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Bauen auf die Abbruchreife
Der Standard

Über manchem Wiener Gründerzeithaus baumelt die Abrissbirne. Häufig wird von den Eigentümern mit wirtschaftlicher Abbruchreife argumentiert – immer wieder mit Erfolg.

18. März 2023 - Franziska Zoidl
Noch steht das alte Haus in der Schönbrunner Straße in Wien-Meidling, nur einen Steinwurf vom Schönbrunner Schlosspark entfernt. Auf den Klingelschildern neben der Eingangstür sieht man noch die Namen der ehemaligen Bewohner. Ihre Wohnungen sind längst leer. Und im Bezirk wächst bei manchen die Sorge, dass der Abbruchbagger für das niedrige Haus mit nur zwei Geschoßen anrücken könnte.

Vor einigen Monaten wurde bereits sein Dach entfernt. Seither verschwindet das geduckte Kutscherhaus fast vollständig hinter einem Baustellengerüst und, seit kurzem, einer knallorangen Baumulde. Oben auf dem Dach ist es der Witterung ausgesetzt. Beim STANDARD-Lokalaugenschein sind einige Arbeiter neben dem Gerippe des Dachstuhls zugange, um das Dach leerzuräumen. Plant der Eigentümer, ein Wiener Immobilienunternehmer, einen Abriss mit der wirtschaftlichen Abbruchreife des Hauses zu argumentieren?

Die Wiener Grünen schlugen diesbezüglich bereits im Jänner Alarm: „Hier wird ganz klar die Bewilligungspflicht für den Abbruch von Gebäuden umgangen, die vor 1945 errichtet wurden“, die Behörden müssten umgehend einschreiten, forderten sie in einer Aussendung. Auch der Architekturblogger Georg Scherer, der den Blog Wien Schauen betreibt, findet den Fall „erschreckend“. Bei der Baupolizei heißt es auf Anfrage, dass eine Änderung des Dachbereichs baubehördlich bewilligt wurde, das Dach also „zulässigerweise“ für die Durchführung der Arbeiten entfernt wurde. Ein Abbruchansuchen liege für das Gebäude derzeit nicht vor. Da das Gebäude nicht bewohnt sei, gebe es derzeit keine weiteren Möglichkeiten für Sicherungsmaßnahmen. Und doch glauben in der Nachbarschaft manche, dass es letztendlich um Abbruch und nicht um Aufstockung des Bestandsgebäudes – erlaubt ist laut Flächenwidmungs- und Bebauungsplan eine Gebäudehöhe von 16 Metern – gehen wird.

Schutz alter Häuser

Demselben Unternehmer gehört auch die Radetzkystraße 24–26 in Wien-Landstraße. Bei dem neogotischen Eckhaus wurde vor viereinhalb Jahren bereits mit dem Abdecken des Daches begonnen, während es noch von einigen Mieterinnen und Mietern bewohnt war. Der Fall beschäftigte jahrelang die Gerichte.

Letztendlich wurde vor gut einem Jahr aber eine Einigung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern erzielt. Der Abbruchbagger rückte an. Der Ausgang in Meidling ist aber noch offen. Auf eine Anfrage zu den Plänen für das Haus wurde vonseiten des Eigentümers nicht reagiert.

Die wirtschaftliche Abbruchreife ist jedenfalls ein beliebtes Instrument unter manchen Wiener Immobilienunternehmern. Dabei wollte die Stadt mit einer Novelle der Bauordnung 2018 ihre charakteristischen alten Häuser eigentlich besser schützen. Seither wird beurteilt, ob am Erhalt eines alten Hauses öffentliches Interesse besteht, oder ob es abgerissen werden darf.

Nur gibt es eben Schlupflöcher, argumentieren Kritikerinnen und Kritiker. Bei der wirtschaftlichen Abbruchreife wird der nötige Kosteneinsatz, um das Haus in einen guten, vermietbaren Zustand zu bekommen, dem möglichen Ertrag gegenübergestellt. Wenn die Kosten für die Sanierung höher sind als der mögliche Ertrag, liegt eine wirtschaftliche Abbruchreife vor. Die Beurteilung dafür liegt bei der Baupolizei (MA 37) und bei der Abteilung Technische Stadterneuerung (MA 25).

