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Werkzeuge zur Weltrettung
Das Architekturzentrum Wien würdigt in einer großen Ausstellung die pakistanische Architektin Yasmeen Lari, die seit Jahrzehnten traditionelle Bautechniken fürs postfossile Zeitalter weiterentwickelt.
11. März 2023 - Maik Novotny
Die Zahlen sind kaum vorstellbar: Rund 33 Millionen Menschen wurden durch die Flutkatastrophe des letzten Sommers in Pakistan obdachlos, viermal die Einwohnerzahl Österreichs. Während damals die ersten nationalen und internationalen Hilfsaktionen langsam anliefen, war eine über 80-jährige Frau sofort zur Stelle. Die Architektin Yasmeen Lari gab per täglicher Videobotschaft konkrete Anleitungen an die Bevölkerung, wie sie sich eigenständig Schutzbauten errichten konnte.
Das Video vom Sommer 2022 ist am Anfang der Ausstellung zu sehen, die diese Woche im Architekturzentrum Wien eröffnet wurde. Es ist weltweit die erste über Yasmeen Lari, kuratiert von AzW-Direktorin Angelika Fitz und Elke Krasny, die schon 2019 ihre Schau Critical Care – Architecture and Urbanism for a Broken Planet lokalen Strategien gegen globale Katastrophen gewidmet und den Blick über den Rand des westlichen Kanons hinaus gerichtet hatten. Wie der Untertitel Architektur für die Zukunft schon andeutet, wird hier in einer Parallelmontage die Biografie Laris ebenso erzählt wie die sich ändernden Vorstellungen des Bauens in ein imaginiertes Danach, vom Optimismus bis zum Krisenmodus.
1941 als Tochter einer wohlhabenden Familie geboren, studierte sie in Oxford und gründete nach der Rückkehr ihr eigenes Büro. Für sie selbst sei das, sagt sie, ganz logisch gewesen. Aber eine selbstständige Frau Architektin, das war damals nicht nur in Pakistan, sondern weltweit ungewöhnlich. Ihre ersten Jahre waren geprägt von der Aufbruchsstimmung des jungen, soeben von der britischen Kolonialherrschaft befreiten Staates, und die dazu passende Architektur war modern wie ihr 1973 entworfenes eigenes Wohnhaus in Karatschi, ein luftiges Betongebilde, in dem sie heute noch lebt und arbeitet.
Für Reich und Arm
Doch gleichzeitig entdeckte sie gemeinsam mit ihrem Mann auf vielen Exkursionen die Baugeschichte ihres Heimatlandes neu. Die Erkenntnisse wurden erstmals 1975 in ihrem sozialen Wohnbau in Karatschi realisiert, einem Labyrinth aus Ziegeln und Terrassen, das genau auf die Bedürfnisse seiner Bewohnerinnen reagierte. Bauen für die Reichen und die Armen: Diesen Spagat setzte Lari in den 1980er-Jahren fort, als sie mit prestigeträchtigen Bauten wie der Konzernzentrale von Pakistan State Oil und dem Financial Trade Center zur bekanntesten Architektin des Landes wurde – ein Berufszweig, den sie erst etablieren musste, gegen den Widerstand von Ingenieuren und Bauindustrie. Gleichzeitig engagierte sie sich für den Denkmalschutz und entwickelte erste Selbstbausysteme.
Nach diesen erfolgreichen Jahrzehnten hatte sie genug davon, Auftragnehmerin zu sein, und wandte sich der Theorie und der Forschung zu. So hätte sich eine Architektinnenbiografie mit einem akademischen zweiten Akt schön abrunden lassen, doch dann kam es 2005 in Kaschmir zu einem der verheerendsten Erdbeben in Südostasien. Es signalisierte für Yasmeen Lari eine sofortige Rückkehr zur Praxis, es war die Gelegenheit, all das, was sie über Jahrzehnte gelernt hatte, zum Vorteil vieler Menschen anzuwenden.
Ihr System aus vorgefertigten Bambusbauteilen, die von jedem mit vor Ort vorhandenen Materialien wie Lehm und Stroh selbstständig ergänzt werden konnten, verstand sie als bewusstes Gegenmodell zur schwerfälligen Nothilfearchitektur der internationalen Hilfsorganisationen, die, wie sie sagt, eng mit der Bauindustrie verbunden sind.
