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Diese Bücher machen Lust auf Architektur
Spectrum

Wie wollen wir leben? Wer macht Stadt? Um sich dem Thema Architektur zu nähern, gibt es verschiedene Wege: etwa über das Festival Turn On, ein Buch mit farbenfrohen und musikalischen Entwürfen oder den Katalog des Architekturzentrums Wien als Einstiegsdroge.

9. März 2023 - Christian Kühn
Es ist noch nicht zu spät. Wenn Sie diesen Text lesen, ist es wahrscheinlich Samstagvormittag, und Sie überlegen, was Sie mit dem Tag noch anstellen wollen. Offensichtlich sind Sie an Architektur interessiert, sonst hätten Sie diese Seite nicht aufgeschlagen. Die Empfehlung für den Nachmittag fällt mir daher leicht: Das Architekturfestival Turn On im Radiokulturhaus Wien, geleitet von Margit Ulama und veranstaltet von der Architekturstiftung Österreich, öffnet um 13 Uhr die Pforten. Schon der Ort ist Architekturgeschichte: der Große Sendesaal im ehemaligen Ravag-Gebäude in der Argentinierstraße, 1935 von den Architekten Aichinger und Schmid mit Clemens Holzmeister entworfen. Turn On findet hier seit 2003 jährlich statt und besteht inzwischen aus zwei Teilen, einem ersten am Donnerstag und Freitag, in dem Planer und Unternehmen gemeinsam ein Projekt und seine technische Realisierung vorstellen, und einem zweiten Teil am Samstag, bei dem Architekt:innen ausgehend von einem Projekt ihre Denk- und Arbeitsweise präsentieren.

Inklusive eines Festvortrags von Walter Angonese und einer Talkrunde, in der András Pálffy, Wilfried Kühn und Claudia Cavallar um 16.15 Uhr über die Frage diskutieren, unter welchen Bedingungen neu bauen statt sanieren vertretbar ist, ergibt das 40 Präsentationen quer durch die hiesige Architekturlandschaft: vom VinziDorf bis zum Wien Museum, von Querkraft bis Flöckner und Schnöll. Als Gäste aus dem Ausland ergänzen Sergison Bates und Ripoll-Tizón das Programm. Die Vorträge sind auch über einen Livestream auf turn-on.at zu sehen.

Abrufbar sind danach aus Copyright-Gründen allerdings nur die Vorträge vom Donnerstag und Freitag. Wenn Sie diesen Text erst am Sonntag lesen, haben Sie also Pech gehabt. Das tut mir leid, denn wenn Sie bis hier gelesen haben, sind Sie wirklich an Architektur interessiert. Zum Trost kann ich Ihnen einige neu erschienene, außergewöhnliche Architekturbücher empfehlen.

Vom Reden zum Bauen

Die ersten beiden sind Werkmonografien zweier annähernd gleich alter Büros: Holodeck wurde 1998 von Marlies Breuss und Michael Ogertschnig gegründet, Nonconform 1999 von Peter Nageler und Roland Gruber. Von einem „Werk“ im üblichen Sinn kann man bei Nonconform nur bedingt sprechen. Für sie ist Architektur vor allem ein Prozess, und so deklariert sich ihr von Wojciech Czaja und Barbara Feller im Jovis Verlag herausgegebenes Buch schon im Titel als „Lesebuch“ über das „Reden, Planen, Bauen auf dem Land und in der Stadt“. Im Zentrum stehen – durch zahlreiche Fotos porträtiert – „die Menschen“ auf dem Weg vom Reden zum Bauen. Das Buch entwickelt seinen Sog durch eine Fülle an Interviews und Fallstudien, mit denen Nonconform beweisen, dass man auch in der Prozessbegleitung eine kollektive Meisterschaft entwickeln kann. Zentrales Werkzeug dafür ist die „Nonconform Ideenwerkstatt“, ein Partizipationsformat, das Kommunen und Unternehmen hilft, Interessen abzuwägen und die Richtung für die weitere Planung festzulegen. Dass Nonconform mit inzwischen sieben Bürostandorten in Österreich und Deutschland auch Gebäude planen, geht im Buch beinahe unter.

