materialnomaden“ sind das Schürfen und Ernten nur die ersten ihrer vielen Aufgaben, wie Peter Kneidinger erklärt. Der Bauingenieur, der gern tief in technische Materialdetails eintaucht, leitet das Büro gemeinsam mit Andrea Kessler, die als Architektin die gestalterische Perspektive im Augenwinkel behält. Zusammen mit einem interdisziplinären Team möchten sie beim Bauen miteinander verschweißen, was bislang kaum verknüpft scheint: nämlich das Ende des einen Projekts mit dem Anfang eines anderen. Aus vielen einzelnen Segmenten und Prozessen soll ein Kreislauf werden. Und eine der Werkstätten, in der das geschehen soll, ist die Kegelhalle in Wien Favoriten, die „zum ersten Circular Hub Österreichs geworden ist“, erzählt Peter Kneidinger. Heute ist er eine Sammelstelle für all die Daten und Expertise, die man so generieren kann – zu Bauteilen mit Zukunft, die man aus Gebäuden holt, die selbst keine mehr haben.
Nachgenutzt, wiederverwertet
Die Kegelhalle ist Büro, Ideenlabor und Materialwerkstatt. Dort veredelt das Team der „Materialnomaden“ ehemals genutzte Bauteile zu neuem Potenzial. Ein Haufen an Material, von dem man früher nicht wusste, wohin damit, wird systematisch mit gestalterischen Perspektiven aktualisiert. Dem Standort selbst geht es wie dem Großteil der Architektur – er hat ein Ablaufdatum. Diesen Sommer ist Schluss. Doch dann werden die „Materialnomaden“ an anderer Stelle das Ende eines Bauprojekts mit dem Anfang eines anderen verknüpfen. Noch lässt das Büro in der „Kreta“ in Wien Favoriten, die in der Gründerzeit als eine der ärmsten Wiens verschrien war, die Gedanken strawanzen. Mit einem klaren Ziel: Architektur und Bauen kreislauffähig zu machen. Auf den Außenflächen vor der Halle stapeln sich Bauteile, die man bei Rückbauten und Abrissen zuvor aus dem Bestand geholt hat.
Aluminium-Außenjalousien etwa, die die „Materialnomaden“ selbst zu Dachpaneelen upgegradet haben. Oder andere Paneele, ebenfalls aus Aluminium, unter denen Hunderttausende Menschen in den letzten Jahrzehnten in die Stadt gependelt sind, jene der alten blau-weißen Schnellbahnmodelle „4020“, die gerade von den ÖBB ausrangiert werden. Gerade Aluminium sei besonders wertvoll, erklärt Peter Kneidinger: „Man muss rechnen, dass eine Tonne davon acht Tonnen CO2 produziert.“ Ein guter Anlass, die Paneele zu einer Wandverkleidung in der „Magdas“ Großküche zu falten, diesmal sogar mit akustischer Zusatzfunktion.
Erntehelfer
Nachnutzung – ein nachhaltiger Aspekt der Architektur. Und das ist bei Materialien und Bauteilen auch nicht anders als bei Räumen. Denn wenn sie die Entwürfe der Architekturbüros offen und flexibel anlegen, erhöht sich die potenzielle Nutzungsdauer. Auch die Kegelhalle hätte wohl nicht gedacht, dass hier einmal „Materialnomaden“ an Bauteilen schrauben. Und die Mitarbeiter und Architektinnen mit ihren Ideen und Herzblut punkten statt mit Vor- oder Rückhand an den Tischtennis-Tischen, auf denen heute ihre Computer stehen. Doch auch aus der Kegelhalle wird das, was aus den meisten Gebäuden einmal wird: ein Haufen Schutt.
Üblicherweise rollen dann die Lkw an, um ihn wegzubringen. Damit später noch mehr Lkw kommen können, um neues Material und neue Bauteile heranzukarren. Schon das Material selbst hat bis dorthin ganz schön viel auf das CO2-Konto eingezahlt. Der Transport legt noch einiges drauf. Da suchen Peter Kneidinger, Andrea Kessler und ihr Team doch lieber nach Abkürzungen und vor allem nach Kreisläufen, in die sie Bauteile, die sie zuvor katalogisiert haben, einklinken können. An anderer Stelle vielleicht. Oder noch besser natürlich: gleich an ein- und derselben.
So bleiben dann und wann schon Bauteile direkt am Bauplatz. Wenn auch in anderer Funktion. Beim Projekt „Grellgasse“ in Wien vom Bauträger Schwarzatal, das von Knötzl Architekten umgesetzt wurde, war das etwa so. Zuvor stand dort ein Bürohaus der OMV. In Workshops mit Eigentümern und Architekten erarbeiteten die „Materialnomaden“ gestalterische Potenziale für die vorgefundenen Bauteile. Gemeinsam mit Landschaftsarchitektin Carla Lo etwa für die Gestaltung des Außenraums. Dafür entwickelte das Büro Bänke aus Betonfassaden-Elementen. Und auch in der Kletterwand am Spielplatz sollte die bauliche Vergangenheit durchschlagen. Doch einer spielte nicht mit: der TÜV und seine Standards. Aber für die Beschattung der Sandkiste hat’s gereicht. „Bei solchen Projekten muss man in der Nachnutzung auch flexibel bleiben“, sagt Kneidinger. Das funktioniert, wenn die Bauteile detailliert aufgearbeitet sind. Damit die Gestalter auch wissen, was sie den Elementen später im Entwurf zumuten dürfen. Schließlich sei „Nein, das geht nicht“ einer der häufigsten Stehsätze im Prozess, erzählt Kneidinger. Gefolgt von der Standardfrage: „Und wer übernimmt die Haftung?“
Kataloge
Schon deshalb löschen die „Materialnomaden“ vorsorglich gleich die größten Fragezeichen für die Nachnutzung. Bei Bauteilen von Fliesen, Türen bis hin zu Teilen ehemaliger Beichtstühle. Im „Magdas Hotel“ im dritten Bezirk Wiens verkleiden sie nun die Bar im Lokal. Dafür musste man sie aber nach brandschutztechnischen Standards neu lackieren. Das Haus war zuvor ein Priesterheim der Caritas. Als die Nutzer auszogen, wurden auch die Beichtstühle obsolet. An gleicher Stelle reaktivierten die „Materialnomaden“ auch unzählige Leuchten. Nachdem sie sie neu zertifizieren ließen und mit LED-Komponenten bestückten.
Schon oft sind die „Materialnomaden“ ausgerückt, um aus Büroimmobilien Hunderte Quadratmeter Parkett auszubauen. „Mit Werkzeugen und Methoden, die wir selbst entwickelt haben“, sagt Kneidinger, „damit die Bauteile unversehrt bleiben“. Wie auch aus einem ehemaligen Fitnesscenter am Columbusplatz. „Doch das noch Wertvollere lag unsichtbar darunter.“ Die Trittschalldämmung. Inzwischen macht sie sich in einem ganz anderen Projekt nützlich. Unter der Bühne des Theaters Werk X in Wien.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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