Anfrage im Gemeinderat

Die Wiener Grünen – die bei der Novelle der Bauordnung 2018 wohlgemerkt noch selbst in der Stadtregierung waren – fordern schon länger, dass der Passus wirtschaftliche Abbruchreife ganz aus der Bauordnung gestrichen wird. Für Juristen ist ein solcher Eingriff in die Freiheit des Eigentums verfassungsjuristisch allerdings schwierig.

Georg Prack, Wohnsprecher der Wiener Grünen, hat zu der Thematik Anfang des Jahres eine Anfrage im Gemeinderat eingebracht. Er wollte unter anderem wissen, wie häufig Häuser mit diesem Argument abgerissen werden. Vor wenigen Tagen kamen die Antworten von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ). Demnach kam es im Vorjahr in 30, 2021 in 34 Fällen zu entsprechenden Abbruchbewilligungen. 2020 und 2019 waren es mit 16 bzw. 14 Fällen deutlich weniger.

Ein in der Anfragebeantworttung genanntes Beispiel aus dem Vorjahr ist die Hohenbergstraße 18 in Wien-Meidling. Die Adresse befindet sich ebenfalls in der Nähe des Schönbrunner Schlossparks und daher ebenfalls in bester Lage. Auch hier lautete der Befund für das gelbe Gründerzeithaus mit schnörkeligen Fassadenelementen: wirtschaftliche Abbruchreife. Im Sommer des Vorjahres wurde zuerst ein Loch in die Fassade geschlagen, Stuck entfernt – und das Haus schließlich abgebrochen.

Was Abbrüche begünstigt: In den letzten Jahren ist Meidling ein heißes Pflaster für Immobilieninvestoren geworden. Ein Beispiel: Der frühere Eigentümer des Hauses in der Schönbrunner Straße, das nun ohne Dach dasteht, ist 2018 verstorben. Seine Erben verkauften das Haus im selben Jahr um zwei Millionen Euro an einen Immobilienunternehmer, der das Haus 2021 um 4,78 Millionen Euro an den jetzigen Besitzer weiterverkaufte.

Ein Zinshausbesitzer aus dem Grätzel berichtet, dass er wöchentlich Briefe oder Anrufe mit mehr oder weniger blumigen Kaufangeboten erhält. Oft würden ihm die Immobilienunternehmer treuherzig versichern, das Haus bewohnen zu wollen.

Tanja Grossauer-Ristl, Klubobfrau der Grünen in Meidling, kritisiert, dass ihr Bezirk ein „blinder Fleck“ sei, für dessen alte Häuser man sich nicht im selben Maße stark mache wie in anderen Teilen der Stadt. In der Schönbrunner Straße verortet sie eine „Pufferzone“ des Unesco-Weltkulturerbes und sagt: „Wir müssen diese historische Gebäudesubstanz besser schützen.“ Ein häufiges Problem sei die Flächenwidmung. Wenn diese nicht bestandskonform sei, dann sei eine Aufstockung oder ein Abbruch für Investoren verlockend.

Abbrüche erschweren

Auch die Stadt Wien hat in Zusammenhang mit der in Arbeit befindlichen Novelle der Bauordnung angekündigt, alte Häuser besser schützen und Abbrüche weiter erschweren zu wollen.

Wichtig sei, frühzeitig anzusetzen, damit es gar nicht erst zu einer wirtschaftlichen Abbruchreife kommen kann, heißt es im Büro von Wohnbaustadträtin Gaàl, nämlich in Form eines Bauwerksbuchs, mit dem erfasst werden soll, welche Instandhaltungsmaßnahmen getätigt wurden.

Zuletzt hat die Stadt übrigens vor ziemlich genau fünf Jahren angekündigt, Abrisse gesetzlich erschweren zu wollen. Das hat zu einem wahren Abrissboom geführt. Einen ähnlichen Effekt befürchtet man nun aber nicht.

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