Der Unterschied zu der bei Birkhäuser erschienenen Werkmonografie von Holodeck könnte kaum größer sein, wie sich schon bei der äußeren Erscheinung der Bücher zeigt. Während das Nonconform-Lesebuch mit seinem weichen Cover und einer speziellen Fadenheftung einer scheinbar beiläufig zusammengefügten Zettelsammlung gleicht, kombinieren Holodeck zwei massive Bücher zu einem perfekt konstruierten Ensemble aus Bildern, Texten, Plänen und Skizzen. Einfach loslegen mit dem Lesen ist hier keine Option: Um das Buch scharf zu machen, braucht man exakt 100 Zentimeter freie Tischplattenlänge, auf die man die beiden Teile auffalten muss. Das mag unzeitgemäß wirken, zwingt aber zu einer konzentrierten, fast klösterlichen Lektüre der Projekte, die diese Aufmerksamkeit durchwegs verdient haben, allen voran die österreichische Botschaft in Bangkok. Strahlende Gesichter wird man auf den Fotos nicht finden, dafür gut proportionierte und gestaltete Räume und zahlreiche komplexe Detailzeichnungen – eine Seltenheit in heutigen Architekturpublikationen.

Wofür die Farben stehen

Wer die beiden Publikationen in einen größeren Kontext stellen will, kann zu einer Neuerscheinung greifen: dem von Angelika Fitz und Monika Platzer herausgegebenen Katalog zur Schausammlung des Architekturzentrums Wien unter dem Titel „Hot Questions, Cold Storage. Architektur aus Österreich“. Hier geht es um die ganz großen Fragen geordnet nach Leitbegriffen wie Planet, Kapital, Habitat, Selbstschau, Gemeinwohl: Wie wollen wir leben? Wer macht Stadt? Wie überleben wir auf einem immer heißeren Planeten? Das Buch übersetzt die atmosphärisch dichte Ausstellung kongenial in ein Druckwerk, bis hin zur starken Farbigkeit in der Gestaltung. Eine Geschichte der österreichischen Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts kann und will der Katalog nicht liefern – als Einstiegsdroge zum Thema Architektur ist er bestens geeignet.

Das eigenwilligste Architekturbuch des Jahres ist schon im Herbst im Verlag Sonderzahl erschienen, wird aber erst am 16. März in der Buchhandlung König im MQ vorgestellt: Sabine Pollaks „Die unendliche Stadt“, eine Sammlung von 80 Textminiaturen mit Zeichnungen, die Pollak während der Lockdowns begonnen hat. Die Inspirationen sind offensichtlich: Für den Text sind es Italo Calvinos „Unsichtbare Städte“, für die Zeichnungen Yona Friedmans Raumstadt-Skizzen. Pollaks Sprache ist präzise, trockener Humor hält die Miniaturen zusammen. Da gibt es eine Sechseckstadt, eine Medusenstadt und eine erotische mit dem Namen Visiona X, die sich auf Verner Pantons Rauminstallation Visiona 2 bezieht. Eine andere zeigt unter dem Titel Schlauchstadt sechs Wohnkugeln, die auch geflochtene Körbe sein könnten, verbunden durch Schläuche in Rot, Gelb und Grün. „Wenn eine Kugel einatmet, atmet eine andere aus“: Und wofür stehen die Farben? „Panafrikanisch? Zu ideologisierend. Postkolonialistisch? Wahrscheinlich. Antikapitalistisch? Ja, doch. Reggae? Auf jeden Fall!“

Ist das zu verspielt angesichts der laufenden Weltkatastrophen? Wohl kaum. Gerade nach Katastrophen braucht es Imagination, also eine Vorstellungskraft, die bildhaft über das Quantitative hinausgeht. Nur wer von Städten träumt, die schöner und lebenswerter sind als je zuvor, hat Kraft genug für einen Wiederaufbau.

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