Demut statt Ego
„Ich glaube nicht an Geld,“ sagt Lari. „Zu viel Geld ist destruktiv und verhindert das kreative Denken. Mir geht es darum, in die Fähigkeiten der Menschen zu investieren. Baustoffe wie Lehm kann jeder verwenden, zudem sind es Baustoffe, aus denen keine korrupte Schattenwirtschaft entstehen kann.“ Dabei geht es ihr nicht darum, traditionelle Bauweisen zu kopieren, sondern sie für das 21. Jahrhundert zu adaptieren. 2016 gründete sie das Zero Carbon Cultural Centre, ein Forschungs- und Entwicklungslabor für eine klimaschonende Bauwirtschaft und ein Ausbildungszentrum für die Bevölkerung. Eine Weiterbildung, die für die Architektin keine Einbahnstraße ist, wie sie im ΔTANDARD-Gespräch betont. „Ich wurde wie alle Architekten zum Egoismus ausgebildet, aber ich konnte das Ego und die Kontrolle abgeben. Man kann so viel von anderen lernen, vor allem in der Zusammenarbeit mit Frauen.“
Es sei natürlich kein Zufall, dass die Ausstellung am Internationalen Frauentag eröffnet wurde, sagt Angelika Fitz. „Uns geht es um eine Erweiterung der männlich und westlich dominierten Architekturgeschichte, um Dekolonialisierung und Dekarbonisierung.“ Die luftige Ausstellungsarchitektur aus lokalem Holz und Leinen spiegelt mit ihrem geringen CO2 -Fußabdruck diese Haltung wider und bildet einen unaufdringlichen Hintergrund für die Fülle an Material, das hier erstmals gezeigt wird. Den beiden Kuratorinnen, die 2022 eine Recherchereise nach Pakistan unternahmen, hatte die Architektin ihr gesamtes Archiv zur Verfügung gestellt.
Es ist eine Ausstellung, die die Frage, was Architektur ist und kann, wieder von Neuem stellt: Wann ist ein Obdach nur ein Obdach, und wann ist es Architektur? Eben dann, wenn, wie hier, technisches, baukulturelles und klimatisches Wissen, soziale Kompetenz, Organisation und Infrastruktur mit bestmöglicher Wirkungsbreite angewendet werden. „Das Bauen trägt massiv zur Klimakrise bei, aber es kann auch Teil der Lösung werden“, sagt Angelika Fitz. „Auch wir müssen uns fragen, wie eine lokale Bauwende aussehen könnte.“
Der Schlusspunkt der locker chronologisch erzählten Ausstellung ist von absichtlicher Undramatik. Eine Auswahl des von Yasmeen Lari optimierten Grundzubehörs fürs Leben und Überleben. Ein Herd, eine Toilette, fließendes Wasser. Kluge Systeme, schnell und vielfach multiplizierbar. Ein Survival-Kit für das Jahrhundert der beschleunigenden Klimakatastrophen, das Handwerkszeug für eine Architektur des 21. Jahrhunderts, die die eigenen Fehler des 20. Jahrhunderts korrigieren kann und muss. „Wir haben zu viel konsumiert, zu viele Ressourcen verbraucht“, sagt Yasmeen Lari. „Jetzt ist es an uns Architekten, das zu reparieren.“ In Zeiten, da eine 180-Kilometer-Stadt in der saudi-arabischen Wüste mit einer machohaft auftrumpfenden Architektur der Verschwendung ernsthaft als Idee für die Zukunft diskutiert wird, weist Laris schwarmintelligente Zero-Carbon-Ideenfabrik den Weg zur postfossilen Hoffnung.
[ Yasmeen Lari Architektur für die Zukunft, Architekturzentrum Wien, bis 16. August 2023; der Katalog zur Ausstellung in englischer Sprache ist bei MIT Press erschienen ]
Das Video vom Sommer 2022 ist am Anfang der Ausstellung zu sehen, die diese Woche im Architekturzentrum Wien eröffnet wurde. Es ist weltweit die erste über Yasmeen Lari, kuratiert von AzW-Direktorin Angelika Fitz und Elke Krasny, die schon 2019 ihre Schau Critical Care – Architecture and Urbanism for a Broken Planet lokalen Strategien gegen globale Katastrophen gewidmet und den Blick über den Rand des westlichen Kanons hinaus gerichtet hatten. Wie der Untertitel Architektur für die Zukunft schon andeutet, wird hier in einer Parallelmontage die Biografie Laris ebenso erzählt wie die sich ändernden Vorstellungen des Bauens in ein imaginiertes Danach, vom Optimismus bis zum Krisenmodus.
1941 als Tochter einer wohlhabenden Familie geboren, studierte sie in Oxford und gründete nach der Rückkehr ihr eigenes Büro. Für sie selbst sei das, sagt sie, ganz logisch gewesen. Aber eine selbstständige Frau Architektin, das war damals nicht nur in Pakistan, sondern weltweit ungewöhnlich. Ihre ersten Jahre waren geprägt von der Aufbruchsstimmung des jungen, soeben von der britischen Kolonialherrschaft befreiten Staates, und die dazu passende Architektur war modern wie ihr 1973 entworfenes eigenes Wohnhaus in Karatschi, ein luftiges Betongebilde, in dem sie heute noch lebt und arbeitet.
Für Reich und Arm
Doch gleichzeitig entdeckte sie gemeinsam mit ihrem Mann auf vielen Exkursionen die Baugeschichte ihres Heimatlandes neu. Die Erkenntnisse wurden erstmals 1975 in ihrem sozialen Wohnbau in Karatschi realisiert, einem Labyrinth aus Ziegeln und Terrassen, das genau auf die Bedürfnisse seiner Bewohnerinnen reagierte. Bauen für die Reichen und die Armen: Diesen Spagat setzte Lari in den 1980er-Jahren fort, als sie mit prestigeträchtigen Bauten wie der Konzernzentrale von Pakistan State Oil und dem Financial Trade Center zur bekanntesten Architektin des Landes wurde – ein Berufszweig, den sie erst etablieren musste, gegen den Widerstand von Ingenieuren und Bauindustrie. Gleichzeitig engagierte sie sich für den Denkmalschutz und entwickelte erste Selbstbausysteme.
