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Die etwas andere Wohngemeinschaft
Der Standard

In der Wiener Seestadt Aspern gibt es eine Wohngemeinschaft, in der Menschen über 55 zusammenleben. Noch gibt es Platz. Ein Besuch in einer WG, die sich gerade zusammenfindet.

18. März 2023 - Franziska Zoidl
Wie funktioniert das eigentlich mit dem Putzen? Diese Frage stellt sich in jeder Wohngemeinschaft früher oder später. In der WG Melange der Caritas, einer Wohngemeinschaft für Menschen ab 55, zeigt sich die Lebenserfahrung: Hier wird sie gleich vorab beim Informationsabend gestellt.

In der Seestadt Aspern im 22. Bezirk in Wien gibt es in einem Stockwerk des Wohnhauses der Baugruppe Leuchtturm auf 455 Quadratmetern seit dem vergangenen Herbst eine Wohngemeinschaft für Menschen über 55, die fit sind und Gemeinschaft suchen. Letztere ist hier deutlich niedriger dosiert als in Studierenden-WGs: Jedes der acht WG-Zimmer verfügt theoretisch über Anschlüsse für eine kleine Küche sowie über ein eigenes Bad. Das erleichtert die Sache mit dem Putzen.

Gleichzeitig stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern Gemeinschaftsküche, Balkon und Waschküche zur Verfügung. Vier der Apartments – so werden die WG-Zimmer hier genannt – sind aktuell vergeben. Für vier weitere werden Bewohnerinnen oder Bewohner gesucht. Eben auch im Rahmen von Info-Veranstaltungen, die im Gemeinschaftsraum im „Leuchtturm“ und mit Blick über den See abgehalten werden.

Sneakers und Piercing

Zehn Frauen und ein Mann sind gekommen, die mehr über die Wohnform erfahren möchten. Die WG-Erfahrung der meisten liegt schon einige Jahre zurück. Im Sesselkreis sitzt zum Beispiel Renate, die sich für gemeinschaftliche Wohnformen im Alter interessiert.

Dann ist eine kleine Gruppe gekommen, die sich seit Jahren kennt und die gern selbst etwas auf die Beine stellen möchte. Eine Frau mit Schoßhund ist extra aus dem Weinviertel angereist. Im Alter sieht sie sich nicht auf dem Land, „da halte ich es nicht aus“. Und die Bewohnerin einer Gemeindewohnung im zweiten Bezirk, die, wie sie später erzählen wird, nicht „für die nächsten 2o Jahre“ alleine daheim vor dem Fernseher sitzen möchte, sagt: „Das kann nicht alles gewesen sein.“

Sie alle sehen nicht so aus, wie man sich alte – oder sagen wir: nicht mehr ganz junge – Menschen gemeinhin vorstellt. Sie tragen Sneakers und Outdoorjacken, haben gefärbtes Haar oder tragen modische Pagenköpfe. Eine Seniorin hat ein Nasenpiercing. Warum sind sie hier?

Menschen werden heute ganz anders alt als früher: Sie sind länger fit und berufstätig. Dass man mit den Kindern und deren Kindern unter einem Dach wohnt, ist heute die Ausnahme, Einsamkeit eine große Angst für viele alte Menschen. Daraus entstehen neue Wohnformen: betreubare Wohnungen etwa, die häufig in zentralen Lagen errichtet werden. Und auch Wohngemeinschaften für aktive Senioren, die noch keinen Betreuungs-, aber dafür Gemeinschaftsbedarf haben.

„Ab einem gewissen Alter muss man sich Gedanken machen“, sagt eine der Interessentinnen in der Vorstellungsrunde. Darum sind die meisten heute gekommen. Sie wollen sich umsehen, welche Optionen es gibt – für irgendwann, für später. „Nicht für sofort“, das sagen mehrere der Anwesenden ganz rasch dazu in der Vorstellungsrunde, damit bloß keine Missverständnisse entstehen. Vor allem, weil die meisten die Seestadt Aspern, eine längere U-Bahn-Fahrt vom Zentrum entfernt, bisher noch nicht wirklich auf dem Schirm hatten. „Erweitern Sie das Projekt auch auf andere Bezirke?“, möchte eine Frau daher gleich am Anfang wissen. Sie würde gern im Zweiten bleiben. Weitere Projekte seien geplant, erklärt ihr Karin Pointner von der Caritas, die die Veranstaltung leitet. Gespräche mit gemeinnützigen Bauträgern würden laufen – aber eher in Randbezirken.

Schwierige Balance

Doris ist im Dezember in die WG eingezogen und heute im Sesselkreis mit dabei, um Fragen zu beantworten. „Echt lässig“ sei die Wohnform, erzählt sie der Runde. Und sie weiß die Antwort auf die eingangs gestellte Frage zum Putzen der Gemeinschaftsflächen: „Wir putzen im Radl.“

Einmal in der Woche setzen sich die vier Frauen, die bisher eingezogen sind, für eine halbe Stunde zusammen. Monatlich kommt jemand von der Caritas vorbei. Die Themen, die sie da beschäftigen, klingen ähnlich wie in anderen WGs: Irgendwer war zu laut, irgendwer bekommt viel Besuch.

Die Herausforderung bei der Wohnform ist die Balance zwischen Privatsphäre und Gemeinsamkeit. „Ich will nicht, dass es Pflicht ist, jeden Tag gemeinsam zu kochen“, sagt eine der Interessentinnen. Ist es nicht, sagt Caritas-Mitarbeiterin Pointner, „aber man muss sich schon bewusst sein: Es ist eine WG.“

Im Anschluss an den Info-Abend gibt es eine Führung durch die WG im ersten Stock, in der die Wohnungen entlang von Gängen aufgefädelt sind. Nein, die Schuhe müssen nicht ausgezogen werden. Wer wohl gerade im Putz-Radl dran ist? Die zusammengewürfelten Möbel in der Küche stammen vom Caritas-Shop Carla. Teppiche auf dem Boden oder Bilder an den Wänden in den Gemeinschaftsbereichen fehlen noch.

Manchmal, so erzählt eine Bewohnerin, sieht man einander die ganze Woche nicht, weil jede ihr eigenes Leben habe. Es sei ein „Experiment“, sagt sie. Ausgang? Ungewiss. Das hängt auch von den neuen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern ab. Einige Gäste vom Info-Abend bekunden ihr Interesse, sie werden zu weiteren Treffen eingeladen.

Dann kehrt im Wohnbereich langsam Ruhe ein. Martina, eine der Bewohnerinnen, lässt sich auf ein Sofa plumpsen. Der Umzug in die WG „war schwerer, als ich dachte“, erzählt sie. Bei älteren Menschen seien viele Eigenheiten schon sehr verfestigt. Veränderung fällt da schwerer, „das fängt beim Einräumen des Geschirrspülers an“. Oder im Spülbecken: Drei Personen nutzen die Küche derzeit, drei Spülschwämme liegen in der Abwasch. Aber es ist noch Platz für ein paar weitere.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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