Nach diesen erfolgreichen Jahrzehnten hatte sie genug davon, Auftragnehmerin zu sein, und wandte sich der Theorie und der Forschung zu. So hätte sich eine Architektinnenbiografie mit einem akademischen zweiten Akt schön abrunden lassen, doch dann kam es 2005 in Kaschmir zu einem der verheerendsten Erdbeben in Südostasien. Es signalisierte für Yasmeen Lari eine sofortige Rückkehr zur Praxis, es war die Gelegenheit, all das, was sie über Jahrzehnte gelernt hatte, zum Vorteil vieler Menschen anzuwenden.
Ihr System aus vorgefertigten Bambusbauteilen, die von jedem mit vor Ort vorhandenen Materialien wie Lehm und Stroh selbstständig ergänzt werden konnten, verstand sie als bewusstes Gegenmodell zur schwerfälligen Nothilfearchitektur der internationalen Hilfsorganisationen, die, wie sie sagt, eng mit der Bauindustrie verbunden sind.
Demut statt Ego
„Ich glaube nicht an Geld,“ sagt Lari. „Zu viel Geld ist destruktiv und verhindert das kreative Denken. Mir geht es darum, in die Fähigkeiten der Menschen zu investieren. Baustoffe wie Lehm kann jeder verwenden, zudem sind es Baustoffe, aus denen keine korrupte Schattenwirtschaft entstehen kann.“ Dabei geht es ihr nicht darum, traditionelle Bauweisen zu kopieren, sondern sie für das 21. Jahrhundert zu adaptieren. 2016 gründete sie das Zero Carbon Cultural Centre, ein Forschungs- und Entwicklungslabor für eine klimaschonende Bauwirtschaft und ein Ausbildungszentrum für die Bevölkerung. Eine Weiterbildung, die für die Architektin keine Einbahnstraße ist, wie sie im ΔTANDARD-Gespräch betont. „Ich wurde wie alle Architekten zum Egoismus ausgebildet, aber ich konnte das Ego und die Kontrolle abgeben. Man kann so viel von anderen lernen, vor allem in der Zusammenarbeit mit Frauen.“
Es sei natürlich kein Zufall, dass die Ausstellung am Internationalen Frauentag eröffnet wurde, sagt Angelika Fitz. „Uns geht es um eine Erweiterung der männlich und westlich dominierten Architekturgeschichte, um Dekolonialisierung und Dekarbonisierung.“ Die luftige Ausstellungsarchitektur aus lokalem Holz und Leinen spiegelt mit ihrem geringen CO2 -Fußabdruck diese Haltung wider und bildet einen unaufdringlichen Hintergrund für die Fülle an Material, das hier erstmals gezeigt wird. Den beiden Kuratorinnen, die 2022 eine Recherchereise nach Pakistan unternahmen, hatte die Architektin ihr gesamtes Archiv zur Verfügung gestellt.
Es ist eine Ausstellung, die die Frage, was Architektur ist und kann, wieder von Neuem stellt: Wann ist ein Obdach nur ein Obdach, und wann ist es Architektur? Eben dann, wenn, wie hier, technisches, baukulturelles und klimatisches Wissen, soziale Kompetenz, Organisation und Infrastruktur mit bestmöglicher Wirkungsbreite angewendet werden. „Das Bauen trägt massiv zur Klimakrise bei, aber es kann auch Teil der Lösung werden“, sagt Angelika Fitz. „Auch wir müssen uns fragen, wie eine lokale Bauwende aussehen könnte.“
Der Schlusspunkt der locker chronologisch erzählten Ausstellung ist von absichtlicher Undramatik. Eine Auswahl des von Yasmeen Lari optimierten Grundzubehörs fürs Leben und Überleben. Ein Herd, eine Toilette, fließendes Wasser. Kluge Systeme, schnell und vielfach multiplizierbar. Ein Survival-Kit für das Jahrhundert der beschleunigenden Klimakatastrophen, das Handwerkszeug für eine Architektur des 21. Jahrhunderts, die die eigenen Fehler des 20. Jahrhunderts korrigieren kann und muss. „Wir haben zu viel konsumiert, zu viele Ressourcen verbraucht“, sagt Yasmeen Lari. „Jetzt ist es an uns Architekten, das zu reparieren.“ In Zeiten, da eine 180-Kilometer-Stadt in der saudi-arabischen Wüste mit einer machohaft auftrumpfenden Architektur der Verschwendung ernsthaft als Idee für die Zukunft diskutiert wird, weist Laris schwarmintelligente Zero-Carbon-Ideenfabrik den Weg zur postfossilen Hoffnung.
[ Yasmeen Lari Architektur für die Zukunft, Architekturzentrum Wien, bis 16. August 2023; der Katalog zur Ausstellung in englischer Sprache ist bei MIT Press erschienen ]
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